Zoll und Schmuggel vor 1834
1. Zoll und Schmuggel im Spiegel süddeutscher Landtagsdebatten (1819-1834)
I. Einleitung
Die Neujahrsnacht 1833/1834 hat Heinrich von Treitschke, der engagierte und meinungsbildende Vertreter der preußisch-deutschen Geschichtsschreibung in seiner typisch plastisch-bildreichen Sprache mit folgenden Worten ausgemalt:
“Auf allen Landstraßen Mitteldeutschlands harrten die Frachtwagen hochbeladen in langen Zügen vor den Mauthäusern, umringt von fröhlich lärmenden Volkshaufen. Mit dem letzten Glockenschlage des alten Jahres hoben sich die Schlagbäume; die Rosse zogen an, unter Jubelruf und Peitschenknall ging es vorwärts durch das befreite Land”.[1]
Wenn auch Treitschke die euphorische Stimmung wegen der Schließung der Zollbüros zwischen den Mitgliedsstaaten des Zollvereins in der Neujahrsnacht 1834 übertrieben haben mag[2], so ist ihm doch darin zuzustimmen, dass dieser Tag von folgenschwerer Bedeutung für die deutsche Geschichte war.[3] Um die komplexen wirtschaftlichen und politischen Folgen des Zollvereins geht es im Folgenden jedoch nicht, sondern um den Zustand vor seiner Gründung, dessen Überwindung nach Treitschke so überschwänglich begrüßt wurde. Dabei sollen Aspekte zur Sprache kommen, die in der Forschung bisher weitgehend übergangen worden sind.
Das Urteil der Landtage der konstitutionellen deutschen Staaten über die Bildung eines Zollvereins und über das Zollwesen im allgemeinen steht im Schatten der Forschung, die sich vornehmlich mit den Kontakten auf Regierungsebene befasst.[4] Im konstitutionellen Deutschland, das sich vornehmlich aus den Mittelstaaten Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt zusammensetzte und zu dem nach der Julirevolution Hessen-Kassel und Sachsen hinzukamen, dominierte zwar wie auch sonst im Deutschen Bund die monarchische Gewalt, aber die Kammern besaßen doch verfassungsmäßig garantierte Mitwirkungsrechte, so bei allen Angelegenheiten, die die persönlichen Eigentums- und Rechtsverhältnisse betrafen.[5] Zollpolitik und Schmuggel berührten die Eigentums- und Rechtsverhältnisse. Zölle bildeten einen Teil der indirekten Abgaben an den Staat und griffen regulierend in das Wirtschaftsleben ein. Verordnungen mussten die Überwachung der Zollentrichtung und Gesetze die rechtliche Verfolgung von Zollhinterziehungen regeln. Das Urteil der Landtage über Zollfragen ist demnach schon aufgrund ihrer Kompetenz von Interesse.[6]
Der zweite Aspekt, der in der Erforschung der Entstehungsgeschichte des Deutschen Zollvereins mehr Beachtung verdient, ist mit dem Begriff “Schmuggel” bezeichnet. Schmuggel ist dabei als Pars pro toto – Begriff für Zollvergehen jeder Art verstanden.[7] Das ordnungspolitische Motiv, den Schmuggel zu beseitigen, erhält in der Forschung nicht die ihm zustehende Beachtung.[8] Dagegen werden fiskalische, ökonomische, machtpolitische und sonstige innenpolitische Motive in ihrer Wirksamkeit gesehen.[9]
Das Untersuchungsthema soll jedoch nicht auf die Frage nach der Beziehung von Zollpolitik und Schmuggel zur Entstehung des Zollvereins zugespitzt werden. Im Rahmen der Landtagsdebatten über die Zollverhältnisse kommen nämlich auch die ökonomischen, rechtlichen, sozialen und politischen Vorstellungen der Abgeordneten zum Ausdruck. Die Debatten vermitteln ein differenziertes Bild von der Denkweise der damaligen gesellschaftlichen Oberschicht.[10] Um die Debatten im deutschen und europäischen Kontext zu verstehen, sind zunächst die ökonomischen und fiskalischen Rahmenbedingungen aufzuzeigen.
II. Ausgangslage/Rahmenbedingungen
Das 1815 auf dem Wiener Kongress eingerichtete Friedenswerk erreichte den Bereich der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen nicht. Die europäischen Mächte machten in ihrer Außenhandelspolitik keinen Unterschied zwischen ehemaligen Verbündeten oder Feinden. In Frankreich standen die Großgrund- und Manufakturbesitzer der Liberalisierung des Warenaustausches mit dem Ausland ablehnend gegenüber.[11] Sie wollten sich den nationalen Markt sichern. Händler und Weinbauern waren hingegen an einer Liberalisierung des Außenhandels interessiert. Frankreich setzte in Deutschland vor allem Wein, Seidenfabrikate und feinere Textilien ab.[12] Die französische Regierung richtete sich in der Außenhandelspolitik nach dem Willen der Kammermehrheit und das bedeutete nach den Großgrund- und Manufakturbesitzern. Dadurch setzte sich das Prinzip durch, dem in der Zeit des Ancien Régime der Merkantilismus gehuldigt hatte, nämlich bei anderen so wenig wie möglich zu kaufen, ihnen jedoch soviel wie möglich zu verkaufen. In den Jahren zwischen 1815 und 1834, zwischen dem Wiener Kongress und der Gründung des Deutschen Zollvereins, erhöhte Frankreich mehrmals seine Zölle auf Importartikel.[13] Von seiner Schutzzollpolitik waren besonders die süddeutschen Staaten negativ betroffen. Die traditionellen Ausfuhrartikel Süddeutschlands nach Frankreich waren Leinwand, Wollwaren und Schlachtvieh.
Naturprodukte litten auch im übrigen Deutschland unter den Einfuhrbeschränkungen des westlichen Auslandes.[14] Außerordentlich hoch waren die englischen Kornzölle zur Sicherung der Interessen der ländlichen Aristokratie. Nur bei schlechten Ernteergebnissen lockerte Großbritannien die Einfuhrbestimmungen. Russland[15], Holland[16] und die deutschen Großmächte Österreich[17] und Preußen[18] folgten dem protektionistischen Trend der westeuropäischen Staaten. Dass Österreich dies tat, war für die deutschen Klein- und Mittelstaaten, für das sogenannte Dritte Deutschland, weniger gravierend. Schon aufgrund der geographischen Absonderung und territorialen Arrondierung der Habsburgermonarchie waren weit weniger deutsche Nachbarstaaten von ihrer Zollpolitik betroffen, als dies bei Preußen der Fall war.
Für Preußen waren nach 1815 zwei Aufgaben zu lösen: zum einen war der gesamte Staat in einem einzigen Zollgebiet zusammenzufassen und ein Grenzzollsystem einzurichten, zum anderen sollte die eigene Wirtschaft vor der Konkurrenz des Auslandes (einschließlich der deutschen Staaten) geschützt werden.[19] Das preußische Zollgesetz vom Mai 1818 diente beiden Zwecken. Es stellte die Wirtschaftseinheit, soweit dies bei dem zerrissenen Territorium möglich war, her. Die Einfuhr wurde erschwert, die Ausfuhr freigegeben. Hohe Durchgangszölle sollten enklavierte Staaten zum Eintritt in das preußische Zollsystem bewegen. Die Überwachung der über 7.000 km langen Grenzlinien war schwierig. An ihnen entwickelte sich ein beträchtlicher Schmuggel, den die Regierungen einiger benachbarter Staaten unterstützten, um das ihnen unangenehme Zollsystem zu unterlaufen.[20]
Österreich und Preußen waren an der Ausführung des Artikels 19 der Bundesakte, die Verhandlungen zwischen den Mitgliedern des Deutschen Bundes zur Erleichterung von Handel und Verkehr in Aussicht stellte, nicht interessiert.[21] Die Beratungen am Frankfurter Bundestag über diesen Gegenstand verliefen alle im Sande. Jeder Staat gestaltete nun seine Außenhandelsbeziehungen nach eigenem Ermessen. Einige Bundesstaaten, so Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel, modernisierten ihr Zollwesen nach dem Beispiel Preußens und ersetzten Anfang der zwanziger Jahre das alte Passierzollsystem durch ein Grenzzollsystem.[22] Durch die Modernisierung wurden die Reaktionsmöglichkeiten auf die Schutzzollpolitik der europäischen Mächte verbessert.
