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Peter Burg Werke

Autobiographie

Adalbert Stummbillig, Autobiographie

Veröffentlicht in:

Herold des kostbaren Blutes. Provinzialat der Missionare vom Kostbaren Blute, St.-Josephs-Kolleg, Salzburg-Aigen und Pankofen (Ndb.)

Artikelfolge:

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 33. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1959, S. 19f.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 34. Jg., H. 7/8, Januar-Februar 1960, S. 21-23 (1. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 34. Jg., H. 11/12, Mai-Juni 1960, S. 19f. (2. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. ½, Juli-August 1960, S. 19f. (3. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., September-Oktober 1960, S. 8-10, 4. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1960, S. 19-22 (5. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. 9/10, März-April 1961, S. 19-21 (6. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. 11/12, Mai-Juni 1961, S. 19-21 (7. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 36. Jg., H. ¾, September-Oktober 1961, S. 21-24 (8. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 36. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1961, S. 25-27 (9. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 36. Jg., H. 9/10, März-April 1962, S. 21f. (10. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 37. Jg., H. ½, Juli-August 1962, S. 22-24 (11. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 37. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1962, S. 16-22 (12. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 38. Jg., H. 9/10, März/April 1963, S. 16-22 (13. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. ½, Juli/August 1963, S. 22-26 (14. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. 5/6, November /Dezember 1963, S. 15-17 (14. Fortsetzung zum zweiten!)

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. 9/10, März/April 1964, S. 24-26 (15. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. 11/12, Mai/Juni 1964, S. 23-25 (16. Fortsetzung ohne Zählung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. ½, Juli/August 1964, S. 15-19 (17. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. ¾, September/Oktober 1964, S. 16-20 (18. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. 5/6, November/Dezember 1964, S. 14-20 (19. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. 9/10, März/April 1965, S. 9-12 (20. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg. H. 11/12, Mai/Juni 1965, S. 23-27 (21. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 41. Jg., H. 5/6, November/Dezember 1965, S. 18-24 (22. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 41. Jg., H. 9/10, März-April 1966, S. 18-25 (23. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 41. Jg., H. 11/12, Mai-Juni 1966, S. 11-17 (24. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 42. Jg., H. ¾, September-Oktober 1966, S. 19-23 (25. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 42. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1966, S. 13-21 (26. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 43. Jg., H. ½, Juli-August 1967, S. 21-23 (27. Fortsetzung).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 43. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1967, S. 21-24 (Schluss).

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 33. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1959, S. 19f.

Meine Mutter hatte wirklich ein selten gütiges Herz. Selbst ihre Gesichtszüge zeigten auffallend stark die Linien der Güte, wie kaum eine andere Frau. – Oder meine ich es nur so, weil sie meine Mutter war?

Auf ihrem Schoße hörte ich zum ersten Male, daß es über den Sternen droben einen gütigen Gott gäbe. Ihre Kinderlieder von der goldenen Abendsonne, dem guten Mond und den vielen Sternlein, die Gott allein gezählt habe, konnte sie, auf ihrer Zither spielend, so innig warm mir in die Seele singen. Doch meine allererste Erinnerung des Lebens war, als ich – noch zu klein, um bis zum Fenster zu reichen – die schweren Lokomotiven vorbeirauschen hörte. Eisenbahn und Maschinen wurden mir zur Lieblingsidee. Aber noch eines hat die Fensternische mir eingeprägt: nämlich das Kreuz mit dem angenagelten Mann, das meine  Schwester mir zeigte. Da es mich aufregte, einen Unschuldigen so gequält zu sehen, ist der Eindruck dieser Minute mir unvergeßlich geblieben.

Doch ich wuchs heran und war ein Lausbub, wie auch die vielen andern es sind. Als Junge sang ich in der Kirche gern aus Leibeskräften die schönen Lieder und liebte es, mit dem Brausen der Orgel wettzueifern. Doch beim Segen mit der großen Monstranz fiel mir des öftern auf, daß die weiße Hostie plötzlich ganz blutig rot mich anstrahlte. Ich liebte diese Erscheinung sehr und wartete bei jedem Segen mit Spannung darauf. Warum, wieso? Ich sprach zu Ihm in der Hostie und habe dann dies Zeichen immer als Seine Antwort aufgefaßt. Ich muß schon sagen, daß Er mir alle Wünsche meiner Kindheit erfüllt hat, wenn ich Ihn nur innigst darum bat. Ich wollte mir sogar ein Heftchen anlegen mit der Aufschrift »Kleine Wunder”. (Schade, daß ich es damals nicht getan, es wäre mir heute wohl die liebste Lektüre.) Nur einmal hat Er mich nicht erhört, ich war darum zu tiefst erstaunt, nämlich, als mir ein Stallhase durchbrannte und trotz meiner innigen Bitten an Ihn, er nicht mehr aus dem Wald zurückkehrte. Doch ich muß bedenken, es war eine glücklich schöne Zeit, und wenn die Turmuhr die Viertelstunde schlug, trieb es mich immer, mit Ihm und Ihr zu sprechen.

Eines Abends, als ich wieder in der Kirche betete, merkte ich nicht, daß man hinter mir die Türe schloß. Nun war ich allein. Ein romantisch schönes Gefühl überfiel mich: allein hier die ganze Nacht! Nach einer Weile hörte ich leise Stimmen an der Seitentür. Ich schlich mich dorthin und klopfte. Ein Schrei draußen – dann war es wieder still. Nach einer halben Stunde raschelte sachte der große Kirchenschlüssel im Portal, eine Blendlaterne zuckte auf und gleich in ihrem Strahl der kurze Lauf eines Revolvers. Ich trat in den Schein. “Ach,

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du bist’s!” rief die Stimme des Kaplans. Er hatte schon geglaubt, den großen Fang zu machen: jenes Einbrechers, der drei Tage zuvor in der Nachbarskirche eingebrochen und den Altar geplündert.

Aus jedem Buben wird ein Junge. Und für jeden Jungen kommt einmal die Zeit, da er die keimenden Rätsel des menschlichen Lebens beantwortet haben möchte. Man sucht in Büchern, spürt den Schriften nach. So griff auch ich nach irgendeinem Buche des Regals, schlug es auf und sah eine Stelle, die mich gleich fesselte. Ist das nicht das Thema der Jugend? Um ungestörter diesem nachstöbern zu können, ging ich mit meinem Buch in den Wald zu meinem Lieblingsplätzchen. wo neben dem Wassertümpel der dicke Baumstamm lag. Und wie ich näher zu lesen begann, merkte ich erst, welches Buch ich erwischt habe: es war “Das Leben der Heiligen”. Jener erste Blickfang war vom Martyrium der heiligen Agatha. Und da die Jugend radikal ist, vertiefte ich mich radikal in dieses Buch, das Gott mir so sachte zugeschoben hatte. Ich war gefangen, gefesselt.

Von diesem Tage an stand es in mir fest: nicht Techniker will ich werden, sondern Priester. “Priester Gottes!” – das war nun mein Geheimnis durch die ganze Jugendzeit. Wenn mein Freund – auch ein lustiger Student wie ich – zum Tanzen ging, habe ich lächelnd abgewehrt; wenn er bei Mädchen stehen blieb, ging ich stolz vorbei. Das “Excelsior-höher hinauf!” war mir wie eine Wollust geworden. Ja, Gott ist uns oft fühlbar nahe in der Seele.

Als nun wenige Jahre danach in unserem Dorf eine Volksmission stattfand, da wußte ich, daß ich ein Missionär werden solle. Der Pater, bei dem ich beichtete – es war ein Provinzial der Redemptoristen -, sagte glattweg zu mir: “Hiermit bist du bei uns aufgenommen! Bald wirst du mit dem Kreuz auf der Brust auf der Kanzel stehen.” Ich erschrak, denn das war schließlich mir doch zu schnell gegangen, denn so war meine Beichte doch nicht gemeint. Da Sankt Paulus sagt: “Prüfet alles, und das Beste behaltet!”, so habe ich dann auch bei den Steyler mich sachte erkundigt und auch hier gleich eine freundliche Einladung erhalten. Selbst die Jesuiten in Köln gaben mir einen liebevollen Wink zu kommen, denn ein Student mit der Primanermütze ist schließlich doch etwas Begehrenswertes. Was nun tun? Ich überließ jetzt alles dem Herrgott, der mich gerufen und mich nun auch weiterführen soll.

Eines Tages kam die Kunde: nächste Woche ist Primiz in unserrn Dorf! Alles wurde aufs festlichste hergerichtet. Auch ich mußte mithelfen und das Schild mit der Inschrift für einen der vier Triumphbögen malen. Da ich glaubte, der Primiziant sei ein Jesuit, ergrübelte ich die entsprechende Inschrift: “Salve, Sacerdos Jesu!” und malte die Buchstaben S. J. in recht großen goldenen Lettern. (Fünf Jahre später wollte man dieses Schild auch für meine eigene Primiz aufhängen – wie hätte es mich doch überrascht und gefreut! Aber man hielt es für zu sehr verblaßt und verstaubt.) Die Primiz war herrlich. An dem großen Kreuz auf der Brust des Missionärs und der langen Kette erkannte ich, daß es doch kein Jesuit sei. Mein Vater gab mir nun den Rat: “Junge, geh mal hin zum Primizianten und frage ihn, wer er sei und wo er wohne!” So ging ich hin. (Fortsetzung [olgt.)

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 34. Jg., H. 7/8, Januar-Februar 1960, S. 21-23 (1. Fortsetzung).

…und dann wurde ich

Missionär vom Kostbaren Blute

(1. Fortsetzung)

“Gehe zum Primizianten und frage ihn”, hatte mein Vater mir den Rat gegeben. So schlich ich durch den Wald, dreiviertel Stunden weit, zum Haus des Neupriesters. Es war mir ein unvergeßlicher Gang. Da hatte ich nun kein Interesse mehr am Nest des Buntspechts, das dort am Wegrand sonst stets mich lockte. Den Kopf tief in die Gedanken vergraben, bohrten meine Gedanken in eine unbestimmte Zukunft.

Endlich am Hause angelangt, trat ich entschlossen ein. Im oberen Zimmer traf ich den Primizianten. Das freundliche Lächeln verriet den glücklichen Priester. Noch freundlicher war sein Gruß. – Meine erste Begegnung mit einem Missionär C. PP. S. (Es war P. Paul, der heute schon in der Ewigkeit weilt.)

Gleich waren wir auch mitten in der Unterhaltung. Ohne Umschweife rückte ich heraus, was meines Begehrens wäre. “Herr Pater, ich hatte geglaubt, Sie seien Jesuit.” – “Wir sind Missionäre vom Kostbaren Blute, und unser Zeichen ist C. PP. S.” Ich bemühte mich, irgend eine Sinndeutung in diese scheinbar geheimnisvollen Lettern zu bringen. Doch schon wurde es mir gütigst erklärt: ·”Kongregation vom Kostbaren Blute.” – “Was, vom Kostbaren Blute?” … Und die Erinnerung an jene rot strahlende Hostie stieg in mir wieder auf, dieses liebe Geheimnis meiner Kinderjahre. (Heute weiß ich seine Deutung: es war nur der Widerschein des Ewigen Lichtes im Spiegelglas der Monstranz.) – “Wir sind gegründet von einem Römer, der vor hundert Jahren lebte. Und unsere erste Aufgabe ist die Volksmission. Mit dem großen Kreuz an der langen Kette steigen wir auf die Kanzel. Wollen Sie nicht auch gerne Missionär vom Kostbaren Blute werden?” – “Herr Pater, wo wohnen Sie? Bitte um Ihre Adresse.” – Und so hörte ich zum ersten Mal vom Städtchen Feldkirch in Österreich und vom Dörflein Schellenberg in Liechtenstein. “Gut, ich werde kommen, um es mir anzusehen.”

Fünf Monate später packte ich meinen Koffer zu meiner ersten großen Reise. Damals spürte man noch auf allen deutschen Bahnen die Nachwehen des verlorenen Krieges. Eine Fahrt ins Ausland war noch ein halbes Risiko. Mit dem Gebet der Eltern und mit dem frohen Winken meiner Schwester und meiner Brüder trat ich die lange Reise an.

Schnell gings über den Rhein, langsam durch die Schwarzwaldgegend.

Endlich, zu Mitternacht, kam ich in Konstanz an. Die wenigen Personen, die mit mir ausstiegen, hatten sich rasch verlaufen; ich nun allein in fremder Stadt.

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Da traten zwei Männer auf mich zu: “Wollen Sie übernachten? Kommen Sie mit!” und schon schnappte der eine meinen Koffer. Nun ging es weiß Gott wohin. Immer enger wurden die Gäßchen, immer dunkler der Weg. Sollte ich wirklich in eine Falle geraten sein? Sei auf der Hut! Hinter den beiden hertrottend, nahm ich für alle Fälle mein gezücktes Taschenmesser in die Faust. Doch endlich langten wir glücklich an irgendeinem Gasthaus an. Vor der Treppenlampe – endlich wieder ein Licht! – kroch mein Messer zurück in die Hosentasche. Rasch ging es ins Zimmer und in die Federn zum wohlverdienten Schlaf.

Doch nicht lange dauerte es, da pochte es kräftig an die Tür: “Aufmachen, Polizei!” Und schon starrten mich wieder zwei harte Gesichter an. Ach, und ich war doch nur ein harmloser Student, der den Weg zum Priestertum – suchen ging. Sie durchmusterten meine Papiere und waren bald wieder verschwunden. Ich war froh, als die Sonne endlich wieder kam, denn ich brauchte mich wahrlich nicht zu dem lichtscheuen Gesindel zu zählen.

Am Morgen schrieb ich dann meine ersten Grüße nach Hause: eine Postkarte mit dem “Konstanz liegt am Bodensee – wer’s nicht glaubt, geh’ hin und seh’!” Und weiter ging die große Fahrt.

Nun kam ich an die Grenze, wo die Heimat aufhört und die Fremde beginnt. Voll Stolz zeigte ich meinen neuen Paß vor. Aber, o weh, das sehr kurzfristige Visum war am Tage zuvor abgelaufen. “Eigentlich müßten Sie nach Hause fahren, um es dort verlängern zu lassen”, spielten die Finanzer mit mir. “Aber wir wollen es Ihnen hier schon geben”, beruhigten sie wieder. So wurde auch diese Hürde genommen. Der Schlagbaum öffnete sich, und nun betrat mein Fuß zum ersten Mal im Leben ein fremdes Land.

Osterreich! Nur vom Atlas her und aus meinen Schulbüchern hatte ich von dir gehört. Der dicke blaue Grenzstrich der Landkarte war mir wie ein breites Wasser, das man überschreiten müßte, um in deine neue Welt zu kommen. Andre Länder, andre Sitten. Eine neue Zukunft tat sich mir wirklich auf. Man war ja in Kriegszeit aufgewachsen, in jener Zeit, wo es sogar schwierig werden konnte, selbst ins Nachbardorf zu gehen. Und ich jetzt hier weit draußen im Ausland! Welch schaurig schönes Gefühl in damaliger Zeit!

Meine Reise ging weiter.

Per Schiff nach Bregenz. – Langsam legte der Raddampfer am Ufer an, der Landungssteg polterte herab, und nun gings – juchhe – stolz per Schiff über die blauen Wellen des Bodensees. Nichts wollte ich mir entgehen lassen, alles sehen, alles genießen. Zuerst stand ich am Bug, dann am Heck. Dann staunte ich hinab auf die blanken Kolben und das Triebwerk der Maschine. Am liebsten aber stand ich vorne, wo der Gischt schäumte und die Schiffsglocke hing, wo man am besten den Steuermann mit seinem großen Rad und mit seinem scharfen Blick sehen konnte. Hier vorne war die Brise so frisch und der Sturzflug der Möven so kühn. “Ahoi, wir fahren zur See!”

Als die Schiffsglocke läutete, und der Kapitän sein letztes Kommando durchs Sprachrohr hinabgegeben, waren wir in Bregenz. Eilig gings zum Bahnhof, denn der Zug wartete schon auf uns. Hinein und Abfahrt!

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Nun ging es, holterdiepolter (es waren ja auch hier noch die alten Kriegswagen) die Rheinebene Vorarlbergs hinauf, den mächtigen Alpen entgegen. Ich stand natürlich immer am Fenster und suchte, ob bald durch den feinen Dunst am Horizont die Zinken und Zacken der ewigen Berge Gottes aufflammen würden. –

Und nun waren sie da. Mächtig, wie der Allmächtige sie geschaffen, grüßten sie mich. Wie eine trutzige Hand, die zum Himmel zeigt oder zum Schwur erhoben ist, künden sie das nie endende Excelsior-Höher hinauf!

Und wie ich so dastand und das herrliche Panorama Gottes immer mehr bewunderte, da war mein Zug auch schon ins kleine, feine Städchen eingefahren. Feldkirch, mein Ziel, sei mir gegrüßt! Schnell noch einen Dank an Gott, den Koffer gepackt und hinaus! Jetzt bin ich endlich an meinem Ziel.

Als ich hinaustrat, rief mich jemand beim Namen. – Wie schön ists doch, so in der Fremde plötzlich ein Stück Heimat zu treffen! Er hatte auf mich gewartet, der Primiziant der Heimat, unser stets so freundlicher Pater Paulus.

“Grüß dich Gott! Sei herzlich willkommen!”

Und so begann meine zweite Heimat.

(Fortsetzung folgt)

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 34. Jg., H. 11/12, Mai-Juni 1960, S. 19f. (2. Fortsetzung).

… und dann wurde ich   (2. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Ich war also glücklich in Feldkirch angekommen.

Wie ich den Bahnhof verließ – meinen Koffer hatte P. Paul auf sein Rad geschwungen – durchwanderte ich nun an der Seite dieses Missionärs zum ersten Male dieses Studierstädtchen, das in der Geschichte unserer Deutschen Provinz wie eine große Eingangstür steht. ,

Natürlich war ich sehr interessiert an allen Schilderungen und Erklärungen meines priesterlichen Freundes. Er erzählte mir von der trutzig alten Schattenburg, dem Wahrzeichen Feldkirchs, vom dicken Katzenturm der ehemaligen Stadtmauer, in der heute die mächtigste Glocke Vorarlbergs hängt. Er sagte mir, Feldkirch sei eine Studentenstadt, in deren Schulen schon Tausende der männlichen und weiblichen Jugend ihre Ausbildung fanden. Hier sei auch eine kleine frischfröhliche Schar von Gymnasiasten, die sich vorgenommen haben, Missionäre vom Kostbaren Blute zu werden.

Nun bog der Weg noch um eine Ecke – man hörte schon das Rauschen der nahen III – und siehe da: wir standen vor dem Xaveriushaus.

Zum ersten Male sah ich nun jenes Haus, das gleichsam das erste Tor unserer Provinz ist. Auf dem Giebel der Vorderfront ist ein Bild mit zwei Hirschen an einer Wasserquelle. – Das Xaveriushaus war nämlich zuvor das “Gasthaus zum Hirschen” ,ehe P. Jussel es käuflich erworben hatte. Dann wurde es nach und nach innen umgebaut und im Herbst 1919 als Schülerheim C. PP. S. eröffnet. Unter den ersten sieben Schülern war auch ein recht lebhafter, namens Erich, der heute Generalvikar unserer Xingumission ist.

Meinen Koffer vom Rad genommen, den Mantel in Ordnung wieder fest zugeknöpft, schritten P. Paul und ich zur Tür. Die öffnete sich wie von selbst, denn dahinter hatte ein vorwitziges Bubengesicht gewartet. Dieser Willi, ein Factotum des Hauses, war ein Spätberufener, der die Leiter des Latein und der anderen Wissensfächer nach und nach noch zu erklimmen hoffte. Er hat es, wenn auch mit Mühe, erreicht und ist heute wohlbestallter Pfarrer in Osterreich.

Nun führte man uns hinauf in den Speisesaal, wo die langen Tische stehen. Ein fröhliches “Grüß Gott – herzlich willkommen!” kam aus freudigem Herzen von Präfekt und Studenten. Kaum, daß wir Platz genommen, da, rasselte auch schon der Küchenaufzug und gleich standen ein paar dampfende Schüsseln vor uns auf dem Tisch. Zwar verspürte man noch damals den ver lorenen Krieg selbst bis in den Suppenteller hinein. Doch Studentenfutter schmeckt immer gut. Ein fröhliches Geplauder über Reise und Speise, über Studium und Heimat war natürlich das am meisten gefragte. Mir war da jedes Gesicht neu und interessant, angefangen vom Präfekten P. Hermann bis zum damals noch so kleinen Otto Flück.

Zum Schluß erschien noch ein Herr, der mir etwas müde und abgekämpft vorkam. Die Bügelfalte seiner grauen Hose war schon längst “verblaßt” , aber um so mehr Freude zeigte sein braunes Gesicht. Es war der Instruktor des

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Hauses, Otto Jutz, der später als einer der ersten Xingumissionäre zu den Indianern zog und heute im Schatten der Palmen ruht. – Wie er sich zu uns setzte, erzählte er von seinem damaligen Tageserlebnis: er sei endlich nach vierstündigem, ermüdendem Marsch auf die drei Schwestern gekommen und beim Abmarsch habe er die linke Sohle verloren. Mir schien diese Sprache “auf die drei Schwestern kommen” doch ein komischer Dialekt Osterreichs zu sein. Erst am Abend erfuhr ich, daß diese drei Damen, auf die man kommen kann, nichts anderes sind als die große Alpenkette, “Die Drei Schwestern”, die die Grenze zwischen Osterreich und Liechtenstein bildet.

Das Leben im Xaveriushaus war so, wie es in jedem Studentenkonvikt üblich ist.

Morgens rief die Glocke – ach, wie so früh! – zum Aufstehen und zur heiligen Messe, dann zum Kaffee und schließlich zum Abmarsch ins Gymnasium. Mittags brachte man einen tüchtigen Hunger mit, der aber bald gestillt wurde.

Natürlich war das Zentrum des Hauses, außer Speise- und Studiensaal, vor allem die Kapelle. P. Jussel hatte dafür gesorgt, daß sie ein Schmuckkästchen sei. Dort sollten seine Studenten als Missionäre ausgeweiht, von dort aus sollte der Segen auf die ganze Provinz ausströmen. Darum haben wir hier alle auch das Rosenkränzlein vom Kostbaren Blute und die “Sieben Aufopferungen“  gebetet. Am Abend bei der Andacht marschierten die einen als des Herrgotts stramme Ministranten zum Altar und die andern ließen mit der Weihrauchwolke ihre Melodien zum Himmel steigen. Wir waren zwar nicht gerade “die zweite Garnitur der Wiener Sängerknaben “, aber immerhin … man hat uns gerne gehört.

Jeden Sonntag sind wir nach Liechtenstein auf den Schellenberg marschiert, weil wir dort den Kirchenchor stellten. Dieser Marsch – sechs bis sieben Kilometer – wurde Sommer wie Winter ausgeführt, im stärksten Regen, im tiefsten Schnee. Darum gaben uns die Leute den Namen “Spartaner”. Wir waren immer gesund und studierten drauflos mit frischem Mut.

Natürlich betrieben wir auch gehörig Sport, im Sommer Fußball, im Winter Rodeln. Gurtis und Fellengatter, Mariaschnee und Frastanz haben unsere Schneewolken gesehen, wenn wir xaverianisches Rudel beim Rodeln unsere Olympia austrugen. – Und die Sommer waren nicht minder schön. Denn diese Maiausflüge, manchmal per Omnibus, zum Bodensee oder in die Berge, waren die herrlichen Feiertage in unserem büffelnden Studentenleben. – So hatte jeder Tag sein eigenes Wohl und Weh.

Wenn der Abend kam, und jeder von uns In Stillschweigen in sein warmes Bettchen stieg, mochte vielleicht doch der eine oder andere aus Heimweh verstohlene Tränen vergossen haben. – Die ersten Tage fern der Heimat sind halt immer die schwersten. – Doch gar rasch hat die Pflicht des täglichen Studiums und das Frohsein aller Kameraden jedes Heimweh schnell hinweggewischt. Wir waren ja schließlich jetzt schon alle Brüder und vom gleichen Gedanken beseelt, wir strebten alle dem gleichen Ziele zu: ein würdiger Missionär vom Kostbaren Blute zu werden. Das tröstete alle.

Und Gott hat uns immer geholfen.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. ½, Juli-August 1960, S. 19f. (3. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                 (3. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Der Chef des Xaveriushauses war H. P. Gregor Martin Jussel, der Gründer der Deutschen Provinz, der sich damals noch Superior nannte. Die Studenten hatten ihm aber noch einen eigenen Titel zuerkannt: sie nannten ihn »Deddi”, ein Vorarlberger Ausdruck, der „Vater” bedeutet. Er war auch wirklich ein Vater, er war stolz auf seine vielen Buben. Geld hatte er fast nie in Händen, aber um so mehr viele Schulden. Mich wunderte es immer, daß er dennoch so herzhaft lachen und so ruhig schlafen konnte: Der gesegnete Appetit so vieler Jungens greift schließlich doch tief in die Geldbörse. Zwar waren die Mahlzeiten den damaligen Zeiten entsprechend einfach: oft Rübel, dieses Vorarlberger Nationalgericht (aus Mais gekocht), so daß P. Paulus zum Nikolaustag als Parodie zum Liedertext dichten konnte:

Die Lonie steht am Ofenrohr

und die Frau Lins davor,

sie seufzen sich ins Ohr:

„Ist das jetzt eine böse Zeit – was soll man kochen heut?

Nur eine Möglichkeit:

Nur immer Rübel – so n’ ganzen Kübel,

da wird man dick und fett,

daß kracht das ganze Bett!”

Daß die Jungens diesen Refrain mit Begeisterung sangen, läßt sich leicht denken.

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Aber wenn Gott mal wieder unserem Deddi ein hübsches Sümmchen Geld zukommen ließ – selbst aus Amerika von seinen früheren Freunden -, so hat er es gleich zur Vergrößerung des Hauses und zum Aufbau der Provinz verwendet. So ist es nicht zu verwundern, daß oft, besonders in den Ferien, im Xaveriushaus die Sprengschüsse krachten, um aus dem Felsen hinter dem Haus Platz zur Erweiterung des Heimes zu gewinnen. Wenn es also wieder knallte und die Steine flogen – so manche Scheibe und Dachziegel vom benachbarten Gasthaus hat unser Deddi zahlen müssen -, dann wußten die Feldkircher: P. Jussel vom Xaveriushaus hat wieder Geld bekommen, das nun gleich rasch “verpulvert” wird. Wenn dann die Studenten mit Schulbeginn wieder eintrafen und die umgebauten und neugewonnenen Räume erblickten, dann strahlten die Buben und es strahlte der Deddi.

Zwar hat er immer leidenschaftlich gern Häuser gekauft oder neu gebaut; er sah darin das Entstehen und Wachsen seiner Provinz. – In welch fröhlicher Stimmung war er, als er zum Beispiel nahe bei Feldkirch den Gutshof St. Corneli erwerben konnte. Selbst die Studenten halfen da gerne mit als Handlanger, um das Haus würdig herzurichten. Dann kamen ein paar flotte Pferdchen in den Stall, die dann jeden Morgen die frische Milch ins Xaveriushaus hinabbrachten. – Am Sonntagnachmittag wallfahrteten die Xaverianer selber hinauf nach Corneli, um zuerst eine würdige Andacht im dortigen alten Kirchlein zu halten. Dann ging es gleich zum Fußball in den Wald neben der Burgruine. Der Schluß war eine wohlverdiente Jause mit Knackwürsten und Limonade. – Corneli blieb der angenehme Ruhepunkt im angestrengten Leben der Studenten.

Neben dem Kirchlein steht eine uralte Eibe, die über tausend Jahre gesehen haben soll. Doch diese Eibe rauschte nicht nur zu unseren fröhlichen Stunden des jungen Lebens, sie rauschte auch zu dem ersten Toten, den wir dort begruben. Das kam so:

Eines Tages erhielten wir Besuch. Ein junger und leider doch so kranker Mann war zu uns eingekehrt. Es war ein Amerikaner, ein Pater C. PP. S. aus der Amerikanischen Provinz. In Rom, wo er sich eben das Doktorat erworben hatte, wurde er schwer krank. Nun kam er aus dem heißen Süden zu uns herauf in der Hoffnung auf Genesung. Hing er doch so sehr an seinem Priestertum und an seiner lieben Kongregation C. PP. S. Was hatte er doch noch für große Zukunftspläne erdacht für sein weites Amerika! Nun kam er zu uns. Im oberen großen Zimmer, im Bischofszimmer, legte er sich zu Bett, und kurze Zeit darauf trugen wir ihn nach Corneli, um ihn, den Mitbruder P. Lejeune, im Schatten der 1000jährigen Eibe zu begraben. So fern der weiten Heimat – so nah dem weiten Himmel! – P. Paul hat ihm die Totenpredigt gehalten.

Dort neben der mächtigen stillen Eibe hatte auch P. Gregor Jussel – wie er des öftern zu uns sich äußerte – sein zukünftiges Ruheplätzchen sich ausgesucht. Dort in St. Corneli hoffte er sich ewig auszuruhen von seinem großen Werk.

Doch es sollte anders kommen.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., September-Oktober 1960, S. 8-10 (4. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                               (4. Fortsetzung)

MISSI0NÄR vom Kostbaren Blute

Wer Priester werden will, muß die steilen Höhen eines langen Studiums erklimmen. Der erste Ruhepunkt auf dieser Wanderung ist das Abitur, in Österreich Matura (Reife) genannt. Wohl keine Prüfung löst eine solche befreiende Erlösung aus wie die Reifeprüfung am Schlusse der Gymnasialzeit. Aus den Halbschwachen fühlt man sich plötzlich zu den Ganzstarken versetzt. Die Welt steht nun offen.

Diese frohe Entspannung tut sich nun in den verschiedensten Studentenstreichen kund, aus denen man sogar die zukünftige Laufbahn des Studiosus einigermaßen vermuten kann. Zur Zeit der Maturaprüfung hatte von jeher die Polizei in Feldkirch immer viel zu tun. Ausgehängte und dann kunstvoll aufgehängte Fensterläden, ebenso Türklinken mit Schwachstrom und andere Einfälle deuten auf den Erfindungsgeist eines werdenden Ingenieurs hin. Die Preisschilder der Feldkircher Kaufleute zeigten über Nacht einen Preissturz, wie er noch nie dagewesen: die kluge Hand des zukünftigen Ökonomierates hat die Kommas um eine Stelle verschoben. – Nächtliche Liederklänge ohne Sperrstunde sind die Gesetzesübertretung des nun angehenden Juristen. – Die alten Blechdeckel am Hundeschweif mögen die Tat des heute so tüchtigen Veterinärs gewesen sein. – Wer die Hebamme damals in tiefer Nacht justament zum Lateinprofessor gerufen, konnte kein anderer als der Mediziner sein,

Und wie sollte nun ich, der beginnende Theologe, meinen Übermut der Freude kundtun? War ich doch noch obendrein der erste Maturant des Xaveriushauses, der erste der Deutschen Provinz, der die lange Reihe der nun kommenden eröffnete! Sollte ich ein mächtiges nächtliches Glockengeläut anstimmen? Schade – alle Glockentürme und -türmchen der Stadt waren fest verschlossen. So mußte ich warten, bis der Morgen kam. Aber dann hinauf auf die Orgel, um mit allen Registern, Posaunen und Mixturen, mit Händen und mit Füßen der so wild gewordenen Freude freien Lauf zu lassen! (Schade nur, daß man von solch spontanen Ergüssen der so ehrlichen Freude damals noch keine Tonbandaufnahmen machen konnte. Welch liebe Erinnerung wäre es mir heute!) Das waren herrliche Tage!

