Gehe zu: Hauptmenü | Abschnittsmenü | Beitrag

Peter Burg Werke

“… dass man sich selbst vergisst und nur der Sache lebt”

Leben und Werk des Freiherrn vom Stein. Festvortrag von Prof. Dr. Peter Burg zum 250. Geburtstag des Freiherrn vom Stein am Freitag, dem 26. 10. 2007, in der Aula des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Münster/Westfalen

Als sicheres Mittel für einen Erfolg bezeichnete Stein die Einstellung, „dass man sich selbst vergisst und nur der Sache lebt.“ In diesem knappen Statement steckt eine Menge Lebensweisheit. In der Fokussierung aller mentalen Kräfte auf einen Punkt scheint in der Tat eine Bedingung für Erfolg zu liegen. Freilich ist das, was Stein schlicht als „Sache“ bezeichnet, nichts als etwas Beliebiges verstanden, sondern als etwas, was letzten Endes mit dem Sinn menschlichen Lebens und Tuns und mit religiösen Normen im Einklang steht. Der Staatsmann Stein war nämlich, auch wenn er uns allenthalben als homo politicus begegnet, ein eminent religiöser Mensch. Das evangelische Glaubensbekenntnis war für ihn eine Konstante, während seine Position in ‚irdischen Dingen’ vielfach nicht auf einen Nenner zu bringen oder gar widersprüchlich ist.

Steins Lebensdevise einer engagierten Hingabe um einer guten Sache willen stelle ich an den Anfang meiner Ausführungen, weil sie mir geeignet scheint, eine positive Beziehung oder wenigstens einen positiven Beziehungsfaden zwischen dem Namenspatron und den Mitgliedern und Freunden der Schule herzustellen. Letztere wünschen sich eine positive Beziehung. Die Feier des 250. Geburtstages setzt sogar eine solche voraus. Dennoch sollte auch an diesem Tag über die Berechtigung und die Tragfähigkeit der Beziehungen reflektiert werden. Das ist nun mein Part, so verstehe ich die mir übertragene Aufgabe.

Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hat den Namen in der Weimarer Zeit erhalten, 1923, vor mehr als 80 Jahren. Der Antrag zur Namensverleihung wurde mit der Vorbildfunktion des gewünschten Patrons begründet. Mein Fazit wird nicht so hochfliegend klingen. Angemessen scheint mir eine eingeschränkte Akzeptanz. Das ist weiterhin die Beschreibung einer positiven Beziehung, gleichzeitig aber auch der Verzicht, an den Mythen und Legenden früherer Epochen weiterzustricken, in deren Reich Stein aufgestiegen war.

Auch wenn ich mit diesen Worten einen Überschwang in der Bewertung dämpfen möchte, so werde ich den einstigen Reichsfreiherrn im Folgenden doch in dreierlei Hinsicht als großen Deutschen präsentieren, der als Namenspatron einer Schule eine gute, anerkennenswerte Figur abgibt und der auch heute noch Wegweisendes zu sagen hat, und zwar als Reformer, als Gegenspieler gegen die napoleonische Diktatur und als Person.