Die Reaktionen der Staaten des Dritten Deutschland waren nicht einheitlich.[23] Es gab Staaten, die aufgrund ihrer geographischen Lage und ihrer Wirtschaftsstruktur den Handel begünstigten und dem Freihandelsprinzip huldigten. Dazu gehörten die vier Freien Städte, das Küstenland Hannover, aber auch Binnenländer, die am Transit von Gütern interessiert waren und deshalb keine lästigen Zollbarrieren errichten wollten. Solche Länder waren das zentral gelegene Kurfürstentum Hessen-Kassel und das für den Nord-Süd- und den West-Ost-Verkehr günstig gelegene Großherzogtum Baden. Das Königreich Sachsen befürwortete den Freihandel im Interesse seiner relativ weit fortgeschrittenen gewerblichen Wirtschaft und als Warenumschlagplatz im Ost-West-Handel, bei dem die Leipziger Messen eine herausragende Bedeutung hatten. Randstaaten wie die Königreiche Bayern und Württemberg suchten hingegen seit Mitte der zwanziger Jahre in einer protektionistischen Zollpolitik den Schutz für ihre Wirtschaftsinteressen.
III. Themenspektrum der Debatten
III.1 Freihandel und Schutzzoll
Die hohen Schutzzölle zogen den Schmuggel an die Grenzen und ins Land der protektionistisch orientierten Staaten. Aufgrund dieses Sachzusammenhangs war es ganz natürlich, dass die zentralen Kategorien, die der Beurteilung von Zoll und Schmuggel in den Landtagen zugrundelagen, gleichfalls Freihandel und Schutzzoll waren. Freihandel oder Protektionismus, an diesem Kardinalthema staatlicher Wirtschaftspolitik schieden sich nicht nur die deutschen Bundesstaaten, sondern auch die Geister der süddeutschen Abgeordneten.
Im deutschen Frühkonstitutionalismus gab es keine geschlossenen Parteien oder Fraktionen. Auch die Freihändler und die Protektionisten traten nicht fraktionell geschlossen auf. Die Spaltung der Abgeordneten in der Beurteilung aller Fragen und Fakten, die mit Zoll und Schmuggel zu tun hatten, war jedoch markant. Hier kam der quasi ideologische Charakter des Bekenntnisses zu Freihandel oder Schutzzoll zum Tragen. Das Bekenntnis lässt sich nicht gänzlich aus der jeweiligen Interessenlage der Abgeordneten ableiten.
Dass die Abgeordneten aus dem Handelsstand und aus Handelsstädten wie Nürnberg oder Augsburg zu den Freihändlern gehörten, versteht sich fast von selbst. Unter ihnen sind aber auch die Anhänger des politischen Liberalismus aus dem Bildungsbürgertum zu finden: Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker in Baden, Paul Pfizer in Württemberg, Sylvester Jordan in Hessen-Kassel und Ignaz von Rudhart in Bayern. Rudhart, ein führender Vertreter des liberalen Teils der bayerischen Bürokratie, artikulierte den Zusammenhang von Liberalismus und Freihandel, als er sagte: “Meine Neigung zieht mich, so wie überhaupt, so auch hier zur Freiheit und zur Hoffnung auf Hilfe durch positive Kraftentwicklung”.[24]
Als Faktor von eigenständigem Gewicht sind aber auch die negativen Begleiterscheinungen und Folgen hoher Zölle zu werten: die Probleme der Kontrollen und Strafen, der Schaden des Schmuggels für den Staatshaushalt, die Volkswirtschaft und die Sittlichkeit. Moralische Bedenken führten Geistliche vielfach an die Seite der Freihändler. Dass sich das Bekenntnis zu Freihandel und Schutzzoll nicht in einer strengen Korrelation zum Erwerbszweig der Abgeordneten befand, macht die Haltung der Ständevertreter aus den Bereichen der Landwirtschaft und der Gewerbe deutlich, aus denen sich die Landtage hauptsächlich rekrutierten.
Schon der Vergleich zwischen Baden und den beiden Königreichen Bayern und Württemberg zeigt die Spaltung dieser Gruppe in der Beurteilung der Außenhandelspolitik. Die gesamtstaatlichen Wirtschaftsinteressen spielten dabei eine Rolle. In Baden waren die Vertreter aus Gewerbe und Landwirtschaft wie die Händler daran interessiert, den Transit im Land zu halten. Durch die Bereitstellung von Transportmitteln und die Unterhaltskosten der Fuhrleute und Reisenden profitierten auch sie von einem lebhaften Transit. In Württemberg und Baden suchten die Vertreter aus Gewerbe und Landwirtschaft durch Schutzzölle ihre Wirtschaftsinteressen zu verfolgen.
Als ökonomisches Motiv für eine protektionistische Politik war ferner die Umverteilung der Steuerlast wirksam. Eine Steigerung der indirekten Abgaben, um die es sich bei Zöllen handelt, ging zu Lasten der Verbraucher. Der Fiskus war bei dieser Steigerung weniger auf die direkten Abgaben auf Grundbesitz und Einkommen angewiesen. Die Protektionisten befürchteten von einer Zollsenkung eine Erhöhung der direkten Abgaben.
So differenziert man die Motive und Bedingungen sehen muss, die dem Bekenntnis zu Freihandel oder Schutzzoll zugrundelagen, so geschlossen waren doch die jeweiligen Argumentationsmuster von Freihändlern und Protektionisten in den Debatten über die Höhe von Zolltarifen, über Delikte und Delinquenten, über Kontrollen und Strafen sowie über die Folgen des Schmuggels für die Staatshaushalte, die Volkswirtschaften und die Sittlichkeit. Die Debatten über diese Themen sind selbst Ausdruck eines innenpolitischen Konflikts, sie spiegeln aber auch einen sozialen Konflikt zwischen den Delinquenten und der gesellschaftlichen und staatlichen Führungsschicht.
III.2 Tarife
Die Freihändler verwandten zwei Maßstäbe zur Beurteilung der Höhe von Zolltarifen. Bei den Tarifen sollte es sich um einen Finanzzoll handeln, der den Außenhandel möglichst wenig behinderte und lediglich fiskalische Bedeutung besaß. Der zweite Maßstab war die Defraudationsgrenze. Die Freihändler gingen davon aus, dass die Zollhinterziehung von einer bestimmten Tarifhöhe an (der Defraudationsgrenze) für lohnend gehalten wurde und wie nach einem Naturgesetz mit der Tarifhöhe stieg. Sie folgerten daraus, dass die Zölle diese Reizschwelle nicht überschreiten sollten. Die Protektionisten stritten die Existenz einer Defraudationsgrenze ab oder waren nicht bereit, sie als Maßstab für Tariffestsetzungen anzuerkennen. Sie glaubten an die Möglichkeit, an den Patriotismus der Bürger appellieren und diese zur Gesetzestreue erziehen zu können. So sagte 1825 der erste Sekretär der zweiten bayerischen Kammer, Franz Joseph Häcker:
“Es kommt alles darauf an, recht viele Interessen gegen die Defraudationen zu wecken und recht viele Interessen in Einklang zu bringen mit dem Interesse der Regierung <…>, und auf der anderen Seite durch die Gesetzgebung die Nation dahin zu erziehen, dass sie die Defraudationen nicht für eine erlaubte, ja vielleicht gar für eine solche Sache ansieht, wodurch man seine Klugheit bestätigen kann”.[25]
III.3 Schmuggelgewinne
Die von Häcker formulierte staatliche Erziehungsaufgabe wurde nicht gelöst. Die Verdienstmöglichkeiten für Schmuggler waren zu verlockend. Wer z.B. einen Zentner Seide nach Württemberg einschwärzte, konnte einen Zoll von 80 Gulden sparen. Wenn man bedenkt, dass ein Drittel der württembergischen Familien mit 200 Gulden im Jahr auskommen musste, kann man sich vorstellen, welchen Reiz der Schmuggel auf die Volksschichten ausüben musste, die am Rande des Existenzminimums lebten.