Doch schließlich: Jede Blume verblüht und jede Hitze verglüht.

So kommen auch für den Studenten nach getaner Arbeit die ruhigen Tage des stillen Ausruhens. Es sind jene Wochen, die zwischen Abitur und Beginn des Hochschulstudiums liegen, die sogenannten “Mulitage” (Mauleseltage).

Ich wanderte nach Liechtenstein, nach Schellenberg.

Dort waren damals noch jene vier Patres, die heute schon alle in der Ewigkeit sind: P. Jussel als Pfarrer, P. Paul Ahr als Prediger, P. Jakob Pülicher als Aushilfspriester und P. Karl Schilter als Spiritual des Klosters. Jeder von

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<Bild Missionshospiz Schellenberg>

ihnen verkörperte ein Temperament. P. Karl konnte so sprudelnd-flüssig reden, daß man Mühe hatte, ihn zu verstehen, besonders noch in seinem Schweizerdütsch. Er war von einer solchen Pünktlichkeit, daß die Schellenberger Bauern ihre Uhren nach ihm richten konnten, wenn er täglich zum Mittagsspaziergang an ihren Häusern vorbeimarschierte. – P. Jakob neigte mehr zum melancholischen Temperament. Und dennoch war er gerne zu jedem Witz aufgelegt. Der erste Talar, den ich an ihm sah – weiß Gott, wo er ihn her hatte -, war sicherlich einer schlankeren Gestalt angemessen worden. P. Jakob, früher Beamter an einer deutschen Botschaft, hatte aber in seiner würdigen Fülle barocke Formen. Doch unser Jakobus war immer zufrieden und stolz mit seinem Priesterkleide. – P. Paul war der Prediger vor dem Herrn und zudem ein fröhlicher Kamerad und Gesellschafter. Wenn er den ganzen Vormittag in seinen Büchern studierte, qualmte dabei seine lange Pfeife mit seinem Eigenbautabak, der ihm, weiß Gott, vielleicht zu früh das Grab geschaufelt. So schrieb er nach und nach seine vielen Predigten. Der Nachmittag war mehr der Erholung gewidmet.

P. Paulus fühlte sich mit Stolz als “alter Kämpfer” des ersten Weltkrieges, wobei er dennoch keinen einzigen Schuß abgefeuert hatte. Wie gerne sang er seine alten Soldatenlieder, besonders das Lied: “Argonnerwald um Mitternacht, ein Pionier steht auf der Wacht.” Eines Tages machte er einen alten Schießprügel irgendwo ausfindig. Mit diesem zogen wir nun in den Wald mit dem wonnigen Gefühl eines Weidmannes. Wir wollten uns an alles heranpirschen, was da kreucht und fleucht. Doch es war wenig, sehr wenig! Doch einmal entdeckten wir ein Eichkätzchen. Wir schlichen sachte heran. Paulus zielte und zielte – und dann sprang das Kätzlein ruhig weiter. Wie um sich

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zu entschuldigen, sagte er dann zu mir: “Die Schellenberger hätten vielleicht mein Knallen gehört … Es ist besser, wir gehen.” So blieb unser täglicher Gang nur ein seliges Gefühl des Pirschens.

Aber einmal hat unser Paulus doch losgedrückt. Und das kam so:

Vom oberen Gangfenster unseres Hauses entdeckte er in den Tannen gegenüber am Abhang eine Menge von lärmenden Raben. Schnell nahm er seine rostige Flinte, aber leider, seine einzige Patrone war wieder ohne Pulver. Nur eine leere Hülse war zur Hand. Eilig stopfte er sie voll Pulver, voll bis obenhin – das Stopfen war ja seine Lieblingsbeschäftigung von seiner Pfeife her. Dann legte er an, “Und weil die Raben immer noch lärmten, drückte er wirklich los. Ein Krach wie von einer Kanone donnerte durchs ganze Pfarrhaus: die Patrone war zu stark geladen. Unten im Haus gingen die Türen auf; aus der einen kam die besorgte Kreszenz, aus der anderen die vorwitzige Marie. (Beide waren die Cousinen von P. Jussel.) Da sie nichts weiter entdecken konnten, zogen sie beruhigt ab. Ob von den Tannen etwas heruntergefallen ist, weiß man nicht, denn auch unserem Paulus war der übermäßige Knall durch Mark und Bein gefahren. Seit dieser Zeit, seit diesem einmaligen Schuß blieb die alte Donnerbüchse verschollen und ward nie mehr gesehen.           .

Um so mehr kam jetzt das Ausarbeiten der neuen Predigten an die Reihe. So war das Tagewerk neben den Religionsstunden in der Schule mit heiliger Arbeit ausgefüllt. Wenn dann nach Sonnenuntergang vom nahen Kloster her die Glocken läuteten, ging man hinüber zur kurzen Andacht und zum Segen. Danach waren wir zu gemütlicher Unterhaltung in der Wohnstube gemeinsam versammelt. Wenn dann P. Paul mich aufforderte: “Adal, geh’ ans Klavier!”, dann sangen wir nicht nur die so lustigen Lieder “In dem schönen Land Chinesien” und ,,0 Isabella, bella Margerita”, sondern auch in mehrstimmigem Satz das ewig schöne Lied “Die Uhr”.

Ich glaube, an jenen Abenden gab es im ganzen Ländchen keine glücklicheren Menschen als wir fröhliche Gotteskinder auf dem Schellenberg.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1960, S. 19-22 (5. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                                   (5. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Wohl jeder Priesteramtskandidat wartet mit heiliger Ungeduld auf den Tag seiner Einkleidung, da er das Kleid des katholischen Priesters für immer anlegen darf.

Diese glückliche Stunde hat auch mir geschlagen; es war am Tage, da der gute alte P. Jakobus seine Primiz feierte, die erste Primiz im Xaveriushaus. Wir beide hatten darum unseren großen Festtag. Einkleidung und Primiz gehören eigentlich zusammen: sie sind wie ein Anfang und sein Ende, wie der Beginn und die Vollendung zum Priestertum,

Das priesterliche Kleid, der Talar, war mir, neben der Stola, immer der Inbegriff des außerordentlich Schönen und Begehrenswerten. Seit frühester Jugend wartete ich darauf. Und nun kam eines Tages eine geschickte Hand und verfertigte mir mein erstes Priesterkleid. Die Freude darüber hat mich bis in  die Träume hinein verfolgt.

So trat ich nun an jenem Tage an die Stufen des Altars, noch bevor das Primizamt begann. Nun segnete P. Superior Jussel – damals wurde er noch Superior genannt – Talar und Gingulum und überreichte sie mir mit den Worten: “Nimm hin das geweihte Kleid und trage es würdig, damit du einst zu den Auserwählten Gottes eingereiht werdest.” Dann nahm er mir noch das Versprechen der Treue zur Kongregation ab. So war ich ein anderer Mensch geworden und mit keinem in der Welt hätte ich getauscht. Das Tedeum laudamus, das dann alle sangen, war die Grundstimmung meiner Seele.

Nun war ich Mitglied der Kongregation und malte mit ganzer Bedächtigkeit die Buchstaben C. PP. S. hinter meinen Namen. Ich glaube, es war ein Brief in die Heimat, auf dem zum ersten Male diese Zeichen prangten. Nicht minder froh war P. Gregory Jussel auf den neuen Zuwachs seiner werdenden Provinz: wieder ein Priester und wieder ein Theologe für seine kleine Schar des Anfangs. – An den Werktagen der Sorgen hatte P. Gregory immer einen hinkenden Gang. Sein linker Fuß war nämlich seit vielen Jahren durch irgendeinen Unfall ein wenig verkürzt. Aber an diesen Festtagen hat die Freude ihm den Fuß so sehr beflüge1t, daß alles Hinken plötzlich verschwunden war.

Nun begann für mich auch ein neues Studium, die Wissenschaft der Hochschule; ich sollte zur “Alma mater”, zur Universität nach Innsbruck reisen. So packte ich meinen kleinen Koffer, sagte allen ein freudiges Ade und bestieg den Arlbergexpreß.

Meine Gedanken flogen einer schönen Zukunft entgegen. Es war meine erste

und unvergeßliche Fahrt den Arlberg hinauf und hinab ins Tirol, Ich stand am offenen Fenster und trank die stets wechselnden Bilder des wuchtigen Panoramas in meine Seele hinein. – Schon als Junge war das offene Fenster der Eisenbahn für mich das herrlichste Kino. Und nun erst hier diese Alpenwelt!

Zuerst gings wie im Anlauf durch die sanft ansteigende Ebene bis Bludenz.

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Dann tauchten die beiden Loks – damals noch idyllischer Dampfbetrieb – den Bergen entgegen: ratternd über kleinere Brücken, dann kriechend unter den Lawinenschutzdächern hindurch. Wie oft sah ich hinab in schwindlige Tiefen, die immer tiefer wurden und hinauf in schwindelnde Höhen, denen wir entgegenjagten. Dann wieder verschwand der große Regenwurm in den Löchern . der Felswände, um nach wenigen Sekunden wieder einen neuen Blick auf Zinken und Zacken zu eröffnen. – Und dann kam der lange Tunnel durch den Arlberg, so lang, daß man einen ganzen Rosenkranz beten konnte. In der tiefen Dunkelheit blitzte alle hundert Meter eine Lampe vorbei, als ob sie den Rhythmus der Ave angeben müßte. – Als es dann wieder sonnenhell wurde, waren wir in Tirol.

Tirol – das Wort mit den klingenden Buchstaben, wie geschaffen, um das Echo der Felswände zu wecken. “Tirol” war schon in meiner Kindheit das Phantasiewort fremder, schöner Länder. Wie gerne sangen wir doch seine Lieder: “Zillertal, du bist mei Freud …”, “Die Tiroler sind lustig …“, “Tirol, du bist mein Heimatland … “. Ohne die sangesfreudigen Zillertaler wäre wohl auch das “Stille Nacht, heilige Nacht” in seinem Dörflein steckengeblieben. – Mein Vater hatte mir von einem Andreas Hofer erzählt, dessen Lied wir Buben schmetterten, und meine Mutter von einem Dacherl, das ganz aus Gold wäre. Das “alles klang so he1denkühn und märchenhaft schön. – Jetzt war ich in diesem Land, dem heiligen Land Tirol.

Der Zug raste mit doppelter Geschwindigkeit über seinen eisernen Weg, es ging ja hergab. Das Andante der Räder war zu einem Prestissimo geworden. Nur als es über die unglaublich hohe Trisannabrücke ging (die Trisanna vereinigt sich mit der Rosanna zur Sanna), zog der Lokführer seine Bremsen noch starker an; denn ein Sprurng in diese Tiefe wäre doch zu gewagt gewesen. – Als wir dann an der Martinswand vorbeifuhren, suchte ieh die be-

< Bild> Grotte in der Martinswand.

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<Bild Das Goldene Dachl in Innsbruck>

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<Bild Andreas Hofer>

rühmte Höhle mit ihrem verwitterten Kreuz zu entdecken, wo weiland Kaiser Maximilian durch den Segen mit dem Allerheiligsten gerettet worden sein soll. -Und jetzt kamen in der Feme die Türme und Giebel der alten Hauptstadt am Inn. Noch eine kurze Geduld, und wir waren in Innsbruck. Ich sprach noch ein “Gott walte es!” und stieg aus.

Das neue Leben konnte beginnen.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. 9/10, März-April 1961, S. 19-21 (6. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                           (6. Fortsetzung)

MISSI0NÄR vom Kostbaren Blute

Nun war ich in der Hauptstadt Tirols, “im schönen Innsbruck am grünen Inn”, der Stadt der Wissenschaft, der Stätte der Priesterbildung.

Da jeder Studiosus zu Beginn seines ersten Semesters genügend Zeit hat, seine Musenstadt kennenzulernen, konnte auch ich mich nun diesem “akademischen Gesetze” hingehen. Innsbruck bietet ja genügend an Wissenswertem. Natürlich begann ich mit den Kirchen, den großen und den kleinen.

Die Stadtpfarrkirche St. Jakob (1717-22) gilt als die bedeutendste Kirche des Barock in Nordtirol. Ihr Muttergottesbild von L. Cranach ist zum Urbild der Tiroler Madonnen geworden. – Vor den Toren Innsbrucks, bei der Abzweigung der großen Heeresstraße der alten Römer, errichteten die Legionen des Kaisers das Soldatenlager Veldidena. Dort entstand nun Wilten, das weitbekannte Prämonstratenserstift.

Unvergeßlich bleibt mir aber mein erster Besuch der Hofkirche, vom Volk “Schwarz-Mander-Kirche” geheißen,

Es war an einem Sonntagmorgen. Ich entdeckte die Portale eines Gotteshauses. Wie ich eintrat, stand ich plötzlich vor einer Galerie großer, dunkler Bronzegestalten. Von einem Altar war nichts zu sehen. Dafür stand inmitten des Raumes, von einer Volksmasse dicht ausgefüllt, ein großes Monument mit kunstvollen Figuren. Statt in eine Kirche, sah ich mich in ein Museum hineinversetzt. Als aber ein mächtiges Blasorchester einsetzte, vermutete ich, in einen Konzertsaal geraten zu sein, bis endlich ein fernes “Ite missa est” wieder ein Gotteshaus entstehen ließ. Also doch eine Kirche, und zwar die Hofkirche! Das Pontifikalamt war zu Ehren der hier ruhenden Landeshelden so festlich begangen worden.

Innsbruck ist ohne seine Hofkirche undenkbar. Sie hat große Geschichte. In ihr trat 1655 die Tochter Gustav Adolfs zum Katholizismus über, eine Tatsache, die besonders auch heute wieder eine sehr aktuelle Frage aufwirft. (Das Interesse verpflichtet mich, jener berühmten Frau, die selbst im Petersdom ein schlichtes Denkmal erhalten hat, einen eigenen Artikel zu widmen.) – Die Hofkirche birgt jene erzenen Standbilder kaiserlicher Ahnen, die vor 450 Jahren Kaiser Maximilian I. hat gießen lassen. Hier hat auch er sein Grabmal gefunden, das wohl als das größte deutsche Kaisergrab gilt.

Was Innsbruck außer seinen Kirchen so bekannt gemacht, ist vor allem seine weitgerühmte Hauptstraße, die Maria-Theresien-Straße. Sie gilt als eine der schönsten Europas. – Wie freute ich mich, als ich inmitten dieser Weltstraße das schöne Denkmal der Muttergottes sah, hoch oben auf der Annasäule.

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<Bild Innsbruck, Marla-Theresien-Straße>

Wo die Altstadt beginnt, beginnen auch jene hohen, oft bunt bemalten Häuser mit ihren graziösen, durch sämtliche Stockwerke laufenden Erker, mit den Spaletten, diese für Innsbruck. charakteristischen Fensterläden, mit den mittelalterlichen Aushängeschildern und Wappen über den Laubengängen, die schließlich zum Goldenen Dachl hinabführen.

Das ganze Bild dieser Weltstraße wird von den Schrofen der Nordkette des Karwendelgebirges überragt und abgeschlossen, Die Geschichte des Goldenen Dachls ist bald berichtet: Man erzählt, der Herzog Friedrich mit der leeren Tasche hätte dieses Dachl ganz aus Gold herstellen lassen, um zu zeigen, daß seine Taschen doch nicht so leer seien. In Wirklichkeit aber stammt dieses Kunstwerk von Kaiser Maximilian I., der um 1500 anläßlich seiner Hochzeit mit Blanca von Sforza es als Zuschauerloge hat erbauen lassen.

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<Bild Bronzestatuen in der Hofkirche>

Kaiser Maximilian, wie überhaupt die damalige Zeit, hatte noch Muße für beschauliche Schönheit und ruhige Feinarbeit. Sie schufen Werke, die auch Jahrhunderte bewundern.

Diese guten alten Zeiten der höfischen Romantik sind heute verschwunden. Uns ist übrig geblieben nur die Geschichte und das Andenken an jene Zeiten, die so gern die goldenen genannt werden.

Es gibt also wirklich ein “schönes Innsbruck am grünen Inn”.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 35. Jg., H. 11/12, Mai-Juni 1961, S. 18-21 (7. Fortsetzung).

<Bild Theologenkonvikt „Canisianum” in lnnsbruck>

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… und dann wurde ich                                    (7, Fortsetzung)

MISSI0NÄR vom Kostbaren Blute

Das Studium des werdenden Priesters ist – objektiv betrachtet – das schönste Studium, das es überhaupt geben kann. Die anderen Wissenschaften greifen zu Irdischem, die Theologie aber zum Höchsten.

Damit der Theologe seinen Beruf nicht verliere, zieht er sich zwischen die stillen Wände eines Seminars zurück. Hier ist seine Klause, seine Heimat, doch auch sein Kampffeld für hartes Mühen.

Das Canisianum in Innsbruck, in dem ich nun wohnte, hat eine internationale “Belegschaft” aus aller Herren Ländern: gemütliche Bayern und kernige Norddeutsche, sangesfröhliche Osterreicher, ernste Schweizer und lebhafte Ungarn. Selbst Japan hat seine katholischen Studenten gesandt. (Eine der ersten Fragen, die wir an die Söhne Nippons stellten, war die, wie in Japan die Hähne krähen. “Kokoriko!” war ihre Antwort.) Am interessantesten aber war das große Rudel der Amerikaner. Ihr Geheul in der Freizeit konnte man fast bis zum obersten Stock hinauf hören. “Der Urwald brüllt, die Indianer kommen”, war unser knappes Urteil. Und dies alles im Spiel mit ihrem kleinen Kinderball, den sie nun schon jahrelang an die Wand werfen und zurückschlagen. – In den meisten Amerikanern steckt noch viele unschuldige Kindlichkeit.

Doch von all diesen Hunderten von Theologen und Priestern, die ich hier kennenlernte, habe ich am meisten einen aus Sachsen geschätzt – ein idealer Priester. Mit welcher Begeisterung konnte er erzählen, daß soundso viele Ewige Lichter in seiner protestantischen Heimat wieder neu entzündet werden konnten. Mit welch sichtlicher Freude sprach er von den strammen Katholiken mitten in religiös kalten Gegenden. Und dieser ideale Priester war kein anderer als der Kronprinz Georg von Sachsen. Stets ein freundlicher, zuvorkommender Mensch, der Auge und Herz vor allem für die stillen und kleinen Leute hatte! – Nur einmal sah ich ihn sehr ernst, als nämlich ein Theologe aus Papier eine Bischofsmitra faltete und sie ihm unbemerkt auf den Kopf setzen wollte. – Ein Jahr später traf ich ihn noch einmal in Feldkirch, und 10 Jahre darauf ist er heimgekehrt zum Ewigen Hohenpriester.

Die Zeit des theologischen Studiums ist eine schöne Zeit, wenn man auch, mit heiliger Ungeduld auf die Weihen wartet, die zum Priestertum hinaufführen.

Die erste Weihestufe ist die Tonsur, bei der der Bischof dem Kandidaten an fünf Stellen des Hauptes einige Haare abschneidet. Bischof Waitz war es jedoch gewohnt, dem Lockenschopf des jungen Mannes gehörig in die Wolle zu geraten.

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Durch die Tonsur wird man in den Klerikerstand aufgenommen und hat dadurch Anteil an dessen Privilegien.

Die Tage des Studiums fliegen dahin, besonders wenn sie randvoll ausgefüllt sind von Vorlesungen der verschiedensten Disziplinen. Und was muß man heute nicht alles lernen, um Gott und seine Kirche verteidigen zu können! Die Philosophie der alten und der neuen Denker, die Kosmologie und Psychologie, die Logik und Ethik. Und dann erst das weite Fachgebiet der Theologie! In der Kirchengeschichte lernt man das Auf und Ab des

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Schiffleins Petri im Meer der zwei Jahrtausende. Durch das Kirchenrecht wird das friedliche Leben in diesem Schifflein genau geregelt. Es werden die alten Sprachen studiert, die zur Zeit Christi gesprochen wurden, damit man das Wort Gottes in seinem Urtext verstehen und schätzenlerne. Die Moral steigt in die Niederungen menschlicher Unzulänglichkeiten hinab, um dort zu helfen und zu lenken, während die Dogmatik sich hinaufwendet, um das Göttliche zu verstehen und zu erklären. Wenn nun das Studium der Liturgie beginnt, weiß man, daß die Tage der Priesterweihe nicht mehr ferne sind.

Nicht zuletzt wird auch der junge Redner sich für sein Predigtamt zu schulen trachten, denn auch hier heißt es: früh übt sich, was ein Meister werden möchte, besonders aber, wer ein Volksmissionär werden will.

Im Seminar hatte ein kleiner Kreis von Theologen unter sich einen Predigerzirkel eingerichtet, in dem man mit jugendlicher Begeisterung sich gegenseitig anpredigen konnte. Als nun auch ich hier zu Worte kommen sollte, verschaffte ich mir eine Predigt, die seinerzeit P. Paul bei einer Erstkommunionfeier in Liechtenstein gehalten und dort großen Widerhall gefunden hatte. Die lernte ich nun auswendig, stieg dann auf die kleine Kanzel inmitten dieser jugendlichen Kritiker und Kritikaster und ließ voller Begeisterung meine erste Predigt herunter. Und der Erfolg: sie haben mich ausgelacht, regelrecht ausgelacht, und auch ich mußte schließlich mitlachen. So ergeht es uns leider manchmal, da im Lehen die Extreme oft so nahe beisammen wohnen.

Natürlich ließ ich mich nicht entmutigen, sondern machte mich nun daran, die große, für die Öffentlichkeit bestimmte Predigt auszuarbeiten. Jeder Seminarist mußte nämlich im Speisesaal vor allen hundert Zuhörern während des Essens eine Predigt halten. Daher erhielt sie den Namen “Kartoffelpredigt”. Hier nun bemühte sich jeder Redner, sein Bestes zu geben und aus dem Innersten seiner Überzeugung zu sprechen. Was Wunder, wenn ich als C. PP. S.-Theologe mein Thema formulierte: “Liebe und Sühne ist am höchsten im Kostbaren Blute zu finden.” Diese Idee war für mich riskant, da ja gerade hier im Canisianum die Verehrung des Herzens Jesu als der Inbegriff von Liebe und Sühne galt. Und nun will ich, ein jugendlicher Anfänger, mich erkühnen, das Kostbare Blut noch höher zu stellen! – Und der Erfolg: schon wieder hatte ich bei dieser kritischen Jugend in ein Wespennest gestochen. Selbst mit Ketzern und Irrlehrern wollten sie mich vergleichen. (Natürlich war ihr Urteilen nie böse gemeint, sondern immer in kameradschaftlichem Wohlwollen.)

Am nächsten Tag aber sagte der Professor der Homiletik (Predigtkunde) vor allen Hörern in seiner Vorlesung: “Gestern mittag hörte ich eine Predigt über das Kostbare Blut. Sie hat mir recht gefallen, der junge Prediger hat es gut gemacht. Ich gratuliere ihm!”

Nun war mein Mut noch größer geworden. Ich dankte Gott.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 36. Jg., H. ¾, September-Oktober 1961, S. 21-24 (8. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                                      (8. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Die erste Predigt meines Lebens – die ich, wie schon berichtet, im Theologenkonvikt zu Innsbruck gehalten – konnte keine andere sein als eine über das Kostbare Blut.

Nun habe ich in einem alten Koffer, der schon jahrzehntelang geruhsam unter dem Dachboden schläft, das Konzept dieser Erstlingspredigt wiedergefunden. Die Blätter fangen schon an zu vergilben, doch der Inhalt ist mir um so lieber geworden. Denn jeder Priester hat seine ersten “Liebesbriefe an Gott”, die er sorglich aufbewahrt.

Hier nun die erste Predigt, gehalten zu Innsbruck vor 37 Jahren:

.Parce, Domine – Schone, o Herr, schone Deines Volkes, das Du mit Deinem Kostbaren Blute erlöst hast!”

Meine lieben Christen!

Laßt uns heute die Erhabenheit des Kostbaren Blutes betrachten, um uns zu einer immer größeren Verehrung desselben zu entschließen.

Meine Predigt gliedert sich in folgende Gedanken:

1. Das Kostbare Blut ist Ziel und Mittel des Erlösers.

2: Seine Vergießung hat dem Erlöser die größten Opfer gekostet.

3. Alle Früchte unseres Heiles kommen aus dem Kostbaren Blut.

Meine lieben Christen!

Große Männer haben stets ein Hauptziel vor Augen und dieses Ziel verfolgen sie überall, denn es ist ihr Hauptzweck, ihre Lebensaufgabe.

Dem einen schwebt eine hohe Staatsidee vor, der andere träumt von den· Luftschlössern eines herrlichen Schauspiels, das seinem Namen ein ewiges Denkmal setzen soll. Der eine verfolgt eine einzige geniale Erfindung, der andere wieder findet seine Lebensaufgabe in der Eroberung der Heidenwelt für Jesus Christus, seinen Herrn.

Doch welches ist die Lebensaufgabe des Größten aller Großen? Welches Ziel ließ den Besten aller Guten Tag und Nacht unermüdlich sein? – Ach, es war die Tat, die er so treffend auszudrücken wußte in seinem Gleichnis vom verlorenen Sohne: die Wiedererlösung, der Menschheit durch die Vergießung seines Kostbaren Blutes. Das war der Plan der göttlichen Weisheit vom Anbeginn der Ewigkeiten her gefaßt. Die Erlösung durchs Kostbare Blut, das war der Emanuelsruf der Völker seit ihrem Sündenfalle. Doch die leichte Menschheit hat es vergessen, daß die Vergießung des Kostbaren Blutes der höchste Zweck der Menschwerdung Gottes war. – Was also dem ewigen Gott als das Wichtigste erschien, das darf dem Menschen nicht als Nebensache erscheinen.

Zweitens: Aber auch noch von einer anderen Seite her ist das Kostbare Blut der verehrungswürdigste Gegenstand unserer Andacht. Nicht allein der tiefste Plan der Dreieinigkeit ist die Erlösung, sondern sie forderte auch die größten Opfer von Gottes Sohn.

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Wer mißt den Kummer, den er durchgemacht von der fröhlichen Stunde seiner Geburt bis zum düsteren Tag am Ölberg! Doch als er hindurchging durch die dunkle Nacht der Passion, da rann das Blut ihm über Stirn und Augen wie ein roter Schleier. Unter der wüsten Dornenkrone schimmerte ein Band von rubinroten Perlen. Ein Mantel, aus Blut gestickt, umgab dort bei der Geiselsäule die heiligen Glieder. Haß und Wut trieb Nägel hinein in Hände und Füße – Heilandsliebe preßte das Liebste hinaus, das Schönste, was er zu geben hatte: sein Kostbares Blut. Nicht der Verrat zweier Apostel, nicht der tiefe Undank der Menschen ließ das göttliche Herz stillstehen, nein – ans Kostbare Blut war das Gottesleben geknüpft, wie ja durch dessen Vergießung ein Gott im Tode starb.

O süßes Herz Jesu, was hat dich zum Mittelpunkt der ganzen menschlichen Liebe gemacht? Dein Blut, dein Herzblut war es, das hervorquoll aus der klaffenden Wunde zum Zeichen deiner unendlichen Liebe.

Als der göttliche Weinstock unter der Kelter menschlichen Wütens am Verbluten war, da durchzitterte der Schreckensruf, ja der Freudenruf die Luft: “Es ist vollbracht!” Und von da an blutet es weiter – täglich, stündlich – von Gottes Thron auf Menschen und Altar. Ist also nicht auch schon deshalb das Kostbare Blut so verehrungswürdig. weil es von unserem lieben Heiland die größten und schmerzlichsten Opfer forderte? Darum, liebe Christen, seid überzeugt: wenn die von Gott gewollte Rangordnung bewahrt werden soll, so muß die Andacht zum Kostbaren Blute die höchste sein und bleiben.

Drittens: Nun ist es auch klar, daß von dem, was ein Gottessohn selbst unter Hingabe seines Lebens anstrebte, daß von diesem die größten. Gnaden, ja alle Gnaden fließen.

Ich kenne ein Bild droben in den Alpen in einem kleinen Felsenkirchlein. Dieses Gemälde stellt die Erde dar, und zu beiden Seiten knien zwei Heilige, die ihre Hände flehend, ja wie abwehrend über diese Erde halten. Darüber sieht man den erzürnten Gott aus den Wolken hervortreten, um mit einem dreifachen Blitzstrahl die sündige Welt zu zerschmettern. Doch darunter stehen die Worte: “Parce, Domine … Schone, o Herr, schone Deines Volkes, das Du erlöst hast mit Deinem Kostbaren Blute!” Und der Herr verschonte die Erde um seines Kostbaren Blutes willen – verschont sie auch heute noch um seines Blutes willen.

Doch nicht nur vom Verderben verschont, sondern sogar vom Guten überhäuft werden Gottes Geschöpfe. Wer zählt die Strahlen, die täglich niederleuchten von der Sonne der Altäre ins dunkle Herz der Sünder zur Bekehrung, wie in die frohe Seele der Gerechten zum Ausharren. Und ein einziger Tropfen des Erlöserblutes hätte genügt, uns alle diese Gnaden zu erwerben. Welcher Wert, welch himmelhoher Wert!

Ist es also zuviel behauptet, wenn ich sage’: Das Kostbare Blut ist

1. der Hauptzweck der Menschwerdung Christi;

2. es hat ihm die größten Opfer, selbst das Leben, gekostet,

3. es allein ist der unausschöpfliche Born, aus dem alle Gnaden fließen.

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Was wäre also verehrungswürdiger als das Kostbare Blut? Ich könnte euch Zeugnisse anführen über die Hoheit des Blutes Christi, angefangen vom größten Verehrer, seinem Herold, dem heiligen Paulus, bis hinab ins letzte Jahrhundert zum Stifter der Missionäre vom Kostbaren Blute, dem seligen Gaspar deI Bufalo.

Heute hat man leider mehr oder weniger zurückgesetzt den hohen Kaufpreis unserer Erlösung. Dem triumphierenden Heiland will man lieber nachfolgen als dem leidenden. Vom gütigen Vaterherzen nur Gutes erwarten, allzusehr erwarten, das tut man lieber, als das Kreuz der Leidensnacht auf sich zu nehmen und den Blutspuren Jesu Christi nachzufolgen, die doch schließlich hinführen zum Morgenrot eines nie endenden Tages …

(Soweit diese meine erste Predigt. Leider ist das Blatt mit dem Schluß, der der Höhepunkt der Predigt war, nach diesen vielen Jahren mir verloren gegangen. Schade!) – -

Auch einige Gedichte. aus jenen Zeiten entdeckte ich im alten Koffer.

Wie sonderbar denkt man doch in der Jugend! Der Wunsch, seine Ideen in möglichst sonderbare Formen zu kleiden, drängt viele dazu, den Pegasus zum Dichten zu besteigen. Verse mit Übertreibungen, leichter Ironie und Überfälligem werden in Knüttelreime getrieben. Je kurioser und witzhafter, desto besser. So ist die Jugend, so wird sie immer bleiben. Auch ich war so.

Eines dieser Gedichte war zum Beispiel an die Lieben zu Hause gerichtet.

