Am Anfang stand Differten
Peter Lorsons Reise in die Welt des Christentums
von Prof. Dr. Peter Burg
I. Einführung: Die Bedeutung
Pater Lorson drohte inmitten der Dorfgemeinschaft, aus der er hervorgegangen ist und in der er seine letzte Ruhestätte gefunden hat, in Vergessenheit zu geraten, bevor ihn seine Mitbürger richtig kennen gelernt hatten. Das Unverständnis, dem er ausgesetzt war und noch ist, ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass aus Peter Lorson ein Pierre Lorson, dass aus dem gebürtigen Differter ein Wahlfranzose wurde. Sein wichtigster Wirkungsort war Straßburg, seine Schriften verfasste er ganz überwiegend in französischer Sprache. Heute, nach einer Epoche der nationalistischen Verirrungen und dem Zusammenwachsen Europas, ist in der kulturellen Doppelgleisigkeit, in der Mittlerfunktion, eine Pionierleistung zu sehen.
Der Boden für eine “Heimholung” von Pierre Lorson, für die Rückkehr von Peter Lorson, ist bereitet. In den letzten Jahren ist nicht nur ein Weg am Friedhof nach ihm benannt worden, Leben und Werk sind auch in einer Reihe von Zeitungsartikeln zusammenfassend gewürdigt worden. Pater Lorson pflegte Kontakt mit der politischen und geistigen Elite. Er wirkte als Domprediger und Seelsorger in Straßburg und verfasste eine große Anzahl von Schriften, so zum Thema des Rassismus in nationalsozialistischer Zeit, zur Friedens- und Europaidee sowie zum Charakter des modernen Krieges nach dem Zweiten Weltkrieg. Seinen französischen Mitbürgern stellte er deutsche Literatur und religionsphilosophische Schriften vor. In seinen theologischen Büchern und Aufsätzen setzte er sich für ein von christlichen Werten geleitetes Alltagsleben ein. Alles das ist mittlerweile in großen Zügen bekannt. Weithin unbekannt ist der Werdegang, der dem Höhepunkt seines Wirkens und Schaffens vorausging. Dank einer von Peter Lorson hinterlassenen und jetzt in deutscher Übersetzung gedruckt vorliegenden Autobiographie lässt sich der Werdegang rekonstruieren. Im Folgenden werde ich Seiten seines Lebens nacheinander – von außen nach innend gehend – aufblättern. Dabei wird sich zeigen, dass sein Lebensweg als eine Reise in die Welt des Christentums gesehen werden kann, die ihrem Ausgangspunkt Differten viel stärker verhaftet ist, als es zunächst scheinen mag. Der Gedankenbogen beginnt mit der genealogischen Abstammung und der sozialen Herkunft, führt über Charakterzüge und kulturelle Bildung zur Religiosität als dem Zentrum seiner Person. Schließlich ist von seinem nationalen Selbstverständnis zu sprechen, der Stellung des Differters bzw. Saarländers zwischen Deutschland und Frankreich.
II. Die genealogische Herkunft
Genealogisch und damit auch genetisch ist Peter Lorson, wie jeder Ortskundige schon aus dem Namen schließen kann, ganz stark mit der einheimischen Bevölkerung verknüpft, er ist “einer von uns” – als Träger des Namens Burg kann ich mich in das Wort “uns” einbeziehen. Der Name Lorson führt zu den ersten Einwohnern von Friedrichweiler, die von Anfang an in einem regen Bevölkerungsaustausch mit den Differter Nachbarn standen. Eine Brücke quer durch den für Peter Lorson so erinnerungsträchtigen Warndt brachte die Verbindung des gleichnamigen Großvaters mit Katharina Clanget aus Lauterbach. Die mütterliche Linie Kiefer war noch nicht lange im Raume Differten/Friedrichweiler verwurzelt, der Großvater Wilhelm Kiefer noch in Illingen geboren. Die Großmutter mütterlicherseits, Anna Maria Baltus, stellt aber wieder die Beziehung zu den “Ureinwohnern” her. Den Namen Baltus wird Peter Lorson später als Pseudonym gebrauchen, unter dem er ein Buch und etliche Aufsätze herausgab und das er auch für die Autobiographie vorsah.
Von der Abstammung zu sprechen ist wichtig, nicht nur, um darauf hinzuweisen, dass Peter Lorson einer von uns war, sondern auch, weil sie im Selbstverständnis des gebürtigen Differters eine große Rolle spielte. Er ging von einem französischen Ursprung seiner Vorfahren aus und ordnet die saarländische Bevölkerungsmehrheit hinsichtlich ihrer Abstammung Lothringen zu. Aus dieser Zuordnung erklärt er sein schnelles Einfinden in die französische Sprache und Kultur und legitimiert später seine “Naturalisierung” in den französischen Staat – letzteres nicht ohne große innere Konflikte.