1. Der Reformer

In der Weimarer Zeit, als das Städtische evangelische Lyzeum und Oberlyzeum zu Münster nach einem Namenspatron suchte, stand der Reformer Stein hoch im Kurs, während im Kaiserreich der nationale Widerstandskämpfer zum Heros erhoben wurde. Der Schöpfer der Weimarer Verfassung, Hugo Preuß, nannte Stein den größten inneren Staatsmann der Deutschen. Damit zielte er auf dessen maßgebliche Mitwirkung an den Preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Es waren aber nicht diese Reformen, sondern die Französische Revolution, die eine Epochenwende herbeiführte und die europäische Welt innen- und außenpolitisch erschütterte. Der Freiherr vom Stein lehnte die Revolution wegen ihres radikalen Bruchs mit der Vergangenheit ab, billigte jedoch einige ihrer Konsequenzen und ließ sich partiell von ihren Ergebnissen inspirieren. Dazu gehörte die Säkularisation, die Entmachtung der geistlichen Fürsten und der Einzug eines großen Teils der Kirchengüter. Als Napoleon den Anstoß dazu im Deutschen Reich gab, wurde Freiherr vom Stein mit der Ausführung dieses politisch, wirtschaftlich und sozial höchst bedeutsamen Geschäftes in Westfalen betraut. Betroffen war besonders das Fürstbistum Münster, einer der größten geistlichen Staaten in Deutschland, das unter einige Dynasten aufgeteilt wurde. Stein trug den einschneidenden Eingriff in die Reichsverfassung mit und begrüßte sie sogar, obwohl er im übrigen ein Reichspatriot war und den anstehenden Verlust seiner Reichsunmittelbarkeit heftig als Unrecht beklagte. Für das Fürstbistum Münster zeigte der mittlerweile zum preußischen Oberkammerpräsidenten Beförderte keine vergleichbare Gefühle. Von 1802 bis 1804 hielt er sich in Münster auf, um das Territorium und Vermögen, das an Preußen fiel, in den Staatsverband zu integrieren. In seiner Autobiographie (1823) beschreibt er die Durchführung der Säkularisation folgendermaßen: “sie geschah mit Milde Schonung und Treue, die Geistliche wurden mit großer Freygebigkeit behandelt, die alte Einländische Beamte, waren sie irgend tauglich, beybehalten und das Gehässige Gewaltthätige der Sache selbst möglichst gemildert.” Für die Münsterländer blieben die neuen preußischen Herren, die ihnen in Gestalt von Militär und Zivilbeamten gegenübertraten, dennoch verhasst. Die preußische Herrschaft wurde schon bald durch die Rheinbundzeit für sieben Jahre unterbrochen. Nach dieser Zeit, nach dem Erlebnis der Fremdherrschaft, wurde die Stimmung im Münsterland für Preußen etwas positiver.

Anders als zur Zeit der Säkularisation war Stein in den Preußischen Reformen Akteur, nicht weisungsgebundener Provinzbeamter. Die Frage nach einem Einfluss Frankreichs stellt sich aber auch jetzt. Der ideellen Ausstrahlung dieses weltgeschichtlich bedeutsamen Vorganges konnte sich kein aufmerksamer Zeitgenosse entziehen, erst recht nicht ein so enzyklopädisch veranlagter Geist wie Stein. Die Französische Revolution brachte ja nicht nur Chaos und Gewalt hervor, sondern – in einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit – eine Modernisierung von Verfassung und Verwaltung, Recht und Gesellschaft, die bis in die Gegenwart hinein wirkt. An den Grenzen von Preußen, nach der verheerenden Niederlage Preußens in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt sogar auf dem westelbischen Gebiet der Hohenzollernmonarchie wurden Satellitenstaaten von Napoleons Gnaden errichtet, deren innerer Ausbau sich am französischen Mutterstaat ausrichtete. Preußen geriet damit auch außenpolitisch unter Reformdruck. Daneben gab es freilich auch eigene ältere Traditionen, die sich mit den Impulsen von außen mischten.

Stein stellte in den Preußischen Reformen die Weichen. Der Versuch der Herstellung einer linearen Abhängigkeit ist obsolet. Dennoch wurde später im Zeichen des Nationalismus ein erbitterter Streit geführt, ob französische oder genuin deutsche Einflüsse leitend waren. Entscheidend ist, dass Stein die Initiative zu Reformen aufgriff und weiterführte. Die Bereitschaft, Staat, Verwaltung und Gesellschaft zu modernisieren, ging keineswegs nur auf die Absicht zurück, den Wohlstand der Untertanen zu heben. Ein wesentliches Motiv war vielmehr, die Leistungsfähigkeit des Landes für den Staat zu erhöhen. Überzeugt von der Notwendigkeit von Reformen kam auch seine eingangs zitierte Handlungsdevise zum Tragen. Er scheute um der Sache willen nicht einmal einen Konflikt mit dem Monarchen und wurde vor dem großen Reformanlauf zunächst einmal als Minister entlassen.