Drum kaum zurückgekehrt von großen Mühen,

wie sie bei Saarlands hohen Schloten wachsen,

da geht das Schuften an in allen Frühen

bei mir, dem Armen, wie beim Prinz von Sachsen.

Und ist es auch von den Semestern letztes,

gleich wie die letzte Kraft nach heißem Tag,

so lautet drum der eherne Spruch: o schätz es,

wer weiß, wieviel es dir noch bringen magl

So ging ich hin, den letzten Schritt zu wagen,

in der Semester jüngstes just hinein;

was hilft’s, ob fröhlich sein, ob klagen:

es muß, es muß erkämpfet sein!

Und um mich her, das braust und rinnet

von Alma maters weisen Höhn

der Weisheit Strom, indes die Spinne spinnet

ihr Netz so kunstvoll und so schön.

„Was kümmert dich der Spinne Schaffen -

sie tut ihr Werk von Gott bestellt … !

Du tu’ der Weisheit Goldkorn raffen,

daß Können sich an deine Seit gesellt!”

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Bald heißt’s für immer: Lebe wohl,

o Alma mater, stolze Zinnen,

daß ich von dir jetzt scheiden soll …!

o laß mich dich von fern noch minnen.

So heißt’s nun: alle Kraft zusammen!

Und jedes Winkelchen der Zeit

soll helfen mit den Bogen spannen,

daß Geistesblitze tragen weit!

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<Bild mit knieendem Geistlichen und Unterschrift: “Zum Altare Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf!” >

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 36. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1961, S. 25-27 (9. Fortsetzung).

… und dann wurde ich    (9. Fortsetzung)

MISSI0NÄR vom Kostbaren Blute

Die schönste Zeit im Leben des werdenden Priesters ist jene, in der er die sieben Stufen der Priesterweihe hinaufsteigen darf. Die entscheidendste von diesen ist das Subdiakonat, da es der am meisten bindende Schritt des Priestertums ist.

Noch nie habe ich an meiner Berufung zum Priestertum gezweifelt. Doch am Vorabend zur Subdiakonatsweihe hat mir das Herz so mächtig gepocht; denn heute noch frei, morgen gebunden für ewig! Dann sprach ich entschieden das Ja und habe es niemals bereut.

Die Weihen in Tirol und Vorarlberg hat damals Bischof Waitz vorgenommen.

Bischof Waitz, ein gebürtiger Tiroler, war ein Gottesmann von Format. Doch hat er seinen Landesdialekt niemals ganz ablegen können; ein „ü” hat er immer als “i” ausgesprochen. Wegen seiner Aussprache erzählte man sich darum so manche Anekdoten. So sagte er zum Beispiel vor katholischen Schauspielern: “Ich, euer Bischof, möchte heute über die ‚Katholische Bühne’ sprechen.” Die Zuhörer aber verstanden: “Ich, eier Bischof, mechte heite iber die ,Katholische Biene’ sprechen.’ Zu den Studenten in Feldkirch sagte er: ” … und der Sohn trug die Ziege seines Vaters.” Gemeint waren natürlich “die Züge seines Vaters”. – Und dennoch war Bischof Waitz ein gern gehörter Redner.

Die nächsten Weihen, die ich von ihm erhielt, Diakonat und Presbyteriat, waren schließlich das ersehnte Ziel langer Jahre und großer Mühen.

Zu dem Ergreifendsten in unserer Kirche gehört sicherlich die Priesterweihe. Noch einmal wird der ganze Himmel bestürmt in der Allerheiligenlitanei, während der Weihekandidat sich flach auf den Boden der Kirche hinwirft. Eine innigere Gebetsstellung gibt es nicht. Dann steht er auf, geht hinauf zum Bischof, kniet sich vor ihm hin und empfängt das Sakrament der Priesterweihe durch die Handauflegung. Nun kommen auch alle übrigen anwesenden Priester und legen ihm die Hände auf. – Ergreifend schön die Zeremonien, und unbegreiflich hoch das Amt! Nun war ich geworden ein Missionär vom Kostbaren Blute.

Den ersten Primizsegen erbittet sich der Bischof selber.

Die Einladungen zur Primiz hatte ich natürlich schon zeitlich vorher erledigt. Zuerst der Presbyterassistent. Dieses Amt gebührte natürlich unserem lieben Deddi, dem Provinzial P. Jussel. Das waren stets seine größten Lebensfreuden. Dann der Primizprediger. Natürlich wandte ich mich dafür an P. Paul, der ja wenige Jahre zuvor am gleichen Altar seine Primiz gefeiert hat. Er war ein guter Redner. Er war meinen Eltern nicht unbekannt – ist er doch noch für einige Zeit bei meinem Vater in die Schule gegangen. (Übrigens auch noch ein anderer Missionär CPPS, nämlich P. Willi, war ein Schüler meines Vaters; und ich als dritter vollendete das Kleeblatt.)

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P. Paulus hatte eine lyrische Ader, er liebte Dichten und Proklamieren. Mit feiner Satire vermischt, hatte er Vorliebe für drastische Ausdrücke. Wenn wir beiden Landsleute uns ein Brieflein schrieben, waren es “schauderhafte” Gedichte nach dem Grundsatz! Was sich liebt, das muß sich necken. In der Unterhaltung suchten wir mit Vorliebe die etwas grob klingenden Dialekte unserer Heimat. Das machte uns immer Spaß.

Auch in unserem brieflichen Verkehr herrschte dieser heitere Ton, der oft, wenn es ging, in drastisch-bombastische Knüttelverse geschmiedet wurde. So war natürlich auch meine Einladung an ihn zur Primizpredigt.

Damals wohnte P. Paul auf einem Hügel bei Mellatz in der Nähe von Lindenberg. Von Zeit zu Zeit ging er hinab in die bayrischen Lande zu irgendeiner Festansprache oder zu Exerzitien und dergleichen mehr. In der Zwischenzeit vergrub er sich in seine Bücher und nahm so zu an Alter und Umfang. Schon mehrere Male hatte ich ihm Andeutungen gemacht wegen der Primizpredigt. Doch er wollte nie “aus seinem Bau heraus”, So mußte zuletzt wieder ein Gedicht in unserem Stile herhalten, um ihn noch einmal dazu einzuladen. Das Gedicht lautete also:

Unweit von Mellatzens Höh’n

ist ein Maulwurfshügel zu sehn. Drinnen wohnt mit heitrem Sinn

ein ganz prächtig rundes Ding.

Einer von den sieben Weisen,

die im Land herum tun reisen,

einer von der schwarzen Klicke,

der da ist so dicke, dicke.

Wenn man in den Maulwurfslocheln

mit’ner Rute täte stocheln,

o, dann hört man dumpfes Brummen,

ein ganz fürchterliches Summen:

“Laß in Ruh’ mich, in der Ruh’ mich,

sonst, o weh, wenn aussi kum ich,

gibt’s ein Poltern dann, ein Krachen

und, wer weiß, was sonst für Sachen!”

Doch noch einmal will ich’s wagen

und den großen König fragen;

gnädig leih’ er mir sein Ohr,

das da steht am Kopf hervor:

Auf ‘ner silber-goldnen Schale

- heut ist’ s wohl zum siebten Male,

schäme mich fast, so zu betteln -

bring ich dir zwei schöne Zetteln.

Auf dem ersten steht geschrieben:

“Goldner Stern, von jenen sieben

Weisen aus dem Abendlande,

höre, was ich dir bekannte!“

Und der zweite trägt in Lettern,

golden blitzend; wie wenn Wettern,

leuchtend in Smaragdens Farben,

strahlen Blitz und Feuergarben:

“Sei gegrüßt aus weiter Fern,

o du hehrer Abendstern,

leuchte auf der Himmelsleiter,

leuchte bis nach Friedrichweiler!“*

Großer König, wenn’s bequeme und nach Differten er käme,

zu des Saarlands schwarzen Schloten

sei der Weg ihm angeboten.

*) Friedrichweiler, seine Heimat, ist Filiale von Differten, dem Primizort.

Dort, in mächtigen Posaunen,

soll er Feuerworte raunen!” – 1 000 Grüße Dein N. N.

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Doch wie ich von Anfang an vermutete, hatte er immer eine Scheu, in seiner Heimatkirche als Prediger aufzutreten. Warum wohl? – Ich weiß es nicht. – Und so ist es geblieben bis zu seinem Tod.

So lud ich nun einen anderen Mitbruder ein, einen Missionär, der nicht weniger wortgewaltig war, auch ein Landsmann, P. Philippus. Gerne nahm er diese Ehre an. Doch die größte Freude hatte – außer mir -, unser Provinzial P. Gregor Jussel, der nun wieder einen Priester an den Altar geleiten und in die kleine Anfangsschar seiner Missionäre einreihen konnte. Eine sehr herzliche Einladung – die Abschrift habe ich heute noch in Händen – sandte ich an P. Hermann, der damals Präfekt im Xaveriushaus war. Auch unseren damaligen Theologen aus der Schweiz, meinen Freund Albert, habe ich nicht vergessen. So fuhren wir zusammen meiner Heimat zu.

Kann es im Leben jemals eine schönere Fahrt noch geben?

Im Dorf war noch ein fleißiges Hämmern und Klopfen an den Triumphbögen zu hören. Von dem Empfang im Elternhaus ist mir als schönste Erinnerung geblieben, daß meine Mutter mich so fest umarmte, daß ich glaubte, fast erdrückt zu werden. Als ersten Dank an Gott setzte ich mich sofort ans Klavier und spielte und sang mein herzlichstes Tedeum. Noch nach Jahren hat P. Gregor mir von diesem Tedeum erzählt.

Als ich für eine Stunde allein war, nahm ich den Stift und schrieb für mein Album folgendes Gedicht:

Fröhlich tönt der Glockenklang,

Jubelnd hallt der Festgesang

Durch der Kirche weitschiffige Räume.

Der Mutter fast wird es im Herzen so bang

Erfüllt sind nun endlich die Träume.

Weit geöffnete Türesport,

Frohe Scharen am heiligen Ort,

Und der Orgel laut brausende Klänge

Schier himmelhoch reißen die Herzen mit fort

Durch die herrlichen Feiergesänge.

Holder Friede, süße Eintracht

Weile stets an diesem Ort!

Engel Gottes, froher Bote,

Weiche nimmer von uns fort!

Denn wo Priester gottesfürchtig

Schreiten hin zu dem Altar,

Dort ist Gottes Huld bei ihnen,

Bringen sie Ihm Opfer dar.

Drum, o Brüder, betet innig,

Daß mein Opfer Gott gefalle,

Daß der Mächtige annehme

Mein‘ und eure Opfer alle!

So dankte ich Gott, daß ich ein Missionär vom Kostbaren Blute geworden bin.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 36. Jg., H. 9/10, März-April 1962, S. 21f. (10. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                                           (10. Fortsetzung)

MISSI0NÄR vom Kostbaren Blute

Was das Wort Primiz bedeutet, hatte ich Jahre vorher durch einen Zufall erfahren. Ich kam in den Schulraum meines Vaters, niemand war darin. Da stand an der Wandtafel die Erklärung “Primiz = prima missa = erste Messe”. Dazu waren die Embleme des Priestertums gezeichnet: Kelch und Stola. Daß auch ich bald nach diesen greifen werde, ahnte ich damals noch nicht. Und doch war dieser Tag nun rasch gekommen.

Es war der Sonntag vom Guten Hirten. Ein Tag voll Sonnenschein und Festgeläute. Eltern, Geschwister und Verwandte waren am Portal des Atriums versammelt. Nun kam die lange Prozession. An der Spitze der Pfarrer mit Assistenz im Festornat. Begrüßung, Gedicht, Lied – wie es das Zeremoniell bei jeder Primiz ausmacht. Dann kniete ich bei meiner Mutter nieder, die mir den Primizkranz von weißen Rosen auf den Kopf drückte und ihren stillen Muttersegen gab. Dann ging’s zur Kirche, vorbei an Fahnen und Blumen.

Auf dem Lande sind Triumphbögen immer eine besonders festliche Angelegenheit. Ein gewisser heiliger Wettstreit. Auf dem einen Bogen standen als Zierate lebende “Engel” mit breiten Flügeln. Daß diese Kinder so lange auf ihrer luftigen Höhe es aushalten konnten, hatte ich stark bewundert. Wegen eines anderen Triumphbogens war man in eine kleine Meinungsverschiedenheit gekommen. Das kam so: Jahre zuvor hatte man mich, den Studenten, gebeten, für die Primiz von Pater Paul ein großes Spruchschild für einen Triumphbogen zu malen. Dieses Schild, noch recht gut erhalten, wollte man jetzt für den großen Triumphbogen verwenden. – Eine größere Überraschung und eine unerwartet schönere Freude hätte es natürlich für mich nicht geben können. Doch wegen einiger kleiner Flecken haben sie davon Abstand genommen. Leider!

Nun zog die Prozession in die Kirche ein. Die Orgel spielte Variationen vom Lied “Ein Priesterherz”. Dann legte ich das neue Meßkleid an (unvergeßlicher Moment für jeden Neupriester!). Die fleißigen Hände meiner Schwester und ihrer Mitschwestern im Kloster haben es gestickt. Ordensfrauen von der “Göttlichen Vorsehung” können immer gefällige Vorsehungen treffen. Auf dem Meßkleid war unser Ablaßgebet versinnbildlicht, “Gelobt und gepriesen sei das heiligste Herz und das Kostbarste Blut Jesu”. Darum war es mir doppelt so wertvoll und sollte fürderhin alle Festtage dienen. Doch gegen Kriegsende ist dieses Meßgewand leider durch eine fremde Besatzungsmacht spurlos verschwunden.

Die zwei Stunden dieser Feier waren rasch vorüber. Und so auch der ganze Tag. Das Ständchen des Kirchenchors am Abend bildete den klingenden Abschluß.

Von der zweiten Messe am folgenden Tag erinnere ich mich noch, daß unser

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Provinzial, Pater Jussel, neben mir stehend wie ein geduldiger Fahrlehrer, mit auffallender Ruhe, ja mit freudiger Hingebung mich begleitete. Es war auch sehr begreiflich, denn jeder neu geweihte Priester und jeder neu eintretende Student war seine Hoffnung. Er, und wir alle, mußten sorgen für die Zukunft.

Die folgenden Tage verliefen rasch, und so mußte man bald an die Rückfahrt denken. Doch noch eine Aufgabe beschäftigte uns: Sollte durch diese Primiz nicht auch wieder ein neuer Priesterberuf geweckt worden sein; so daß wiederum ein Missionär daraus hervorgehe und die “Missionskette” in unserem Orte nicht abreiße? Und siehe da, die folgende Generation der C. PP. S. stellte sich prompt ein: Willi und Bubi. Und das kam so: Willi war unser nächster Nachbar. Daher fand er gleich den Mut und den Weg, mit den hochwürdigen Herrn zu sprechen. “Natürlich darfst du mitkommen!” Hocherfreut erzählte er es seiner Mutter, seinem Vater, seiner Lehrerin. Diese letztere sagte ihm: “Und noch ein zweiter will mit, der Bubi. Gehe sofort zu dessen Vater, er soll dem Bubi die neuen Hosen anziehen und ihn dann zum Primizianten schicken.” Willi spurte sogleich. “Sie sollen dem Bubi die Hosen anziehen und dann zum Primizianten schicken!” (Im Saarland bedeutet aber der Ausdruck “die Hosen anziehen” soviel wie strammziehen, das heißt durchprügeln.) Daß es sich aber um die neuen Hosen, also um das Bügeln und nicht um das Prügeln handelte, hatte Klein-Willi in seiner Reisefreude überhört oder vergessen. Der Gerufene erschien zugleich froh und stolz in seiner neuen Uniform. “Ich möchte auch Missionär werden.” Die raschen Erkundigungen bei Pfarrer und Lehrer sagten uns: Bubi ist ein aufgewecktes Bürschlein, er kann ein guter Prediger werden. – Unsere Zusage machte ihn überglücklich.

Bald wurden die Koffer gepackt, ein kurzer Abschied und fort ging’s, wir dreie, in eine schöne Zukunft. Meine beiden Schützlinge sahen sich schon in ihrer lebhaften Phantasie als Missionäre mit dem großen Kreuz und der goldenen Kette. Die lange Fahrt nach Feldkirch bot ja Zeit genug zu jugendlichen Träumen.

Endlich Ankunft in Feldkirch, Einmarsch ins Xaveriushaus.

Hier begannen nun beide die nicht leichten Stufen des Studiums zu erklimmen. Leider konnten wir jedoch unseren Bubi nicht lange bei uns behalten, denn nach dem Willen Gottes war er für einen anderen Beruf, für die politische Laufbahn vorherbestimmt. So ist er schließlich zu einer hohen Stellung in der Regierung emporgestiegen.

Willi indes hatte das Studium zum Priestertum glücklich zu Ende geführt und elf Jahre nach dieser meiner Primiz konnte auch er zum gleichen Altare hinzutreten, um Gott zu opfern und zu danken für sein glücklich erreichtes Ziel. Auch für ihn läuteten die Glocken – und somit war es die dritte Primiz eines Missionärs vom Kostbaren Blute in unserer Heimatkirche.

Und wenn heute seine betagte Mutter diese Zeilen lesen wird, dann wird sie sicher denken und sagen: ” … und dann wurde auch er ein Missionär vom Kostbaren Blute.”

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 37. Jg., H. ½, Juli-August 1962, S. 22-24 (11. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                          (11. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Die Missionäre vom Kostbaren Blute tragen als Ordenszeichen das Kreuz an einer langen Messingkette. Um die Zeit meiner ersten Priesterjahre war es, daß in unserer Provinz eine neue Art für das Umhängen dieser Kette aufkam. Bis dahin hatte man sie einfach um den Hals gelegt, wie es jedes Kind und jeder Bischof tut.

Da kam nun eines Tages ein Mitbruder unserer amerikanischen Provinz uns besuchen. Er erzählte uns von der Art und Weise, wie die amerikanischen Missionäre Kreuz und Kette umhängen – Amerikaner sind ja immer große Praktiker -: die Kette wird zuerst durch ein Knopfloch gezogen und dann über die Schultern gelegt. Diese Art fand sogleich großen Anklang und Nachahmung.

Seit jenem Tag sind wir mit unseren amerikanischen Mitbrüdern auch „durch die Ordenskette verbunden”.

Primiz ist schön und unvergeßLich. Aber unvergeßlich dürfte auch sein die erste Beichte, die der Neupriester spenden darf.

Meine erste Aushilfstätigkeit war in Dalaas am Arlberg. Schon bei der Hinfahrt überlegte ich mir genauestens den Zuspruch, den ich bei den verschiedensten Beichten zu geben gedachte. Zum ersten Mal sich in den Beichtstuhl setzen als »Beichtvater” – und man fühlte sich doch noch so grausig jung! Nun kam mein erstes Beichtkind, ein gutes, altes Mütterlein. Was hatte sie auch vieles zu beichten! Und dann kam mein Zuspruch, – Ich glaube, das gute, alte Mütterlein wird sich gewundert haben, mit welcher Begeisterung und Eindringlichkeit dieser Priester da drinnen sie ansprach und ihr darlegte, doch ja nur immer „auf dem Weg des Guten zu wandeln”. Heute weiß im es: für einen zähen, hartnäckigen Sünder hätten diese vielen heiligen Worte wohl besser gepaßt. Doch es war halt mein erstes Beichten.

Dann kam eine junge Braut. Ich erinnere mich noch, daß ich mit solch leuchtenden Farben das zukünftige Familienglück ihr schilderte, daß ich ihr eine Zukunft mit lauter Rosen und vielem Gottes- und Kindersegen

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wünschte, daß ich ihr – ach, da hörte ich durchs Gitter, wie das junge Ding anfing zu weinen. Ich erkannte, daß es höchste Zeit war, meinen jugendlichen Sturm abzubremsen und mit den drei Vaterunsern zur Buße die Beichte abzubrechen. – Vielleicht erging es den andern Mitbrüdern ebenso, als ihre weite schöne Fahrt des Priesterlebens begann.

Doch jedes priesterliche Leben hat auch seine harte Prüfung. Denn prüfen und geprüft werden ist schließlich das Schicksal aller Menschen. Für mich begann es sehr rasch.

Ich kam nach Wien an eine neugebaute Notkirche. Die Wiener sind nun ein frohes Volk, aber auch mit sanguinisch sprudelnder Schwärmerei belastet. Man erzählte mir von diesem und jenem jungen Priester, die nur unter großer Energie ihr Ideal dort bewahren konnten.

Die Notkirche war früher eine alte Fabrik. Jeden Abend war Andacht, bei der wenn nicht gepredigt, so doch irgendeine religiöse Lektüre vorgelesen wurde; die religiöse Unkenntnis war ja sehr groß. Am Schluß der Andacht sangen sie fast jeden Abend mit wahrer Begeisterung das Lied vom lieben “Heiland, gute Nacht!”.

Aber eines Abends hatte ich keine gute Nacht vor mir: Mein Sakristan war nämlich verschwunden. Er war ein armer, sehr armer Mensch. Und um es gleich herauszusagen: er war ein irregegangener Priester. Keiner außer mir wußte dies. Sein Unglück hat er seiner Mutter zugeschrieben, die ihn, ohne innere Berufung zu haben, zum Priestertum gezwungen hätte. Doch wer kann dies beurteilen? Rasch war für ihn das Glatteis gekommen. Doch er stand wieder auf, ging fast halb verzweifelt zu seinem Bischof. Der sandte ihn zu uns zur gewissen Bewährungsfrist und Erprobung. So war er also unser Sakristan geworden. Wenn er abends langsam und bedächtig die Kerzen auslöschte und sich dann in die letzte Bank hinkniete, empfand ich immer mit diesem armen Mitbruder ein tiefes Bedauern. – Nun war er plötzlich verschwunden. Wohin? Also ihn suchen, ihm helfen! Zusammen mit einem Theologen ging ich sofort auf die Suche nach ihm, in die Wirtschaften und Cafés, in die Bars und Nachtlokale, natürlich nur bis zu den Türen und dann gleich wieder fort. “Mensch, ich habe die Nase voll von diesem Zeug!”, wir drehten um und gingen nach Hause. Das übrige mußten wir dann seinem Bischof überlassen. – Sterne kommen, Sterne gehen.

Ich war sehr gern in Wien und kenne das “goldene Wienerherz”. Nur seine Schwärmerei den jungen Priestern gegenüber konnte ich nicht ausstehen. Darum habe ich öffentlich von der Kanzel verkündet, mir niemals mehr zum Gruß die Hand zu küssen; der Kuß sei einzig Privileg meiner Mutter.

Man hat oft gefragt, ob es für einen katholischen Priester wohl sehr schwer sei, sich in solchen Situationen durchzukämpfen.

Die katholische Theologie spricht in ihrer Lehre von der “Gnade des Beistandes, der Gnade des Berufes”. Ich hatte früher während des Studiums dies nur als eine Art Schulweisheit aufgefaßt. Nun sollte ich es selber kennenlernen, und zwar in nicht wenigen Fällen, wie diese Berufsgnade Gottes wirken kann. Um es gleich deutlich zu sagen: ich habe oft gestaunt, wie

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gerade in dem Moment, wo die Aufdringlichkeit ganz unverblümt und frech sich heranwagte, plötzlich eine sonderbare Abneigung gerade gegen diese Person mich erfaßte, so daß ich sogar Mühe hatte, nicht grob oder beleidigend zu werden. Diese Abneigung, dieser innere Ekel ist nichts anderes als die schützende Hand Gottes, die Gnade des Berufes.

Der Kampf im Priesterleben gegen die Verführung kann sich sogar bis zu äußeren Komplikationen steigern. So ist es mir einmal recht dramatisch ergangen. Soll ich es erzählen? Ich weiß, daß jeder Priester solche Episoden der “Rache der abgeblitzten Liebe” schon zur Genüge erlebt hat.

Es war in einer Heilstätte, in der ich meine erste fixe Anstellung als Hauskaplan bezog. Das sonderbare Gerede und Getue gewisser Personen konnte ich im Anfang absolut nicht verstehen. Zur Tarnung erbat sich eine von ihnen einen geweihten Rosenkranz. Als sie dann schließlich deutlicher wurde, ließ ich sie gleich abblitzen. Nun machte sie sich an den Chef heran, und wie ich hörte, mit mehr “Erfolg”. (Leider war es bei ihm nicht das erstemal, daß er sich so des Amtsmißbrauches schuldig gemacht hatte.) Bald kam von der Landesregierung her ein Advokat, der darüber Untersuchungen anstellte und auch bei mir vorsprach. “Wird er sich nicht schließlich auf Hysterie herausreden?” – “In den Krankenakten steht ,Hysterie keine’.” “Das könnte aber mit falscher Tinte umgeändert werden.” – “Ich werde es zuvor fotografisch festhalten.” Und so fotografierte ich den ganzen Morgen hindurch. Als nach drei Tagen der Postbote dem Chef die Vorladung zum Disziplinarverfahren überbrachte, stürmte es an diesem Tage im ganzen Hause. Türen knallten, Drohungen wurden geschrien, niemand mehr dachte an Dienst. Natürlich konzentrierte sich die ganze Wut auf den Hauskaplan. Der Chef war schon viele Jahre vorher aus der Kirche ausgetreten. Da er als ein sehr jähzorniger Mensch bekannt war und auf seinem Zimmer mehrere Gewehre hatte – er war ein leidenschaftlicher Jäger -, darum hatte die Frau Oberin schon die größte Sorge um mich, den Hauskaplan. Sie brachte mir einen Gebetszettel „Vollkommene Reue in Todesgefahr”. Ich mußte mich zu ihrer Beruhigung im hintersten Zimmer den ganzen Tag über einschließen. Als ich das Zimmer doch für nur eine Minute verließ, lagen nachher dort auf dem Boden ein zerfetzter Rosenkranz und ein scharfes Messer. Es war der Rosenkranz, den ich seinerzeit verschenkt hatte. Dieser feine Besuch war also gerade in jener Minute in mein Zimmer eingebrochen, in der ich abwesend war. Ich dankte Gott, daß er mich wieder vor einer Tragik bewahrt hat. Am darauffolgenden Montag war das Disziplinarverfahren im Regierungsgebäude der Hauptstadt. Alle wurden dort verhört. Es war ein heißes Ringen. Doch die Geschicklichkeit seiner zwei Advokaten hat den Chef vor der Entlassung gerettet, wenigstens für dieses Mal. Um sein weiteres Schicksal kümmerte ich mich nicht mehr, da ich es unter diesen Umständen vorzog, dieses für einen jungen Priester so gefährliche Milieu zu vermeiden. Mein Nachfolger, P. Paulus, hat dann später das Ende dieses Dramas erlebt, denn Gott läßt seiner nicht spotten.

So habe auch ich es erfahren: Priesterleben kann oft auch ein schweres Leben sein.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 37. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1962, S. 16-22 (12. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich                          (l2. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Wer an Liechtenstein denkt, der stellt sich ein Ländchen vor von stillem Frieden und mittelalterlicher Geruhsamkeit. Heute hat auch Liechtenstein sich modernisiert. Damals aber, als P. Provinzial Jussel mich zum Pfarrer von Schellenberg (Liechtenstein) ernannte, waren noch alte Tradition und Väterbrauch das Kennzeichen des Alltags.

Auf dem kleinen Milchwagen des Xaveriushauses, gezogen von zwei flinken Ponys, hatte ich leicht mein Umzugsgut, einen einzigen Koffer, untergebracht. (Als Missionar, d. h. als “fliegender Zigeuner Gottes” ist man ja immer froh, recht wenig Ballast zu besitzen.) Vorne auf der Kutsche saß der Bruder, rückwärts P. Provinzial Gregor Jussel und ich. So fuhr der “neue pfarrherr” den Schellenberg hinan. Was wird der kommende Lebensabschnitt bringen? Dunkle Tage – helle Tage? Wir fuhren der Zukunft entgegen.

Oben angekommen, war gleich die Einführung in das neue Amt, möglichst einfach und geräuschlos P. Gregory hat ja nie große Predigten gehalten. Doch was er sagte, kam um so mehr von Herzen. Er überreichte mir im Namen des Schweizer Bischofs von Chur die Schlüssel von Kirche und Tabernakel. Nun sollte ich wirken, wo hier einst P. Brunner, der große Gründer unserer amerikanischen Provinz, gewirkt und gebetet hat, hier, wo dieser rastlose Missionar die letzte Ruhe gefunden. Nun stand ich an seinem Grabe vor dem Hochaltar “meiner Kirche”, um die alten Schriften und Zeichen im schwarzen Marmor zu entziffern. P. Jussel erzählte mir, daß dort oben über der Sakristei, diese kleine Rumpelkammer kirchlicher Utensilien, das Schlafgemach von P. Brunner gewesen. Wahrlich, unsere ersten Pioniere C. PP. S. hier, auf dem Schellenberg waren nicht nur große Beter, sondern auch große Büßer. Nun sollte ich ihr Erbe antreten und es weiter führen.

<Bilder: P. Brunner, Grabplatte>

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<Bild: Missionshospiz und Pfarrhaus Schellenberg>

Das Beten ist zwar geblieben, aber die Opfer sind heute erleichtert: das hatte P. Gregory besorgt. Vor Jahren, als er selber noch Pfarrer von Schellenberg gewesen, kaufte er hier ein wohnliches Heim und hat es als Pfarrhaus eingerichtet. Auf der einen Seite der Waldrand, auf der anderen die Obstbäume und der dritte Blick zu den Schrofen der Schweizer Berge, ist das Panorama hier einzig schön. Darum steht auch heute noch auf der Mauer der Glasveranda: “Montes et omnes colles laudent nomen Domini” (Ihr Berge und Hügel alle, lobet den Namen des Herrn). – “Ligna fructifera et omnes cedri laudent nomen Domini” (Die Fruchtbäume und Zedern alle sollen loben den Namen des Herrn). – Von dieser Glasveranda aus hat man einen wunderschönen Blick ins obere Rheintal. Drüben über dem jungen Rhein ist die lange Kette der ersten Schweizer Berge: der Hohe Kasten, der Staubern, die Kreuzberge und abschließend der Tote Bischof, wie der Volksmund diese Gebirgskette nennt. In Wahrheit, die Silhouette dieses Höhenzuges gleicht, besonders im Abendhimmel, einem aufgebahrten Bischof mit Mitra und Pektorale. – Unten im Rheintal liegt die Ortschaft Gams, der einzige katholische Ort jener Gegend der Schweiz. Ihr Glockengeläut dringt zuweilen bis zu uns herauf. Man erzählt, daß zur Zeit des Glaubensabfalls auch die Behörden von Gams zur Hauptstadt zogen, um ihren Austritt aus der katholischen Kirche anzumelden. Unterwegs kamen sie zu einem Marterlstöckl mit dem Bild Mariens, das da am Wegrand stand. “Männer”, sagte einer, “knien wir hier noch einmal zum Gebete nieder: ob wir auch wirklich auf dem rechten Wege sind.” Beim letzten Amen standen sie auf und gingen nach Hause. “Nein – wir bleiben katholisch, wie wir immer gewesen!”