Es waren aber nicht nur teure Luxusartikel, bei denen der Zoll hinterzogen wurde, sondern vor allem Artikel des täglichen Verbrauchs, die bei einer günstigen Bezugsmöglichkeit massenhaft den Zollbehörden entgingen. Dazu zählten Salz, Zucker, Kaffee und Wein. In Baden wurde 1833 eine Senkung des Salzpreises beschlossen, weil Württemberg und Hessen-Darmstadt ihren Ständen eine Senkung versprochen hatten. Die badische zweite Kammer beurteilte die Chance, dass die Badener einen höheren Preis bezahlen und keine Einschwärzung vornehmen würden, als aussichtslos. Bei Zucker und Kaffee führten die Zollerhöhungen in den süddeutschen Königreichen kurioserweise zu Preissenkungen. Durch einen massiven Schmuggel gelangten die Artikel billiger als vorher an den Verbraucher. Bayerische Landtagsabgeordnete schätzten, dass der im Land verbrauchte Zucker und Kaffee zu zwei Dritteln nicht verzollt wurde, in Württemberg vermutete man eine Einschwärzung von 7/8 des Gesamtverbrauchs.
Ein bayerischer Kommissionsbericht sprach im Jahre 1831 von einer gesamten Zollhinterziehung im Werte von 1.000.000 Gulden in drei Jahren und 14.000 aufgegriffenen Schwärzern. Der Kaffeeschmuggel machte auch in Österreich schätzungsweise zwei Drittel des Gesamtverbrauchs aus. Ein begehrtes Schmuggelgut waren die höherwertigen französischen Weine. Ihrer Einschwärzung kam die täuschende, äußerliche Ähnlichkeit mit inländischen Weinen entgegen. Ursprungszeugnissen war nicht immer zu trauen. Die Zöllner wären überfordert gewesen und hätten möglicherweise ihre Diensttauglichkeit verloren, hätten sie von allen passierenden Weinfässern Kostproben genommen. In Baden konnte in jedem Gasthaus eingeschmuggelter französischer Wein getrunken werden, obwohl er wie alle ausländischen Weine zum Schutze der einheimischen Winzer von der freihändlerischen Zollpolitik ausgeschlossen war und Verstöße gegen die Einfuhrbestimmungen für badische Verhältnisse relativ streng geahndet wurden.
III.4 Verantwortlichkeit
Die Verantwortlichkeit für die Zolldelikte beurteilten die Freihändler und die Protektionisten kontrovers. Die Freihändler hielten alle Menschen für verführbar und potentiell gefährdet, gegen Zollvorschriften zu verstoßen. Die Zeit der Kontinentalsperre diente als großes geschichtliches Beispiel für diese anthropologische Annahme. Deutschland war damals Hauptumschlagplatz englischer Schmuggelwaren. Die verbotenen waren fanden selbst in Paris Absatz.
Aufgedeckte Betrugsfälle lieferten ein differenziertes Bild von den Delinquenten. An der Ausführung des Schmuggels waren besonders ärmere Volksschichten in den Grenzregionen beteiligt. Ganze Familien siedelten sich dort an, um dem einträglichen Gewerbe nachzugehen. Selbst Kinder von zwölf Jahren wurden von Zollfahndern aufgegriffen. Das war ein neues soziales Phänomen, denn vor der Einführung von Schutzzolllinien an den Staatsgrenzen waren in der Hauptsache Kaufleute, Fuhrleute und Zollbeamte an Defraudationen beteiligt.
Die Freihändler suchten die Erklärung für dieses Phänomen in der Mentalität des ungebildeten Volkes, in Zollvergehen kein Verbrechen zu sehen. Eine drückende ökonomische Notlage erkannten sie zwar als eigengewichtigen Faktor an, zogen daraus aber keine sozialpolitischen Folgerungen. Sie hatten insofern Verständnis für die Defraudanten, als sie die Schutzzollpolitik als einen Verstoß gegen natürliches und göttliches Recht begriffen und die Verantwortung für die Vergehen letzten Endes den Protektionisten und den Regierungen, die protektionistische Wünsche berücksichtigten, zuwiesen. Tagelöhner und Erwerbslose waren jedoch meist nur Handlanger für Kaufleute, die den Absatz der Waren organisierten. Kaufleute defraudierten auch in anderen Formen, z.B. indem sie Waren, die in Niederlagen deponiert worden waren und erst bei der Entnahme zum Zwecke des Verkaufs und Verbrauchs verzollt werden sollten, ohne Abgabenentrichtung umsetzten. Der List betrügerischer Kaufleute war die Zolladministration nicht gewachsen.
Die Defraudationen wurden im Laufe der Jahre immer berufsmäßiger betrieben; oft gingen nur die kleinen Fische ins Netz und die Urheber blieben im Dunkeln. Die soziale Ungerechtigkeit in der Verfolgung der Betrügereien gefiel auch den Abgeordneten nicht. Zur Entschädigung im Falle von Betrugsaufdeckungen gab es, wie mehrmals in den Kammern vermerkt wurde, sogar Versicherungsgesellschaften.
Skandalöse Verstrickungen namhafter Firmen in Zolldefraudationen machte die bayerische Regierung im Jahre 1831 in der Ständekammer publik. Der Schmuggel war also nicht nur ein Delikt sozialer Unterschichten. Die Regierungen mussten von einem generellen Misstrauen ausgehen, nämlich dem, dass jeder, der die Grenze überquerte und Handel mit ausländischen Waren betrieb, ein Betrüger sein konnte.
Während die Freihändler für die Schmuggler und ihre Hintermänner Verständnis aufbrachten, werteten die Protektionisten die Betrüger weniger freundlich. Letztere gingen schon von einer anderen anthropologischen Grundannahme aus. Nach ihnen waren die Defraudanten moralisch schlechte, habgierige Menschen, die ihrem Handwerk nachgingen, um ihren Lastern frönen zu können. Das in den Argumentationen gern verwandte Motiv des Patriotismus und partikularistischen Nationalismus führte die Protektionisten, aber auch die Freihändler dazu, das Gros des eigenen Volkes in Schutz zu nehmen und gegen Ausländer und Minderheiten zu polemisieren. Ausländer waren für Bayern z.B. Italiener, Franzosen, Württemberger und Badener. Als soziale Gruppe wurden namentlich die Juden beschuldigt.
Je länger je mehr zeigte sich jedoch die Beteiligung der eigenen Landsleute. Nur durch gedungene, ortskundige einheimische Handlanger und durch die Verkaufsorganisation etablierter Händler waren Umfang und Erfolg des Schmuggelhandels zu erklären. Die Protektionisten verstiegen sich in den Landtagen bisweilen zur generellen Beschuldigung des Handelsstandes, dunkle Geschäfte zu betreiben. Hart verurteilten sie Kaufleute, die z.B. ein Lieferangebot von unverzollten Waren frei Haus annehmen, bei dem ein stattlicher Gewinn ohne großes Eigenrisiko zu erzielen war. Die Unterbindung der Delikte und das Dingfestmachen der Delinquenten stellten ein großes Problem dar, mit dem sich die Landtage zwangsläufig intensiv befassen mussten. Das Thema “Kontrollen und Strafen” war ein unvermeidlicher Bestandteil des Themas “Zollpolitik und Schmuggel”.