Die Problemzone der nationalen Identität besaß auf Pater Lorsons Lebensreise einen prägenden, wenn nicht gar bestimmenden Einfluss. Seine Deutung der Abstammung erfolgte ohne Kenntnis der genealogischen Daten, über die wir heute dank der Einwohnerbücher von Josef Burg, dem ehemaligen Hostenbacher Schulrektor, verfügen. Der Differter Raum wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg, das wissen wir auch aus den Heimatbüchern, quasi neu besiedelt. Die Herkunftsorte der Einwanderer lassen sich nicht immer genau identifizieren. Es handelte sich unter anderem um Lothringer und Elsässer, die sich aber noch keineswegs als Angehörige der französischen Nation fühlten. Vereinzelt wanderten Franzosen aus dem Kerngebiet ein, ferner Pfälzer und sogar Tiroler. Sie bildeten vor der Französischen Revolution einen Schmelztiegel, in dem Gegensätze der Volkszugehörigkeit noch keine Rolle spielten. Entscheidend waren die politischen Grenzziehungen nach der Niederlage und Verbannung Napoleons auf die Insel St. Helena im Jahre 1815. Erst danach bildeten sich nationale Identitäten aus. Das von Peter Lorson benutzte Argument der französisch-lothringischen Abstammung zur Begründung seines Wechsels der Nationalität hat demnach keinen festen Boden. Es führte auch bei ihm nicht zu einer inneren Beruhigung, vielmehr zu einer Doppelpoligkeit. Dafür sorgte nicht zuletzt die starke Verwurzelung in Differten.
III. Die soziale Herkunft
Sozial entstammte Peter Lorson dem in Differten vorherrschenden Milieu. Er war neben sieben Töchtern der einzige Sohn eines Bergmanns, der in Kleinrosseln arbeitete und im Nebenerwerb eine kleine Landwirtschaft betrieb. Das Einkommen reichte mit Mühe zum nackten Existenzerhalt der großen Familie. Unvergessen blieb für Pater Lorson die Suche der Mutter mit allen Geschwistern nach einem heruntergefallenen Geldstück, das erst einige Tage später wieder aufgefunden wurde. An der Trauer über den Verlust und dem Jubel über das glückliche Wiederauffinden nahm die ganze Kinderschar Anteil. Tief beeindruckte Peter Lorson der frühe Tod von Geschwistern, den er auf Armut und fehlende Hygiene zurückführte. Das war kein besonderes Schicksal in Differten, sondern eher das typische.
Große soziale Unterschiede bestanden in Differten nicht. Das Besondere war die überdurchschnittliche Begabung des Jungen. Sie konnte damals in dem gegebenen sozialen Umfeld nicht entwickelt werden. Ein Kosten verursachender Besuch einer weiterführenden Schule oder gar einer Universität war nicht möglich. Die tiefe Dankbarkeit gegenüber der Kirche und dem Jesuitenorden dafür, dass diese ihm eine freie Ausbildung ermöglichten, erklärt sich aus dem sozialen Milieu, das dem begabten Kind keine Aufstiegschancen bot. Doch er blieb diesem Milieu verbunden. Sein Wunsch, den Vater, Jakob Lorson, einmal auf dem stundenlangen Weg zur Grube und bei der Fahrt unter Tage zu begleiten, um dessen Leistung am eigenen Leib zu spüren und nachempfinden zu können, blieb wach, solange dieser lebte – d.h. bis im Jahr 1941.
IV. Abenteuerlust und Lebensmut
In Differten keimten die Eigenschaften und Charakterzüge, die Peter Lorson später kennzeichneten. Dazu zählten die Lust auf Abenteuer und der persönliche Wagemut. Der häusliche und dörfliche Rahmen zum Ausleben dieser Neigungen war zu eng. Der Warndtwald musste für Streifzüge und die kindlichen Spiele mit Altersgenossen herhalten. Die hier verbrachten Stunden stellten für den späteren Jesuitenpater eine glückliche Erinnerung dar.
Fehlende Abenteuer in der Realität fanden Ersatz in der Phantasie, die von der katholisch-christlichen Literatur angeregt wurde: die Geschichten von Heiligen, Märtyrern und Missionaren erzeugten in dem Kind eine Sehnsucht zur Nachfolge, nach einer Sprengung der Fesseln des häuslichen und sozialen Milieus. Mit dem Besuch der Missionsschule in Belgien wurde dem Erlebnishunger und Tatendrang des mittlerweile 13jährigen Rechnung getragen.
Der Erste Weltkrieg brach während der Schulzeit aus, die Peter – im Jahre 1915 – noch beenden konnte. Im Jahre 1916 wurde er aber mitten aus dem Noviziat des Jesuitenordens herausgerissen und in die deutsche Wehrmacht eingezogen. Der Krieg war für den künftigen Geistlichen kein Abenteuer, so wie ihn anfangs viele Deutsche empfunden hatten. Doch Mut und abenteuerlichen Sinn bewies er auch hier. Zunächst einmal, indem er die behördlichen Anweisungen ignorierte, nach denen er von seinen Ausbildungsstätten in Belgien abgeschnitten worden wäre. Als Soldat hoffte er, dass der einzige Schuss, den er im Krieg abfeuern musste, keinen Gegner getroffen hatte. Todesmut bewies er bei den Kontrollgängen an der Front in Frankreich, wo er zum Abhören von gegnerischen Nachrichten eingesetzt wurde. Wenn er sich nicht als Soldat auszeichnete, so geschah dies nicht aus fehlendem Mut, sondern aus religiös-humanistischen Gründen.