In der unfreiwilligen Muße entwarf er in der berühmt gewordenen Nassauer Denkschrift (Juni 1807) sein politisches Credo, in dem er „Gemeingeist und Bürgersinn“ zu den tragenden Säulen des Staatslebens erklärte. Mit Napoleons Hilfe, der in Stein einen Frankophilen vermutete, – ein verhängnisvoller Irrtum – kam er wieder ins Ministerium. Die besondere Leistung Steins in seinem nun folgenden vierzehnmonatigen Ministerium besteht darin, dass er die meiste Zeit für Bemühungen zur kurzfristigen Krisenbewältigung benötigte, für das Aufbringen der von Napoleon abverlangten Kontributionen, für die Besorgung der Besatzungsarmee, für die Deckung von Schulen, und in der übrigen Zeit Strukturreformen in Gang setzte, die für Preußen die Tür zur Moderne öffneten. Besonderen Anteil hatte er an den Reformen im Agrarbereich, im Kommunalwesen und in der Staatsorganisation.

Im agrarischen Bereich stand die Bauernbefreiung durch das Oktoberedikt von 1807 auf der Tagesordnung. Aus Gutsuntertanen sollten Staatsbürger und aus Lehnsgütern, die mit Frondiensten, Zinsen und Abgaben belastet waren, sollte persönliches Eigentum werden. Was in Frankreich allerdings in einer revolutionären Nachtsitzung durchgesetzt wurde, sollte sich in Preußen über Jahrzehnte hinziehen. Stein selbst war später bedacht, dass er für die Ablösung alter grundherrschaftlicher Rechte die größtmöglichste Entschädigung von seinen Bauern erhielt.

Die Verwirklichung der Selbstverwaltungsidee gelang Stein in der Städteordnung, die am 19. November 1808 verabschiedet wurde. Das Wahlrecht der Bürgerschaft war nicht mehr an alte Privilegien gebunden. Ein modernes Verfassungselement lag im Prinzip der Gewaltenteilung. Stadtverordnetenversammlung und der gewählte Magistrat standen sich als Legislative und Exekutive gegenüber. Das Budgetrecht lag ausschließlich bei den Stadtverordneten. Das war ein Gegenmodell zu dem in der Zeit weit verbreiteten bürokratischen Absolutismus, auch zu dem Zentralismus französischer Prägung, der in den Rheinbundstaaten Fuß fasste und dem “maire”, dem Bürgermeister, eine dominante Stellung gegenüber dem Rat einräumte. Auch dieser Unterschied sollte in der Folgezeit in einem deutsch-französischen Vergleich ideologisch ausgeschlachtet werden, obwohl die preußische Rheinprovinz noch Jahrzehnte die französische Bürgermeistereiverfassung beibehalten durfte. Die Provinz Westfalen erhielt die Steinsche Städteordnung in einer Revidierten Fassung, die Stein selbst – trotz einer Intensivierung der behördlichen Gängelung – für die bessere hielt.

Die Rheinländer gaben der französischen „mairie“ den Vorzug, was Stein – hätte er es erlebt – in seinen Vorurteilen bestärkt hätte. Er hielt nämlich die Rheinländer durch ihre fast zwanzigjährige Zugehörigkeit zu Frankreich für bis in den Kern verdorben. Wirklich vertrauenswürdig schienen dem Cappenberger Schlossherrn nur die Westfalen mit einer altpreußischen Vergangenheit, etwa die Alteingesessenen der Grafschaften Mark oder Ravensberg, d.h. die Münsterländer seiner Generation waren für ihn noch keine echten Preußen.