III.5 Kontrollen und Strafen
Die Frage nach der Wirksamkeit von Kontrollen und Strafen wurde von Freihändlern und Protektionisten wie eine Glaubensfrage beantwortet. Die Freihändler glaubten nicht daran, dass Kontrollen und Strafen Zollvergehen effektiv unterbinden konnten. Eine effiziente Abwehrmaßnahme war für sie nur die Senkung der Tarife unter die Defraudationsgrenze. Sie benutzten die Debatten über Kontrollen und Strafen zur Artikulation ihrer freihändlerischen Forderungen. Die Protektionisten hingegen mussten ein Schutzzollsystem für praktizierbar und damit die ordnungsgemäße Zollentrichtung für kontrollierbar halten. Sie setzten sich für eine Reihe konkreter Maßnahmen ein, die ihre Regierungen zur Unterbindung von Defraudationen ergreifen sollten. So schlugen sie vor, ausländischen Hausierern und Musterreisenden als generell verdächtigen Personen wenn überhaupt nur ein streng überwachtes Betätigungsgebiet zuzuweisen. Selbst freihändlerische Abgeordnete plädierten – von ihrer Interessenlage her verständlich – dafür, den Handel mit ausländischen Waren nur konzessionierten inländischen Kaufleuten zu erlauben.
Differenzen grundsätzlicher Art brachen zwischen Freihändlern und Protektionisten bei der Diskussion einer Kontrolle durch Haus-, Buch- und Leibesvisitationen auf. Die Freihändler stritten nicht nur die Wirksamkeit dieser Kontrollform ab, sondern sahen in ihr darüber hinaus einen Eingriff in persönliche Freiheitsräume. Das liberale Rechtsverständnis mit seinen Vorstellungen von der Freiheit der Person und des Eigentums war für die süddeutschen Abgeordneten ein starkes Argument. Einige Jahre lang war aus diesem Grund die Körpervisitation in Bayern verboten, bis Fälle bekannt wurden, in denen unter weiten Kleidern wertvolle Schmuggelwaren vor den Augen der argwöhnischen, aber zur Untätigkeit verdammten Zollbeamten unbehelligt über die Grenzen getragen wurden. Die bayerische Ständeversammlung entschied daraufhin, das allgemeine Visitationsverbot aufzuheben und Visitationen bei Verdachtsmomenten zuzulassen. Um der Effizienz der Kontrollen willen zeigten die Protektionisten in der Visitationsfrage viel weniger Skrupel als die Freihändler. Stichprobenkontrollen für Transitwaren oder der Waffengebrauch bei der Dingfestmachung verdächtiger Personen wurden ähnlich kontrovers diskutiert.
Während die Protektionisten von den europäischen Mächten den Beweis erbracht sahen, dass man ein Schutzzollsystem aufrechterhalten könne, stritten die Freihändler die Vergleichbarkeit mit dem Argument ab, kleine Länder könnten generell nicht so gut bewacht werden und insbesondere die örtlichen Gegebenheiten in der deutschen Staatenwelt würden den Schleichhandel begünstigen.
Im Laufe der Debatten blieb es nicht aus, dass auch die Zolladministration ins Schussfeld geriet. Die Freihändler hielten die Zöllner für bestechlich und die Verlockungsgefahr deshalb für sehr groß, weil diese Staatsdiener trotz ihres gefährlichen Berufes nicht so bezahlt wurden, dass sie gegen Bestechungsversuche immun waren. Für die Durchführung und den Erfolg der Kontrollen machten die Protektionisten die Regierungen verantwortlich. Die Regierungsvertreter mussten allerdings, wenn ihnen die Mängel der Zolladministration vorgeworfen wurden, bekennen, dass die List der Defraudanten mit der Verfeinerung des Kontrollsystems wuchs.
III.6 Strafsysteme
Ein Defraudant, der im Netz der Gesetzeshüter hängen blieb, wurde nach einem abgestuften Strafsystem belangt: Begonnen wurde mit Geldstrafen, die die entgangene Abgabe um ein Mehrfaches überstiegen. Steigerungen lagen in der Konfiskation von Waren und Transportmitteln wie Pferden und Fuhrwerken. In Wiederholungsfällen drohten der Konzessionsentzug für Kaufleute und schließlich – bei Mittellosigkeit der Delinquenten und besonders bei begleitender Gewaltanwendung – Gefängnisstrafen. Die mittellosen Schwärzer, die den Schleichhandel im Auftrag ausführten und am ehesten in handgreifliche Auseinandersetzungen mit Zöllnern gerieten, nahmen also strafrechtlich die größten Risiken auf sich.
Die Protektionisten sahen in Strafverschärfungen ein Mittel zur Eindämmung der Zollvergehen. Im bayerischen Landtag von 1828 hielt ein Exponent dieser Gruppe sogar die Anwendung des Standrechts für legitim. Die Rechtswirklichkeit entsprach nicht den strengen Anforderungen der Protektionisten. Geschickte Defraudanten gingen bei den Gerichten vielfach straflos aus. Die Beweisführung war schwierig, da die Glaubwürdigkeit der denunzierenden Zollbeamten leicht anzufechten war. Ihm konnten persönliche Interessen, z.B. das Streben nach der Aufdeckungsprämie, mit der der Eifer der Beamten angestachelt werden sollte, unterstellt werden. Die süddeutschen Regierungen bemühten sich ständig, die Schwachstellen des Justizwesens, auf die sie in den Landtagsdebatten aufmerksam gemacht worden und auf die sie selbst gestoßen waren, zu beheben.
Nach Meinung der Freihändler nutzten die Verbesserungen des Strafsystems und Strafverschärfungen ebenso wenig wie die Verbesserung des Kontrollsystems. Sie glaubten vielmehr, dass Strafverschärfungen nur noch größere Verbrechen erzeugten, und befürchteten, dass bei den Delinquenten die Schwelle der Gewaltanwendung gesenkt würde, um einer entehrenden oder ökonomisch empfindlichen Strafe zu entgehen. In Verbrecherbiographien sahen die Freihändler einen Beweis für ihr Urteil. Nach ihrer Meinung erzeugten die Protektionisten mit ihrem Vertrauen auf Kontrollen und Strafen einen circulus vitiosus, bei dem die Übel des Zollsystems immer mehr eskalierten.
III.7 Fiskalische Folgen
Der Schmuggel hatte Folgen für die Staatshaushalte, die Volkswirtschaften und die Sittlichkeit. Die Zolleinnahmen fehlten selbst in den Budgets der freihändlerisch orientierten Staaten nicht. In Baden beliefen sie sich auf 7 % der Staatseinnahmen. In Staaten mit Schutzzollsystem lagen sie meist deutlich über 10 %. Die Roheinnahmen wurden jedoch in den beiden Staatengruppen durch verschieden hohe Kontrollkosten geschmälert, in Baden z.B. um 20 %, in Bayern um 44 %. Baden war für die freihändlerisch gesinnten, süddeutschen Abgeordneten ein Paradebeispiel dafür, dass niedrige Zölle, obwohl das Kontrollsystem relativ schwach ausgebildet war, entrichtet wurden. Es war jedoch kein Geheimnis, dass der Einfuhrzoll von Waren in die badische Staatskasse floss, die nicht im eigenen Land verbraucht wurden. Manche Händler machten ein Vermögen damit, dass sie die Legalität bei der Ausfuhr von Waren in Staaten mit Schutzzollsystem verließen. Die Schwarzwaldhöhen begünstigten z.B. geographisch einen massiven Schmuggel in das Bayerisch-Württembergische Vereinsgebiet. Schleichhändler, die im Jahre 1831 einen Zentner Zucker, Kaffee, feine Gewürze oder Tee von Baden nach Württemberg einschwärzten, konnten mehr als zehn Gulden sparen, bei anderen Artikeln war die Kostenersparnis noch größer.