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Der Blick vom Fenster unseres Pfarrhauses geht im Süden hinauf zu der langgestreckten wilden Gebirgswand der „Drei Schwestern”, über die die Grenze Osterreichs verläuft. Hier zeigt man noch heute diese versteinerten sagenhaften Schwestern. Zwischen diesem Gebirgsmassiv und dem Rhein liegt also Liechtenstein. Schellenberg, Vaduz und Balzers, jedes mit seiner Burg, bilden Anfang, Mitte und Ende des Landes. Wenn auch das Schloß von Schellenberg schon längst in Trümmern liegt und das Geschlecht seiner Grafen nur noch in alten Scharteken weiterlebt, so ist heute an ihrer Statt mehr ein geistiges Erbe getreten, nämlich das prächtige Kloster der Schwestern vorn Kostbaren Blute und die Missionare im Hospiz (Pfarrhaus), von wo unsere deutsche Provinz ihren Ausgang nahm.

Die Arbeit in diesem Bergdörflein hier war für einen jungen Priester nicht allzu schwer. Alle gingen Sonntag für Sonntag in ihre heilige Messe, mit Ausnahme von einem, der krank war. Vor dem Amt stimmte der “Himmlische Vater” den Rosenkranz an, und alle, besonders auch die Männer, haben ihn laut weitergebetet. Der Sakramentenempfang ließ nichts zu wünschen übrig; es war ein alter Brauch, ein wahrhaft guter alter Brauch. Droben auf dem “Stutz” wohnte der älteste Mann, der noch bei P. Brunner Ministrant gewesen. Der bucklige Gottlieb und die bucklige Zens, seine Schwester, erwarben sich ihren Tageslohn durch Mäusefangen, indes der eine der beiden Wirte es neben dem Bierausschank auch noch mit Autofahrten tat. Oh, dieses erste Auto von Schellenberg!

Es war der älteste Karren, den ich jemals gesehen. Ein alter Ford, noch mit Kurbelstange und Karbidlampen. Das Tuch des Daches war mit zwei Riemen gespannt, die vorne am Kühler befestigt waren. Bergab, von Schellenberg nach Feldkirch, lief dieser Automobilveteran ganz nett und flink. Doch zurück, den Berg hinauf, hieß es zuweilen aussteigen, drücken, vielleicht läuft’s weiter! Dann dampfte es vorne aus dem Kühler so stark, als ob es eine Dampfmaschine wäre. Aber dennoch war jeder Benützer froh damit, und schließlich konnten die Schellenberger doch stolz bedeuten: “Autoverbindung nach Schellenberg.”

Das erste Radio im Dorf, das also hier als erstes seine Ätherstimme erhob, das hat der neue Pfarrer sich gebastelt. Die nötigen Samen in Feldkirch gekauft, den nötigen Zoll bezahlt, ging es dann zu Hause los, zu sägen und zu bohren, zu löten und zu leimen, so wie es die Anleitung befahl. Die hohe Außenantenne an der Bohnenstange auf unserem Stall, zeigte den Passanten an, daß nun bald “die schönsten Melodien aus der Luft gegriffen werden. Nun war endlich das lang ersehnte Kasterl fertig geworden. Es war Mitternacht, 2 Minuten vor 12. Neben mir saß P. Johannes Rinderer (heute ruht er schon längst im Schatten der Palmen Brasiliens). “Achtung, jetzt dreh’ ich’s an. Entweder ein Knall oder Musik!” – und im gleichen Moment hörten wir den letzten Satz der deutschen Hymne und anschließend die Worte: “Gute Nacht, liebe Zuhörer! Vergessen Sie nicht, Ihre Antenne zu erden und den Gashahn zuzudrehen. Recht gute Nacht!” Dann war es still. Das also waren die ersten Klänge und Worte, die über den Äther Europas hin-

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weg in Schellenberg gesprochen wurden. Von dieser Stunde an kamen täglich Gäste, die dieser Musik des Himmels lauschten.

Einer anderen Schellenberger Musik sei noch Erwähnung getan. Da seit geraumer Zeit kein Kirchenchor mehr bestand, gingen wir nun daran, einen neuen zu gründen. Anläßlich eines Wettsingens in Vorarlberg wollten auch wir uns daran beteiligen. So gründeten wir unter den Burschen ein Doppelquartett, übten fleißig und errangen beim Wettsingen eine Auszeichnung. Später luden wir zum Quartett noch andere Männer ein, und unser Kirchenchor war gegründet. Zur ersten Aufführung übten wir die von unserem Churer Bischof komponierte Messe ein. Alle Leute waren auf unser Können gespannt. Bei der ersten Aufführung sang unser Chor mit einer solchen Begeisterung, daß die Schwestern auf die Frage, wie es ihnen gefallen, die Antwort gaben: “Diese Messe wurde sicherlich weithin gehört.” -. Die Begeisterung ist geblieben, und der Chor hatte sich zu einem der besten des Landes entwickelt. So wünsche ich ihm auch heute noch ein frohes “Jubilate Deo!”.

Außer dem Kirchenchor wurde noch eine andere Neugründung gestartet: die Marianische Kongregation für die Jungmänner. Alle taten begeistert mit. Gar bald konnten wir auch in der Öffentlichkeit uns zeigen. Es war beim Katholikentag in Schaan, der für das ganze Land und für die benachbarten Katholiken der Schweiz gehalten wurde. Wir “Marianischen Grafen vom Schellenberg” durften dabei nicht fehlen. Jeder Jungmann besaß ein flottes Rad und an dessen Lenkstange hat sich nun jeder den prächtigen Wimpel der Kongregation aufmontiert, blau und weiß, darauf das Marienmonogramm in Goldgelb. So segelten wir in Viererreihen durchs ganze Unterland, von allen herzlichst begrüßt. Selbst der Hauptredner des Katholikentages hat unsere strammen Marienritter in seiner Rede öffentlich gelobt.

Heute ist aus der Familie des damaligen Obmannes ein Priesterberuf hervorgegangen (der Segen Mariens ist also nicht ausgeblieben), und binnen kurzem hofft er ein Missionar des Kostbaren Blutes zu sein.

Auch noch ein anderer Schellenberger hat seinen Lebensweg zu uns Missionaren gewendet, und zu mir ist er nach dem Kirchengesetz sogar in geistige Verwandtschaft gekommen. Wieso? Es war damals an einem schönen Frühlingstag Anfang Februar, da stand ich vor dem Taufbecken unserer Kirche, und das Wasser gießend, sprach ich: “Hugo, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.” Ich weiß heute nicht mehr, ob unser Hugo damals geweint oder gelächelt hat. Aber ich weiß heute, daß er ein sehr guter Missionar geworden, der seine Pflichten vorbildlich erfüllt und der Kongregation die Treue bewahrt.

Fronleichnam wurde auf dem Schellenberg immer in der altgewohnten feierlichen Weise begangen. Aber in jenen Jahren wollten wir doch etwas mehr tun – hatte doch die ganze Jugend agiles Blut in ihren Adern. So wurden nun diesmal mehrere Triumphbögen errichtet und eine Reihe von mächtigen Fahnen auf den exponierten Kuppen aufgestellt. Alles war in

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freudigster Stimmung. Nur einer nicht, und das war – der Himmel. Ja, der Himmel regnete während der ganzen Prozession so stark, daß es zum Erbarmen war (echtes Bußwetter wie in Fatima). Ich marschierte unter dem andern Himmel, dem Baldachin, man sollte meinen, gegen Regen und Nässe geschützt. Doch gerade das Gegenteil. Dieser alte Baldachin, dieses durchhängende nasse Wettertuch sammelte wie ein umgedrehter Regenschirm das Wasser, um es in der Mitte, wo ich schritt, durchströmen zu lassen. Als wir zur Kirche zurückkamen, bestieg ich sofort die Kanzel: “Meine Lieben! Der Himmel hat gesprochen. Jetzt wissen wir, was er noch will; ein neuer Himmel muß her, ein neuer Baldachin, das alte Ding hat ausgedient!” Alle stimmten bei und halfen. Und ehe noch der Monat verging, hatten wir einen neuen, wunderschönen Baldachin. – Wenn heute noch die Schellenberger auf ihren Himmel stolz sind, so verdanken sie es dem Regenschauer von Anno dazumal.

In Schellenberg gibt es kein Kino. Man braucht auch keines, denn die Natur ist dort selber so unterhaltlich und abwechslungsreich, daß sie jegliches Kinogeflunker reichlich ersetzt. Man muß nur die herrlichen Idylle, die die Gottesnatur uns bietet, wahrnehmen können. – Ein kleines Beispiel: Eines Tages entdeckte ich von meinem Fenster aus am gegenüberliegenden Waldrand einen prächtigen Buntspecht, der dort am Ameisenhaufen sich zu schaffen machte. Er war daran, einen Stollen zu graben, um zu den unterirdischen Ameiseneiern zu gelangen. “Bruder Gebhard, komm, den fangen wir!” Wir warteten, bis der Stollen so tief war, daß der bunte Kerl darin verschwand. Lautlos heranschleichend, stülpten wir einen Sack darüber, und nun hatten wir einen “Specht im Sack”. Wir sperrten ihn in den Pferch ein, der für die kleinen Hühnchen gezimmert war. Jung und alt freute sich an dem quickfidelen Untermieter. Und wie schön er war! Gott muß sicher damals bei seiner Schöpfung in recht freudiger Stimmung gewesen sein, als er das Kleid des Buntspechtes zu färben begann. Da unser junges Kerlchen nicht durch den Draht zu entweichen vermochte, probierte er seine Kraft an dem dünnen Brett. Wir entschieden: Wenn du durchkommst, sollst du die Freiheit wieder haben! Er hämmerte und hämmerte. Und als wir am anderen Morgen Nachschau hielten, war er schon wieder drüben bei seinen geliebten Ameisen. Wir nagelten nun ein dickeres Brett auf das durchgehämmerte Loch, schlichen wieder mit unserem Sack heran, deckten schnell zu und warteten, bis er herauskäme. Doch er kam nicht. Wahrscheinlich war er inzwischen schon schlauer und vorsichtiger geworden. Bruder Gebhard schob nun langsam die Hand hinein, immer tiefer und tiefer, bis der ganze Arm darin versank. Plötzlich bekam er ein paar Hammerschläge auf die Fingerspitzen und mit einem lauten “Au!” war er wieder draußen. So mußte nun ich es versuchen. Es gelang, trotz heftiger Gegenwehr. Wieder in den Käfig eingesperrt, fing er auch sofort schon wieder an am Brett zu hämmern. “Wenn du rauskommst, sollst du die Freiheit haben!” Als wir am andern Morgen Nachschau hielten, war unser Bürschlein wieder fort. Nur ein großes Loch hat er zurückgelassen, so groß, wie

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<Bild Kloster>

ein weit geöffneter Mund, der uns auslachte. Diesmal wollte uns Herr Hammermeister Specht nicht noch einmal so keck herausfordern. So zog er fort, fort in die Fremde und ward nicht mehr gesehen.

So schenkt Gott uns manche Freuden, die kleinen sind oft die schönsten.

Wenn ich aber das Allerschönste von hier oben erwähnen soll, so muß ich das Kloster nennen.

Schellenberg ist ohne Kloster nicht mehr zu denken. Es ist Ziel und Krone des ganzen Berges, die Gralsburg an den Toren der Schweiz. Wer noch Sinn für Edles und Wahres hat, der versteht die Wirkkraft einer solchen Gottesburg.      .

Die Schwestern vom Kostbaren Blut haben hier ein Kloster der Ewigen Anbetung, gegründet von unserem Erstlingspionier P. Brunner. Wenn Stunde für Stunde das so überaus traut klingende Anbetungsglöcklein läutet, dann beginnt immer wieder von neuem eine Schwester die Ewige Anbetung. Nur des Nachts schweigt das Glöcklein, doch das Gebet geht ohne Unterbrechung weiter. Ein Feiertag im Kloster ist vor allem der Tag der Einkleidung und der Profeß. So manches Mädchen greift auch heute noch zum Brautschleier Gottes. Eben da ich diese Zeilen schreibe, bringt der Bote mir ein Brieflein aus diesem Kloster: “Nun stehe ich am Ende meiner Noviziatszeit und lege jetzt die heiligen Gelübde ab. Auf diesen Tag freue ich mich; es ist ja die Vermählung mit meinem göttlichen Bräutigam … ” Diese Novizin hat auch eine leibliche Schwester im gleichen Kloster, die auch bald ihren schönen Tag erleben wird. Beide sind aus Kufstein-Kleinholz.

Heilige, unbekannte Heilige gibt es jedoch nicht allein im Kloster, sondern auch draußen in der weiten Welt. – Meine Köchin im Pfarrhaus, die

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Notburga selig, war sicher eines dieser stillen Gotteskinder. Nur Gott weiß, wieviel sie hinter ihren Kochtöpfen gebetet hat. “Notburga, warum sind Sie eigentlich immer so voll herzlicher Fröhlichkeit?” – “Herr Pater, ich möchte einmal zu der Schar jener Jungfrauen gehören, die das Lied singen, das sonst niemand singen kann.” Da wußte ich um das Geheimnis unbekannter Heiligkeit und herziger Froheit. -

Die alte Pfarrkirche war im Laufe der Jahre bald zu klein geworden. Man mußte allmählich an ihre Vergrößerung denken, an Umbau oder Neubau. So begannen wir Ausschau zu halten nach unseren “Kapitalisten”, zuerst nach den reichen Ausländern, die sich in Schellenberg eingekauft hatten, und an den Landesfürsten. So fuhr ich den Arlberg hinauf, wo· einer dieser “Großen” wohnte, klopfte an Tür und Herz, und er versprach mir seinen Teil. Aber da war es auch, daß ein anderer zu Hause an meine Tür klopfte, nämlich P. Provinzial Jussel: “Ich brauche dringendst noch einen Pater für eine neue Pfarrei in Klagenfurt, der Hauptstadt von Kärnten.” Er schilderte mir die Not jener priesterärmsten Diözese Österreichs, wie ihn der Bischof so dringend gebeten, wie durch die “Rote Flut” so viele vom Glauben abfallen, weil keine Priester da sind, und doch hätten die Leute dort ein so willig-gütiges Herz. Meine selbstverständliche Antwort war: “Ihr Wunsch ist mir Befehl, Sie sind mein Oberer .. Wenn der Bischof von hier mich ziehen läßt, bin ich gerne bereit.” Als dies im Dorf bekannt wurde, setzten sich die Leute zur Wehr. Doch ihr Gesuch an den Bischof mit den Unterschriften aller Schellenberger war zwar ein liebes Zeichen dieser dankbaren Pfarrei, doch es kam zu spät, denn der Bischof hatte der Bitte des P. Provinzial bereits schon zugesagt. So hieß es also: Die Koffer packen und auf nach Annabichl, der Vorstadt von Klagenfurt in Kärnten!

In blumengeschmückten Feldkircher Autos fuhren der Vorsteher und die Burschen mit mir den Schellenberg hinab zum nächsten Abschnitt meines Lebens.

Das war mein Lebewohl von Schellenberg.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 38. Jg., H. 9/10, März/April 1963, S. 16-22 (13. Fortsetzung).

… und dann wurde ich                          (13. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Wenn in den ersten Zeiten unserer Provinz eine neue Niederlassung eröffnet werden sollte, war an den vorausgehenden Tagen in unserem Xaveriushaus, dem damaligen Sitz des Provinzialates, stets eine rege Tätigkeit. Alle waren an dem neuen Projekt interessiert, alle nahmen regsten Anteil daran, denn jeder fühlte sich als ein Stück “Provinz”. Selbst die Küchenschwester hinter dem Kochtopf hatte außer ihrer Suppe noch einen zweiten Gedanken im Kopf: die neue Niederlassung.

Nun war also Annabichl, ein Vorort von Klagenfurt, der Hauptstadt Kärntens, an der Reihe.

Diesmal sollte ich zum Aufbruch in die noch dunkle, aber gerade darum interessante Zukunft nicht allein sein, sondern wir waren die schöne Apostelzahl von 12. Pater Hermann und ich als Priester und unsere zehn Theologen, nämlich der Kle und der 0, der Ka und der Ko, der Ma und der Ro, der Ja und der Wi, der Er und der Ger. (Der Kle dürfte bekannt sein, nämlich Klemens Geiger, heute Bischof vom Xingu.)

So saßen wir nun alle höchst vergnügt im Speisesaal des Xaveriushauses beim Abendessen, also bei unserer Henkersmahlzeit, und schmiedeten im Geiste schon die kühnsten Pläne. Da geht die Tür auf und herein kommt der Gemeinderat von Schellenberg, um seinen Pfarrer vom Provinzial zu reklamieren. Sie wünschten, daß ich doch wieder zu ihnen auf den Schellenberg komme. Das war nun wirklich eine Reklamation in letzter Stunde, denn es war schon 8 Uhr und um 9 Uhr sollte unser Zug abfahren. Natürlich konnte P. Provinzial auf diesen wenn auch noch so gut gemeinten Wunsch des Gemeinderates nicht eingehen. So mußten sie wieder am selben Abend den weiten Weg nach Schellenberg zurück – und draußen regnete es nicht wenig.

Abmarsch zum Zug, die ,,2. Legion” marschierte in die Nacht. Leicht war das Gepäck, noch leichter unser Schritt. Wohl keiner auf dem Bahnhof dort war glücklicher als wir. Nun kam er endlich angebraust, auf den wir warteten, und die Bullaugen seiner Lok schielten uns fraglich an. Rasch hatte der Zug uns verschluckt und mit seinem ersten Anstoß sprach ich noch mein altgewohntes »Gott walte es!”, wie’s meine Mutter mich gelehrt.

Nun ging es den Arlberg hinauf, an schwindelnden Steilhängen vorbei. Doch wir sahen sie nicht, es war ja Nacht. Dann fraß sich der eiserne Bandwurm mitten durchs Herz des mächtigen Arlberg. Doch wir merkten es kaum, denn wir waren geschwätzige Jugend. Auf der anderen Seite hinab kamen wir bald nach Schwarzach-St. Veit, wo der Anschlußzug uns die Tauern hinaufpustete. In Badgastein machte er eine kleine Ruhepause. “Heiße Würstchen, Limonade, Kaffee, Bonbons” spazierten an unseren

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Fenstern vorbei. Doch wir alle waren nur arme Schlucker. Unser Karl hatte noch ” – wie er mir später erzählte – 20 Pfennig in der Tasche. Das gäbe gerade noch ein Pärlein Würstchen. Aber soll er sie opfern, diese zwei Groschen? Krampfhaft drückte er sie in der Hand herum, kampfhaft wehrte er der Versuchung, bis endlich der abfahrende Zug ihn erlöste. – Jetzt noch der Tauerntunnel. Als wir auf der anderen Seite herauskamen, waren wir in Kärnten. Und siehe, aus dem strömenden Regen war ein strahlender Herbstmorgen geworden. Die Wetterscheide der Tauern hat schon vielen die Sonne und auch die Freude gebracht.

Ja Kärnten, das südlichste Land Osterreichs, ist ein Land des Frohseins und des Lächelns. Die Kärntner haben von allen Österreichern das weichste Gemüt und auch die weichste Sprache. Die warme Sonne und die vielen Seen haben dieses Land geprägt. Dort nun sollte unsere neue Heimat sein.

Um die Mittagsstunde lief unser Zug in Klagenfurt ein; das Ziel war glücklich erreicht. Schnell wird ausgestiegen. Nun saßen wir da auf dem Bahnsteig auf unseren Kisten und Koffern wie die “Auswanderer nach Paraguay”. Da erschien der zuständige Pfarrer, um uns ein herzliches Willkomm zu geben. Dann hinein in die Straßenbahn und, vorbei an Lindwurm und Landhaus, quer durch die ganze Stadt. Endlich waren wir am Ziel.

Annabichl, du Bannmeile Klagenfurts, sei uns gegrüßt!

Der erste Besuch galt unserer Kirche, denn sie sollte ja das Zentrum unseres Wirkens werden, und dann hinauf zu unserer Wohnung. Nach kurzer Begrüßung und schneller Mahlzeit sahen wir uns unsere Villa einmal näher an.

Es war ein Privathaus, das man uns vermietet hat. Da aber dieses Wohnhaus selber nicht für so viele ausreichte, hatte der Hausherr seinen benachbarten Roßstall zu einem Schlafsaal umgebaut. Diese “Villa Roßstall”, wie sie gleich benannt wurde, war ein Sibirien. Wenn man über den Boden schritt, hörte man das noch darunter stehende Wasser glucksen. Auch im Winter keine Heizung, und an den Wänden glitzerten die Eiskristalle. In der ersten Nacht schlief man wenig, und um so mehr Witze wurden über die “Villa Roßstall“ erdichtet.

Am folgenden Tag war der erste Marsch zur Kirche, jeder in langem Talar. Voll Staunen riefen die Leute aus: “Soviel Pfohrer (Pfarrer), lauter pfohrer!” So viele Schwarzröcke zu sehen, waren diese guten Leute nicht gewohnt. Es herrschte ja damals gerade in Kärnten der größte Priestermangel ganz Osterreichs. Die schnell gewachsenen Vororte der großen Städte waren meist ohne eigenen Seelsorger und darum leider der Kirche entfremdet. Der Bischof von Klagenfurt erzählte uns, daß er, als er ein Jahr zuvor durch Annabichl ging, von den dortigen Kindern mit beleidigenden Ausdrücken bedacht wurde. “Hier fehlt eine Kirche!” sagte er sich, und so veranlaßte er, daß dieser Heustall gekauft und zu einer Kirche umgebaut wurde, die er dann uns Missionaren vom Kostbaren Blute anvertraute. (Vier Jahre später berichtete der gleiche Bischof: “Nirgends werde ich von den Kindern freundlicher begrüßt als in Annabichl.”) Daß es zu solcher Umwandlung gekommen ist, verdanken wir teilweise wohl auch den Opfern,

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die unsere Theologen hier haben bringen müssen. Die damalige Zeit war eine Notzeit. Zum morgendlichen Kaffee gab es trockenen Riebel, der Marsch zu den Vorlesungen war über eine halbe Stunde weit. Auch dort im alten “Priesterhaus” war eine Abteilung, die den Namen “Sibirien” hatte. Dazu ein angestrengtes Studium. Also Opfer genug.

In der Pfarrei selber setzte auch gleich ein merklicher Segen Gottes ein; die tägliche Statistik, die wir führten, hat es uns gezeigt. Bei der ersten Messe war niemand von allen Leuten der Pfarrei anwesend. Am 2. Tag kamen einige neugierige Schulkinder. Vom 3. Tag an wartete dann täglich ein ganzes Rudel dieser Kinder schon oben vor unserm Haus, um die “vielen pfohrer” zu begleiten. – 0 diese Kinder! Sie waren es an erster Stelle, die mit uns Priestern durch dick und dünn gingen. So erzählte mir zum Beispiel die kleine Erna (7 Jahre alt, ihr Vater ein verbissener Kommunist): “Am Samstag hatte mich mein Vater geschlagen, weil ich immer mit euch gehe. Aber das macht mir nichts! Heute hatte er mich eingesperrt, damit ich nicht kommen könnte. Da bin ich zum Fenster hinausgesprungen. Er wird mich wieder schlagen. Aber das macht mir nichts!” – Natürlich haben diese vielen Kinder auch zu Hause ihrer Begeisterung freien Lauf gelassen und waren dadurch unsere besten Propagandisten geworden, bis hinein in die hintersten Familien.

Die Kinder waren aber auch unsere besten Berichterstatter über Krankheit, Not und Elend in der Pfarrei.

Wie wunderten sich die Leute, daß wir Patres so schnell alle Kranken aufstöbern und besuchen konnten. Sie kannten eben unsere jungen Such- und Spürhunde nicht, die mit wahrer Begeisterung uns täglich vor dem Unterricht alle Kranken und manches Elend der Pfarrei meldeten. Wie vielen Schwerkranken konnten dadurch die Sakramente gespendet werden, die sonst ohne Christus gestorben wären! Dazu nur ein Beispiel.

Der kleine Hansi meldet mir: “Herr Pater, im Heidenhof ist ein Mann sehr krank, aber einer, der von der Kirche nichts wissen will.” – Der Heidenhof ist ein großer Gebäudekomplex, in Hufeisenform gebaut, der in früheren Zeiten die “Heidinnen” für die nahe Kaserne beherbergte. Jetzt sind zwar diese Schmetterlinge fortgezogen, aber was zurückgeblieben, war eher ein Heide als ein Christ zu nennen. – Gleich besuchte ich den Kranken, und nach langem Sträuben hat er doch endlich eingewilligt, zu beichten. “Und morgen bringe ich Ihnen die heilige Kommunion und die Krankenölung!” Ich war entschlossen, diesem Harten die nötige Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten abzuringen. – “Kinder, morgen nach der Schule kommt ihr in die Kirche, um dort den lieben Heiland zum Heidenhof zu begleiten!” Sie ließen sich’s nicht zweimal sagen, gleich eine ganze Kompanie ist angetreten. Jedem gab ich ein brennendes Kerzenstümpfchen in die Hand, und vorwärts ging die lange Lichterprozession, laut betend, dem Heidenhof entgegen. Selbst die Straßenbahn mußte warten, bis unser langer Zug die Straße überquert hatte. Mit welcher Begeisterung meine kleinen Apostel beteten und sangen, läßt sich leicht ausdenken. Als wir dann endlich ins

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große Geviert des Gebäudes einzogen und die Kinderstimmen im Hof widerhallten, da öffneten sich Türen und Fenster und die meisten der Neugierigen beteten mit. Dann füllte sich die Krankenstube mit dem Schein der Kerzen und mit den strahlenden Gesichtern, die für “ihn” beteten. Er hätte kein Kärntner Gemüt haben müssen, um noch weiterhin diesem Ansturm der Liebe sich zu widersetzen. Die hellen Tränen rollten ihm nun aus den Augen und – wieder einmal hat Christus gesiegt.

Der Kärntner ist, gleich dem Wiener, ein sangesfroher Mensch. Auf unserem Friedhof in Annabichl liegt der bekannte Komponist Koschat begraben, dessen Lied “Verlassen, verlassen bin ich, wie die Stein auf der Straßen . . .” weithin bekannt ist. Auch wir Zwölf ließen gleich unsere Stimmen erschallen und bald haben sich auch andere sangesfreudige Männer der Pfarrei dazugesellt. Als erster war es der Schmiedemeister, ein kräftiger, starker Mann. Wie oft stand ich später in seiner Schmiede und schaute den glühend sprühenden Funken zu, die er aus den Hufeisen zu hämmern wußte. Aber er verstand es auch, mir Wink und Rat zu geben, wie ich als Priester die Funken Gottes wieder in die Seelen hineinhämmern könnte. Seine Frau, eine von jenen vielen unbekannten Heiligen, offenbarte mir eines Tages: “Herr Pater, wenn ich zuweilen nachts wach werde, dann weiß ich, daß ich vergessen habe, an diesem Abend für Sie zu beten. Und erst dann, wenn ich es nachgeholt, kann ich weiterschlafen.” Ja, der Mensch hat oft mehr als nur einen einzigen Schutzengel.

Nun also war dieser Schmiedemeister zu uns gekommen. Am Werktag ließ er an seiner Esse den Amboß erklingen und am Sonntag seinen tiefen Baß bei uns in der Kirche. Gleich kamen auch noch etliche andere hinzu; unser Männerchor konnte sich hören lassen. P. Hermann dirigierte und ich spielte die Orgel. Zwar eine richtige Orgel hatten wir noch keine, nur ein Harmonium. – Darum zimmerte ich in einer Schreinerei noch ein Pedal, ließ mir dazu vom Orgelbauer die nötigen Stimmen kommen, und als Windmotor installierte ich einen umgedrehten Staubsauger. Somit hätte man das ganze als eine richtige Orgel betiteln können. Doch es hatte nur noch einen Fehler, und der war: es ging nicht, es tönte nicht. Die Puste unseres alten Staubsaugers war zu schwach. So blieb es halt weiterhin nur ein Harmonium. Doch um so jubilierender sangen die Tenöre, knurrten unsere Bässe. So hat zum Beispiel unser Karl mit Leichtigkeit das hohe A erreicht. Zum B ging’s auch noch leidlich. Doch das hohe C – ach, wie gerne hätte er es erreicht! – das mußte er dem Caruso überlassen. So sangen wir jeden Sonntag zu Amt und Andacht, und nach und nach füllte sich die Kirche mit gläubigen Christen.

Aber auch zu anderen Gelegenheiten hat man uns gewünscht. Zu Weihnachten gaben wir dem Personal der großen Landes-Irrenanstalt ein Konzert, und unser Lied “Winternächt’ges Schweigen” mußte mehrmals wiederholt werden. Bei einer anderen Darbietung in einem Theatersaal hatte unser Chorlied “Ein Frater Kellermeister, der wohnte an dem Rhein” ein besonderes Wohlgefallen gefunden.

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So ist es also leicht verständlich, daß die Leute, die damals den Ruf einer kommunistischen Hochburg hatten, nun nach und nach eine andere Ansicht über den katholischen Priester sich bildeten.

Ja, sogar die Theaterbühne machten wir zu einer zweiten Kanzel. Meine strammen Burschen vom “Reichsbund katholischer Jugend” und ebenso die Kinder des neugegründeten „Jungkärnten” gaben die besten Schauspieler ab. In die Theaterstücke fügten wir dann immer an geeigneten Stellen kärntnerische Volkslieder und Szenen mit religiösem Einschlag hinzu, denn die zweite Kanzel war ja schließlich für uns die Hauptsache und eine Freude für die Kinder. Muttergotteskleider und Engelsflügel rauschten darum oft über die Bühne. So liebten es die Kärntner, die ja bekanntlich eine große Vorliebe für Maria haben. Bei dem Missionsstück “Caonabo, der dunkle Mond” habe ich selber den Missionar dargestellt. Hatte ich doch diese Rolle schon in meiner Jugendzeit einmal gespielt. Doch jetzt war es Spiel und Wirklichkeit gemeinsam.

Die Heimstunden unserer Jugendgruppen hielten wir in dem Saale unter der Kirche. Zuerst war dieser Saal ein elendiges Loch. In vielen Arbeitsstunden richteten wir ihn her. Der Bischof selbst hat uns die Bretter für den Boden geliefert. Nun war also reger Betrieb auch hier unter der Kirche entstanden. Zur Adventzeit war ein besonders fleißiges Kommen und Gehen, denn wir hatten einen Wettbewerb zur Krippenausstellung unternommen. Da mußte nun manch kommunistischer Vater, ob er gern wollte oder nicht, ein sonniges Bethlehem malen und eine phantastisch gekleidete Madonna herzaubern, weil sein Sprößling, der unbedingt einen Preis erringen wollte, ihm nicht eher Ruhe ließ. – Und das war unsere dritte Kanzel.

Um die Schulden, die noch auf der Kirche lasteten, abzahlen zu können, haben wir außer Sammlungen und Theater auch noch Volksfeste veranstaltet. Da standen nun allerlei Buden mit den verschiedensten Attraktionen. So war zum Beispiel eine Bude mit der Aufschrift: “Zwei Annabichlerinnen – von über drei Meter Länge. Eintritt 2.- Schilling.” Wer herauskam war voller Fröhlichkeit und hat seine Freunde hineingewiesen. Was war darin? Zwei Rinnen, Annabichler Dachrinnen von über 3 m Länge, bunt bemalt, mit Blumen verziert.

Zugunsten unserer Kirche starteten wir sogar eine Schneerosenaktion. In den Karawanken gibt es viele dieser cremeweißen Schneerosen. In schöne Schachteln verpackt, sandten wir sie an alle Hochzeiten und Festlichkeiten, deren Adressen wir aus den Zeitungen ausfindig machen konnten. Beim Röslein lag die Bitte um eine Spende für unser armes Kirchlein. – So konnten wir allmählich die noch fälligen Schulden unserer Kirche begleichen und dieser ehemalige alte Stall ist zu einem Bethlehem der religiösen Erneuerung geworden.