2. Der nationale Widerstandskämpfer

Im Kontext der gärenden Stimmung des Widerstandes, die sich in dem von Napoleon geknebelten Preußen breit machte, verfasste Stein einen Brief, der seine Gegnerschaft gegen die Besatzungsmacht erkennen ließ. Dieser fiel in die Hände der feindlichen Spionage und machte das riskante Doppelspiel des leitenden Ministers zwischen Erfüllungspolitik und Widerstand offenkundig. König Friedrich Wilhelm III. ging sogleich auf Distanz zu Stein, der entlassen wurde und schließlich fliehen musste.

Er fand für mehr als drei Jahre Asyl im Habsburger Reich. Mit Frau und Kindern, den Töchtern Henriette und Therese, lebte er in Brünn, Troppau und Prag. Ein ähnliches, wohl noch härteres Schicksal erlebte seine Schwester Marianne, eine Stiftsdame, die seine nassauischen Güter verwaltete. Sie wurde wegen einer Verstrickung in eine hessische Verschwörung verhaftet, nach Paris gebracht und dort in ein berüchtigtes Frauengefängnis gesteckt. Mit Hilfe des sächsischen Botschafters, eines angeheirateten Verwandten, wurde sie vor dem sicheren Tod gerettet und kam zurück nach Deutschland. Freiherr vom Stein und Marianne waren schon vorher ein Herz und eine Seele, das gleiche Schicksal dürfte sie noch enger zusammengeschweißt haben.

Aus der lebensbedrohlichen Nähe Napoleons wurde Stein befreit, als der Zar ihn im April 1812 einlud, an der Bekämpfung des napoleonischen Herrschaftssystems mitzuwirken. Der Zar Alexander, der die Wirtschaftsblockade gegen England nicht mittrug und dadurch Napoleon zum Krieg reizte, sammelte die Kräfte des Widerstandes an seinem Hof. Das Ergebnis des napoleonischen Russlandfeldzugs ist bekannt. Die große Kriegswende war eingeleitet.

Mit dem Hauptquartier Alexanders zog Stein nach Westen. Jetzt kam wieder seine Handlungsdevise zum Tragen und wieder trat er furcht- und respektlos dem preußischen Monarchen gegenüber. Auf ostpreußischem Boden angelangt, nahm er auf das noch bestehende preußisch-französische Bündnis keine Rücksicht, sondern organisierte im Auftrag des Zaren wie ein Souverän sogleich die Bildung von Landwehr und Landsturm. Den General Ludwig von Yorck zog er auf seine Seite. Den zögernden Monarchen drängte er durch vollendete Tatsachen im Februar 1813 zum Abschluss eines Bündnisses mit Russland. Im März hatte er sein Ziel in der preußischen Regierung erreicht: der Befreiungskrieg wurde offiziell proklamiert. Allenthalben regte sich jetzt der nationale Widerstand, in Tirol, in Italien, in Spanien. Entscheidend für die Befreiung Europas von der napoleonischen Diktatur war jetzt, dass der Zar seine Truppen, angespornt von Stein, weiter nach Westen marschieren ließ und zum Durchhalten bis zum endgültigen Sieg gewann. Diesem entschiedenen Widerstandswillen gegen einen Herrscher, der sich zum europäischen Despoten entwickelte, verdient auch aus heutiger Sicht Anerkennung. Nicht hingegen sein vernichtendes Urteil über den französischen Nationalcharakter. Daran hielt der Freiherr fest, auch als sich die europäischen Mächte längst mit der wiedererrichteten Bourbonenmonarchie ausgesöhnt hatten.