III.8 Volkswirtschaftliche Folgen
Bewerteten die Freihändler die badischen Verhältnisse als einen Beweis dafür, dass sich niedrige Zölle im Gegensatz zu hohen Zöllen selbst für den Staatshaushalt positiv auswirkten, so zogen es die Protektionisten vor, die für ihr System sprechenden Argumente zu akzentuieren. Die Schutzzollanhänger konnten darauf hinweisen, dass die Erhöhung der Zolltarife tatsächlich von einer Erhöhung der Einnahmen begleitet war. Für das Faktum, dass die Einnahmen nicht proportional zu den Tariferhöhungen stiegen, machten sie anders als die Freihändler nicht allein den Schmuggel verantwortlich. Die Protektionisten deuteten die fehlende Proportion als einen volkswirtschaftlichen Erfolg und führten sie auf eine gelungene Abwehr der ausländischen Konkurrenz zurück. Den Bedarf der Bevölkerung sahen sie vermehrt durch die inländische Produktion befriedigt.
In Württemberg ging z.B. die Seidenwareneinfuhr nach der Erhöhung des Einfuhrzolls im Jahre 1822 merklich zurück. Hierin wird man in der Tat eine Wirkung des Schutzzolls sehen dürfen, wenn auch eine wachsende Beliebtheit von Baumwollfabrikaten und schließlich doch auch Zollhinterziehungen als weitere Erklärungsgründe herangezogen werden müssen.
Nach dem Urteil der Freihändler wurden die Interessen der eigenen Volkswirtschaft hingegen nicht geschützt, sondern besaßen sogar weniger Schutz als vorher. Der Druck der ausländischen Konkurrenz auf die inländischen Gewerbe bestand ihrer Meinung nach unvermindert fort, und der redliche Kaufmann, der mit dem Schleichhändler nicht konkurrieren konnte, drohte ruiniert oder korrumpiert zu werden. Der Bankrott einst angesehener Handelshäuser war für die Freihändler ein deutliches Warnsignal. Auch die Teilerfolge des protektionistischen Systems für die inländischen Gewerbebetriebe änderten nichts daran, dass der Schutzzoll – nicht zuletzt durch den Schleichhandel – von einem zweifelhaften Wert für die Volkswirtschaft war.
III.9 Sittliche Folgen
In den Landtagsdebatten wurden die Folgen des Schmuggels für die Sittlichkeit allgemein beklagt. Nach Pfarrberichten aus den Grenzgebieten, auf die sich Repräsentanten der Kirche bezogen und die von weltlichen Abgeordneten dieser Regionen bestätigt wurden, schlugen viele Tagelöhner redliche Erwerbsmöglichkeiten aus und vertranken und verspielten ihren meist in der Nacht erworbenen Gewinn tagsüber in Gasthäusern. Der württembergische Abgeordnete Paul Pfizer, der als einer der ersten Propagandisten einer preußisch-deutschen Vereinigung in die deutsche Geschichte eingegangen ist, bemerkte 1833 zu der Lage:
“Von allen Seiten hört man bei uns Klagen über die hohen Zollsätze und über das dadurch erzeugte und genährte Schmuggelwesen, das nicht nur auf den Handel, sondern auch auf die Sittlichkeit des Volkes den nachteiligsten Einfluss hat. Wenn auch die Hälfte dieser Klagen in der Wahrheit gegründet ist, so kann man, scheint es, nicht genug eilen, dem Strome von Demoralisation, der über unser Land in Folge der bestehenden Zollgesetze und Zolleinrichtungen hereinbricht, und ganze Ortschaften, ganze Striche unserer Bevölkerung zu ergreifen, jedem rechtlichen Erwerbe zu entfremden, und in einen fortwährenden Kriegszustand gegen Gesetz und Obrigkeit zu versetzen droht, Einhalt zu tun”.[26]
Die nach der Julirevolution 1830 eingerichtete kurhessische Ständeversammlung musste bis zur Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 machtlos zusehen, wie die geregelte Zolleinnahme in den Provinzen Hanau und Fulda durch die mehrfache Zerstörung von Zollbüros unmöglich gemacht wurde. Hier und in anderen Landtagen kamen Abgeordnete auf den Gedanken, durch Chausseebauten erwerbslosen Bevölkerungsteilen Beschäftigung zu geben und sie vom Schmuggelgewerbe abzuziehen. Die Protektionisten konnten der Beschäftigungstherapie zustimmen, nicht jedoch der Therapie der Freihändler, durch Zollsenkungen der Demoralisation den Nährboden zu entziehen. Eine Senkung der Tarife unter dem Druck von Gesetzesbrechern werteten die Schutzzollanhänger als eine Kapitulation, als eine Untergrabung der staatlichen Autorität, zu der sie nicht die Hände reichen wollten.
Zollpolitik und Schmuggel wurden, dies macht die Analyse der Landtagsdebatten deutlich, ideologisch beurteilt. Die Gegensätze zwischen Freihändlern und Protektionisten verschärften sich mit der Ausbildung und Erweiterung des Schutzzollsystems und mit den anwachsenden sozialen, wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Problemen, die der Schmuggel aufwarf. War das, was dem Einzelstaat oder wenigen Einzelstaaten nicht gelang, nämlich aus dem Dilemma herauszukommen, durch einen größeren Zollverein zu erreichen? Welche Folgen besaß der Schmuggel für die zwischenstaatlichen Beziehungen und die Entstehung des Deutschen Zollvereins? Diesen Fragen wendet sich der zweite Teil der Untersuchung zu.
IV. Außenpolitische Konsequenzen
IV.1 Zwischenstaatliches Konfliktpotential
Zollpolitik und Schmuggel stellten in den Beziehungen der deutschen Staaten gleichzeitig ein Konfliktpotential und einen Einigungsgrund dar. Ein Konfliktpotential lag in der ungleichen strafrechtlichen Verfolgung von aktivem und passivem Schmuggel. Das Auge des Gesetzes wachte streng darüber, dass kein aktiver, d. h. gegen die Interessen des eigenen Landes gerichteter Schmuggel getrieben wurde; beim passiven Schmuggel, der vom eigenen Land ausging, die Wirtschaft des eigenen Landes belebte und “nur” die Zolleinnahmen der Nachbarstaaten verkürzte, war das Auge des Gesetzes hingegen halb oder ganz geschlossen.
Das Gefälle in den Zolltarifen zwischen protektionistischen und freihändlerischen Staaten begünstigte die Ausbildung einer Doppelmoral, unter der die Staaten mit Schutzzollsystem naturgemäß am meisten litten. Im Wetteifer, so bemerkte ein bayerischer Abgeordneter, werde der Schmuggel von Baden und von den sächsischen Staaten aus gegen das Bayerisch-Württembergische Vereinsgebiet betrieben.
Die Abgeordneten der süddeutschen Landtage waren, auch wenn ihr Land Nutzen aus dem Schmuggel zog, selbstkritisch genug, die Doppelmoral zuzugeben. In freihändlerisch orientierten Staaten kam es vereinzelt zu einer ausdrücklichen Billigung des passiven Schmuggels und zu einer Verurteilung der protektionistischen Nachbarstaaten als den wahren Schuldigen. Doch die geheimen badischen Kammerdebatten vom Oktober 1831 machen deutlich, dass auch die Freihändler Zollvergehen als moralische Übel werteten. Die Problemlösung lag für sie in der Beseitigung der Zolltarifdifferenzen, in der drastischen Senkung der Tarife durch die protektionistischen Staaten. Eine Verschärfung der Kontrollen zur Unterbindung des passiven Schmuggels, die Kosten ohne Nutzen für den eigenen Staatshaushalt gebracht hätten, war für den badischen Landtag kein Diskussionsgegenstand.