In Klagenfurt, wie auch im ganzen Lande, ist die Zeit um Ostern nicht nur eine Fast-, sondern auch eine Festzeit, deren alte Volksbräuche besonders am Karsamstag hohe Wellen schlagen.

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Karsamstag, Vortag der Auferstehung und Fest der Fleischweihe. – Die Kirche ist zum bersten voll, und noch immer drängen sich neue Massen mit ihren langen Körben unter dem Arm zur Tür herein. Was sie tragen, ist ein buntes Gemisch von all den guten Sachen, wonach ein hungriger Magen nach einer langen Fastenzeit verlangt oder wenigstens verlangen würde, falls er gefastet hätte. Den Schinken, den Speck und den Braten umkreisen die Eier und Früchte. Hausbackenes Brot und reich verzierter Guglhupf, hier “Reindling” benannt, sind festlich umrankt von Salat und Spinat, und dazwischen glühen Orangen. Auch Möhren und Tomaten dürfen nicht fehlen. Dies alles umduftet ein scharfer “Krän” (Rettich), der das zu weihende Salz – noch schärfer zu salzen hat. All diese Gaben umschließt nun noch die Kette appetitlicher Würste. Und das schönste Tuch, das der Hausfrieden birgt, darf alle diese Herrlichkeiten decken.

Ja, die Fleischweihe ist im Rituale des liturgischen Jahres der Kärntner ein Fest erster Klasse. Noch lange duftet die Kirche nach dieser heiligen Weihe.

Dann folgt die “Auferstehung”. – Die Freude, die sich zu Hause bei Tisch innerhalb der vier Wände kundgetan, will sich nun auch nach außen hin ergießen. Das geschieht in der Auferstehungsprozession. Dieser “Umgang” ist sicherlich für den Kärntner nicht nur ein Spaziergang mit religiösem Gepräge und Gepränge, sondern auch eine äußere Danksagung an Gott, dessen Güte er auch draußen in der Natur empfinden will; eine Danksagung an den, der ihm den Tisch so reich gedeckt. Darum liebt er seine Prozessionen.

Damit nun seine Freuden auch weit hörbar hinausschallen und -knallen, stellt er seine dicksten Böller auf. So zogen wir mit Kreuz und Fahne singend und betend in Gottes schöne Natur. An der Spitze marschierte einer unserer Theologen, der das hohe Prozessionskreuz trug. Als wir eben um eine Ecke bogen, knallte einer dieser Böllerschüsse mit einem solchen Blitz und Donner ihm entgegen, daß das Kreuz ihm entglitten wäre, hätten nicht seine beiden Assistenten es noch schnell gerettet. Weiter ging es unter den Klängen der Musik und mit den wehenden Fahnen, der Kirchenchor mit Liedern und die Kinder mit fröhlichen Gesichtern. Nur die Feuerwehr versuchte unter ihren Helmen das ernsteste Gesicht zu machen, was oft nicht jedem gut gelang. Gott preisend und lobend, sind wir schließlich zu unserem Gotteshaus zurückgekehrt. Das war unser erster “Umgang”.

Auch in Annabichl haben wir gleich einen neuen Baldachin angeschafft.

Mit dem Emausgang am Ostermontag nach Maria Saal fand der Osterritus seinen Abschluß. – Für uns aber kamen nun wieder die grauen Alltage, die Zeit der ernsten, stillen Arbeit, von der keine Schrift und kein Chronist berichtet. Und doch ist gerade dieses ruhig-stille Mühen das wichtigste bei jeder Gottesarbeit.

So reihte sich nun Tag an Tag, verliefen die Monate, kamen und gingen die Jahre – bis ich dann wieder meine Koffer suchte, um einem neuen Ruf

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zu folgen, diesmal ins schöne Böhmerland. Ja, ich, ein Missionar vom Kostbaren Blute, ich bin ein ewiger Zigeuner Gottes.

Nun denn, es lebe die Freiheit, auf nach Böhmen! Doch Kärnten bleibt mir unvergeßlich.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. ½, Juli/August 1963, S. 22-26 (14. Fortsetzung).

… und dann wurde ich              (14. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

In meiner Bubenzeit sang ich gerne das Lied vom Böhmerwald. Damals ahnte ich nicht, daß einmal dieses Böhmerland mit all seinen Naturschönheiten mich umfangen wird. Wie sind wir so plötzlich in dieses Land gekommen? Eine Anzahl Studenten, die in dem böhmischen Dörfchen Lindenau im Privatunterricht des dortigen Herrn Dechant standen, wollten sich nun unserer Kongregation anschließen. Ein neues Seminar C. PP. S., unser erstes ausländisches Missionsseminar, sollte eröffnet werden. Provinzial P. Jussel beauftragte mich mit dieser Aufgabe.

So reiste ich wieder ab mit meinen zwei Koffern, doch ohne Geld – P. Gregory hatte fast nie Geld, und nur mit einem “In Gottes Namen, versuch’s halt, ’s wird schon gehen!” hat er die Seinen in die Welt geschickt. – Der schönste Film für mich war immer, wenn ich am offenen D-Zug-Fenster stehen und den farbigen Panoramafilm Gottes genießen konnte. Nur das eine, die unbekannte fremde Sprache war meine Sorge. Doch bald hieß es: “Leitmeritz, aussteigen!” Ich war an meinem Ziel. Diese interessante Sudetenstadt sollte nun durch Jahre hindurch meine neue Heimat sein. – Was ist Leitmeritz, oder besser, was war Leitmeritz, noch bevor es durch die Vertreibung der dortigen Sudetendeutschen zu einer entblätterten Blume wurde? Ich möchte in kurzen Strichen das Wesentlichste dieses Städtleins zeichnen.

Wer von Prag aus sich mit dem Zuge dieser Stadt nähert, sieht schon von Ferne die Kathedralkirche weit über das Häusermeer emporragen, und die Elbe und die Eger fließen heran und vereinigen sich hier. Leitmeritz war der Mittelpunkt des ganzen sudetendeutschen katholischen Lebens in Nordböhmen und der Sitz des einzigen deutschen Bischofs im böhmischen Land. Die Diözese gehörte ihrer räumlichen Ausdehnung nach zu den größten der katholischen Welt, denn nirgends in ihr gibt es Großstädte, in denen die Bevölkerung eng zusammenwohnt, sondern die Einwohner verteilen sich auf viele kleine Städte und zahllose Dörfer und Weiler, die sich von der Ebene und der hügeligen Landschaft bis hoch in das Gebirge hinauf, in die einsamsten Gegenden erstrecken. Von den ehemaligen 1,8 Millionen Gesamteinwohnern bekannten sich 1,3 Millionen zum katholischen Glauben. Die Leitmeritzer Diözese war die einzige des ganzen Landes, wo die Deutschen unter den Katholiken über drei Viertel der gesamtkatholischen Bevölkerung ausmachten.

Von Linden umrauscht, steht da in der Mitte des mächtigen Marktplatzes die ragende Mariensäule, das Wahrzeichen so vieler katholischer Städte Böhmens, die hier alles beherrscht, und um deren Sockel vier steinerne Heiligenbilder nach den vier Himmelsrichtungen sich erheben. Während in Prag die herrliche Mariensäule auf dem Rathausplatz in den Wirren der Nachkriegszeit von Ungläubigen zertrümmert wurde, ragt sie hier wie ehedem, alle

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Ereignisse überdauernd, unversehrt zum Himmel. Kirchen, Klöster, denkwürdige Bauten und Häuser stehen in der Runde.

Mitten in der Stadt ist ein merkwürdiges Gebäude aus der Zeit der früheren böhmischen Glaubenskämpfe: das sogenannte “Kelchhaus”. Es ist ein Haus mit einem hohen, kelchartigen Turm, der daran erinnert, wie die Hussiten in Leitmeritz den Utraquismus predigten, den Empfang der Kommunion unter beiderlei Gestalten. Aber neben diesem Kelchhaus steht auch noch sein Gegenstück: die “Alte Königsburg”, die die Zufluchtsstätte der Katholiken war.

Auf einer einsamen Hügelgruppe ragt die Kathedralkirche zu St. Stephan majestätisch in den Himmel hinauf. Am Kapuzinerplatz, etwas entfernter vom Stadtinnern, erhebt sich das Kapuzinerkloster mit der Kirche der heiligen Ludmilla. Die berühmte Stadtkirche zu “Allerheiligen” mit ihren prächtigen Pyramiden ist eine der eigenartigsten Kirchen Böhmens; sie erhebt sich neben dem Stadtturm, der in seinem Glockenstuhl sieben Glocken Raum bietet. Nebenan in der Jesuitengasse treffen wir, auf einer Terrasse thronend, die barocke Jesuitenkirche. Wie ein Wächter am Stadteingang steht neben ihr die große theologische Lehranstalt der Diözese, das Priesterseminar, in dem unsere Missionsstudenten bald ihre Studien aufnehmen konnten. Unweit des Stadtzentrums steht die Dominikanerkirche. Das anschließende Dominikanerkloster hat uns seine gastlichen Tore geöffnet und uns ein Nebengebäude zur Errichtung unseres “Missionsseminar Leitmeritz” zur Verfügung gestellt.

Wir waren ein Pater, ein Laienbruder, unser Koch und vierundzwanzig Theologen, von denen sieben aus der Tschechoslowakei, einer aus der Schweiz und die übrigen alle aus Deutschland waren. Unsere Einnahmen waren nur sehr gering, denn das damalige Devisengesetz erlaubte jedem nur, 10 Mark im Monat sich senden zu lassen. Gott mußte da helfen und uns neue Quellen auftun. Doch gerade diese Armut hat uns zu gegenseitigem Helfen und Verstehen zusammengeschweißt. Wir wurden ein Herz und eine Seele.

Unser Verhältnis zur ausländischen Umgebung war rasch ein freundliches geworden. Die Musik war dabei unsere Wegbereiterin. Wir bildeten einen beachtlichen Männerchor, an dem selbst das Echo der großen Dominikanerkirche sein Gefallen hatte. P. Sadok o. Praed. brachte mir sogar ein Cello, mit dem ich, fleißig übend, an den Hochfesten seine Missae solemnes untermalen mußte. Im Kindergottesdienst habe ich oft die melodiösen tschechischen Lieder auf der Orgel begleitet. Das “svaty, svaty” zum Sanktus hat übrigens die gleiche Melodie wie unser “heilig, heilig”. – Sprachen trennen die Völker, Musik aber eint.sie wieder.

Da auch der Bischof unserem kleinen Missionsseminar seinen Besuch angesagt hatte, übten wir festliche Empfangslieder ein und bekränzten unsere Pforte. Doch vermutlich aus politischen Rücksichten und Vorsichten ist es zu einem Empfang nie gekommen. Die Stellung des Bischofs in diesem Land der fünf Völkerschaften war eine prekäre.

Da in der ersten Zeit für unsere Theologen noch keine Möglichkeit be-

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<Gruppenbild mit Patres>

stand, im großen Priesterseminar die Vorlesungen zu besuchen, haben wir diesen Unterricht in unserem eigenen Missionsseminar eingerichtet. Zwei Dominikanerpatres, die früher Professoren an ihren eigenen Ordensschulen waren, haben ihr altes Hobby gerne wiederaufgenommen und gaben täglich bei uns in mitbrüderlicher Hilfsbereitschaft Vorlesungen aus Philosophie und Theologie. Dazu kamen noch zwei Professoren aus dem bischöflichen Seminar, die in ebenso zuvorkommender Weise bei uns um Gottes Lohn Vorlesungen hielten. Und wenn ich noch den fünften Dozenten unseres Lehrkörpers erwähnen darf – es war ein Missionar vom Kostbaren Blute, den die Leser des Herold selbst erraten mögen. Die Fächer, die er gab, waren Moral, Kirchengeschichte und Homiletik (Predigtkunde). Unsere „kleine theologische Fakultät” funktionierte ausgezeichnet. So konnten nun die zukünftigen Priester, Missionare und Prediger heranreifen.

Die Predigtübungen wurden im leeren Theatersaal des Klosters gehalten, wo dann so mancher seinem Rednertalent freien Lauf lassen konnte.

Das Tagesprogramm war natürlich genau geregelt. Wenn am Morgen die Wecker ratterten, trat nach zwanzig Minuten jeder im Klosterhof zum Frühsport an. Wir pumpten tüchtig unsere Lungen aus, da wir ja in der Nacht alle zusammen auf ziemlich engem Raume schlafen mußten. Anschließend ging es zu unserer Kapelle. Dieses Heilig-Kreuz-Kapellchen hat der Dekan der Stadt eigens für uns ausmalen und herrichten lassen. Wohltäter spendeten Ciborium und Missale. (Beides dient noch heute hier in Kleinholz.)

In Leitmeritz ist ein bekanntes Kirchlein, das dem heiligen Adalbert geweiht ist. War doch dieser Heilige einer der größten und berühmtesten Bischöfe Prags. Zu diesem Kirchlein wurden wir oft, besonders an den Festtagen, eingeladen, Predigt und Andacht zu halten. Gerne entsprachen wir immer dieser Bitte.

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Aber auch die Kolpingsbrüder fanden den Weg in unser Heim. Sie baten mich, ihr Präses und geistiger Betreuer zu werden. Ihr fröhlicher Familiengeist war ein außerordentlich guter. – An interessanter Arbeit hat es mir also nicht gefehlt. Ja, schließlich wurde ich auch noch von höherer kirchlicher Stelle gebeten, das Amt des Referenten des “Katholisch-deutschen Schulvereins” zu übernehmen. (Was man nicht alles von einem Missionar erwartet und ihm zutraut!) Zu guter Letzt richtete ein Kanonikus des Ordinariates an mich das Ersuchen, im weiten Böhmerland Lichtbildervorträge über die Mission am Amazonas zu halten. Das “Katholische Missionswerk” hatte nämlich einen ausländischen Brasilienmissionar hierzu eingeladen und durch die Kanzeln und Plakate schon an vielen Orten seinen Vortrag verkünden lassen. Nun war dieser Missionar plötzlich erkrankt. Deshalb ersuchte man mich, diese Vorträge zu übernehmen, zumal da auch wir unsere Mission am Amazonas hätten. Da inzwischen das bischöfliche Seminar meinen Theologen die Tore geöffnet hatte, mußte ich diese Bitte erfüllen und das Angebot annehmen. Schnell raffte ich meine Kenntnisse über Schlangen, Affen und Indianerleben, die ich aus dem Herold noch in Erinnerung hatte, zusammen, und die Vortragsreise über unsere Brasilienmission konnte beginnen. – Wieder hatte Gott eine neue Quelle zur finanziellen Hilfe uns aufgetan und selbst den fernen Xingu beauftragt, uns hier im Böhmerland den Tisch zu decken helfen.        .

Damit auch die Theologen die Schönheit des Landes kennenlernten, machten wir verschiedene Ausflüge. Der schönste dürfte wohl gewesen sein die Wanderung das Elbtal hinab. Dieser Ausflug von Leitmeritz nach Aussig über den Ludwig-Richter-Weg zur Zeit der Kirschblüte lockt sogar Schiffe voller Ausflügler selbst von Dresden hierher. – Elbetal, ein schönes Tal.

<Foto gelegentlich eines Besuches von P. Provinzial Jussel>

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Das Schönste aber für uns war doch schließlich, als die ersten fünf unserer Theologen ihr hohes Ziel endlich erreicht hatten und die heilige Priesterweihe erhielten, um dann in ihrer Heimat die so lang ersehnte Primiz zu feiern. Die Mühen und Sorgen um junge Priester hatten ihre ersten Früchte gezeitigt und die Freuden des Erfolges waren berechtigt.

Doch leider, der Ausblick in die Zukunft fing an, sich zu verdunkeln. Die Spannungen unter den fünf Nationalitäten der Tschechoslowakei wurden immer ärger, und die Friedenssonne im Sudetenland neigte sich zusehends. Uns aber hat Gott noch rechtzeitig vor dieser politischen Explosion bewahrt.

Nach dem letzten Semester des Studienjahres legte der Bischof uns nahe, die Studien der noch übrigen Theologen in der deutschen Heimat zu vollenden. Wir folgten seinem Rate. Im nächsten Jahr schon ist das Sudetenland zum Hexenkessel politischen Wahnsinnes geworden.

Wir aber dankten Gott, der uns geführt und uns gesegnet, da er doch schließlich aus diesem ersten kleinen Missionsseminar sechzehn junge Priester hat hervorgehen lassen.

Für Gott hat es begonnen, mit Gott ward es vollendet.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. 5/6, November /Dezember 1963, S. 15-17 (14. Fortsetzung zum zweiten!)

••• und dann wurde ich              (14. Fortsetzung)

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

Für die Geschichte unserer Deutschen Provinz ist sicher von besonderem Interesse die Entstehung unserer Mission in Brasilien. Gibt es doch heute leider kaum noch zwei oder drei Personen, die die Uranfänge dieses Missionsgedankens noch miterlebt haben.

Der Missionsplan “Brasilien” ist folgendermaßen entstanden:

Im Provinzialat von P. Jussel lief täglich eine Reihe von Briefschaften ein. Eines Tages war darunter auch ein Schreiben des Franziskanerbischofs Bahlmann aus Brasilien. Dieser hatte geplant, die Hälfte seiner Diözese abzutrennen, den Teil des Xingu, und es einer anderen Genossenschaft anzuvertrauen. Rom befürwortet seinen Plan. “Meinen dreifachen Segen”, sagte der Papst, “dem, der dorthin geht!” So suchte Bischof Bahlmann in der weiten katholischen Welt einen Orden oder Kongregation, die diesen Teil des Amazonasbeckens übernehmen würde. Er schrieb auch an uns, obwohl wir noch eine kleine, junge Provinz bildeten. Waren wir doch damals kaum 18 Patres und jeder davon in vollem Einsatz. Doch P. Prov. Jussel, getreu seinem Grundsatz: “Mir könne alles bruche” (wir können alles brauchen), sagte dem Bischof zu.

Als er uns seinen Entschluß verkündete, waren wir alle sprachlos. Missionen im Ausland sind ja in unserer Kongregation nicht vorgesehen, und nur wer es freiwillig wünscht, kann dort sein Arbeitsfeld finden. Wir Patres begannen nun das Für und Wider des damals uns noch sehr dunklen und gewagten Unternehmens abzuwägen. Angefangen von den Stechmücken bis zum Krokodil, vom Wasserstrudel bis zum Indianerhäuptling, von allen Krankheiten und Einsamkeiten, all das war unser großer Zweifel, unsere ungelösten Fragen. Man sagte uns, daß dort eines der heikelsten Klimas der Welt sei, daß deshalb niemand dieses Missionsfeld übernehmen wolle. Und wir kleine Provinz – die wir vor kurzem erst mit den Missionen des Inlandes (der eigentlichen Aufgabe unserer Kongregation) begonnen hatten, sollten wir uns so schnell in der Grünen Hölle des Amazonas verbluten?

Nun meldete sich P. Markus Schawalder als erster zu dieser ausländischen Mission. Schon von Jugend auf war dies sein heimlicher Wunsch gewesen. Doch wer sollte mit ihm reisen, wer hätte Lust zu diesem gewagten Abenteuer? Damals war diese neue Idee wirklich noch wie ein Abenteuer.

Wie wir später erfuhren, sollte P. Provinzial, wenn möglich, damals schon jemanden in Aussicht stellen, der später das Bischofsamt übernehmen sollte. “Kannst Bischof werden, wirst Bischof werden!” Mit diesen Worten suchte er nun mich für diese “Fahrt ins Blaue” zu bestimmen. Er berief sich sogar auf meine Ansprache, die ich an meinem Primiztag gehalten habe. Ich ver-

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sprach ihm, die Sache zu studieren. Ich kaufte mir ein einschlägiges Werk über Nordbrasilien, geschrieben von einem Franziskanerpater. Doch siehe: darin stand nichts Gutes – fast die Hälfte der dort missionierenden Franziskaner waren am Amazonas frühzeitig gestorben. Und ich, ein junger Priester, kaum ausgeweiht – - “Wer dorthin geht, mag in der einen Tasche den Taufschein und in der anderen. Tasche seinen Totenschein mitnehmen” war meine resignierte Antwort. Und in der Tat, ich sollte Recht behalten. Damals standen der Medizin noch viel wenigere Mittel zur Verfügung als heute.

P. Gregor suchte weiter nach einem Begleiter. Und siehe: zum zweiten Auslandsmissionar ward unser P. Hans berufen. Seine Berufung war recht sonderbar. Das kam so:

P. Johannes war ein recht lustiger Mensch; überraschende Streiche waren seine Lieblingsbeschäftigungen. “Wo erlaubt, da immer das Gegenteil tun!” – darin fand er einen prickelnd reizenden Sport. Da wollte er z. B. eines Tages ein Bad nehmen. “Eine Handvoll Heublumen”, lautete die Anleitung. Er aber nahm mehrere Kilo. Und so wurden ihm Lippen und Ohren grasgrün und das Herz pochte ihm ganz wild. Beinahe wäre er daran gestorben. Doch er hatte ein gutes Herz. – Ein gutes Herz aber auch für die andern, Da begegnete ihm eines Tages auf dem Weg nach Saxerried (Schweiz) ein Bettler, der ihn um eine Hose bat. Schnell verschwand unser P. Hans hinter einem Busch und als er hervorkam, überreichte er dem Bettler seine eigene Hose, während er dann im Talar lachend weitermarschierte, denn er wußte: Nun muß mir P. Provinzial eine neue Hose kaufen. (Und P. Gregory war doch immer in großen Geldnöten wegen seiner vielen hungrigen Buben!)- Kurze Zeit darauf kam ein Bettler ins Xaveriushaus (vielleicht war es sogar der nämliche von früher). “Wollen Sie eine Hose?” frug ihn P. Johannes. – “Gerne.” – Und unser Hans ging unbemerkt ins Zimmer von P.Provinzial, öffnete dessen Schrank, nahm die beste Hose heraus, die er dort fand, und schenkte sie dem Bettler. Zwei Tage später sollte P. Jussel dringend verreisen. Als er nun seinen Sonntagsanzug anlegen wollte, fand er trotz eifrigsten Suchens die Hose nicht. Da hörte er ein Kichern in einer Ecke des Speisesaals, und das hat ihn dann auf die richtige Spur des Übeltäters geführt. Nun regnete es echte Vorarlberger Ausdrücke über diesen Bösewicht. Der aber wollte lächelnd auf einen nächsten Streich nachsinnen.

Da kam jedoch auch über P. Jussel (Druck Jusses) die richtige Erleuchtung: “Jetzt wirst du mir keine Streiche mehr machen – ich werde dich zu jenen Menschen schicken, denen du keine Hosen mehr klauen kannst. Du gehst zu den Indianern im Urwald.” – Gesagt, getan.

So wurde Hochwürden P. Johannes Rinderer zu unserem zweiten Urwaldmissionar Brasiliens.

Inzwischen war auch Bischof Bahlmann selber in Feldkirch eingetroffen. Wir Patres hatten einen ganzen Katalog von Fragen an ihn zu richten. Doch viele beantwortete er nur: “Kommen Sie herüber und Sie werden es dann selber sehen.” Und sogleich reiste er ab.

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<Bild: Links: P. Schawalder, Mitte: P. Jussel, rechts: P. Rinderer>

Nach einer herzlichen Abschiedsfeier im Xaveriushaus sind am 29. Oktober 1929 unsere beiden Urwaldmissionare nach Brasilien abgereist. Nun waren sie ganz auf sich allein gestellt, und ein großes Neuland lag vor ihnen; Sprache und Sitten völlig unbekannt. In Brasilien gibt es an die hundert Gesundheitsregeln, beginnend mit den Worten “Faz mal” (“Man darf nicht”), die jeder Brasilianer kennt. So z. B.: “Faz mal am heißen Tag vom Baum Bananen zu pflücken und sie sogleich verzehren.” Darum tut sich der Europäer anfänglich schwer in diesem Gestrüpp von Gesundheitsregeln. Das Leben unter dem Äquator ist halt anders als bei uns; es ist monoton und doch aufreibend, es ist gefährlich, oft überraschend gefährlich.

Und diese Überraschung kam uns allen allzu schnell: Nach vier Monaten war P. Johannes Rinderer in Brasilien gestorben. Ich hatte also leider doch recht behalten. Er, der zweitjüngste aller Patres, war der erste, den der Tod aus der Deutschen Provinz geholt. – Brasilien ist wirklich eine Grüne Hölle.

P. Markus aber war lange Jahre hindurch der Schutzengel der Allerärmsten Brasiliens, der Aussätzigen. Gott allein kennt das viele Gute, das er diesem tiefen Elend hat schenken können, und zwar durch viele Jahre hindurch, bis ihm der Allmächtige seine irdische Armut mit himmlischem Reichtum belohnte.

Das also waren unsere beiden ersten Pioniere in der großen Gottesarbeit des Urwalds.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. 9/10, März/April 1964, S. 24-26 (15. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich                            (15. Fortsetzung)

MISSI0NÄR vom Kostharen Blute

<Bild: Primiz in St. Korneli>

Mein Weg als Missionar vom Kostbaren Blute hat mich auch an ein ganz idyllisches Plätzchen geführt: nach St. Korneli (Vorarlberg).

Was ist St. Korneli? Wer einen Gang ins Märchenland sich vorstellen will, der gehe einmal von Feldkirch hinauf zum Höhenzug des Schellenberges, dort, wo auf der Landkarte der “rote Strich” verläuft, die Grenze zwischen Osterreich und Liechtenstein. Hart an diesem Strich liegt es, das alte Wallfahrtskirchlein St. Korneli.

Von fern schon grüßt uns die Ruine einer alten Ritterburg, von der nur noch der trutzige Burgfried sich in unsere Zeit gerettet hat. Der Weg zum Berg hinauf schlängelt sich durch duftigen Tannenwald, vorbei an Felsen, mit Efeu überwuchert. Oben angelangt, grüßt uns eine mächtige Eibe, die schon hundert Jahre gesehen und deren Rinde sagenhafte Kräfte zugeschrieben werden. Hart dabei steht die alte Wallfahrtskirche zur Mutter Gottes von Lourdes. Hier ist der Gutshof mit Gasthof und dazwischen die Stallungen. Am Wegrand plätschert ein kleines Brünnlein.

Das Wohnhaus war, als wir es übernahmen, in einem elendigen Zustand. Darum war unsere erste dringende Aufgabe, sein Ziegeldach zu erneuern. Natürlich war solche Dachdeckerarbeit für unsere Studenten des nahen Xaveriushauses eine angenehme Abwechslung, die sie sich nicht entgehen ließen. – St. Korneli war ja hauptsächlich als Ökonomie für das Xaveriushaus erworben worden. So strahlte nun bald das alte Haus in neuem Gewand, und über der Tür wurde das Wappen der Kongregation angebracht. Nun hatten unsere Xaverianer auch einen eigenen Fußballplatz, draußen auf der Wiese, wo ringsum die hohen Tannen stehen. Aber das Wichtigste, wenn auch das Unscheinbarste, war doch außer der Kirche die Okonomie, der alte Stall, in dem eine Reihe prächtiger “Milchproduzenten” untergebracht waren. Sie waren die frohe Sorge unserer Brüder, unserer braven, emsigen Brüder.

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St, Korneli war immer ein Lieblingsplätzchen für die Sonntagnachmittags-Spaziergänger aus Feldkirch und Umgebung. Um drei Uhr läutete das Glöckchen zur Andacht, Rosenkranz und Segen. An den Festtagen war Predigt, bei der die junggeweihten Missionare ihr Erstlingsfeuer entzünden konnten. Nach der Andacht ging man zum Gasthaus hinüber, um am Leiblichen sich gütlich zu tun. Vor dem Haus auf dem Zaun turnte ein Prachtexemplar eines Pfaues, der sehr gerne, besonders wenn Kinder ihn bestaunten, sein herrliches Rad produzierte. Drinnen im Haus im Nebenstübchen saßen wir Patres zusammen mit P. Provinzial und freuten uns an guter Unterhaltung und an “warmen Würstchen. Das waren immer fröhliche Stunden. Aber gerade nach solch frohen Stunden führte P. Jussel uns zum Kirchlein und zeigte uns das Plätzchen, das er sich für seine “große Ruhe in Gott” ausgesucht hat: dort draußen an der Kirchenmauer, in der stillen efeuumrankten Nische. Daneben war schon das Grab eines Missionars C. PP. S., des P. Lejeune. Dieser Pater war aus der Amerikanischen Provinz, hatte in Rom studiert, war dort erkrankt und kam dann zu uns ins Xaveriushaus, wo Gott ihn schließlich von seinem schweren Leiden erlöste.

Inzwischen aber war St. Korneli das sichtbare Zeichen des Ora et labora (bete und arbeite) unserer Brüder geworden. Ich aber sollte dabei der “Ökonomierat”, der Gutsverwalter sein. Mit einem “Gott walte es!” ging ich. an meine neue Arbeit. Dreitägige Exerzitien für die Brüder suchten uns den Segen des Himmels zu sichern. Dann stöberte ich im Kirchlein nach neuer Arbeit. Als ich den Turm hinaufstieg und durch das alte Gebälk des Dachstuhles kletterte, da wurde es lebendig unter dem nachtscheuen Gesindel von Fledermäusen, Nachteulen und Uhus. Ich entdeckte eine alte Turmuhr, die an Kreislaufstörung hier geendet hatte. Die wollte ich nun wieder zu neuem Leben erwecken. Wie schön, so dachte ich mir, wenn die stille Einsamkeit unseres kleinen Tales nun Stunde um Stunde von trautem Glockenschlage widerhallt. Doch der Rost an den Uhrrädern war stärker als mein Können. So sammelte sich nun wieder das lichtscheue Gesindel, um weiterhin in ihren Nächten zu knurren und zu gurren.

Ja, St. Korneli hat seine Geisternächte. Wenigstens so behauptete es einer unserer Brüder. Ich aber glaubte nicht daran. Doch da kam eines Tages von der nahen Grenze her ein Grenzpolizist und avisierte uns, auf der Hut zu sein wegen lichtscheuen Gesindels, das in der Nähe sich herumtreibe. Für uns war es eine willkommene Abwechslung in der Monotonie unserer Waldeinsamkeit. Etlichen Brüdern kochte es schon in den Adern vor Abenteuerlust. Unser Kriegsrat beschloß nun, die beiden Hunde auf die wichtigsten Posten, zu bringen: den großen hinüber in den Stall, den kleinen herüber in die Gastlokale, deren innere Türen wir aus den Angeln hoben, um damit den Ausgang zu verrammeln. In der folgenden Nacht weckte uns der große mit einem mächtigen Gekläff. Wir sprangen heraus, zum Stall hinüber, und im Scheine unserer Blendlaternen wurde das ganze Heu umgestochen. Nichts war zu finden, gar nichts! – Nur der Mond lachte verschmitzt durch die Wolken.