Der Sinn nach Abenteuern war Peter Lorson in der 15 Jahre dauernden Ausbildung zum Jesuiten, die er nach dem Krieg fortsetzte, nicht abhanden gekommen. Enttäuscht nahm er den Auftrag der Ordensoberen entgegen, zunächst Unterricht an einem Gymnasium in Lille zu erteilen und dann als Domprediger in Straßburg zu wirken. Eine Professur im Libanon wäre ihm schon lieber gewesen, wenn er schon nicht seinen Kindheits- und Jugendtraum erfüllen konnte, Missionar in China zu werden. Im Internat der Apostolischen Schule hatte er mit großen Buchstaben auf einen Hut aus grobem Seidenstoff geschrieben: “Hoch lebe China”, um seine Vorliebe offen zu bekennen.
Nach dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland im Zweiten Weltkrieg 1940 bewegte sich der Jesuitenpater unter Gefährdung seines Lebens in der besetzten Zone, sprach mit deutschen Soldaten, wies sie sogar auf die verbrecherische Politik des Hitlerregimes hin. Dabei hatte die Gestapo in Straßburg schon nach ihm gefahndet. Im südlichen Frankreich, in der freien Zone, bekannte er sich zum Widerstand, den General de Gaulle vom englischen Exil aus betrieb. Damit stand er im Gegensatz zur französischen Regierung unter Marschall Pétain, der mit dem Naziregime kollaborierte. Auch das war nicht ungefährlich. Nach dem Krieg konnte sich sein Lebensmut in weniger lebensbedrohlichen Aktivitäten entfalten. Er ging ohne jede Scheu auf die hochgestellten politischen Persönlichkeiten seiner Zeit zu, um für seine politischen, seine pazifistischen und europäischen Ziele zu werben.
V. Intellektuelle Fähigkeiten und geistige Neugier
Die Entdeckung des geistigen Kosmos bildete für Peter Lorson einen integrierenden Bestandteil der Suche nach Abenteuern. Die dazu erforderlichen intellektuellen Fähigkeiten zeigten sich in der Differter Schulzeit. Sie wurden hier entwickelt und geübt. Peter Lorson konnte in der belgischen Missionsschule auf einer soliden Volksschulausbildung aufbauen. Als einer der besten Schüler durfte er in Differten bei besonderen Anlässen wie den Kaisergeburtstagsfeiern Gedichte vortragen. Allerdings füllte ihn das geistige Angebot der Volksschule nicht aus. Er beneidete die Gleichaltrigen, die das Gymnasium in Völklingen besuchten. Für begabte Schüler ohne einen finanziellen Rückhalt boten die örtlichen Pfarrer Ausbildungschancen, indem sie den Besuch von Internaten vermittelten, die die Kirche meist auf der Grundlage wohltätiger Stiftungen unterhielt.
Dass Peter Lorson einen geistlichen Beruf ergriff bzw. einer Berufung folgte, dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass er eine Chance zur Befriedigung seiner intellektuellen Bedürfnisse wahrnehmen wollte. Längst war das begabte Kind in der Schule aufgefallen, als die Mutter dem damaligen Pfarrer Meiers den Wunsch des einzigen Sohnes, Geistlicher zu werden, mitteilte. Der junge Peter erhielt die gewünschte Chance. Der Pfarrer besaß nicht nur eine Schlüsselstellung für die Eröffnung eines weiten geistigen Horizontes, sondern auch ganz konkret für den Besuch einer Schule im belgisch-französischen Kulturraum. Sein Amtsvorgänger Bach hatte begabte Differter und Friedrichweiler Schüler in den deutschen Kulturraum vermittelt. Pfarrer Meiers, ein gebürtiger Luxemburger, war frankophil. Die für das weitere Leben von Peter Lorson schicksalhafte Weichenstellung ging demnach von ihm aus. Durch die Empfehlung einer französisch-sprachigen Schule hatte der gebürtige Differter einige Probleme mehr zu bewältigen, in der Ausbildung wie im Leben.
Das Erlernen der französischen Sprache fiel Peter Lorson leicht. Er glaubte gar, dass das französische Blut in seinen Adern ihm dies erleichtert hätte, dass schon einmal Erlerntes wieder ins Bewusstsein zurückgeführt worden wäre. Französisch sollte im praktischen Gebrauch für ihn an die erste Stelle rücken. Die Zweisprachigkeit verschaffte ihm während seines Lebens immer wieder Vorteile. In seinen Europakonzeptionen spielte die Zweisprachigkeit als Ferment der Einigung und Verständigung eine Rolle. Er diskutierte verschiedene Varianten. Der Deutsche sollte beispielsweise Englisch oder Französisch beherrschen, der Engländer Französisch oder Deutsch usw. Die lateinische Sprache fand im Laufe der Ausbildung von Peter Lorson eine lebendige Anwendung in Vorlesungen und Gesprächen. Peter Lorson erwog sogar die Verwendung von Latein als gemeinsame europäische Sprache. Auf der Schule lernte er ferner Griechisch, während des Juvenats, der zweiten, dem Literaturstudium gewidmeten Stufe der jesuitischen Ausbildung, hielt er sich zeitweise in England auf und erwarb Englischkenntnisse. Sprachkenntnisse waren für ihn aber nie Selbstzweck, sondern er sah in ihnen Instrumente der Kommunikation.