Diese nachbarliche Politik war für die protektionistischen Staaten ein Ärgernis, dessen Abstellung allein durch eine wechselseitige Rechtshilfe möglich war. Eine Rechtshilfe des Nachbarn war jedoch nur dann erfolgversprechend, wenn beide Seiten gleichermaßen ein Interesse an einer effizienten Zollkontrolle hatten. Besaßen beide Parteien ein Schutzzollsystem, so war diese Voraussetzung gegeben. Die protektionistischen Staaten wurden zu zwischenstaatlichen Vereinbarungen über gegenseitige Rechtshilfen, zu sogenannten “Kartellen”, gedrängt. Besonders ihnen musste an einem weiterreichenden vertraglichen Interessenausgleich gelegen sein. Der Interessenausgleich gipfelte im Deutschen Zollverein von 1834. Dass die Zollvereinsbewegung im wesentlichen von protektionistischen Staaten vorangetrieben wurde, kam also nicht von ungefähr.
IV.2 Impuls auf Zollvereinsbewegung
Die Zollvereinsbewegung, die im Jahre 1820 durch Verhandlungen zwischen deutschen Klein- und Mittelstaaten in Gang gebracht wurde, verlief alles andere als geradlinig auf das 1834 erreichte Ziel hin. Wirtschaftliche, fiskalische und politische Motive besaßen eine ambivalente Wirkung. Machtpolitische Hintergedanken sind bei Bayern, Württemberg und Preußen als Faktor erkennbar. Politische Befürchtungen machten Österreich zum Gegner jeder Vereinsbildung. Der Gegensatz zwischen Freihandel und Protektionismus belastete die Vereinsverhandlungen von Anfang an. Die Darmstädter und Stuttgarter Konferenzen in den Jahren 1820 bis 1825 scheiterten nicht zuletzt daran, dass Baden von der Forderung niedriger Zolltarife an den Vereinsgrenzen nicht abzubringen war.
Im Komplex der Faktoren, die in der Vorgeschichte des Deutschen Zollvereins wirksam waren, sind schon früh ordnungspolitische Fragen und Probleme auszumachen. Schutzzollanhänger misstrauten potentiellen Vereinspartnern und befürchteten, dass manche Staaten die Kontrollvorschriften nur im Eigeninteresse handhaben würden. Bis Mitte der zwanziger Jahre glaubten die Staaten des Dritten Deutschland daran, eine Zollpolitik nach eigener Regie führen zu können. Die Störungen des geordneten Warenverkehrs durch die protektionistischen Staaten ließen danach einen Verein immer wünschenswerter erscheinen.
Im Jahre 1828 wurden zwei Vereine gegründet, die den Markt nach innen jeweils ausweiteten und nach außen schützten, der Preußisch-Hessische Verein und der Bayerisch-Württembergische Verein. Um eine weitere Ausdehnung des Schutzzollsystems in Deutschland zu verhindern, wurde im gleichen Jahre 1828 der freihändlerisch orientierte Mitteldeutsche Handelsverein gegründet. Die Schutzzollvereine traten im Mai 1829, obwohl sie sich geographisch nicht berührten, durch einen Handelsvertrag in eine nähere Verbindung. Sie gestanden sich gegenseitige Erleichterungen im Warenverkehr zu und vereinbarten eine Anpassung der Tarife auf ein gleiches Niveau. Der Schmuggel förderte eine weitere Annäherung.
IV.3 Abschluss von Zollvereinen
Im Jahre 1828 wurden die Schutzzolllinien in Deutschland zwar verkleinert, ihre Überwachung gelang jedoch nicht in einem ausreichenden Maße. In den süddeutschen Landtagen war der Wegfall von Schmuggellinien ein immer häufiger gebrachtes Argument für die Bildung eines großen Zollvereins. Die Julirevolution förderte im Deutschen Bund die Unzufriedenheit mit den Zollverhältnissen.
In Kurhessen brachen chaotische Zustände aus, die eine Schlüsselfunktion in der Entstehungsgeschichte des Vereins besitzen. Das von dem Preußisch-Hessischen und dem Bayerisch-Württembergischen Schutzzollsystem eingeklammerte Kurfürstentum geriet durch die Unmöglichkeit, in seinen südlichen Provinzen eine geordnete Zollerhebung durchzusetzen, in eine Zwangslage und suchte die Rettung für seine fiskalischen, wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Probleme in einem möglichst großen Zollverein.
Im August 1831 trat Kurhessen dem Preußischen Verein bei. Die Stände sahen in diesem Beitritt von Anfang an nur eine Zwischenlösung und in der Verbindung Preußens mit Süddeutschland eine Minimalbedingung. Der kurhessischen Regierung gelang es nach dem August 1831 nicht, die chaotischen Zustände an den Außengrenzen des Vereins zu beseitigen. Erst der Zollverein von 1834 erlöste den im Zentrum Deutschlands gelegenen Staat aus seiner innenpolitisch unhaltbaren Lage, die auch im Landtag immer wieder zu Friktionen führte.
Für das an der Peripherie des Deutschen Bundes gelegene Großherzogtum Baden stellte sich die Lage anders dar. Die Übernahme des preußischen Zollsystems hätte die profitable Wareneinfuhr aus Frankreich und der Schweiz erschwert und den aktiven Schmuggel ins Land, genauer an die Grenzen zu Frankreich und der Schweiz gebracht. Grundsätzlich wollte sich Baden der nach der Julirevolution stark aufgekommenen Zollvereinsbewegung nicht entziehen. Die Kammern knüpften aber 1831 den Beitritt in einen Verein mit Preußen an die in der liberalen Öffentlichkeit populäre Bedingung, dass der Vereinstarif gesenkt würde.
Die Regierungen, die Ende 1831 die Verhandlungen über einen großen Zollverein aufnahmen, namentlich Preußen und Bayern, gingen auf die badische Bedingung nicht ein. Der südwestdeutsche Grenzstaat war deshalb an der Zollvereinsgründung nicht beteiligt. Unter starkem Widerspruch innerhalb der Ständeversammlung trat er 1835 bei, um eine politisch und wirtschaftlich fatale Isolierung zu vermeiden. In Württemberg wurde wegen der äußerst schwer zu überwachenden Grenzlinie ein Verein mit Baden sehr gewünscht, von einigen Abgeordneten sogar mehr als ein Verein mit Preußen.
Die freihändlerisch gesinnten Abgeordneten übersahen bei aller Vorliebe für niedrige Tarife nicht, dass ein großer Zollverein auch einen großen Binnenmarkt schuf, der Handel und Verkehr weitgehend die gewünschte Erleichterung brachte. Auf der anderen Seite konnten die Protektionisten den Verlust eines ohnehin fragwürdigen Schutzes für die eigene Volkswirtschaft dadurch leichter verschmerzen, dass die Chancen für eine Abwehr der Konkurrenz des westlichen Auslandes durch eine bessere Grenzbewachung für ein arrondiertes Vereinsgebiet stiegen. Bedenken und Einwände wirtschaftlicher und politischer Art gegen einen Zollverein mit Preußen blieben auf Seiten der Freihändler wie der Protektionisten bestehen. Doch alle Anstoßpunkte wurden in den Landtagen, als sie einem Vereinsbeitritt zustimmten, geringer gewichtet als der Wert eines Deutschen Zollvereins, den nicht zuletzt der Schmuggel schätzen gelernt hatte.