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Am nächsten Tag gingen wir  hinauf zum Jägermeister: ob er so freundlich sei und uns helfe. Der nahm von der Wand seine alte Donnerbüchse, lud sie, mit zwei Platzpatronen und hing sie mir um. – Welch ein Gefühl der Sicherheit kann doch ein solches Knallrohr verleihen! – Er erzählte uns noch einige gruselige Räubergeschichten – natürlich war es sein Jägerlatein -, gab uns noch einen Ochsenziemer in die Hand, und so ermutigt von der Schutzkraft dieser Dinge, stiegen wir hinab. Es war schon dunkel geworden. Wir warteten also weiter auf die Dinge, die da kommen sollten.

In der folgenden Mitternacht klopfte es an meine Tür: “Herr Pater, hier oben auf dem Estrich ist was los!” Sofort war ich heraus, und mit dem Drilling in der Hand stiegen wir die Falltreppe hinauf. Leise schleichend und suchend, wo das Geklopfe herkam. Gespensterhaft züngelten die Blendlaternen. Was war es? Etwa ein Geisterspuk der alten Schloßbewohner drüben von der Ruine? Es klopfte rhythmisch weiter. Waren es die unbeglichenen Taler einer nun büßenden Geistersee1e? Was war es nur? – Nun, nichts anderes als ein Holzwurm, der mit seinen Kollegen im alten ausgetrockneten Gebälk so unermüdlich hämmerte. “Schade”, sagte ich, “wirklich schade!” – “Aber dann knallen Sie mal doch wenigstens dort zum Fenster hinaus, das gibt ein herrliches Echo droben an den Felswänden in dieser Mitternacht!” Doch im letzten Moment beherrschte ich mich, denn ein einsamer Schuß hätte sicher bei allen österreichischen und schweizerischen Grenzposten die Alarmstufe 1 ausgelöst. In diesen Tagen lagen sie doch selber alle auf der Lauer. “Schade”, sagte ich noch einmal und ging zu Bett. Doch den Vorhang zog ich fester zu, um dem lachenden Mond nicht unter die Augen zu kommen.

In der folgenden Nacht schrie die Frau des einzigen Nachbarn herüber: eine dunkle Gestalt schleiche beständig ums Haus. Nun hatten wir wieder Großalarm, um doch endlich zu einem greifbaren Erfolg kommen zu können. Doch trotz eifrigsten Suchens war nichts mehr zu finden; niemanden sahen wir rennen, niemanden eilig davonjagen. – Nur der Mond, der ging so stille durch die Abendwolken hin.

Als wir am nächsten Morgen unsere beiden Ponys vor den Milchwagen anspannten – es war Sonntag -, kam aus dem Gebüsch ein Mann heraus, verwildert und scheu. Als er uns erblickte, drehte er eiligst um. “Da ist er ja! Los! Dort geht er ja.” Als wir unsere Pferdchen antrieben, um ihm nachzujagen, war er im nächsten Busch verschwunden und ward nie mehr gesehen. – Der Spuk war also aus, unser Abenteuer war zu Ende.

“Wir lieferten unsere Waffen ab, hängten die Türen wieder ein, und der Gleichschritt des täglichen Lebens nahm seinen gewohnten Fortgang. Nur der Pfau schrie weiter am Tag und die Eulen und Käuzchen in der Nacht.

Liebe Heroldleser. Warum erzähle ich diese im Grunde so nichtssagende Episode? Ich habe sie ganz wahrheitsgetreu erzählt. Warum? Vielleicht der Unterhaltung wegen? Mag wohl sein. Aber auch, um euch zu zeigen, daß das Leben eines Klosterbruders nicht nur in Rosenkranz und eintöniger Arbeit besteht, sondern daß auch der Tag, ja selbst auch die Nächte eines gottgeweihten Menschen voller Romantik und Erlebnisse sein können.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 39. Jg., H. 11/12, Mai/Juni 1964, S. 23-25 (16. Fortsetzung ohne Zählung).

••• und dann wurde ich

M ISSI0NÄR vom Kostbaren Blute

Warum wollte ich denn eigentlich Missionar werden? Nun, eine Volksmission in meiner Heimat hatte es mir angetan. Ich wünschte das Gleiche zu werden – und so bin ich es auch geworden.

Der erste Missionschef unserer Provinz war P. Paul. Schon immer war es seine Freude, an Predigten zu arbeiten. Was Wunder, wenn wir Jüngeren nicht auch von der Predigtkunst angesteckt worden wären! Im kleinen Sankt-Kreuz-Kirchlein in Feldkirch hatten wir uns eingeschlossen und dem lauschenden Heiland unsere Begeisterung hören lassen. Meine erste öffentliche Predigt war am Dreikönigstag bei einer Aushilfe in Montlingen im schweizerischen Rheintal. Doch meine erste Missionspredigt startete ich im benachbarten Koblach in Vorarlberg im Jahre 1927. Erstlingsmission – unvergeßlich ist sie mir geblieben. Wir waren zu dritt: P. Paulus, P. Philippus und ich als der Jüngste. Man hat mir das Thema gegeben: „Kindlich lieben, kindlich leiden, kindlich bereuen.” Schade, daß es damals noch kein Magnetophon gegeben hatte. Doch der Anfang war gemacht, der Wunsch erfüllt und das Leben als Volksmissionar hatte begonnen.

Wir Missionare, wir »Zigeuner Gottes”, haben als Wanderfeld das ganze Gebiet des deutschen Sprachraumes. Wir kennen keine Landesgrenzen. Man hat uns schon genannt, die “ewig Reisenden der Firma Jesus”. Beständig sind wir daran, unsere Koffer zu packen – einpacken, auspacken, wieder einpacken … und dies schon durch so viele Jahre. Zur Vereinfachung legte ich mir ein Verzeichnis an von allen jenen Sachen, die ich stets einpacken muß, angefangen vom Missionskreuz bis hinab zum Schuhlöffel, denn nichts darf vergessen werden. 46 Punkte zählt meine Liste, unglaublich viel und unglaublich schwer.

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Und doch ist es für mich etwas ungemein Herrliches, wenn ich beginne: „Schwester, bitte mein Kreuz auf Hochglanz! Morgen geht’s wieder auf Mission”! Dann blinkt die Kette und das Kreuz, denn alles soll zur Ehre Gottes sein. Und erst die Missionen selber! Die kann ich leider nicht beschreiben; die schreibt Gott selbst mit unsichtbaren Lettern in die Seiten menschlicher Seelen. Ich darf nur eines sagen: Wir müssen Gott sehr dankbar sein für unsere schönen Missionen. .

So flogen die Jahre der Gottesarbeit dahin und in den Jahren rollte sich auch die Geschichte unserer Deutschen Provinz ab. Sie brachte in ihrem Auf und Ab auch einen Wechsel unserer obersten Leitung.

In allen religiösen Genossenschaften werden die Vorgesetzten nur auf eine bestimmte Zeit gewählt. So war auch nun für unsere Provinz eine Neuwahl fällig geworden. Sie fand in dem neuen Schulhaus in Schellenberg statt. Alle unsere Patres, sogar der Hw. P. General aus Rom waren erschienen. Die Wahl fiel auf einen Schweizer Mitbruder. Dies war einerseits günstig wegen der damals einsetzenden und drohenden politischen Spannung kurz vor der Besetzung Österreichs. Doch andererseits konnte der Pater nicht gültig zum Amte eines Provinzials, sondern nur eines Vikars gewählt werden, da unsere Regel eine 10jährige Mitgliedschaft zur Bedingung macht. Auch Rom hat dies bestätigt.

Kurz danach ist der politische Strudel in Österreich hereingebrochen. Wer es mitgemacht, dem bleibt es unvergeßlich. Ich war damals gerade im Xaveriushaus, um mich auf eine Abreise nach Spanien und Portugal vorzubereiten, deren Niederlassungen C. PP. S. von der italienischen Provinz auf die Deutsche übertragen worden waren. Bis zur Abreise benützte ich die Zeit zur Erlernung der fremden Sprache. Da ich keine Grammatik auftreiben konnte, nahm ich ein portugiesisches Gebetbuch, das einer unserer Brüder, der es in Brasilien gekauft hatte, mir geschenkt hat.

Draußen in der Stadt war der politische Umbruch losgegangen. Ein Spektakel von Motorrädern und Autos wälzte sich der Grenze zu. Sofort besetzte man alle Klöster und Klosterschulen der Stadt, mit einer Ausnahme – des Xaveriushauses. War es vielleicht, weil die meisten von uns Reichsdeutsche und Schweizer gewesen? Doch so konnte jeder von uns alle seine Sachen durchstöbern und das verbrennen, was nicht für fremde Augen geschrieben war. Am 5. Tag läutete das Telefon mit einem ganz kurzen Glockenzeichen. Wir hoben ab und hörten, wie eine Gestapostation einer anderen den Befehl erteilte: “Morgen geht’s ins Xaveriushaus!“ Sicherlich hatte ein Telefonfräulein diese Gespräche abgelauscht und uns einen Tip gegeben. – Ich aber vertiefte mich ruhig weiter in das Sprachstudium meines Gebetsbuches. Auf einen Zettel schrieb ich mir die portugiesischen und deutschen Wörter zusammen, um sie auswendig zu lernen. So hatte ich gerade folgende Wörter geschrieben: “Michael, verteidigen, Kampf, gegen Nachstellung, böser Feind, stürze Satan usw.” Als ich gerade für einen Augenblick mein Zimmer verließ, kam die Gestapo herein, sah den Zettel und – wie man mir später mitteilte – vertieften sie sich sehr lange Zeit in diesen ihr so verdächtigen Inhalt. Eine fremdländische Geheimschrift, ist dieser Inhalt nicht spionageverdächtig, ist das

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nicht ein Geheimbund mit einem gewissen Michael? Und wer ist dieser neue “Führer” der himmlischen Heerscharen? Schade, daß ich nicht selbst anwesend war. Doch vielleicht hätte ich mir dabei den Mund verbrannt. Jedenfalls hat man bei uns im ganzen Haus nichts Besonderes entdecken können. Darum haben sie uns nach einigen Monaten – das Haus beschlagnahmt, alle mußten fort und unsere sämtlichen Häuser samt Druckerei und St. Korneli waren verloren. Sie raubten auch unser Studienkolleg in Salzburg und ein Himmler nistete sich darin ein. (Es ist das Haus der berühmten Familie Trapp. Film “Sängerfamilie Trapp”.)

In Kleinholz hatte diese “saubere” Polizei in einer Nacht in ein abseits stehendes, halb verfallenes Nebengebäude unseres Hauses durch ein offenes Fenster ein Maschinengewehr hineingeworfen. Wenige Stunden später, um Mitternacht kamen sie dann, weckten alle Patres: “Haben Sie Waffen im Haus? Hausdurchsuchung!” … Und so wurden alle Patres und Brüder ins Gefängnis eingeliefert und das Haus beschlagnahmt. – Das Unrecht wuchs und wurde immer größer.

Ein Baum wollte in den Himmel wachsen. Dann aber kam Gott dazu.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. ½, Juli/August 1964, S. 15-19 (17. Fortsetzung).

••• und dann wurde im´ch

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

17. Fortsetzung

Unsere Mitbrüder C. PP. S. der Italienischen Provinz hatten schon seit vielen Jahren eine Niederlassung in Spanien, in Caceres, und später auch noch in Portugal, in dem Städtchen Vila Viçosa.

Nun war vom Generalat in Rom der Entschluß gekommen, diese Niederlassungen an die Deutsche Provinz zu übertragen. Für dieses neue Vikariat der Iberischen Halbinsel mußte nun ein Provinzialat-Vikar ernannt werden, der seinen Sitz in Vila Viçosa (Portugal) nehmen sollte.

So hieß es für mich nun wieder: Koffer packen, um zum fernen Land der Palmen und Orangen zu reisen. Es war für mich, dem Wandervogel Gottes, ein reizendes Abenteuer. Gott weiß, wie oft ich in jenen Tagen das Lied geschmettert habe: “Fern im Süd’ das schöne Spanien”, wie auch das andere: “Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen, im dunklen Laub die Goldorangen glühen, ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht … ” Mein Stimmung war so ein richtiges “Auf in den Kampf, Torero!”

Noch einmal fuhr ich in meine Heimat, um von Mutter, Brüdern und Schwester Abschied zu nehmen. Dort kauften sie mir noch einen neuen Mantel und andere Notwendigkeiten, denn es war gerade die Zeit der Devisensperre, da man nur 10.- bzw. 30.- Mark mitnehmen durfte. Das war herzlich wenig. Doch von Liechtenstein aus wurde ein Brief mit weiterem Reisegeld postlagernd nach Handai gesandt, der letzten französischen Station vor der spanischen Grenze. Nur bis dorthin erhielten wir auch unsere Fahrkarte. Ein Mitbruder, ein zweiter P. Paul, fuhr mit. Nun noch ein inniges “Lebet wohl, auf Wiedersehen!” allen Lieben in der Heimat – und dahin ging’s in die weite, ferne Welt.

Frankreich. Eine gewisse reservierte Haltung gegen alles, was aus dem Dritten Reich kam, war zu verspüren, Wir ließen das Panorama der französischen Lande an uns vorbeieilen. Hie und da sah man auch die verdeckten Eingänge und Schießscharten der Maginot-Linie. Sie kamen mir vor, wie die Krallen eines versteckten Tigers. Dann wieder kamen bekannte Namen aus dem ersten Weltkrieg. Nun tauchte Paris auf, die erwartete Unterbrechung unserer langen Reise.

Paris wird die “Stadt des Lichtes” genannt. Aber ein Großteil seiner Bevölkerung verschwindet täglich im Boden, in der Untergrundbahn, der berühmten “Metro”. Sie ist das Hauptverkehrsmittel in Paris. Straßenbahnen gibt es im Kern der Stadt so gut wie gar nicht. Man kann sich in dem Häusermeer eigentlich nie verirren: man braucht nur bei der nächsten “Metro”-Tafel unter die Erde zu steigen. Dort sieht er an einem großen roten Punkt auf einer Karte an der Wand, wo er ist und wohin diese Untergrundbahn führt,

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<Bild: Blick auf Paris>

und kann nun in dem Netz der vierzehn Linien, die das unterirdische Paris durchlaufen, die Station aussuchen, an der er wieder auftauchen will. – Als wir die Maulwurfsausgänge der Metro verlassen hatten, zog es uns hinauf in die luftige Höhe des Eiffelturmes. Dieser weltberühmte Turm war noch bis vor kurzem (1930) das höchste Bauwerk der Welt (300 Meter). Zu seiner Wetterwarte führen 1792 Stufen hinauf. Er wurde 1889 für die Pariser Weltausstellung gebaut. Der Rundblick vom Eiffelturm ist grandios. Welch ein bewegtes Bild, von der Höhe des schwankenden Turmes auf das unendliche Häusermeer von Paris zu schauen! Unwillkürlich denkt man an den Wappenspruch der Stadt: “Fluctuat nec mergitur”, “Sie schwankt, aber sie geht nicht

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unter”. Nicht weniger als 2000 Jahre Geschichte dieser Stadt haben es bewiesen.

Die große Pariser Welt bummelt, besonders am Abend, auf der prächtigen Champs-Elysées, die sich vom Place de la Concorde zum Arc de Triomphe hinzieht. Hell erleuchtete Springbrunnen beleben die Parkanlagen zu beiden Seiten der Prachtstraße. Wir standen vor diesem Arc de Triomphe am Grabmahl des “Unbekannten Soldaten” (siehe Bild). Zwölf große Straßen (Boulevards) streben von dieser 50 Meter hohen Pforte kreisförrnig auseinander, unter dessen Bogen 1920 der “Unbekannte Soldat” beigesetzt wurde, und wo seitdem Tag und Nacht die mahnende Flamme brennt.

Was aber uns beiden priesterlichen Pilgern am meisten interessierte, das waren die zwei Zentren katholischen Lebens von Paris, die Kathedrale Notre Dame und die Basilika Sacre Coeur. Sie sind für uns Katholiken von so großem Interesse, daß ich ihnen eigene Artikel hier widmen muß.

Am Abend verließen wir die “Stadt des Lichtes”, und unsere nächste Station war Lourdes, die Sehnsucht aller Marienkinder. Das Heiligtum war wie ausgestorben. Wir ersuchten, an der Grotte zelebrieren zu dürfen. Die einzige prüfende Frage, die man an uns stellte, war: “Aus welchem Lande kommen Sie?” Resigniert gaben wir zur Antwort: “Nous venons d’Allemagne.” Nach einer Minute kam die Antwort: “Impossible!” – “Unmöglich!” Es war halt gerade jenes Jahr – ein Jahr vor Ausbruch des Krieges – wo jeder Franzose in jedem Deutschen, und sei er auch Priester, einen verdächtigen Nazi befürchtete. So zelebrierten wir nun in der Rosenkranzbasilika. Am Nachmittag kamen die

<Bild: Paris, Grab des „Unbekannten Soldaten“>

<Bild: Caceres, Kloster C. PP. S. nach Bombardement>

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Volksmassen einer Krankenprozession, und begeistert sangen auch wir das ewig schöne Lied der Muttergottes von Lourdes.

Und weiter ging unsere Reise der Grenze zu. Es war auch höchste Zeit, denn unsere 30.- Mark waren schon fast ganz aufgebraucht. In Handai also, der letzten französischen Station, gingen wir frohgemut zum Postamt, um unseren postlagernden Geldbrief abzuholen. Er war, Gott sei Dank, rechtzeitig dort angekommen. Auf ihm stand meine Adresse mit Vor- und Zuname. Doch von den 19 Buchstaben meines Namens fehlten die beiden letzten. Und das war für diese französische Beamtin Grund genug, mir meinen Geldbrief nicht auszuhändigen. Und so begannen die Hungertage auf unserer weiteren Reise.

Wir passierten die bekannte internationale Brücke von Handai nach Irun und waren nun zum ersten Male in Spanien. Scharfe Kontrolle – es war ja noch Bürgerkrieg im Land. Zuerst wurden die Fingerabdrücke geprüft, dann fotografierten sie uns von allen Seiten; aber unsere Koffer durchsuchten sie nicht: es war spanische Höflichkeit. Ein junger Bursche fungierte als Dolmetscher. “Haben Sie einen Fotoapparat?” Ich bejahte. Er aber sagte: “Nein, Sie haben keinen; Sie haben nur so zu sprechen, was ich ihnen vorsage!” Ich merkte, er will sich ein gutes Trinkgeld verdienen. Er hat es auch im Dunkel der Eisenbahn-Unterführung von uns erbeten und erhalten.

Als wir nun in den ersten spanischen Zug einstiegen, wir waren die einzigen Reisenden, sind uns vor lauter hellem Lachen fast die Knöpfe gesprungen: wegen des Bürgerkrieges nämlich waren die Waggons in einen solchen Zustand gekommen, wie kein Witzblatt sie hätte drastischer darstellen können. Das Leder sämtlicher Sitzbänke war aufgeschlitzt; so standen überall zwischen dem Heu und Stroh, das zur Polsterung gedient hatte, die schiefen Sprungfedern heraus, wie besoffene Heinzelmännchen auf einer verdorrten Wiese. Sämtliche Fenster waren eingeschlagen, alle Lederriemen abgeschnitten, die Überreste der letzten Mahlzeiten und die immer allgegenwärtigen Zigarettenkippen lagen auf dem Boden. Es war, man hätte sagen können, ein fahrbarer Schweinestall auf vier Rädern. Als der Zug dann endlich losfuhr, raste er mit solcher Geschwindigkeit dahin, daß ich zweifelte, ob dort vorne ein wirklicher Lokführer oder irgend ein Bursche auf der Maschine sitzt.

Unser erster Aufenthalt in Spanien war in St. Sebastian. Wir besuchten die Stadt, kauften uns zuerst eine Baskenmütze, denn unser Bürgerhut auf unserem Priesterkopf war den Spaniern doch zu ungewohnt, zu “spanisch”. Man hielt uns vielfach für protestantische Sektenprediger. Als wir nun in die Kathedrale eintraten, war sie bis zum letzten Plätzchen voll besetzt. Und dennoch herrschte hier ein solches Stillschweigen, wie ich es noch nie in einer Kirche erlebt habe. Nach der Andacht, als alles hinausströmte, konnten wir den glanzvollen Typ der Spanierinnen des Baskenlandes sehen: die Mantilla, dieser schwarze bzw. weiße Schleier über dem Kopf, verlieh ihrem aristokratischen Antlitz eine solch elegante Nobless, wie keine Prinzessin oder Gräfin es besser hätte zeigen können. Wenn man sagt: Der beste Katholizismus sei hier im Baskenland, dann füge ich noch hinzu: Und die elegantesten aller Schönen sind hier in St. Sebastian.

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Unsere Weiterfahrt war ein kleines Kunststück; bis auf das Trittbrett war nun der Zug überfüllt. Unsere Koffer reichten wir durch’s Klosettfenster hinauf (wie der Koffer nachher aussah, will ich lieber nicht beschreiben). Wir selbst konnten uns langsam in den Wagen hineindrücken. Höflich bot man uns einen Sitzplatz an. Als der Zug anfuhr, machten alle das Kreuzzeichen. Neben mir saß zufällig ein deutscher Ingenieur, der schon viele Jahre in Spanien tätig war. “Nun, da werden Sie ja die Spanier und Spanierinnen gut kennen: heißes Blut, wohl leicht überschäumendes Blut, nicht wahr?” Er verstand, was ich andeuten wollte. “Herr Pfarrer”, gab er mir zur Antwort, “ich kann Ihnen versichern: wenn hier ein Jungmann seine Braut zum Traualtare führt, weiß er sicher, daß sie keine .entblätterte Rose’ ist. Darin setzt der Spanier, er wie sie, größten Stolz”. Ich verstand plötzlich den eigenartigen und tiefsten Sinn des Liedes: “Stolz lieb ich den Spanier.”

So trug uns das Dampfroß Tag und Nacht quer durch die Iberische Halbinsel, bis wir endlich in Caceres ankamen. Dort erwarteten uns die italienischen Mitbrüder, die hier schon seit vielen Jahren eine Niederlassung C. PP. S. haben. Noch bevor wir das Haus betraten, grüßte uns durch die Ruine einer Seitenwand das Bild des heiligen Gaspar – welch freudiger Gruß! Eine Fliegerbombe der Kommunisten hatte eine Außenwand unseres Klosters niedergerissen. Ein herzliches Willkommen, und nun waren wir wieder auf heimischem Boden bei lieben Mitbrüdern, die wir zwar noch nie gesehen, die aber durch das Band der Einigung in Gott mit uns schon längst verbunden waren. Unsere Unterhaltung mit ihnen war natürlich ein Kauderwelsch von Englisch, Französisch und Spanisch.

Nach zwei Tagen reisten wir weiter, denn unser Ziel war Vila Viçosa in Portugal. An der Grenze wieder die Kontrolle. Der Mann in der spanischen Uniform schnüffelte auffallend lang in unseren Koffern, öffnete jede Schachtel, roch an jedem Fläschchen, ohne ein Wort oder auch nur eine Silbe zu sprechen. Wir unsererseits machten darum unsere Glossen dazu, je tiefer er seine Nase in die Schachteln, Bücher und Kleider steckte. Immer lustiger wurden unsere Witze über ihn. Aber er hat uns doch verstanden, denn er war ein deutscher Geheimagent, ein verkappter SS-Mann; erst später haben wir dies erfahren. Er war hier, um auch noch den letzten Flüchtlingen des Dritten Reiches aufzulauern. Als ihm unser Spotten überdrüssig wurde, gab dieser stumme “Stockfisch in Uniform” das Zeichen zum Weitergehen.

Auf marianischem Boden. Im portugiesischen Beamten lernten wir zum erstenmal die portugiesische Freundlichkeit kennen, jene “delicatesa” (Höflichkeit), die uns durch Jahre hindurch das Leben in diesem Land so angenehm durchwärmte. Vor dem Bahnhof stand ein mächtiger nagelneuer Omnibus. Es war ein gewaltiger Unterschied zu dem durch den Krieg so verarmten Spanien. Nun waren wir also im “Land der Muttergottes”, “Terra da Santa Maria”, wie es offiziell durch die portugiesischen Könige benannt wurde. Jetzt waren wir in der Nähe Fatimas, und durch Jahre hindurch sollte das Wort Fatima uns begleiten und uns prägen.

Noch eine kurze Fahrstunde mit dem Bus, und wir waren an unserem Ziel, in Vila Viçosa.

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. ¾, September/Oktober 1964, S. 16-20 (18. Fortsetzung).

… und dann wurde ich

MISSIONÄR Vom Kostbaren Blute

18. Fortsetzung

“Vila Viçosa!” hatte der Schaffner gerufen – und wir waren ausgestiegen. Erfrischt atmeten wir die erste Luft unserer künftigen Heimat. Vila Viçosa bedeutet “Die starke Stadt, die kraftvolle Stadt”. Ob sie nun stark sei wegen ihres Kastelles mit den dicken Ringmauern oder stark ob ihres Königspalastes oder sogar stark in Gott wegen ihrer Kirchen und Kapellen – jedenfalls ist es nur ein Landstädtchen in echt portugiesischem Stil. Aber dennoch berühmt und bekannt im ganzen Portugal.

Das Zentrum der Stadt ist ein großer, freier Platz, der von vierzig Apfelsinenbäumchen umgeben ist. Ihre verlockenden Früchte hingen damals noch so tief, daß man mit dem Kopf daran stieß. Doch gestohlen wurde keine davon, sonst hätte die gleiche Hand für jedes Stück 20 Eskudos zugunsten des Krankenhauses zahlen müssen. In der Mitte des Stadtplatzes ist ein Musikpavillon, der von alten fröhlichen Zeiten kündet. Wer Phantasie hat, kann sich das bunte, fröhliche Treiben des Volksfestes ausmalen, wenn wieder der König, von Lissabon kommend, hier seine Ferien verbrachte. Dann hat die Königin seidene Tüchlein verschenkt, während der König die Huldigung seiner “starken Städter” entgegennahm. Heute erklingt hier keine Musikkapelle mehr nur ein Storch, der um den Pavillon stolzierte, begrüßte uns mit hölzernem Geklapper und hackte nach mir, als ich ihm zu nahe kam.

Ein Junge, der dort auf der Bank gesessen, erkannte uns gleich als Ausländer. Sofort bot er sich an, uns zu den Patres zu führen. Zwei Minuten und wir standen vor unserem Haus: “Colegio de Nossa Senhora de Fatima.” Ein Haus wie alle anderen, eingezwängt in die Häuserflucht. Der Junge griff zum Türfensterlein hinein und öffnete von innen her die Tür, klatschte dann in die Hände (dies ist hier der landesübliche Hallo-Anruf). Dann rief er etwas den Gang hinauf, was wir natürlich nicht verstanden. Gleich erschien ein Pater, uns zu begrüßen.

<Bild: Ringmauer des alten. Kastells>

<Bild: Kirche St. Bartholomäus und Musikpavillon>

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Wir traten ins Büro. Auf hohen Regalen standen alte Bücher, die vielleicht seit dem vorigen Jahrhundert nicht mehr geöffnet wurden. Ihnen gegenüber ein altes, verstimmtes Klavier. Es hatte den Klang eines Spinetts und verwechselte a mit c, fis mit cis. Auf dem Schreibtisch stand die älteste Schreibmaschine, die ich je gesehen: zum Schreiben mußte man einen Zeiger auf den gesuchten Buchstaben richten und dann auf einen Knopf drücken. In der Ecke stand eine Truhe mit vielen handgeschriebenen vierstimmigen Messen. (Der frühere Pfarrer komponierte alle seine Messen selber. Sie trugen den breitspurigen barocken Stil des vergangenen Jahrhunderts. So zählte ich zum Beispiel bei einer dieser Messen zum Credo nicht weniger als 19 Amen. – 0 diese zähnervigen Leute von damals, die dies noch mit Ruhe und Bewunderung ertrugen!)

Wir gingen zum oberen Stock. Dort stand die Schar unserer portugiesischen

Studenten voller Erwartung des neuen Provinzialvikars aus Deutschland. Aus dieser kleinen Schar gingen dann später zwei Patres hervor, die ersten portugiesischen Missionare vom Kostbaren Blute. Unsere Begrüßung mußte natürlich in ihre Sprache verdolmetscht werden.

Eine Begrüßung in Portugal hat verschiedene Grade der Herzlichkeit. Wenn zwei gute Bekannte sich treffen, dann geht es natürlich etwas anders zu als bei uns kalten Nordländern. Die Begrüßung wird zu einer Umarmung, während man sich gegenseitig auf den Rücken klopft. (In lebhafter Erinnerung ist mir noch eine Szene, da zwei Zigeunerinnen dabei einen wahren Freudentanz aufführten und dabei gegenseitig sich den Takt dazu klopften.)

Als letzte und dennoch nicht weniger wichtige Person stellte sich noch Donna Constanza, die Köchin des Hauses, vor. Sie war nicht mehr die Jüngste in der Reihe der portugiesischen Schönheiten. Sie konnte weder lesen noch schreiben. Wenn ich sie später bat, einen Satz noch einmal langsam und deutlich zu wiederholen, tat sie es nicht – sie wußte ja selbst nicht, wie die Worte und Silben richtig lauten. Dafür haben die Studenten mir bald einen portugiesischen Reim beigebracht: “Não ha festa, não ha danza, onde não è presente a Donna Constança – es gibt kein Fest, es gibt kein Tanz, wo nicht dabei ist

<Bild: Links: Donna Constanza>

<Bild: Rechts: Missionskreuz in Elvas Mission P. Carinci C. PP. S. >

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Donna Constanz.” Doch unsere Dame machte eine Ausnahme. Übrigens gab es in der ganzen Stadt Vila Viçosa kein einziges Tanzlokal.

Unsere Studenten waren alle aus dem Norden Portugals, also aus der besten Kante des Landes. Unser italienischer Mitbruder P. Luigi Carinci C. PP. S. hat sie bei seinen vielen Missionsreisen ausfindig gemacht.

P. Carinci wurde zu einem der bekanntesten Missionare von ganz Portugal. Er ist nicht nur ein Sprachengenie – er predigte zum Beispiel in Porto in sechs Sprachen -, sondern ist auch ein echt demütiger und frommer Priester. Dafür hatte Gott ihm große Erfolge gegeben. Er ließ zum Beispiel vor dem Dom ein großes Feuer anzünden, und ein ganzer Berg von “Schmutz und Schund”, das die Leute gebracht, wurde öffentlich verbrannt. Bei einer anderen Mission im verheidnischten Süden läutete er so lange die Glocken, bis das Seil riß. Und dennoch kamen die Leute nicht. P. Luigi erfand nun eine andere Art, um mit den Menschen in Verbindung zu kommen, denn die Kirchenfeindlichkeit war dort allzu groß. Er sah eine Gruppe von Männern auf der Straße sich unterhalten. Sie anzusprechen wäre natürlich vergeblich gewesen wegen ihrer angeborenen Priesterfeindlichkeit. Doch unser Missionar kannte auch die angeborene Hilfsbereitschaft der Portugiesen. Das nutzte er aus: Als er in die Nähe der Männer kam, rutschte er aus, das heißt, er hat sich absichtlich fallen lassen. Alle sprangen hinzu, um ihm aufzuhelfen – und siehe, der Anknüpfungspunkt zur guten Mission war gefunden.

P. Luigi hat auch kürzlich einige seiner Missionspredigten auf Tonband gesprochen, damit sie dem Redakteur des Herolds bei der Pastoration der italienischen Fremdarbeiter in Deutschland gelegentlich der Missionen dienlich seien.