Die intellektuelle Kapazität von Peter Lorson äußerte sich in der Rezeption Unterrichtsstoffes. Auf allen Ausbildungsstufen steigerte er sich fast in eine Lesewut hinein. Sein Interesse galt vorzüglich der Literatur, Philosophie und Theologie, nur in der Mathematik tat er sich schwer. Die kreative Rezeption, von der später seine zahlreichen Buchbesprechungen zeugen, wurde bald von Schriftstellerei begleitet. Diese lief langsam an, der erste wissenschaftliche Aufsatz erschien 1929, im Jahr der Priesterweihe, das erste und gleich mit einem Preis der Académie française ausgezeichnete Buch im Jahre 1936, die “Reisen im Christentum”, das größtenteils aus zuvor publizierten Aufsätzen besteht. Die literarischen Werke bezeichnete er als seine Kinder. Sie erblickten in immer rascherer Folge das Licht der Welt. Nur aus einer großen Schaffenskraft ist der Umfang seiner Übersetzungen, Bücher, Aufsätze, Beiträge zu erklären. Seine kleineren Beiträge in Zeitungen werden kaum jemals vollständig recherchiert werden können. Neben dem literarischen Schaffen stand die Haupttätigkeit als Seelsorger. Die geistige Regsamkeit, deren Keime schon in der Differter Kindheit zu erkennen sind, blieb Peter Lorson bis zu seiner letzten Stunde erhalten.
V. Die kulturelle Prägung
Nie hat Peter Lorson eine starke Prägung durch die deutsche Kultur in seiner Differter Kindheit geleugnet. Nachhaltig und positiv beeinflusst sah er sich im Rückblick durch die romantische Dichtung und die Volkslieder. Gern sang er später im Kreis der Familie die alten Lieder. Wurden sie in der Ferne gesungen, so packte ihn starkes Heimweh. Die Elemente der deutschen Kultur, die Herz und Seele berühren, haben ihn besonders angesprochen. Sie verkörperten für ihn das gute Deutschland, das er immer gegenüber dem schlechten Pendant abgrenzte. Die Notwendigkeit einer scharfen Unterscheidung drängte sich Peter Lorson immer stärker auf. Als Kind wurde er wie alle anderen auch unter negativen Vorzeichen erzogen: zu einem nationalistischen, imperialistischen, militaristischen Denken. Einen engeren preußischen Patriotismus sah er in seiner Kindheit nicht weit verbreitet. In der Tat stand das katholische Rheinland in einer gewissen Distanz und Opposition zum protestantischen Herrscherhaus, das seinerseits die Katholiken wiederholt in die Nähe von Staatsfeinden rückte.
Peter Lorsons Konstruktion eines negativen Deutschlandbildes erhielt einen Impuls durch den Ersten Weltkrieg. Der Internatsschüler, der im Sommer 1914 nach Hause in die Ferien fuhr, bemerkte die Kriegsbegeisterung junger Soldaten und des größten Teils der deutschen Bevölkerung. Das führte ihn dazu, Schuld und Verantwortung allein Deutschland zuzuweisen. In Wirklichkeit, so hat die historische Ursachenforschung ergeben, schlitterte ganz Europa leichtfertig in den Krieg. Die persönlich bitteren Erfahrungen von Peter Lorson im Krieg, die Leistung des Grundwehrdienstes unter einem Schleifer, einem preußisch-pommerschen Unteroffizier, hat gewiss die Vertiefung eines gespaltenen Deutschlandbildes bewirkt.
Gravierend für die Sicht auf Deutschland wurde dann aber doch das Hitlerregime, dessen Inhumanität er in zwei Schriften scharf geißelte. Mit großer Besorgnis sah er, dass die Jugend im rassistischen Sinne erzogen und die Bevölkerung mit allen publizistischen Mitteln manipuliert wurde. Zu allen Zeiten war Peter Lorson aber in der Lage, zwischen guten und schlechten Deutschen zu differenzieren. Er war einer der ersten, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Hände zur Versöhnung ausstreckte.
Andererseits war sein Frankreichbild nicht simpel glorifizierend. Er nahm dort gleichfalls chauvinistische Züge wahr, sogar unter seinen Mitbrüdern. Er distanzierte sich von Fehlurteilen, obwohl er dies in einem Land, das für ihn “nur” zu einer Wahlheimat geworden war, nicht mit größtem Freimut tun konnte. Immer bemühte sich Peter Lorson um den Sieg der besseren Einsichten.