V. Resümee
Drei resümierende Bemerkungen sollen die Untersuchung abschließen:
1. Zoll und Schmuggel bildeten einen innenpolitischen Konfliktstoff in den süddeutschen Landtagen, der zu einer fraktionellen Spaltung in Freihändler und Protektionisten führte. Aus dem Erwerbszweig der Abgeordneten erklärte sich die jeweilige Position nur zum Teil. Als Erklärungsaspekte kamen die gesamtstaatlichen Wirtschaftsinteressen, aber auch politische und moralische Überzeugungen hinzu.
Im Urteil der beiden “Fraktionen” spiegelten sich die ökonomischen, rechtlichen, sozialen und politischen Vorstellungen und Differenzen der führenden Gesellschaftsschicht. Durch die Darstellung der ideologischen Beurteilung von Zoll und Schmuggel konnte deshalb gezeigt werden, dass sich die Konturen des deutschen Frühkonstitutionalismus erst durch die Einbeziehung inhaltlicher Analysen von Landtagsdebatten angemessen zeichnen lassen und allein durch eine Klassifizierung von Abgeordneten nach Steuern, Besitz und Beruf. In der modernen Forschung wird bisweilen der Erkenntniswert solch quantitativ gut auswertbarer Merkmale zu hoch angesetzt.
2. Eine umfassende Darstellung des Schmuggels mit allen Aspekten des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, die er berührte, ist ein Desiderat der Forschung. Das Urteil der Landtagsabgeordneten verdient dabei Beachtung. Es zeigt, wie die führende Gesellschaftsschicht soziale Phänomene wie Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität und illegal erworbenen Reichtum wertete und ob sie sich vom Gedanken einer gesamtgesellschaftlichen Solidarität oder von der Vorstellung einer markanten sozialen Abstufung leiten ließ. In den untersuchten Landtagsdebatten dominierte das letztere: ein ausgeprägtes Schichtenbewusstsein.
3. Die Zollverhältnisse vor der Gründung des Deutschen Zollvereins lassen sich durch ein Spiel mit der Begriffssprache, die Hegel zeitgenössisch verwandte, charakterisieren. Für die Zeit vor 1834 kann man sagen: “Das Wirkliche war nicht vernünftig”. Die Einsicht in die Unhaltbarkeit der einzelstaatlichen Zollpolitik und der Wille, das Zollchaos zu beseitigen, wuchsen. Der Deutsche Zollverein wurde ein Werk innenpolitischer Friedensstiftung. Im Hegelschen Sinne hob er die Differenzen zwischen Freihändlern und Protektionisten auf einer höheren Ebene auf. Die Landtagsabgeordneten ermöglichten durch ihre Zustimmung zum Zollverein, dass man das in der deutschen Geschichte herausragende Ereignis des Jahres 1834 170 Jahre später mit den Worten würdigen kann: “Das Vernünftige wurde wirklich”.
Mehr zu Zoll und Schmuggel vor der Zollverein-Gründung
[1] Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. 4. T., Leipzig 7. aufl. 1919, S. 379.
[2] Die Opposition gegen den Zollverein schildert Treitschke einige Seiten vorher selbst (ebd. S. 350): „Die folgenreichste politische Tat dieses Zeitraumes, die alle die kleinen Kämpfe um konstitutionelle Rechte gänzlich in den Schatten stellte, vollzog sich unzweifelhaft gegen den Willen der Mehrheit der Deutschen; die Nation wirkte nur mittelbar und halb unbewusst mit, da die Zornreden der Liberalen wider das deutsche Elend und die berechtigten Klagen der Geschäftswelt den Regierungen einen rettenden Schluss aufzwangen.“ Zu den Vorbehalten gegenüber dem Deutschen Zollverein vgl. Hans-Werner Hahn, Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 52), Göttingen 1982, S. …
[3] Treitschke wertete die Entstehung des Zollvereins als Station auf dem Weg zur preußisch-deutschen Einheit: „Ein neues Glied, fest und unscheinbar, war eingefügt in die lange Kette der Zeiten, die den Markgrafenstaat der Hohenzollern hinaufgeführt hat zur kaiserlichen Krone. Das Adlerauge des großen Königs blickte aus den Wolken, und aus weiter Ferne erklang schon der Schlachtendonner von Königgrätz“ (wie Anm. 1, S. 379). Dass die Integrationsfunktion des Deutschen Zollvereins auf wirtschaftlichem und politischen Gebiet viel differenzierter und vorsichtiger beurteilt werden muss, als dies bei Treitschke geschieht, hat Hahn (wie Anm. 2) am Beispiel der hessischen Staaten aufgezeigt. Vgl. insbesondere S. 307ff.
[4] Zur Zollvereinspolitik der deutschen Einzelstaaten liegen zahlreiche ältere Arbeiten vor. Sie sind in dem bis heute unüberholten Standardwerk von William O. Henderson, The Zollverein, Cambridge 1939, ausgewertet worden. Relativ großes Interesse hat auch die Publizistik in der Forschung gefunden. Einzelstudien und viele Flugschriften sind in dem Buch von Arnold H. Price erfasst: The Evolution of the Zollverein. A Study of the Ideas and Institutions leading to German Economic Unification between 1815 und 1833, Ann Arbor 1949. Die neueste monographische, gleichfalls englisch-sprachige Gesamtdarstellung zum Zollverein unterscheid sich von den älteren durch die systematische Untersuchung von Faktoren der politischen und wirtschaftlichen Einigungsbewegung in Deutschland: Rolf Horst Dumke, The Political Economy of German Economic Unification: Tariffs, Trade and Politics of the Zollverein Era, Diss. University of Wisconsin-Madison, 1976. Statistische Quellen stehen hier aufgrund der Fragestellung im Vordergrund, während die Landtagsverhandlungen keine Aufmerksamkeit finden. Nur die jüngsten einzelstaatlichen Untersuchungen von Hahn (wie Anm. 2) und Hans Peter Müller, Das Großherzogtum Baden und die deutsche Zolleinigung 1819-1835/36, Frankfurt 1984, widmeten den Landtagen die erforderliche Beachtung.
[5] Zum Verhältnis von monarchischer Gewalt, ständischer Mitwirkung und persönlichen Grundrechten in den süddeutschen Verfassungsstaaten vgl. Karl-Georg Faber, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Restauration und Revolution. Von 1815 bis 1851 (= Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 3/I.2. Teil), Wiesbaden 1979, S. 106f.
[6] Folgende Landtagsverhandlungen wurden unter der Thematik „Zollpolitik und Schmuggel“ untersucht: Verhandlungen der Zweiten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern, 1819-1833 (zitiert: 2 K. B. ); Verhandlungen der Kammer der Reichsräte des Königreichs Bayern, 1819, 1831 (zitiert: 1. K. B.; die Verhandlungen zwischen 1819 und 1831 wurden nicht gedruckt); Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg, 1820-1833 (zitiert: 2. K. W.); Verhandlungen in der Kammer der Standesherren des Königreichs Württemberg, 1820-1833 (zitiert: 1. K. W.); Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden. Enthaltend die Protokolle der Zweiten Kammer mit deren Beilagen von ihr selbst amtlich herausgegeben, Karlsruhe 1819-1833 (zitiert: 2. K. Ba); Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden. Enthaltend die Protokolle der Ersten Kammer mit deren Beilagen von ihr selbst amtlich herausgegeben, Karlsruhe 1831 (zitiert: 1. K. Ba); Verhandlungen in der Zweiten Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen. Von ihr selbst herausgegeben, Darmstadt 1820-1833 (zitiert: 2. K. H-Da); Verhandlungen in der Ersten Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen. Von ihr selbst herausgegeben, Darmstadt 1820-1833 (zitiert: 1. K. H-Da); Verhandlungen des kurhessischen Landtags, 1830-1833 (zitiert: K. H-Ks.; das Kurfürstentum Hessen-Kassel besaß nur eine Kammer). Die Verhandlungen der Zweiten Kammer sind inhaltlich ergiebiger als die der Ersten, da die Ersten Kammern zu den Beschlüssen der Zweiten meist nur knapp Stellung nehmen. Für die Thematik einschlägige Beratungsgegenstände waren: die Lage von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, der Staatshaushalt, der Abschluss von Handelsverträgen oder Zollvereinen, die Festsetzung von Zolltarifen, Verordnungen zur Kontrolle und Bestrafung von Zollvergehen.