In Portugal mußten wir uns sofort auf die neuen Mahlzeiten umstellen. Das erste Abendessen bestand aus Nudeln, Fleisch und Melonen. Unsere Buben verzehrten dazu zwei Laib Brot und tranken viel Wasser; so ist es südländische Mode. Gutes Wasser spielt ja hier eine große Rolle. Da es in der ganzen Stadt keine Wasserleitung gab, waren die “aquadeiros” (Wasserträger) von um so größerer Bedeutung. Von der “Fonte das castanheiras” brachte der alte Wasserschlepper mit seinem Esel täglich das köstliche Naß in die Stadt und verkaufte es. Die Ziehbrunnen hinter manchen Häusern haben meist nur gesammeltes Regenwasser. Auch unser alter Brunnen im Garten knarrte und ächzte bedenklich, wenn er einen Eimer voll hergeben sollte. – Neben ihm steht sein großer beschattender Freund, der Orangenbaum. Er ist ein fleißiger Fruchtträger, und seltsamerweise trug er zugleich mit den reifen Früchten auch schon die neuen Blüten. Welch einen wundervollen Duft sie haben! (Wer weiß, ob die lockende Goldfrucht der Eva nicht gerade eine Orange gewesen?) Und was mich noch weiterhin überraschte: diese Blüten sind genau wie die des Wachssträußchens, das der Junge am Tage seiner ersten heiligen Kommunion trägt.

Unser Apfelsinenbaum hatte noch einen schattigen Freund: drüben in der Ecke den Granatapfelbaum – ein Name, den ich schon von der Bibel her kannte. Mit welcher Sehnsucht erwarteten wir seine ersten Früchte! Und als ich sie aufschnitt, leuchteten mir seine saftigen hellroten Zellen wie Rubinen

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entgegen. Ich biß hinein – und alle Herrlichkeit war vorüber: ein Mundvoll harter Kerne und ein Schluck Wasser, weiter nichts. Doch schließlich ist in dieser Hitze jeder Limonadenschluck doch noch ein angenehmer Trunk.

Die Hauskapelle unseres Konviktes hatte keine Fenster. Die Häuser des tropischen Alemtejo sind fensterarm, denn Schatten ist mehr begehrt als Licht. – Fußböden aus Holzdielen trifft man hauptsächlich in den Wohnungen der Reichen an. Auch bei uns war der Boden der Gänge mit roten Ziegelsteinen gepflastert. Es hat den einen Vorteil, daß man zur Abkühlung eine Gießkanne voll Wasser darüber ausgießt, und die “Klimaanlage” ist fertig.

Der Tageslauf unserer kleinen Kommunität war durch eine genaue Hausordnung geregelt. Zuerst heilige Messe, dann Frühstück und dann Abmarsch zu den Gymnasialstudien ins Knabenseminar, in dem über 60 Seminaristen der Diözese ihren Studien oblagen. Jede Stunde des Tagewerkes zwischen dem Morgengruß und dem “Boa noite!” des Abends war ausgefüllt. Wir mußten ein sparsames Leben führen, denn irgendein Gehalt bezogen wir nicht, obwohl wir doch auch noch Stadtpfarrer der großen Kirche St. Bartholomäus waren. Die Haupteinnahmen waren die Stolgebühren und die Meßstipendien (selbst meine Mutter hat mir bis zum Ausbruch des Krieges welche geschickt) und die Gaben einiger Wohltäter. – Mich wundert es heute noch, daß wir es hatten so schaffen können. Das Leben des Priesters, und besonders des ausländischen, ist im Alemtejo nicht von Luxus beschenkt. Wieso kam dies?

Im vorigen Jahrhundert herrschte hier in dieser Gegend ein ganz katholisches Leben. Eine Reihe verschiedener Klöster gab damals der Kleinstadt Vila Viçosa das Gepräge. Die Klarissinnen waren in Chagas, das ist das Knabenseminar, die Franziskanerinnen in St. Cruz und in Esperanza, die Augustiner in Agostinhos, die Kapuziner in Capuchos, die Paulisten im Konvent, der heute eine Fabrik ist, die Jesuiten im Gebäude, das heute Gefängnis und Polizeiquartier ist, auch die Beatas, eine Art Karmeliterinnen, hatten darin ihr Konvent. Doch heute ist all dies verklungen, von der Revolution vertrieben und vernichtet. Nur die Schönheit der uns überlieferten Kirchen zeugt von dem gottzentrischen Leben der damaligen Zeit. Da nun ein großer Priestermangel herrscht, hatten wir außer der Pfarrkirche auch noch fünf andere Kirchen und Kapellen zu betreuen und ebenso auch noch die zwei Stunden entfernt liegende Filiale São Romão.

Ich begann nun mit einem prüfenden Rundgang durch die mir anvertraute Kirche St. Bartholomäus. Das sonderbarste ist, daß diese Kirche genau gleich ist der Kirche St. Xaver in Belem des Amazonas von Brasilien. Der Hochaltar ist überaus reich geschnitzt und vergoldet. Man kann darin Anklänge finden an die Kunst des neuentdeckten Indien. Den Sakramentsaltar schließt ein großes Gitter ab. Es ist noch aus jener jansenistischen Zeit, da man das Allerheiligste möglichst mysteriös vor den Menschen verborgen hat. – Nun zeigte mir der alte Sakristan seine wohlgehüteten Schätze. Hier war die Schublade des heiligen Antonius von Lissabon. – Ich muß zuvor noch bemerken, daß nach Aussage der Portugiesen es keinen Antonius von Padua gibt, sondern nur einen heiligen Antonius von Lissabon. Und in Wirklichkeit war St. Antonius ein Portugiese, geboren in Lissabon in der heutigen Krypta hinter dem

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Dom. – In jener Schublade also hatte der alte Johannes so sonderbare Linnentücher aufbewahrt. Ich erlaubte mir den Witz und sagte: “Das sieht ja aus wie alte Unterhosen!” – “Das sind sie ja auch”, bestätigte mir tatsächlich der Sakristan, “Das ist die Unterwäsche für den heiligen Antonius.” – Ich war für einen Moment sprachlos.–

Dürfte. ich nun zum besseren Verständnis folgendes hinzufügen:

Um das Denken und Tun der Portugiesen richtig zu verstehen, muß man ihren Grundcharakter, ihre Volksseele kennen. Der Portugiese ist liebevoll und demütig, er kann nicht beleidigen, fast übertrieben mitleidsvoll und vor allem hilfsbereit. Darum wendet er seine helfende Betreuung selbst den Statuen zu, da er dem entsprechenden Heiligen selber nicht dienen kann. Hier noch ein anderes Beispiel: Ich hatte in der zweiten Pfarrkirche eine Taufe vorzunehmen. Als ich hinkam, waren alle Türen verschlossen; auch der Mesner war ausgesperrt. Er erklärte mir: “Niemand darf hinein, denn die ,Aia’ (Hofdame) der Muttergottes und ihre Dienerin sind drinnen, um der Nossa Senhora ihre Festtagswäsche und -kleider anzuziehen.” – Das arme portugiesische Volk war durch die Revolution vor fünfzig Jahren priesterlos geworden, die meisten Kirchen der südlichen Hälfte waren geschlossen, Und doch bewahrte das Volk eine gewisse Sehnsucht zu Gott und besonders zu Maria. Deshalb verfiel es den rein äußerlichen Zeremonien, die es sich teilweise selbst erdacht hat. Und dennoch: der tiefste Grund dieses seines Handelns – und das ist der Schlüssel zum Verständnis -, der tiefste Grund dieser sonderbaren.Zeremonien ist allein die Liebe, die helfende Liebe. Alles ist getragen von der inneren überzeugung: “Du, Nossa Senhora, bist unsere Herrin, und wir wollen Dir dienen, so wie wir es noch können. Denn wir sind Deine marianische Nation, Terra da Santa Maria!”

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. 5/6, November/Dezember 1964, S. 14-20 (19. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich

MISSIONÄR vom Kostbaren Blute

19. Fortsetzung

Die Weltkugel mit Kreuz, einsam auf einer Säule – was soll es bedeuten? Es ist das kurze Wahrzeichen einer großen Vergangenheit.

Das Bild zeigt die neue Allee in Vila Viçosa, Drei Epochen zeichnen sich ab: Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Die einsame Säule stand einst zu Cäsars Zeiten in einem heidnischen Tempel, den die Legionen des römischen Kaisers dem Gotte Endovellicus erbaut. Doch bald erlosch das Altertum, und über der Weltkugel triumphierte das Kreuz. – Das Mittelalter repräsentiert die trutzige Ringmauer der Stadt, heute schon ganz schwarz geworden. – In die Neuzeit herein ragt die Kirche Nossa Senhora da Conceição (Unbefleckte Empfängnis). Noch bevor Rom dies Dogma verkündet, hat man in Portugal schon an die Unbefleckte geglaubt, hat man ihr Kirchen gebaut (diese ist die erste Immakulatakirche von ganz Portugal und Spanien) und haben die Professoren der Universität vom Coimbra einen Eid abgelegt, daß sie daran glauben und es verteidigen.

<Bild mit Säule>

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Die Häuser der portugiesischen Dörfer und Landstädte haben ihren eigenen Stil. Alle sind blendendweiß gestrichen wegen der großen Hitze. Darum sind auch die Fenster möglichst klein gehalten. Doch ein mächtig breiter Kamin zeigt an, daß im Innern des Hauses der Herd das Zentrum bildet. Zwar gibt es nirgends einen eisernen Herd, sondern nur ein offenes Feuer, wie die Essen unserer alten Schmiede. Der Portugiese liebt sehr dieses knisternde, flackernde Feuer. Es brennt auf dem Boden unter dem breiten Rauchfang. Langsam wird ein Holzscheit nach dem andern zugelegt. Darüber steht auf einem Dreifuß der eiserne Kochtopf. So sitzt die ganze Familie ringsum in dieser Feuerecke und läßt sich erwärmen und erhellen. Wenn auch schon so manches Kleinkind in unbewachtem Augenblick ins offene Feuer gestürzt ist – wie viele habe ich mit verstümmelten Händen oder Füßen gesehen -, so ist es doch gerade hier, wo sich die Seele des Volkes schwärmerisch entzündet. Wer den Portugiesen richtig verstehen will, setze sich zu ihm um dieses Herdfeuer. Es ist doch interessant, daß das Wort „0 lar” zugleich “der Herd” und auch “die Heimat” bedeutet. Diesem Lar erklingen tausend Lieder, nach ihm sehnt man sich aus weiter Ferne. Er hat wohl am tiefsten den gefühlvollen Charakter des Volkes geformt. Am flackernden Feuer erzählt der Vater von den einstigen Ruhmestaten seines Landes. Und die Phantasie des Kindes zieht hinaus über die stürmischen Meere, um auf unbekannten Seewegen die neuen Welten von Madeira, Azoren, Kapverde, ja selbst von Indien zu entdecken. Diese Phantasie hört von der großen chinesischen Insel mit dem klingenden portugiesischen Namen “Formosa” (Die Wunderschöne); sie freut sich an dem ersten Gold, das die Entdecker mitgebracht und zur heiligen Monstranz des Allerheiligsten geschmiedet; sie steigt mit Cabral ins schwankende Nau, um wieder nach Indien zu fahren, wird aber unterwegs abgetrieben und landet in dem so neu entdeckten Brasilien und gibt diesem großen Land seine portugiesische Muttersprache. ” So hört das Kind am heimatlichen Feuer, daß “Portugal der Welt neue Welten geschenkt” (Camoes). Darum führt Portugal in seinem Banner die Weltkugel mit den Streifen, die die Wege seiner Entdecker bedeuten. Deshalb hängt der Portugiese so stark an seinen Kolonien, die ihm nicht Kolonien, sondern Heimat sind.

<Bild mit Brücke>

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<3 Bilder mit Menschen>

Camoes, der größte Dichter der portugiesischen Nation, nennt sein Heimatland “Der Garten am Rande Europas, am Strande des Ozeans”. Das Meer ist das halbe Leben des Volkes. Aber dennoch ist Portugal, wenigstens seine südlichen Striche, im Sommer ein glühendheißes und ausgetrocknetes Land. Wo aber ein Rinnsal eines Bächleins sich ergießt, dort wird es zum kleinen Paradies. Das Wasser ist das köstliche Naß für die ganze Natur. Schon die Araber, die einstigen Beherrscher des Landes, haben darum große Wasserleitungen angelegt, deren mächtige Bogen heute noch Wasser leiten (Bild). Sie kannten damals noch nicht das Gesetz der Kommunikationsröhre. daß Wasser auch den Berg hinauffließen kann, wenn es in einer geschlossenen Röhre geleitet wird.

Auf dem flachen Land sind es die Wasserträger, die mit diesem Beruf ihr Geld verdienen. Das kleine Eselein trägt im Holzgestell die blechernen Cantaros (Bild), und obwohl man es als “dummer Esel” beschimpft, kennt es fast schon allein den Weg zu der besten Wasserquelle.

Aber auch unser kleiner Joãosinho mit seinem Schubkarren (Bild), auf den er seine kleinen Cantaros geladen hat, bietet lächelnd sein kühles Wassier an. – Vor allem aber ist es die herzige Celeste (Himmlische), die mit ihrem großen Krug in den Hüften das schönste Bild des Tages bot. Gerne habe ich immer mit diesen Kindern mich unterhalten. Denn wer wie ich eine neue Sprache zu erlernen hat, findet in diesen Kleinen seine besten Lehrmeister. Sie sprechen klar und langsam und die einfachsten Formen ihrer Sprache.

Die drei Grazien des nächsten Bildes – die Annita, Hyazinta und Maria -, aber auch das ganze Rudel anderer Mädchen und Buben waren meine treuen Begleiter. Wir streiften durch das “Arbeiterviertel” und unter den vielen Ölbäumen und Korkeichbäumen zu den mächtig hohen und stark duftenden Eukalyptusbäumen. Die meisten der Kinder waren ärmlich gekleidet, etliche

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dennoch waren sie fröhlicher und unbesorgter als mancher mit voller Tasche.

Staatspräsident Salazar hat den “Estado Novo” (Neuer Staat) gegründet. Vor ihm war Portugal zum verlottertsten Land Europas geworden. Salazar begann von unten herauf aufzubauen, mit den Schulen. So sehen wir heute die schönsten Schulgebäude und die Volksschüler in eigener schmucker Kleidung (Bild). Auch die Schulbuben haben eine Art Schürze, die ihnen eine gewisse Hochachtung vor der Schule verleiht.

Wer das lusitanische Volk kennt, weiß, was das Wort “Prozession” bei ihm bedeutet. Für das priesterarme Volk des Südens ist es schließlich noch die stärkste religiöse Betätigung, die es kennt. Da die Unwissenheit in göttlichen Dingen schon äußerste Grenzen angenommen hatte, war außer der Marienverehrung die jährliche Prozession der letzte Rettungsanker. Dabei fließen Kirchliches und Weltliches oft ineinander über. (In Brasilien ist es übrigens sehr ähnlich wie in Portugal.) – Wie nun gehen die Prozessionen vonstatten?

Einen Monat, bevor der betreffende Kirchtag kommt, bildet sich aus der Männerwelt der Stadt eine Kommission als Festveranstalter (festeiros), Diese gehen dann, jeder mit einer Liste, in die Häuser, um Geld zu sammeln. Damit werden die wichtigsten “Dinge” bestellt: aus der Hauptstadt die Stiere, aus der Bezirksstadt die Raketen und aus der Nachbarschaft die Pfarrer; das meiste aber dient für die Musikbanden.

So kamen also die Meinigen zu mir als ihrem Pfarrer mit dem schon fertig gedruckten Programm. Ich las: “Festa de Nosso Senhor dos Aflictos com 3 bandas da musica.” (Fest Unseres Herrn im Elend mit drei Banden von Musik.) Ich lachte hellauf: “Das glaube ich euch, daß mit gleich drei Musikbanden unser Herr im Elend ist!” -

Dann kam das Fest. Zuerst das Hochamt mit feierlicher Assistenz der bestellten Nachbarpfarrer. Von den geschäftigen Festeiros selber war niemand in der Messe, denn die bestellten Ochsen mußten ja gut versorgt werden. Ein Harmonium spielte und einige Mädchen sangen dazu die heilige Messe. (Gemischte Chöre sind hier verboten. Selbst der Organist soll, nach veralteter Vorschrift, eine weibliche Kraft sein. Nur ich als Deutscher durfte eine Ausnahme bilden und wurde darum zu vielen Festen als Organist eingeladen.) Der eigens bestellte Festtagsprediger versuchte in flammenden Worten den Heiligen des Tages zu feiern, um dann gegen Ende hin, nach portugiesischem Brauch, immer leiser zu werden, um am Schlusse sich zu entschuldigen, daß er durch seine “drei wenigen Worte seine Zuhörer gelangweilt habe”.

<2 Bilder mit Kindern>

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Nun beginnt die Prozession. Alles ist auf den Beinen. Die Festordner und die Männer der Bruderschaft überschwemmen die Sakristei, um ihre “Opas” anzuziehen. Dies sind lange rote Überhänge nach Art der Ministrantenkleidung. Dann nimmt noch jeder seinen langen Stab, und hinaus geht’s in gemessenem Schritte. Inzwischen sind auch schon sämtliche Heiligenstatuen der Kirche lebendig geworden und schwanken auf ihren vergoldeten Tragbahren über der Masse des Volkes. Die Hauptperson ist heute “Unser Herr im Elend” (Christus, in violettem Mantel, das Kreuz tragend). Ihn dürfen nur die Priester tragen. Das Traggestell ist aus Eisen und darum sehr schwer. Da meine portugiesischen Mitbrüder alle kleiner waren als ich, hatte ich die Hauptlast zu schleppen. Wie schmerzten meine Schultern! Neben und hinter uns gingen jene, die ein Versprechen einzulösen hatten. In Portugal spielen diese Promessas (Versprechen) eine sehr große Rolle. Selbst auf dem Sterbebett bat manche todkranke Mutter ihren Sohn, ein noch nicht eingelöstes Promessa noch auszuführen. Die einen gehen barfuß, die anderen auf ihren Knien, die dritten mit aufgelösten Haaren in altem Büßerkleid – und alle genießen die höchste Hochachtung und den Vortritt. Die Musik spielt ihre Lieder, doch gebetet wird fast nichts, höchstens von der “Katholischen Jugend”, die schon in echtem kirchlichem Geist neu erzogen ist. An der Spitze der Prozession marschiert ein Dutzend Engelchen, die durch weiße Bänder mit der Mutter Gottes in Verbindung stehen (Bild), Sie sollen gleichsam die Ge1eitengel der kommenden Königin sein. Dann folgen die Kinder in der Tracht der verschiedensten Heiligen; vor allem ist es der heilige Antonius (von Lissabon) in brauner Kutte und ein dickes Gebetbuch unterm Arm, dann der heilige Joseph in Grau mit Beil und Hammer u. a. m. Dann folgt die “Mocidade Portugesa” (Portugiesische Jugend) mit ihren vielen Fahnen und in eleganter Uniform. Zuletzt das Volk und dazwischen die übrigen Heiligen. – Nach zwei Stunden Marsch ist es inzwischen Mittag geworden.

<Bild mit Prozession>

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<Bild mit Patres>

Die zweite Hälfte des Tages gehört der weltlichen Feier, vor allem den Stierkämpfen. Es ist ein großer Unterschied zwischen den Touradas in Spanien und denen von Portugal. Während dort in blutigem Kampfe der Stier getötet wird, ist dies hier verboten. Jede Stadt hat ihre Arena. Auf dem Land werden Wagen und Karren herbeigeschafft, in großem Umkreis aufgestellt – und die Arena ist fertig. So geht es Jahr für Jahr.

Zum Patroziniumstag meiner Filiale São Romao besteige ich das “Alentejanische Auto”, den Eselskarren (Bild). Ein zweirädriges Vehikel mit überspanntem Dach, die Kerze in der Lampe vor Hitze zerschmolzen und vorne unser “Motor” von einer halben Pferdekraft, so sitzen wir drinnen auf den Bänken und wackeln im Takte des Eseltrabs. “Anda, burro, anda!” “Lauf, Esel, lauf!” und vorwärts geht es über Berg und Tal.

Dort endlich angekommen, ist zuerst die heilige Messe, danach etwa fünfzehn Taufen. “Machen Sie schnell, Herr Pater, die Stiere sind schon draußen und warten auf uns!” Eine Geduldsprobe für uns alle. Ich beeile mich.

Mit einem Trompetensignal beginnt der Stierkampf.

“Auf, in den Kampf, Torero!

Siegesbewußt, Stolz in der Brust!”

Es werden Preise auf das einzelne Tier gesetzt: seidene Taschentücher, Krawatten usw., um die Meute der Burschen anzufeuern. Es gilt, den Stier bei den Hörnern zu packen und kurze Zeit daran zu hängen. Dann gilt er als besiegt. Irgendein Beherzter schleicht sich von rückwärts heran. Eine kleine Bewegung des Tieres – und er flüchtet zur Meute zurück. “Feigling, du!” schallt es herunter. Nun suchen die Burschen durch Geheul sich selbst Mut und den Stier zum “blöden Ochsen” zu machen. Einer stößt den anderen

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vor, doch keiner beißt an. “Ich gebe hundert Escudos dazu!” ruft der Patron herab. Da stößt ein Beherzter von rückwärts zu und packt das Tier am Schwanz. Wütend reißt sich der Stier herum, aber der andere hält fest, denn nur das kann seine Rettung sein. Zwar wäre er gerne wieder aus diesem wilden Tanz der Sprünge und Stöße mit heiler Haut heraus, aber wie? … Da blitzschnell kommt sein Freund ihm zu Hilfe, und in elegantem Hechtsprung fliegt er dem Stier auf den Kopf zwischen die Hörner und klammert sich an ihnen fest. Zwar wird auch er nun mit stiernackiger Kraft gerüttelt und gebeutelt. Doch im nächsten Moment schon hängt die ganze Meute der Burschen an den Hörnern, und die zu spät Gekommenen versuchen auf den Rücken des Tieres zu springen, um noch wenigstens damit ihren verspäteten Mut zu zeigen. Knatternd steigt eine Rakete. Ein Tusch der Musikkapelle, und der Stier trottet beschämt in seine Kabine zurück.

Doch nicht immer ist der Mensch der Sieger, denn manchmal muß der rettende Hechtsprung in umgekehrter Richtung gehen (Bild), und der Mutige ist froh, wenn kein Horn ihn bei den Rippen packt, sondern nur dort, wo ihm die beste Polsterung gegeben ist. Wie oft geht’s gut, wie oft geht’s schlecht?

Manch einer ist froh, wenn es gegen Abend zugeht und ein mächtiges Feuerwerk der Raketen das glückliche Ende kündet. Auch wir waren darüber froh nach diesem aufregenden Spiel.

Noch ehe die Sonne unterging, bestiegen wir unsere Wagen, und fort ging es, schnell der Heimat zu. “Anda, burro, anda! Lauf, mein Eselein, lauf!”

<Bild: Stierkampf>

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg., H. 9/10, März/April 1965, S. 9-12 (20. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

20. Fortsetzung

Oft stand ich lange auf der breiten Hafentreppe am Braça do Comerico, deren unterste Stufen das Meerwasser umspült. “Still rauscht das Meer sein uraltes Lied.”

Ja, dieses ungeheuer weite Meer ist es, dem die Weltstadt Lissabon ihre Größe verdankt. – So stand ich oft an seinem Gestade, sah das Kommen und Gehen so vieler Schiffe, Kriegs- und Handelsschiffe. Vor allem aber bewunderte ich dort immer wieder den Untergang der Sonne.

Wie kam ich denn so plötzlich nach Lissabon, der Hauptstadt Portugals?

An meine Zimmertür unseres Kollegs in Vila Viçosa, tief drinnen im heißen Alemtejo, klopfte es eines Tages, und herein trat ein Besuch aus Lissabon, ein Monsignore. Er war der Seelsorger aller Deutschen Portugals. Es war die Zeit, da drüben in Spanien der Bürgerkrieg tobte, der die Brandfackel gegen die Kirchen und die Dolche gegen die Priester entfesselt hatte. Unglaublich, daß in diesem unserem Jahrhundert noch Tausende von Priestern und Ordensleuten hatten ermordet werden können. (Dieser Helden möchten wir darum in einem besonderen Artikel gedenken.) Den Söldnerheeren der ausländischen Kommunisten hatten die westlichen Länder auch ihrerseits Heeresverbände entgegengestellt. So kämpfte auf seiten Francos die deutsche “Kondor-Legion”. Nun wurde für die katholischen Soldaten ein eigener Militärkaplan angefordert.

“Herr Pater”, sagte dieser Monsignore aus Lissabon, “ich werde zur Kondor-Legion gehen. Dürfte ich Sie nun bitten, für diese Zeit mein Stellvertreter in Lissabon zu sein? Alle Deutschen von ganz Portugal sind Ihre Pfarrkinder.”

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Nach Rücksprache mit meinen anderen Mitbrüdern war die Entscheidung bald getroffen. Den Koffer gepackt, in den Wagen eingestiegen, und mit Vollgas ging es quer durch das ganze Land nach Westen, dem Meer entgegen, zur Sieben-Hügel-Stadt Lissabon. Durch die Scheiben blickend, tat sich zum ersten Mal die Schönheit dieses Landes mir auf. Ich sah die Blütenpracht des portugiesischen Frühlings, die sich auf den mit Ginster, Cistus, Rosmarien und bunten Zwiebelgewächsen bedeckten Heideflächen des heißen Alemtejo entfaltet hatte. Ich sah neben Hainen von Agrumen, Oliven, Feigen, Johannisbrot und Mandelbäumen auch die breiten Weingärten und Gemüsefelder, umsäumt von Feigenbäumen, Kaktushecken, Agaven und Palmen. Je näher wir zum Meere kamen, desto reichhaltiger wurde der Baumwuchs.

Endlich tat sich Lissabon vor uns auf. 0, diese buntbewegte Stadt an der westlichen Kante Europas! Was könnte sie nicht alles erzählen aus ihrer alten und neuen Geschichte! Lissabon, Ulisipo der Lusitaner, wurde zur Zeit der Römer “Felicitas Julia” (Julisches Glück) genannt. Es kamen die Alanen, dann die Westgoten und schließlich auch noch die Mauren (Mohammedaner), die es “Lischbona” nannten. Der Halbmond regierte in Europa. Doch in gemeinsamem Kampf, zusammen mit Spaniern und deutschen Kreuzfahrern, wurde dieser Feind des Christentums besiegt. Auf diesen Sieg sind die Portugiesen heute noch stolz. Immer wieder hörte ich sie von jenen glorreichen alten Zeiten sprechen, da sie den Halbmond aus Land und Kontinent vertrieben, da sie eine der wagemutigsten Nationen gewesen, die die Meere durchkreuzten und so neue Welten entdeckten. Lissabon wurde damals zu einer der reichsten Städte Europas. (Darum sagt ein kritischer Witz: Der Portugiese hat sein Gesicht hinten am Kopf, denn er schaut immer rückwärts in die Vergangenheit.)

Die Erdbeben von 1531, 1575 und besonders jenes vom 1. November 1755 gaben dem Volk eine gewisse Neigung zur Schwermut und zu einer fatalistischen Ergebenheit. “Da kann man nichts machen, das ist so Schicksal!” ist eine Volkspsyche, die selbst bis ins Tochterland Brasilien sich heute noch lähmend auswirkt. Dieser Fatalismus ist teilweise auch ein Überbleibsel aus jener mo-

hammedanischen Zeit. -

So landeten wir also in Lissabon, Rua do Quelhas. Diese Weltstadt war damals noch eine der lautesten Städte, die ich je erlebt. Vom Hafen her, besonders wenn Nebel herrschte, knurrten die Hörner und Sirenen der Schiffe und Barkassen. In den Straßen lärmten die Autos – auch mein Fahrer hat sich vor jeder Kurve die Straße frei geblasen. – Dann wieder waren es die unzähligen Zeitungsjungen, die aufdringlichst ihre Papiere verschrien. (Es gibt sogar ein eigenes Denkmal dieser Lissaboner Zeitungsbuben.) Die Scherenschleifer haben ihr eigenes Signal. Straßenweit schrillt die Melodie ihrer fünfgliedrigen Panpfeife. Am lautesten aber dürften wohl die Fischerweiber gewesen sein, diese typischen Gestalten im Weichbild der Tejostadt. Den flachen Korb auf dem Kopf geschickt balancierend, künden sie ihre Fische so laut an, daß auch im fünften Stock ein Fenster sich auftut und an einer langen Schnur Korb und Geld herabgelassen werden. Diese stämmigen Fischweiber waren zuerst alle barfuß wegen der steilen Straßen. Doch dann wurde es ihnen unter hartem Kampf von der Polizei verboten. -

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In die Arbeit der Großstadtseelsorge hatte ich mich bald eingefügt. Die meisten Deutschen wohnen ja in Lissabon und in Porto. Vor allem waren es die täglichen Religionsstunden am dortigen deutschen Gymnasium, die viel Arbeit und Zeit erforderten. Der Geist in dieser deutschen katholischen Kolonie war ein guter.

Doch manchmal erschien, aus dem Reiche kommend, in Lissabon ein Wanderredner des Dritten Reiches, der im Stadtsaal seine politischen Hetzreden gegen die Kirche losließ. Ich wandte mich darum an den Kardinal von Lissabon, um ihn auf diese “Zugvögel” aufmerksam zu machen. Da Kardinal Cerejeira ein Freund des Ministerpräsidenten Salazar ist (beide haben als Studenten von Coimbra zusammen in der gleichen “Studentenbude” gewohnt), konnte eine Reklamation von oben her leicht stattfinden. Die Hetzredner waren von nun an nicht mehr erschienen.

Dafür bekamen wir bald nachher einen um so schöneren Besuch aus der Heimat: ein deutsches Hochseegeschwader lief im Hafen ein, an der Spitze der berühmte und stolze Panzerkreuzer “Admiral Graf Spee”, gefolgt vom Kreuzer “Köln” und einem U-Boot-Mutterschiff mit einer Flottille von U-Booten. Als offizieller Vertreter der deutschen Katholiken wurde ich zum Empfang eingeladen. Wir tauschten die Visitenkarten aus und setzten u. a. die Stunde der Feldmesse für die katholische Besatzung der Schiffe fest. – Am nächsten Tag marschierten sie auf, diese flotten Kerle, 90 Mann. Im Park vor meinem Pfarrhaus war die heilige Messe. “Hier liegt vor deiner Majestät … ” – ein Männerchor, wie man ihn sich wünscht. Wie weit es wohl geklungen haben mag!

Die Panzerkreuzer-Predigt machte mir mächtige Freude.

Am Nachmittag war Besichtigung und Bordfest. Von diesem kleinen fröhlichen Fest auf “Graf Spee” blieb mir jedoch eine eigenartige Episode in Erinnerung, die typisch war für die damalige Zeit. Eine Reihe von Frauen suchte und fragte nach einer Kajüte: “Wo ist das Bett, in dem der Führer

<Bild Messe mit Matrosen, Lissabon>

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geschlafen? Ist dies das Bett?” Und dann drängten sie sich ehrfurchtsvoll und schweigend auf der Schwelle zusammen, die rückwärtigen auf den Zehenspitzen, die vorderen in heiliger Andacht vor dem Bett, in dem der Führer geschlafen. Aber beinahe wäre das Schiff ihm zum Sarg geworden.