Für das befreite Deutschland entwarf Stein Verfassungen, in denen die ehemaligen Rheinbundfürsten abgestraft und den Großmächten Preußen und Österreich eine Hegemonie zugesprochen wurde. Spöttisch belegte man ihn im preußisch-russischen Hauptquartier wegen seiner zum Teil diffusen Entwürfe mit dem Titel eines “Kaisers von Deutschland”. Auf dem Wiener Kongress (1814/15) war sein Einfluss auf die politische Neuordnung Deutschlands jedoch gering. Er gehörte eben keinem Kabinett an, auch nicht dem russischen und in das preußische wurde er nicht zurückberufen. Die europäischen Verträge waren Sache der Regierungen und nicht der Berater oder Sonderbevollmächtigten, zu denen Stein gehörte. Die Bundesakte vom Juni 1815 entsprach seinen Wünschen nicht, vor deren Abschluss reiste er aus Wien ab. Da die Bundesakte unter dem Maßstab der deutschen Einheitsbestrebungen später diskreditiert wurde, war seine Kritik ein Grund mehr, ihn zu einem nationalen Visionär zu erheben.

3. Die Person

Zum dritten möchte ich die Person des Freiherrn vom Stein mit ihren Ecken und Kanten, mit Licht und Schatten, in ihrer Prinzipientreue und Widersprüchlichkeit vorstellen. Was ihn kennzeichnet ist sein Standesbewusstsein als Adeliger, nicht eines kleinen Landadeligen, sondern eines ehemals freien, nur dem Kaiser untertanen Reichsritter. Mediatisierte Fürsten oder Reichsfreiherren sowie adelige Grundherren in Bezug auf Steuern und Stimmrecht zu privilegieren, schien ihm nicht mehr als recht und billig. Andererseits hatte er kein Problem damit, Arbeitern oder Handwerkern, die sich redlich nährten, darüber hinaus aber kein Vermögen besaßen, Bürger- und Wahlrecht abzusprechen. In der Arbeiterschaft der großen Städte sah er gar ein Gefahrenpotential für Recht und Ordnung. Den Begriff „Pöbel“ verwandte er exzessiv für die am Rande des Existenzminimums lebenden Unterschichten. Gegen die Gefahr von unten sollten sich alle Bessergestellten verbünden.

Es wäre aber verfehlt anzunehmen, für Stein zählten nur Herkunft, Vermögen und Einkommen. Er schätzte die Leistungselite, die sogenannten Notabeln, die höheren Beamten und Freiberufler, die Unternehmensleiter. Auf deren Wissens- und Erfahrungspotential sollte die Repräsentativkörperschaften auf Gemeinde-, Kreis-, Provinz- und Staatsebene nicht verzichten. Das war die Position eines Liberalen. Hier überwand er die Schranken seines Standes, auch in seiner weit überdurchschnittlichen Gelehrsamkeit und in der technischen Innovationsbereitschaft. In rationeller Manier führte er seine Gutsbetriebe, nachdem er sich von der großen Politik zurückgezogen hatte.

Wie aber die Zusammenarbeit verschiedener Stände in Gremien ablaufen sollte, dazu gibt es ein Bonmot. Als ein von den Landgemeinden gewählter Gastwirt Stein als den Vorsitzenden des Provinziallandtags, wie er sich zu verhalten habe, soll dieser geantwortet haben: sich hinsetzen und anhören, was kompetentere Männer ihm zu sagen hätten. In diesem Bonmot ist nicht ein trockener Steinscher Humor zu sehen, sondern seine wahre Meinung. Leichtfertige Reden oder Witze waren nicht sein Metier, geistreiche Gespräche ja. Geselligkeit pflegte er intensiv. Auf seinen Gütern empfing er häufig illustre Gäste. Auch Besuchsreisen fanden zahlreich statt.