[7] Mit „Schmuggel“ wird nicht nur die heimliche Ein-, Aus- oder Durchfuhr einer zollpflichrtigen Ware, sondern auch die Fälschung von Ursprungszeugnissen und Deklarationen oder die Belassung von Transitgütern im Inland bezeichnet. Zeitgenössische Begriffe für Schmuggel waren „Konterbande“, „Defraudation“, „Schwärzen“.
[8] Nur für Kurhessen hat dieser Aspekt eine eigene Studie erhalten: A. Woringer, Zoll und Schmuggel in Hessen im 18. und 19. Jahrhundert, in: Hessenland 20, 1906, S. 46-48, 62-65, 80-83, 90-93. Im übrigen weist die Forschung zur Vorgeschichte des Deutschen Zollvereins beiläufig auf das Schmuggelwesen hin.
[9] Die Ursachen und Motive der Zollvereinsgründung bedürfen noch einer intensiven systematischen Erforschung, da die ältere Literatur verlaufsgeschichtlich ausgerichtet ist. Der Frage nach den implizierten Faktoren widmet sich Hahn (wie Anm. 2) (für die hessischen Staaten) am intensivsten (Vgl. S. 145ff.). In seinen Thesen zur Gewichtung der Faktoren fehlt jedoch auch bei ihm das ordnungspolitische Motiv.
[10] Der Anteil der erwachsenen männlichen Bevölkerung, der in den Landtagen repräsentiert war, lag unter 10 %. Außer dem Adel war vor allem das gehobene Besitz- und Bildungsbürgertum in den Kammern vertreten. Überproportional gehörten Beamte zu den Delegierten (vgl. dazu Faber, wie Anm. 5, S. 107f.). Da sich auch die Regierungsvertreter an den Verhandlungen beteiligten, kann man mit Recht in den Debatten einen Ausdruck der Denkweise der führenden Gesellschaftsschicht der Zeit sehen.
[11] Zu den innenpolitischen Bedingungen der französischen Außenhandelspolitik vgl. Peter Burg, Die französische Politik gegenüber Föderationen und Föderationsplänen deutscher Klein- und Mittelstaaten 1830-1833, in: Raymond Poidevin/Heinz-Otto Sieburg (Hg.), Aspects des relations franco-allemandes 1830-1848 (= Publications du Centre de recherches relations internationales de l’Université de Metz, Bd. 9), Metz 1978, S. 37f.
[12] Zum französischen Außenhandel mit den deutschen Staaten vgl. Martin Kutz, Deutschlands Außenhandel von der Französischen Revolution bis zur Gründung des Zollvereins. Eine statistische Strukturuntersuchung zur vorindustriellen Zeit (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beih. 61), Wiesbaden 1974, S. 132ff.
[13] Im Jahre 1822 betrugen z.B. die Zölle auf Textilien 120 % ihres Wertes. 1826 erhöhte Frankreich nochmals die Einfuhrzölle. Vgl. Kutz, ebd., S. 132. 1822 stiegen die Zölle für fette Rinder von 3 auf 50 Francs und für Schafe von 0,25 auf 5 Francs. Vgl. Maurice Agulhon, Gabriel Désert, Robert Specklin, Apogée et crise de la civilisation paysanne 1789-1914 (= Histoire de la France rurale, T. 3), Paris 1976, S. 115f.
[14] Vgl. Paul Bairoch, Commerce extérieur et développement économique de l’Europe au XIXe siècle (= Civilisations et Sociétés 53), Paris, La Haye 1976, S. 40ff.
[15] Die russischen Tarife schwankten in den Jahren nach dem Wiener Kongress. 1816 gab es Zölle in einer Höhe bis zu 60 %, 1819 fand eine Tarifsenkung statt, die aber 1822 wieder aufgehoben und von einem Einfuhrverbot von 301 Artikel abgelöst wurde. Vgl. Valentin Wittschewsky, Russlands Handels-, Zoll- und Industriepolitik von Peter dem Großen bis auf die Gegenwart, Berlin 1905, S. 48ff.
[16] Holland führte 1816 protektionistische Tarife ein und verstärkte in den folgenden Jahren sein Schutzzollsystem. Vgl. Ernst Baasch, Holländische Wirtschaftsgeschichte (= Handbuch der Wirtschaftsgeschichte IV), Jena 1927, S. 424ff.
[17]Zur österreichischen Zollpolitik vgl. Siegfried Becher, Beiträge zur österreichischen Handels- und Zollstatistik auf Grundlage der offiziellen Ausweise über den Verkehr der österreichischen Monarchie mit dem Auslande vom Jahre 1831 bis 1842, S. 7ff.; Ulrike Schielin, Außenhandel des österreichischen Zollgebietes 1815-1838. Erster Teil, Diss. Wien, Ms. 1968, S. 111ff.
[18] Vgl. Takeo Ohnishi, Zolltarifpolitik Preußens bis zur Gründung des deutschen Zollvereins – Ein Beitrag zur Finanz- und Außenhandelspolitik Preußens -, Göttingen 1973, S. 9ff.
[19] Vgl. Ohnishi, ebd., S. 28ff.
[20] Vgl. Faber (wie Anm. 5), S. 96. Zum Schmuggel in den Rheinprovinzen, wo bei hochbesteuerten Waren das Verhältnis eingeschmuggelter zu den deklarierten Waren 3 : 1 betrug vgl. Ohnishi (wie anm. 18), S. 71. Zum Schleichhandel aus den enklavierten anhaltischen Gebietsteilen W. von Weber, Der deutsche Zollverein. Geschichte seiner Entstehung und Entwicklung, Leipzig 2. Aufl. 1871, Reprint Glashütten 1971.
[21] Henderson (wie Anm. 4), S. 27f., zum Scheitern der Bemühungen deutscher Klein- und Mittelstaaten zur Ausführung des Artikels 19 auf den Wiener Konferenzen 1819/20. Nach der Julirevolution, als der Mitteldeutsche Handelsverein durch Kurhessen auseinanderfiel, unternahm Hannover erfolglos Anstrengungen, Artikel 19 am Bundestag zur Ausführung zu bringen und das Wachsen des Preußischen Vereins zu verhindern. Vgl. ebd., S. 83ff.
[22] Vgl. Hahn (wie Anm. 2), S. 68ff.
[23] Zur Bedeutung der verschiedenen wirtschaftlichen Interessen der deutschen Staaten für die Zollvereinsverhandlungen vgl. Henderson (wie Anm. 4), S. 57ff. Bayern erhöhte 1826 seine Zolltarife; vgl. Haushalter, Die Anfänge der modernen Zollverwaltung Bayerns, in: Forschungen zur Geschichte Bayerns 16, 1908, S. 177-205, hier S. 194f.; Württemberg war 1824 mit Zollerhöhungen vorangegangen; vgl. Gerhard Seybold, Württembergs Industrie und Außenhandel vom Ende der Napoleonischen Kriege bis zum Deutschen Zollverein (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B Forschungen Bd. 74), Stuttgart 1974, S. 160.
[24] 2. K. B. 1825, Bd. 10, S. 522.
[25] 2. K. B. 1825, Bd. 10, S. 583.
[26] Württ. Kammer d. Abg. 2. B., 17. S., S. 36
Mittwoch 12. Januar 2022 um 23:45
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