VI. Die Religiosität
In Differten begann die wichtigste Reise von Peter Lorson, die Reise im und durch das Christentum, geographisch und bildlich gesprochen. “Die einfache dörfliche Religion hat mich bis in die Tiefe meiner Seele durchdrungen”, mit diesen Worten beschreibt Pater Lorson 1943 in seinem autobiographischen Rückblick seinen Weg zum Priestertum. Das Elternhaus und die dörfliche Kirchengemeinschaft vermittelten beide eine tiefe Frömmigkeit. Die von ihnen ausgehenden Einflüsse wirkten ziemlich gleichmäßig auf die gesamte Generation, hatten nichts Ungewöhnliches an sich. Aus der Reihe fiel das ‘Aufgehen der Saat’ in der seelisch-geistigen Welt des jungen Peter. Die Mutter lebte wie viele Frauen Christentum und christliche Tugenden vor: das Einfügen in Gottes Schicksal, das geduldige Ertragen von Schmerz und Leid bei der Geburt und dem frühen Tod von Kindern, die harte Arbeit im Haus und außer Hauses zur Existenzsicherung der Familie, das Suchen von Trost im Gebet. Das alles beeindruckte die Kinderseele stark, vielleicht waren aber die Erzählungen und Berichte aus der christlichen Welt noch wichtiger, die die Mutter im Kreis der Familie ausbreitete und die die Phantasie des Jungen inspirierten. Außerhalb des Familienkreises war es der religiöse Kult mit seinen Glaubensinhalten, aber auch mit seiner Feierlichkeit und Farbenpracht innerhalb und außerhalb der Kirche, der Peter Lorson für eine Berufung zum Priestertum vorbereitete. Mit dem Antritt der Reise in die Apostolische Schule in Belgien war die innere Entscheidung für den geistlichen Beruf gefallen.
Nach den von Peter Lorson als “glücklich” bezeichneten Jahren auf der Apostolischen Schule im belgischen Thieu trat der 17jährige im März 1915 in ein Noviziat des Jesuitenordens, Provinz der Champagne, ein, das sich wegen des Niederlassungsverbots der Jesuiten in Frankreich gleichfalls in Belgien befand. Der Eintritt in diesen Orden war von der Schule selbst her nicht vorgegeben oder naheliegend, doch einer der Lehrer beriet Peter bei seiner Wahl.
Mystische Versenkung, Gewissensprüfung, Gebet, Selbstzüchtigung, eucharistische Feiern, Klausuren, Exerzitien, Unterweisungen, Küchen- und Krankendienste standen für Peter Lorson im Noviziat auf der Tagesordnung, während der Krieg Europa erschütterte und das neutrale Belgien völkerrechtswidrig von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde. Die erste Ausbildungsstation der Jesuiten, das Noviziat, musste Peter im Jahre 1916 vorzeitig beenden, denn er wurde gemustert und eingezogen. In einer Soutane meldete er sich in Eschweiler bei Aachen zum Dienst. Krasser konnte der Gegensatz der Welten nicht sein, die hier aufeinander prallten. Der raue Kasernenton und die vergeistigte, sensible Welt des Novizen. Fühlte sich Peter Lorson dank göttlicher Gnade zum Priestertum berufen, so wurde er für einen von Vorurteilen erfüllten preußischen Unteroffizier zum Sündenbock. Aus der Bahn konnte dies den innerlich gefestigten Novizen freilich nicht reißen. Mitten im Krieg, der ihn zunächst nach Frankreich, dann nach Polen und in den Westen der Ukraine und wieder nach Frankreich führte, setzte er seine religiösen Übungen fort, wo sich die Gelegenheit ergab. Vor einem deutschen Militärgeistlichen legte er am Pfingstsonntag des Jahres 1917 das Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam ab. Damit war er definitiv in die Gesellschaft Jesu eingetreten.
In der bemerkenswert langen Ausbildungszeit der Jesuiten von 15 Jahren wird der angehende Pater in einem durchdachten Plan einer inneren Reife zugeführt. Auf allen Stufen mischen sich die Elemente von Theorie und Praxis. Neben der Wissensvermittlung stehen Exerzitien und kirchliche Dienste. Nicht die Leistung des Einzelkämpfers steht im Vordergrund, sondern das Gemeinschaftsleben. Humanismus und Familiarität sind zentrale Werte. In einer dreijährigen Lehrertätigkeit, eingeordnet zwischen dem Studium der Philosophie und der Theologie, wird die Vermittlerfunktion geübt.
Die Ausbildungsabschnitte waren für Peter Lorson nicht zuletzt infolge des französischen Niederlassungsverbots für Jesuiten immer mit einem Ortswechsel verbunden. Befanden sich Schule, Noviziat und Juvenat an belgischen Orten, so studierte Peter Lorson Philosophie im Herzen Frankreichs, in der Auvergne, in Vals près Le Puy. In Lille war er drei Jahre Lehrer. Zum Theologiestudium begab er sich wieder nach Belgien, und das dritte Jahr des Noviziats fand in Nordfrankreich statt. Die Reise im Christentum durchquerte äußere und innere Räume. Die Priesterweihe im Jahre 1929, mitten im Theologiestudium, stellte einen Höhepunkt dar. Die erste Feier eines Hochamtes fand am 1. September 1929 in der Heimatgemeinde Differten statt. In der Erinnerung des Paters ein gelungenes Fest. Das Dorf war herrlich geschmückt. Die Bevölkerung, vor allem aber die eigene Familie, befand sich in einer Hochstimmung.