Was seinen Freundeskreis angeht, so fällt angenehm auf, dass der engagierte Protestant, Mitglied der Märkischen Synode, keine konfessionellen Schranken aufbaute. Eng und vertraut waren die Beziehungen zu dem Kölner Erzbischof Spiegel, den er von Münster her kannte. Ähnliches gilt für den ehemaligen großherzoglich-bergischen Minister Nesselrode, bei dem Stein von den Vorbehalten absah, die er gegenüber „Franzosendienern“ hegte. Andererseits pflegte er geradezu auch heute nicht nachvollziehbare Feindschaften, so etwa zu seinem Nachfolger im Amt, dem Staatskanzler Karl August von Hardenberg. Wir sehen in ihm einen Reformer, der auf gleicher Augenhöhe wie Stein stand, dem eine längere Amtszeit zur Verfügung stand, so dass sein realpolitischer Einfluss den Steins übertrag. An Hardenberg ließ Stein kein gutes Haar, weder in politischer noch in persönlicher Hinsicht. Ein Schlüsselerlebnis, das die Beziehung erklärt, ist nicht bekannt. Weitere von Polemik triefende Urteile ließen sich anreihen, ebenso die Liste aufrichtiger und feinfühlig gelebter Freundschaften.

Herauszuheben ist des weiteren Steins soziales Engagement. Er setzte z.B. für die Ausdehnung der Gefangenenfürsorge ein, die sich die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft zur Aufgabe machte. Für die Errichtung eines Priesterseminars spendete er beachtliche 5.000 Taler. Andererseits ist die Härte gegenüber dem schwarzen Schaf seiner Familie auffällig, gegenüber seinem Bruder Johann Gottfried Ludwig, der seit 1814 in Bremen als ‚Sozialfall’ unter dem Namen Salzer lebte. Nach zwei Unterschlagungen (als Soldat und als Jagdjunker) ging Stein auf entschiedene Distanz zu Gottfried und legte Wert darauf, dass dieser nicht mehr unter dem Familiennamen lebte. Durch die Zahlung von Schulden in Höhe von 12.000 Gulden wendete er aber ein Strafverfahren ab. Gottfried tauchte unter und schlug sich in Wien und Hamburg als Lehrer für Französisch und Geschichte durch. 1814 richtete er von Bremen aus einen Hilferuf an den berühmten Bruder: „Vergib mir und verwirf nicht Deinen höchst unglücklichen Bruder Gottfried, seit 1792 genannt Salzer“. Über einen Bankier sorgte Stein für den Unterhalt durch eine jährliche Pension von 100 Louisdor und für eine geistliche Betreuung. Aber er wollte ihn nicht mehr sehen. Eine Rehabilitierung oder ein Platz in der Familiengruft für Salzer kam nicht in Frage.

Ich bin bei einem menschlicher Stärken und Schwächen Steins angelangt. Dazu gehört das Phänomen, dass bei dem sich durch Willensstärke und Tatendrang auszeichnenden Cappenberger Schlossherrn Anflüge von Depressionen und sogar Todessehnsüchten einstellten, nicht nur bei seinen Krankheitsschüben.

Schluss

Mit meinen Ausführungen hoffe ich die Eingangsthese erläutert zu haben, dass die angemessene Beziehung zum Namenspatron dieser Schule die einer eingeschränkten Akzeptanz sein sollte. Stein selbst hätte damit keine Schwierigkeiten, denn eine seiner Stärken lag in seiner Fähigkeit zur Selbstkritik. Stoisch, schicksalsergeben nahm er auch seine Schwächen hin. Suchen wir einen Gewinn aus Leben und Werk Steins zu ziehen, so bleibt die Methode des Eklektizismus. Mit meinem Schlusszitat aus der Nassauer Denkschrift wende ich sie an, um die Kraft der Sprache und des Denkens noch einmal zu dokumentieren. Ich verzichte deshalb auf eine Umformulierung und eine Anpassung an die Denkweise unserer Zeit. Das zentrale Anliegen der Denkschrift war für Stein nicht die “Ersparung an Verwaltungskosten”, so wichtig ihm diese im übrigen war, sondern ein politisch-pädagogisches Ziel, “die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre”.

Symposiums-Vortrag von Prof. Dr. Peter Burg zum Freiherrn vom Stein

Mehr zum Themenbereich Geschichte von Preußen