Mittlerweile nach dem erfolgreichen Durchlaufen aller Ausbildungsstufen tief in das Christentum hineingewachsen, folgte ab 1931 der berufliche Einsatz, den der Orden bestimmte, zwar nach Anhörung des jungen Paters, aber nicht unbedingt nach dessen Wünschen. Vermutlich bald nach 1930 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an, was seine Tätigkeit in Frankreich sicher erheblich erleichterte. Nach zweijähriger Tätigkeit als Lehrer in Lille wurde er 1933 nach Straßburg entsandt. Für den Standort dürften seine Herkunft und vor allem seine Doppelsprachigkeit den Ausschlag gegeben haben. Jetzt begann die Laufbahn als Seelsorger und Schriftsteller. Beides waren Formen der Verkündigung.
Betrachtet man das Schrifttum, das in einigen Fällen aus Predigten hervorging, so spiegeln sich hier die Schwerpunkte seiner Interessen, seiner Ausbildung und seiner Anliegen wieder. Er schrieb über Literatur, Philosophie, Theologie, leitete aber auch zum religiösen Leben an. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg bereiste Pater Lorson einige europäische Länder: Polen, England, Deutschland, die Schweiz. “Reisen im Christentum” waren dies, und so lautete auch der Titel des ersten Buches. Es handelt vom Katholizismus, von katholischen Einrichtungen und katholische Denkern und Schriftstellern dieser Länder. Den französischen Landsleuten werden Kenntnisse über den Katholizismus in Europa nahegebracht. Die Académie française würdigte das Anliegen mit der Zuerkennung eines Preises.
Aus christlicher Sicht beleuchtete Peter Lorson das rassistische Gedankengut der nationalsozialistischen Ideologen, vor allem Adolf Hitlers und Alfred Rosenbergs. Tief betroffen war er von den praktischen Folgen, dem Antisemitismus, der Zwangssterilisation, den Heiratsbeschränkungen und der Indoktrinierung der Menschen. Als Pater Lorson zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in die französische Armee eingezogen wurde, sprach er auf Vorträgen vor den Soldaten über die Inhumanität der deutschen Rassenlehren, so dass sie verstehen konnten, wofür sie kämpften. Mitten im Krieg zelebrierte er Messen unter freiem Himmel. Im besetzten Frankreich besaß er alsbald keine Wirkungsmöglichkeit mehr, so dass er in Nizza und Fréjus einer Seelsorger- und Lehrtätigkeit nachging. Selbst in diesen äußerlich turbulenten Jahren fand er die innere Ruhe, theologische Bücher und die jetzt gedruckte Autobiographie zu schreiben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Pater Lorson an seine alte Wirkungsstätte in Straßburg zurück. Die dortige Niederlassung des Europarates dürfte er als glücklichen Umstand zur Propagierung seiner politischen Ideale verstanden haben. In „La Symphonie pacifique“ widmete er sich dem Zusammenhang von individuellem, nationalen und internationalem Frieden. Die Biographie des elsässischen Bischofs Charles Ruch verband er mit der Forderung nach kirchlicher Autonomie im Elsass. In dem heute noch diskutierten und in deutscher Sprache vorliegenden Buch „Wehrpflicht und christliches Gewissen“ forderte er die Respektierung der Gewissensfreiheit für jeden Einzelnen im Falle einer Einberufung. Der moderne Krieg, der nach seiner Meinung notwendiger Weise unschuldige Opfer fordert und Gute wie Böse trifft, ungerecht und inhuman ist, war eines seiner letzten Themen, behandelt in „Défense de tuer“. In der nach dem Zweiten Weltkrieg starken Friedensbewegung fand das wohl verbreitetste Werk viel Beachtung.
Der Durchdringung des Alltagslebens mit christlichen Werten wollte er drei Bücher widmen. Eines ist erschienen: das über das „geheiligte Vergnügen“, ein zweites über die Arbeit liegt unveröffentlicht im Nachlass, ein drittes über das christliche Leben in der Gegenwart blieb Idee.
Mit großer Aufmerksamkeit beobachtete Pater Lorson die Anfänge der europäischen Einigung. Auf dem Höhepunkt seiner schöpferischen Leistungsfähigkeit, ein halbes Jahr vor seinem Tod, verfasste er das Büchlein: “Vom alten zum neuen Europa”, erschienen Ende 1953, unter dem Namen von René Baltus – neben seiner Autobiographie gewissermaßen das zweite Vermächtnis. In einem groß angelegten Gedankenbogen, der vom Mittelalter bis zu seiner Gegenwart reicht, zeigt er die christlichen Grundlagen dieses Europa auf, und auf diesen Grundlagen soll der weitere Aufbau erfolgen, am Ende – bei Anerkennung der idealen Basis – die ganze Welt in einem politischen, wirtschaftlichen und sozialen System umfassen. Die Vision und das Projekt einer friedlichen Welt wiegt durch seinen unerwarteten Tod als eines seiner letzten Worte um so schwerer. Wenn er sich dabei hinter dem Namen Baltus verbirgt, so zeigt er damit wieder auf seine saarländische Herkunft zurück.
VII. Die saarländische Herkunft
Dass am Anfang der Lebensreise von Peter Lorson der saarländische Ort Differten stand, war für den Geistlichen in einem mehrfachen Sinne von Bedeutung:
1. Auf Differten, besonders das Elternhaus, aber auch die Freunde der Kindheit, konzentrierte sich die starke Heimatverbundenheit von Peter Lorson.
2. Differten stellte als deutsche Gemeinde für jemand, der mitten unter zum großen Teil deutschfeindlichen Franzosen lebte und in Frankreich seine kulturelle Heimat gefunden hatte, eine persönliche Belastung dar.
3. Das Saargebiet bzw. das Saarland stellte nach den Abtrennungen vom Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik Deutschland ein europäisches Politikum dar. Die Frage einer eventuellen Zugehörigkeit zu Frankreich musste für den Jesuitenpater von besonderem Interesse sein, lag hier doch eine Möglichkeit, seinen persönlichen inneren Zwiespalt aufzuheben.
Theoretisch müsste für einen Katholiken, der per se nicht in nationalen Grenzen denkt, dieser Themenkomplex unerheblich sein. Die Praxis zeigt die Endlichkeit menschlichen Denkens. Das gilt für Peter Lorson wie für seine Mitbrüder, ganz zu schweigen von den katholischen Laien. Für den Jesuitenpater war die Frage der nationalen Identität ein Leidensquell, wenn nicht ein Trauma. Die Schülerschaft der Apostolischen Schule in Belgien war länderübergreifend, insofern die Herkunft unproblematisch. Während des Noviziats in der Provinz der Champagne des Jesuitenordens nahm Peter Lorson selbst unter den angehenden Geistlichen nationale Emotionen wahr. Er suchte diese nach Empfehlungen der Ausbilder abzufedern, indem er sich gegenüber den Mitschülern als Lothringer ausgab. Damit begann ein “Versteckspiel”, das mehr oder weniger das ganze Leben des Saarländers durchzog.
Im Ersten Weltkrieg selbst war er von keinerlei antifranzösischen Gefühlen geleitet, im Gegenteil, er war bereits in die französische Kultur hineingewachsen. Einer Aufforderung von französischen Zivilisten zu einer Desertion kam er aus Rücksichtnahme auf Familie und Orden nicht nach, für die er Repressalien fürchtete. In eine Entscheidungssituation geriet er in der Kriegsgefangenschaft, als die Elsass-Lothringer, bis dahin Reichsdeutsche, von den deutschen Soldaten abgesondert wurden. Eine erste Chance zur Meldung als Elsass-Lothringer ließ er verstreichen, eine zweite nahm er wahr, nachdem er den deutschen Wehrpass zerrissen hatte. Die Szene ist – wie manche andere – filmreif in der Autobiographie beschrieben. Der Rubikon war nun überschritten. Peter Lorson stellte sich der französischen Militärbehörde unter einem erfundenen Namen und einem falschen Geburtsort. Um unter ‚echten’ Lothringern nicht aufzufallen, meldete er sich in die Fremdenlegion und trat in den Marinedienst ein. Als Mitglied des französischen Militärs feierte er den Sieg über die Deutschen mit. Auf Heimaturlaub erlebte er erstmals die bittere Seite einer Doppelexistenz. In Differten offenbarte er nicht seinen aktuellen Stand. Die Marineuniform hatte er vor seinem Besuch mit einer Soutane gewechselt, die Geschwister im Elternhaus wussten sie nicht zu deuten. Im Zweiten Weltkrieg geriet Pater Lorson durch die unterschiedlichen Angaben in seinem alten Wehrpass in Bedrängnis, konnte aber die fehlerhaften Angaben verbergen Mit der Demobilisierung der französischen Armee Anfang 1919 konnte er auch den zweiten Militärdienst beenden und seine Ordenslaufbahn fortsetzen. Von revanchistischen und deutschenfeindlichen Ansichten seiner Mitbrüder distanzierte er sich.
Als Problem begegnete Peter Lorson, der sich in Frankreich alsbald nach dem Ersten Weltkrieg Pierre nannte, seine Herkunft in Lille, als er am Collège St. Joseph als Lehrer wirken wollte. Der Schulleiter hatte Vorbehalte gegen einen Saarländer, der in der deutschen Wehrmacht gedient hatte. Ein Ordensbruder konnte ihn beschwichtigen. Zu einem noch nicht bekannten Zeitpunkt nahm Peter, mittlerweile Pierre, die französische Staatsangehörigkeit an. Das ging problemlos, weil er im französischen Militär gedient hatte. Die sog. “Naturalisierung” war ein logischer Schritt nach den vielen Jahren, in denen Frankreich längst zur Wahlheimat geworden war. Der Wechsel dürfte das Wirken im Nachbarland erheblich erleichtert haben. Heute würde eine solche Entscheidung emotionslos akzeptiert werden, in einer Zeit des gesteigerten Nationalismus war dies nicht der Fall. Manche dieser alten Wertungen sind, ohne dass ein klares Bewusstsein über ihrer Herkunft besteht, heute noch virulent. Niemand hat aber, davon sollten sich die Skeptiker in der Autobiographie überzeugen, mehr unter der Trennung gelitten als Pater Lorson selbst.
Anerkennung hat nun aber, auch das sollten Kritiker bedenken, gerade das Nazideutschland nicht verdient. Niemandem ist ein Vorwurf daraus zu machen, wenn er sich damals von Deutschland abgewandt oder gar die Ideologie bekämpft hat. Letzteres hat Pater Lorson von Straßburg aus getan. Wieder hat er sich dabei versteckt, als er ein Buch gegen rassistisches Denken unter dem Pseudonym Lucien Valdor herausgegeben hat. Die Bibliotheken, die das Buch besitzen, haben die Identität bis heute nicht aufgedeckt. Ausgerechnet in Frankreich wird es sogar dem namhaften Religionsphilosophen Romano Guardini zugeschrieben.
Wenn Peter Lorson seit der Niederschrift der Autobiographie im Jahre 1943 das Pseudonym René Baltus für einige Schriften verwendet, so hinterlässt dies – vor allem für die Nachkriegszeit – den Eindruck eines unnötigen Versteckspiels.
Pater Lorson hätte es begrüßt, wenn das Saarland Frankreich eingegliedert worden wäre. Mit dieser politischen Auffassung repräsentierte er nicht die Meinung der Mehrheit. Pater Lorsons Leben und Werk ist auch in seiner Zeitgebundenheit ein geschichtlicher Lernstoff geworden, insbesondere für die Heimatgeschichte.
Die Heimatverbundenheit Peter Lorsons hat alle Zeiten überdauert. Sie wurde durch die ständige Trennung nur noch stärker. Im Kreis der Familie sang er die Volkslieder der Jugendzeit. Mit allergrößter Spannung, ohne die Genehmigung seiner Vorgesetzten abzuwarten, eilte er nach dem Zweiten Weltkrieg quer durch Frankreich nach Differten. Schon längere Zeit gab es keine Korrespondenz mit Geschwistern und der Mutter. Tief war seine Bestürzung, als er von Creutzwald kommend in Friedrichweiler vom Tod der ungewöhnlich hoch verehrten Mutter am Evakuierungsort in Bayern erfuhr. Sieht man die starke Familienbindung des Paters, so hat er im Grab seiner Eltern eine Ruhestätte gefunden, wie sie sinnvoller nicht sein könnte.
VIII. Resümee: Das Erinnerungswürdige
Warum sollte die Erinnerung an Pater Lorson gepflegt werden? Er war der geborene Mittler zwischen deutscher und französischer Kultur. In vielen Aufsätzen hat er deutsche Literatur, Philosophie und Theologie vorgestellt. Er war insofern Sachwalter deutscher Interessen, als er einseitige und negative Pauschalurteile in seiner Wahlheimat zurückwies und für das “gute Deutschland” warb. Wichtige Schriften, insbesondere Werke Romano Guardinis, hat er ins Französische übersetzt.
Bedeutender als der Informationsaustausch war jedoch das praktische Wirken, das anhalten kann, wenn seine Werke rezipiert werden. Ein kurzlebiges und lückenhaftes Gedächtnis stellt nämlich insbesondere dann einen Verlust dar, wenn jemand Lebensperspektiven öffnen oder Lebenshaltungen bestärken kann, die eine geistige Bereicherung darstellen. Dass eine Beschäftigung mit seinem Leben und Werk eine solche Bereicherung bieten kann, das geht, wie ich hoffe, aus meinen Ausführungen hervor. In Wort und Schrift hat er sich bemüht, vielen Menschen zu einer Lebenserfüllung im christlichen Sinne zu verhelfen. Wer sich die Frage nach der Erfüllung der Wehrpflicht stellte, den suchte er in seiner Gewissensfreiheit und -entscheidung zu bestärken. Wer einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten wollte, der fand Anregungen, Mittel und Wege. Ein selbständiges, ein humanistisches, ein soziales Denken stieß er vielfältig an. Wer nach innerem und äußerem Gleichgewicht im Leben sucht, dem werden Perspektiven aufgezeigt. Durch seine Predigten in Straßburg, gelegentlich in Differten und Friedrichweiler, hat er dazu beigetragen, dass die konstruktiven Lebenselemente ein Gegengewicht zu den destruktiven erhalten. Differten darf sich deshalb freuen und stolz darauf sein, einen intellektuell so herausragenden Bürger wie den Jesuitenpater Peter Lorson in seiner Mitte gehabt zu haben.