Das erzählte mir Korvettenkapitän Stummel vom “Graf Spee”, mit dem ich am folgenden Tag zu den Sehenswürdigkeiten Lissabons fuhr. Er war ein schneidiger Offizier und ein noch schneidigerer Katholik aus Berlin. Er erzählte mir folgendes: “Hamburg, an Deck herrschte Großalarm, Besichtigung des Panzerkreuzers durch den Führer. Als die Barkasse mit ihm an Bord in die Nähe kam, machte ,Graf Spee’ plötzlich ein falsches Manöver und hätte um ein Haar die Barkasse gerammt und versenkt. Darob große Aufregung an Bord. ,Sabotage! Anschlag auf den Führer! Wer ist der Verräter?’ Was war geschehen? Ein Lappen, ein einfacher, schmutziger Öllappen war ins Getriebe der Steuerung gefallen … und hätte beinahe den Führer zu den Haien geschickt.”

Als wir uns verabschiedeten und er mir zum Andenken ein schönes Buch, “Die deutsche Kriegsmarine”, schenkte, frug ich ihn noch: “Herr Kapitän, warum war am Sonntag euer oberster Chef des Geschwaders nicht bei der Feldmesse erschienen? Ist er katholisch oder protestantisch?” – “Er war katholisch, ist aber leider aus der Kirche ausgetreten.” – “Also auch einer von denen … Dann sehe ich schwarz für seine Zukunft. Er, der oberste Kommandant – schade, daß mit ihm auch das Schicksal der übrigen Mannschaft so stark verkettet ist!” – Nur allzu rasch sollte ich recht bekommen.

Einige Tage darauf lichtete das Geschwader die Anker und verließ uns und fuhr – in eine dunkle Zukunft. Gleich darauf brach der Krieg aus und besiegelte das Schicksal dieses stolzen Schiffes und seines Kommandanten.

(P. S.: Sollte irgend jemand von der damaligen Besatzung diesen Herold in die Hand bekommen, so bitten wir ihn, sich mit dem Schriftleiter des Herold, P. Adalbert, in Verbindung zu setzen.)

<Bild: Hafeneinfahrt in Lissabon>

<Bild: Im Gespräch mit den Seeoffizieren>

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 40. Jg. H. 11/12, Mai/Juni 1965, S. 23-27 (21. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

21. Fortsetzung

Portugals geistige Hauptstadt ist das kleine Bergdörflein Fatima. Es wird auf der Erde schwerlich ein Dorf gegeben, das solchen Weltruf erlangt hat wie dieses Örtlein von ein paar Häusern, dort oben auf dem Airegebirge.

“Herr Pater, gehen Sie mit?” – redete mich eines Tages unser Feuerwehrhauptmann an -, es war eine Woche vor dem 13. Mai. “Ich marschiere zu Fuß nach Fatima.” – “Wie lang soll der Marsch dauern?” – “In fünf Tagen sind wir droben.” – Heiß brannte die südliche Sonne, und in den Straßen glühte und flimmerte die Hitze. 0 diese portugiesische Sonne auf dem ungetrübten dunkelblauen Samtgrund! “Zu Fuß – unmöglich!” – Er ging allein.

Als ich fünf Tage später mit dem Bus dort oben ankam (es waren an jenem Tag eine halbe Million Menschen dorthin gekommen), hat mich plötzlich jemand angesprochen. Ich habe ihn nicht mehr erkannt, so braun war er geworden, und die Hautfetzen schälten sich von seinen Wangen. Aber er strahlte vor Stolz und Glück. – Zu Hause war unser Feuerwehrmann schon lange nicht mehr zu den Sakramenten gegangen (wie leider damals noch die meisten Leute des Alemtejo). Doch hier oben in Fatima hat es ihn gepackt. Ja, hier knien sie nieder, die zu Hause sich nicht mehr beugen wollen. Und das gerade, sagt man, sind die größten Wunder von Fatima.

Während wir sprachen, tippte mir jemand ganz sachte von rückwärts auf die Schulter: “Senhor, Padre, faz favor, confessare!” (Herr Pater, bitte, ich möchte beichten.) Am Arm trug er eine Binde mit der Aufschrift “Arzt”. (In Fatima stehen alle Ärzte allen Leuten unentgeltlich zur Verfügung, und darum

<Bild: Fatima>

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haben sie sich als solche gekennzeichnet.) Ich setzte mich auf die Steintreppe des Krankenhauses, er kniete sich vor mich hin, legte, wie es landesüblich ist, seine Arme gemütlich auf meine Knie und begann seine Beichte. Rechts und links von uns hasteten hunderte von Füßen hinauf und hinab. Das also war meine erste Beichte in Fatima. Kaum waren wir aufgestanden, tippte es wieder. Ich setzte mich auf einen der vielen Steine, die zum Bau der noch nicht ganz vollendeten Basilika hier umher lagen. Wieder legte sich ein Armpaar auf meine Knie. Und als ich nach der Absolution aufschaute, stand schon eine ganze Schlange wartender Männer vor mir, mitten im Trubel der kommenden Völker. Sogar Französisch und Englisch mußte ich sprechen. Ja, wie viele Steinblöcke sind mir dort zum Beichtstuhl geworden! Das war ein Beichten wie zu apostolischen Zeiten. -

In Portugal gibt es keine Abenddämmerung; der Tag geht rasch in die Nacht über.

Lichterprozession in Fatima. Von der Höhe des Eingangs der Basilika, wo der Feldaltar errichtet ist, schaue ich hinab auf den breiten Platz, einst das Tal der Iria. Er ist doppelt so groß als der Petersplatz in Rom. Nun flammen tausende, zehntausende, hunderttausende Lichter auf. Langsam geht die nächtliche Prozession die rechte Rampe hinauf und dann wieder in weitem Bogen links hinab. Die Lautsprecher singen und beten vor, und das Beten und Singen des Ave will kein Ende nehmen. Militärscheinwerfer beleuchten das hohe Gotteshaus, und die Sternenpracht des südlichen Himmels wetteifert mit dem Lichtermeer hier im Tale der Iria.

Um Mitternacht erlischt es langsam, und in der Basilika, der größten Kirche des Landes, beginnt die nächtliche Anbetung. Die meisten der Pilger aber sind weither gekommen; todmüde strecken sie sich auf den Rasen zu kurzer Ruhe

<Bild: Fatima>

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<Bild: Kreuz>

aus. Es ist ein wahres Heerlager Gottes. Hie und da noch sieht man ein verspätetes Feuerlein, wo irgendwelche Familien zum Nachtessen sich noch ihre Kartoffeln braten und den letzten Speck anschmoren.

Hoch oben auf dem Turm der Kirche leuchtet über einer gewaltigen Krone aus Bronze (siehe Bild) ein mächtig hohes Kreuz in die Nacht hinaus. Im Turm selber ist ein Glockenspiel, das zu jeder Stunde das Fatimalied spielt, auch jetzt in der Nacht, und im Traum noch singt der Schläfer weiter das Lied der Gottesmutter.

Am Morgen erhebt sich die Sonne wieder rasch und ohne Dämmerung. Es ist der 13. Mai. Den vielen heiligen Messen folgt schließlich die offizielle Krankenmesse, die diesmal der Kardinal Masella als Abgesandter des Papstes hält. Zuvor aber erleben wir noch das einzigartige Schauspiel: die Krönung der Madonna.

Während des Krieges hatten die Frauen und Mädchen des Landes das Versprechen gemacht: Wenn Portugal vom Kriege verschont bleibt, werden sie zum Dank dafür der Madonna von Fatima eine Krone schenken. Das Land blieb wirklich verschont – und ein Krönlein, ganz aus Gold und mit über 3000 Edelsteinen geziert, war die Dankesgabe der portugiesischen Nation. Im Namen des Papstes nahm der Kardinal die Krönung vor. – An jenem Morgen

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<Bild: Madonna mit der kostbaren Friedenskrone>

war mein Fotoapparat nicht mehr zur Ruhe gekommen, denn ich stand in nächster Nähe.

Nach der Pontifikalmesse folgte nun die Krankensegnung.

Ich muß gestehen, daß niemand dies so wahrhaft schildern kann, wie es in Wirklichkeit sich abspielt. Es ist der Höhepunkt der Wallfahrt von Fatima. Auch nach Lourdes kommen Tausende von Pilgern; doch auch viele Ausflügler, Reisende, Zuschauer. In Fatima aber sind es vor allem die einfachen, ja armen Volksschichten, die hier am meisten vertreten sind. Hier ist Gebet und Buße die Losung jedes Pilgers. Unvergeßlich bleibt mir z. B. jenes arm gekleidete 70jährige Mütterlein aus Porto. Fünfzehn Tage war sie unterwegs – des Nachts schlief sie in irgendeinem Heustall – und wieder fünfzehn Tage zu Fuß zu ihrem Rückmarsch, und dies nun schon das sechste Jahr. Das ist Gebet und Buße!

Soll ich erzählen, wie hier gebetet wird? Der Portugiese kennt keine Menschenfurcht. Wie es ihm ums Herz ist, so betet und fleht er zu Gott und zu Maria. Man darf wohl sagen, daß nirgends in aller Welt mit solcher Aufrichtigkeit und innigst kindlichem Flehen gebetet wird als hier in Fatima.

Mit brennender Kerze in der Hand konnte ich den Kardinal bei der Segnung der Kranken begleiten. In langen Reihen liegen sie da in Erwartung ihres Wunders. Langsam erhebt sich die Monstranz zum eucharistischen Segen über jeden einzelnen; es ist der Moment ihrer höchsten Erwartung. Während des Segens ziehen Flieger ihre Kreise über dieses Tal und werfen Rosen und Blumen

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herab. – In der ersten Reihe der vielen Kranken sah ich ein Mädchen, ganz still, so herzig, so sympathisch in ihren zwölf Jahren. Ich wußte nicht, daß sie blind war; ich wußte auch nicht, daß sie eine Prinzessin aus dem Königshaus Spaniens war. Auf Bitten des Arztes gab der Kardinal ihr zum zweiten Mal den Segen. Doch das herzige Prinzeßlein blieb unbewegt – blieb blind. Neben ihr lag ein Bauernmädchen. Im Moment des Segens sprang sie auf – sie war geheilt. Es war so Gottes Wille. (Die Geheilten werden sofort weggetragen, damit kein Volksauflauf und kein Unglück entstehe.) – Anschließend an die Krankensegnung war eine kurze Danksagung.

Abschiedsprozession. Zum Abschluß wird die Madonna, die während der ganzen Feier auf dem Altar des Eingangs der Basilika gestanden, in feierlicher Prozession zu ihrem Kapellchen zurückgetragen. Dabei winken die Hunderttausende mit ihren Taschentüchern der Madonna zum Abschied zu. Dieses letzte Grüßen hat den Namen “Taubenprozession” erhalten, da es dem Anblick unzählig fliegender Tauben gleicht. Das Schönste und Erhabenste aber bei dieser letzten Kundgebung ist das Abschiedslied, das alle mit größter Begeisterung, und doch mit tiefer Ergriffenheit, singen. Dieses “Adeus de Fatima” ist eines der schönsten Lieder, die ich je gehört. – Und nun kam auch noch eine besondere Überraschung für mich persönlich: Man gab mir, dem Missionar des Kostbaren Blutes, die Ehre, zu diesem “Adeus” die Orgel zu spielen. Wer kann darum meine Freude sich vorstellen, als ich nun alle Register aufbrausen ließ zum Abschied und zum letzten Hymnus bei dieser Weltwallfahrt! Eine halbe Million Menschen sangen mit, und die angeschlossenen Landessender trugen es hinaus über Land und Meer, das unsterbliche Lied: ,,0 Fatima, leb’ wohl, Mutter mein, lebe wohl!”

<Bild: Die Geheilte>

<Bild: „Taubenprozession“>

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 41. Jg., H. 5/6, November/Dezember 1965, S. 18-24 (22. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

22. Fortsetzung

Mit dem Sieg Francos über die rote Revolte in Spanien waren auch die deutschen Truppen der Condor-Legion zurück in die Heimat gezogen. Ihr Feldkurat Monsignore W. aus Lissabon, dessen Vertretung ich in Portugal übernommen hatte, war nun auch zurückgekommen. So konnte auch ich wieder heimwärts ziehen nach Vila Viçosa,

Nun ersuchte mich unser Erzbischof – er wohnte in Evora -, in sein Priesterseminar von Vila Viçosa zu übersiedeln, um dort die Stelle eines Lehrers und des Spirituals zu übernehmen. Es ist nämlich das Seminar für die Gymnasialstudenten, während in Evora jenes für Philosophie und Theologie ist. Diesen neuen Wirkungskreis konnte ich um so leichter annehmen, da meine eigenen Studenten jetzt schon in Evora studierten.            .

Man sagt, wenn ein Vater einen Sohn in höheren Studien hat, so kostet es ihn soviel, als die Unterhaltungskosten eines Autos betragen. Ich hatte nun gleich drei solcher “Autos” in Betrieb und in Zahlung. Die Briefe, die ich am Ende des Monats erhielt, begannen fast immer (wie halt alle Studentenbriefe beginnen): “Mande me … Schicken Sie mir … ” Meine Kollegen machten sich schon über meine Briefe lustig: “Haben Ihre ,Mandemes’ wieder geschrieben?” – (Heute sind meine Studenten schon längst eifrige Missionare in unserem spanischen Vikariat – der dritte von ihnen ist leider schon als Theologe gestorben.) Kürzlich erzählte mir einer von diesen beiden, daß auch er von seinen jetzigen Studenten immer wieder Briefe erhalte,

<Bild: Seminar und Kirche, Außenseite>

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<Bild: Seminarhof, rechts oben mein Fenster>

die da beginnen mit “Mande me … – Schicken Sie mir … ” – Studenten sind halt ewig die gleichen durch alle Generationen.

Das Seminar in Vila Viçosa hat seine interessante Geschichte.

Es liegt direkt anschließend an den königlichen Palast und war früher ein Klarissinnenkloster. Der anschließende Turm hat viele Gucklöcher, aus denen bei königlichen Aufzügen auch die Nonnen ihrer fraulichen Neugierde nachgehen konnten. Die Architektur des Innenhofes geht ins romanische. Im Zentrum steht ein Orangenbäumlein (Bild). Ringsum im Säulengang blühen Kletterrosen und Efeuranken.

Die Chronik erzählt, daß einstens die Königin von Lissabon eines abends zu Besuch hier eintraf. Als sie den Klosterhof mit seinem wild-romantischen Geranke ansichtig wurde, war sie so sehr davon entzückt, daß die den Wunsch äußerte, diesen Klosterhof eigenhändig zu malen und bat darum ihre Dienerschaft, für den folgenden Tag Farben und Pinseln herbeizuschaffen. Das hörte die Äbtissin. Die Königin will unseren Kreuzgang malen”, rief sie aus, “alles muß schleunigst auf das sauberste hergerichtet werden!” Und in der gleichen Nacht jagte sie die Schwestern bei Kerzenschein die Leitern hinauf, um das “wilde Geranke” zu entfernen und zu säubern. Selbst die goldgelbe Patina der Säulen versuchte sie blitzblank zu scheuern. Am Morgen war das letzte Efeublatt und auch der kleinste Rosendorn verschwunden. Als dann die Königin wieder eintrat, war sie baß erstaunt und enttäuscht. Wo

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<2 Bilder: Königspalast mit Reiterstatue Dom Johanns IV., rechts Boscas das damas und Kirche>

waren Rosen und Efeu, wo die blühend grünende Natur geblieben? Die achtundzwanzig nackten Säulen zeugten von entschwundener Pracht, gebürstet und geborstet in der vergangenen Nacht. Wie “in Unterhosen” stand nun der schöne Vorhof da. – Den wollte die Königin nun nicht mehr malen. –

Das Leben eines Herrschers gleicht oft dem Leben einer Rose – heute rot, morgen tot.

Am 20. Februar 1908 verbrachte die Königsfamilie ihre letzte Nacht im Palast von Vila Viçosa, Als sie am folgenden Tag in Lissabon ankamen, wurde der König und der Kronprinz von einer Clique revolutionärer Verschwörer ermordet. Mit ihrem großen Rosenstrauß konnte die Königin die Ermordung eines weiteren Sohnes verhindern.

So begann die Dekadenz des Landes. Portugal wurde zu einer Republik erklärt, die Klöster wurden beschlagnahmt und geplündert, viele Kirchen geschlossen und die Priester teilweise eingekerkert. Damit gingen auch alle Klöster in Vila Viçosa in Staatshände über. Die südliche Hälfte des Landes wurde nach und nach zu einem “heidnischen Afrika”. Der Gott hassende Atheismus regierte und triumphierte.

So blieb es, bis plötzlich durch die Erscheinung in Fatima ein Umschwung kam. Ein religiöses Erwachen und ein begeisterter Aufbruch setzte damit in ganz Portugal ein. Unter den Bischöfen des Landes war es vor allem unser Erzbischof von Evora, Dom Manuel da Conceição Santos, der – durch seine glänzende Rednergabe – in Fatima mußte er jedes Jahr die große Festpredigt halten – und durch sein heiligmäßiges Leben das verführte portugiesische Volk wieder durch Maria zu Jesus brachte. Nie hat er eine Predigt gehalten, ohne wenigstens zum Schluß auf Maria sprechen zu kommen. Dieser Erzbischof war auch ein besonders großer Freund von uns Missionaren vom Kostbaren Blute. Bei seinen Studien in Rom hat er unsere Kongregation kennen- und schätzengelernt; er war ein Verehrer des heiligen Gaspar del Bufalo.

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Dieser Oberhirte hat also zur Restaurierung seiner so verlassenen Diözese zuerst in Vila Viçosa ein neues Seminar eröffnet und somit den Grundstein zur Heranbildung eines neuen Klerus gelegt.

Als er nämlich sein Amt antrat, stand er vor einem völligen Ruin seines Klerus. Der revolutionäre Klüngel, der in Lissabon den König ermordete, versuchte nun “in Portugal auch die Religion auszulöschen” (Regierungschef Alfons Costa). Im südlichen Teil des Landes war leider ein zu schwacher Klerus, der dem Druck und den Lockungen der Regierung nicht standhielt. Die Priester waren mehr Staatsbeamte als Diener Christi geworden. Die eigentlichen Priestertugenden hatten sie vergessen. Als der neue Erzbischof sein Amt antrat, sagte der Heilige Vater zu ihm: “Stellen Sie jeden Priester vor die Alternative: entweder – oder … ” Und so wurden die meisten ihres Amtes enthoben; der Staat bot ihnen dafür verlockende Staatsstellungen an. Kaum ein Dutzend waren ihren Priesterpflichten treu geblieben. Es ist somit das große Verdienst dieses Bischofs, einen Klerus herangebildet zu haben, der heute vorbildlich ist und ausgezeichnet arbeitet. Der Erzbischof selber (er ist leider vor wenigen Jahren gestorben) hat jährlich mit seinen gesamten Priestern in Fatima Exerzitien gemacht. Gottes Segen war oft auffallend dabei.

So nahm z. B. bei einem dieser Exerzitienkurse auch ein Zivilist “in Grau und Krawatte” teil. Am vierten Tag war er nicht erschienen. Da sagte uns der Exerzitienleiter: “Meine Herren, es dürfte Ihnen aufgefallen sein, daß unter uns auch ein Zivilist teilnimmt. Doch er ist kein Zivilist, sondern ein Mitbruder, ein Priester, ein Unglücklicher. Vor 20 Jahren hatte er leider sein Amt verlassen. Nun will er wieder zurückkehren. Der Kardinal von Lissabon, an den er sich wandte, schickte ihn zuerst hierher nach Fatima. So kam er zu uns. Während der Vorträge sah ich oft Tränen in seinen Augen. Dieser unser Mitbruder ist nun heute nacht plötzlich gestorben. Wir

<Bild: Rechts Erzbischof Don Manuel mit Kardinal Garcias>

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beten für ihn. Er hat doch wieder heimgefunden, wenn auch erst nach 20 langen Jahren.” – Eine Stunde später lag er dann vor uns auf der Bahre, der tote Priester in Zivil -, und drüben in der Ecke stand eine Frau in Schwarz und weinte. Niemand frug, wer sie sei.

“Gute Priester, heilige Priester”, war die Devise vom Seminar in Vila Viçosa, Alle strebten danach, Priester und Studenten. Wir waren eine schöne Anzahl von Lehrern für die verschiedensten Sparten. der mittleren Reife. Mir übertrug man folgende Fächer: Deutsch, Mathematik, Physik, Zeichnen und Musik; außerdem auch noch das Amt des Spirituals. Es ist ein schöner Beruf, Lehrer für Priesterstudenten zu sein. – In den Zeichenstunden waren alle mit hingebender Begeisterung dabei; tiefe Stille, nur das leise Rauschen der Farben war zu hören. – Die Mathematik war schon immer eines meiner Lieblingsfächer. Ich freute mich stets auf diese Stunden. – Unser physikalisches Kabinett war mit einigen Apparaten aus dem benachbarten Palast bereichert worden, die wir gelegentlich einer dortigen Versteigerung erwarben. Zuletzt kam noch ein sonderbarer Apparat dazu. Eines abends nämlich brachten Leute aus der Stadt mir ein eigenartiges Kistchen, das sie vorsichtig in Händen trugen. Durch die Luft sei es hergeflogen und schließlich an einer hohen Pappel hängengeblieben. Ob es vielleicht gar eine Höllenmaschine der Kriegsführenden oder sonst etwas Gefährliches sei, etwa gar aus Deutschland? Der deutsche Pater, der könnte es wohl wissen. Darum brachten sie mir dies Ding. Nur den Ballon und den Fallschirm montierten sie ab und behielten sie. Mit Freuden übernahm ich die geheimnisvolle Maschine und trug sie freudigst in mein Zimmer. Solche physikalische Schnüffeleien waren ja schon immer “mein Wetter” gewesen. Eine Kiste, so groß wie zwei Schuhschachteln, mit verschiedenen englischen Aufschriften – also nicht aus Deutschland -, die mich belehrten, daß das Ding aus Amerika kommend, über den ganzen Ozean geflogen ist. Behutsam öffnete ich und sah im Wirrwarr von Drähten und Schrauben eine elektrische Batterie, die einen Radiosender speiste. Es war schon fast Mitternacht geworden, bis ich alles erforscht und verstanden hatte. Was war es? Nun, keine militärische Höllenmaschine, sondern eine Radiosonde, die eine amerikanische Wetterstation hat aufsteigen lassen. Sie hatte Höhe, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit und Luftrichtung hinunterzufunken. Bei zirka 20.000 Fuß Höhe sollte dann der Ballon platzen und der Apparat am Fallschirm herunterschweben. Doch der Ballon platzte diesmal nicht, und so ist die ganze “Höllenmaschine” schließlich nach Portugal gesegelt und zuletzt in meinem Zimmer gelandet. – Für mich war es ein lieber Gruß aus Amerika. -

Natürlich hatte ich als Musiklehrer auch unsere schönsten deutschen Volkslieder aufklingen lassen, und zwar besonders bei den Festakademien des Hausfestes, drunten im Hofe unseres Kreuzganges. (Die Rosen und Efeuranken grünten schon wieder mächtig.) Alle Wohltäter und Behörden der Stadt waren eingeladen. Es wurde Theater gespielt, Reden gehalten, Gedichte vorgetragen und Musikchöre aufgeführt. Besonderen Beifall erntete der vierstimmige Chor “Am Brunnen vor dem Tore”, den ein Kollege ins Portugiesische umgedichtet hat.

Am Sonntag führte mich mein Weg hinüber zum Königspalast, wo ich in der heiligen Messe den Orgeldienst besorgte. – Im Lande Portugal ist es nicht weit her mit den Orgeln, und darum gibt es fast keine ausgebildeten Organisten. Ebenso wissen sie auch nicht recht mit den Glocken umzugehen. Ihr Läuten ist nur ein einfaches

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Gebimmel, da man den allzu kurzen Klöppel mit der Hand bzw. mit dem Fuß an die Glocke anschlägt, wie bei uns beim Feueralarm. Es gibt sogar ein altes Spottgedicht auf die Glocken von Vila Viçosa. “Darf ich Ihnen mal zeigen, wie man die Glocken richtig läutet?” frug ich den Sineiro. Ich setzte mich auf den entsprechenden Reiter, nahm in die eine Hand das eine Glockenseil, in die andere gleich zwei und steckte die Füße in die Steigbügel des vierten und fünften Glockenstranges. Mit dem Uhrschlag begann ich zu läuten. Fünf Glocken und nur ein Mann! Es war doch viel schwerer, als ich mir gedacht. Ich zerrte und strampelte drauflos, was ich nur konnte – ich durfte mich ja nicht blamieren. Ich versuchte, den Rhythmus der Glocken unserer Heimat nachzuahmen.

Als ich beendet hatte und hinabsteigen wollte, hatte ich ein solch fürchterliches Herzklopfen und -jagen, wie ich es noch nie verspürt. Aber auch unten in den Straßen ging ein Jagen los: “Wo brennt es, wo ist Feuer ausgebrochen … ?”

Von da an überließ ich den Portugiesen gerne ihr wimmerndes Bimmelgeläut. —                            Jedes Land hat halt seine eigenen Bräuche und Gewohnheiten. Wer sie nicht kennt, zahlt oft drauf.

Soll ich vielleicht noch eine solche Begebenheit erzählen?

Wir waren eines Tages zu einer Primiz geladen. Im großen Bus fuhren wir Patres (in Portugal wird jeder Priester “Pater” genannt) und unser Seminaristenchor dorthin. Nach dem Primizamt war das Festessen in einem Hotel. – Ich muß zuvor noch folgendes bemerken: Die Haupttugend des Portugiesen ist seine große Bescheidenheit. So nennt er z. B. ein Festessen, zu dem er einlädt, bescheiden nur ein Copo d’aqua”, d. h. ein “Glas Wasser”. Selbst der Staatspräsident wird nach einer Feier zu einem “Glas Wasser” eingeladen.

Auch auf unserem Primizprogramm stand die Einladung zu einem solchen Copo d’aqua. Wir begaben uns also zum Hotel und traten in den großen Saal ein. In der Mitte standen lange Tische, über und über beladen mit einer Unmasse verschiedenster Schmausereien, angefangen vom einfachen Schinkenbrötchen, Kaviarplätzchen und sonstigen Schleckereien, bis hinauf zum Portwein und Champagner, die in Strömen zu fließen begannen. Doch niemand setzte sich – es waren auch keine Stühle da. Alle standen ringsum den Wänden entlang und hörten der ersten Lobrede zu. Dann begann das Essen. Jeder nahm sich von den aufgestapelten guten Sachen, was er nur wollte. Man nippte an diesem, man schnappte nach jenem, man probierte an allem. Dazwischen kredenzten junge Damen beständig die verschiedensten Weine und Liköre. Immer noch stand man kauend und plaudernd den Wänden entlang. Ich war erstaunt über eine solche großartige Einleitung eines Gelages. Ich sagte mir: Wie wird es erst werden, wenn die sich einmal setzen, und der Hauptteil des Mahles beginnt? Auf alle Fälle hielt ich mich weise zurück. Mein Inneres war ja mehr auf Kartoffeln eingestellt, als auf dieses pikante Wasserglas.

Der zweite Teil des Mahles ließ lange auf sich warten. Schließlich sprach noch der Primiziant sein Dankeswort, alle brachen noch einmal in ein lebhaftes Viva aus, stellten ihre leeren Gläser hin und verschwanden. Man drückte auch mir zum Dank die Hand, und dann ging’s hinaus. Ich aber hatte Hunger, hatte großen Hunger. Auf der Heimfahrt bat ich den Chauffeur, beim nächsten Bäckerladen zu halten. Ich kaufte mir vier Brötchen und schmauste sie mit gesteigertem Appetit.

Ich war um eine Erfahrung reicher geworden: Wer sich in fremden Gewohnheiten

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nicht auskennt, der passe sich den anderen an und greife zu, auch wenn es nur ein “Glas Wasser” ist.

Ja, solange wir leben, werden Wünsche und Erlebnisse stets einander abwechseln. Schon in meiner Kindheit und Jugendzeit hatte ich drei große Wünsche, nämlich: Lourdes zu sehen, einmal zu fliegen und eine Nachtigall singen hören.

Der erste Wunsch ging in Erfüllung bei meiner Hinreise nach Portugal. Der zweite erfüllte sich nur nachts in schönen Träumen, in denen ich über Feld und Wald schwebend mich immer höher schwang. Und der dritte? Diesen letzten Wunsch hatte ich längst vergessen. Denn was brauchte ich noch mehr zu wünschen in diesem Land, dessen vornehme Leute mich fast wunschlos glücklich machten! Die Tage waren ausgefüllt mit befriedigender Arbeit und des nachts schlief ich den Schlaf des Gerechten. 0 diese stillen Nächte hier mit ihrer feierlichen Ruhe! Kein Mensch, kein Auto störte uns.

Nur einmal wurde ich verärgert aus dem Schlafe geweckt. Das wunderte mich.

“Welch frecher Kerl pfeift denn so laut mitten in dieser stillen Nacht?” schimpfte ich ungeduldig und zog die Bettdecke höher. Da, plötzlich setzte der Frechdachs wieder ein und pfiff und pfeifte. “Mal creado – ungezogener Bengell” Ich überlegte mir schon, bei welchem Polizisten ich am Morgen mich beschweren könnte. Da tönte die dritte Kadenz zu mir herauf: zuerst ganz leise, wie ein Klageton, dann crescendo, immer stärker. Ich begann zu lauschen. Die langgezogenen Töne gingen in einen sprudelnden Triller über. Dann perlten kleine und große Terzen und Quarten, immer lauter, immer glänzender. Ich sprang auf, ging ans Fenster und hörte zum ersten Mal – das Lied der Nachtigall. Die hohen Wände des Marmorhofes verstärkten es noch im Echo. Der dritte Wunsch war Wirklichkeit geworden in dieser lieblich hellen Maiennacht. Es blieb mir unvergeßlich. Im dichten “Boscas das Damas” des Palastes hat sie ihr Liebeslied gesungen, das Lied der Nachtigall.

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 41. Jg., H. 9/10, März-April 1966, S. 18-25 (23. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

23. Fortsetzung

Wir Missionare vom Kostbaren Blut waren nach Portugal gekommen für eine zweifache Aufgabe: Erstens, um auch hier die besondere Verehrung des Kostbaren Blutes zu verbreiten, und zweitens, um mitzuhelfen, dem erschrecklich großen Priestermangel zu steuern durch Übernahme von Pfarreien. Beiden Aufgaben suchten wir nach bestem Können gerecht zu werden.

Da wir als Missionare einen möglichst großen Horizont haben müssen, also nicht auf unser eigenes Heimatland beschränkt bleiben dürfen, sandte ich unsere portugiesischen Theologen vom Seminar in Evora nun auch nach Spanien an die weltbekannte Universität von Salamanca und später auch noch an die von Fribourg in der Schweiz. Es vermehrt die Sprachenkenntnisse und erweitert Horizonte. Welch engen Horizont meine Buben anfänglich hatten, zeigten mir ihre Anschauungen. Sie erzählten mir eines Tages mit voller Oberzeugung und strahlendem Stolze, daß es nur die Portugiesen waren, die den ersten Weltkrieg gewonnen haben. “Wieso denn?” wollte ich wissen. – “Ganz einfach: Ein langer deutscher Eisenbahnzug, beladen mit Lebensmitteln, wollte an die Front fahren. Da kam ein portugiesischer Flieger und warf eine Bombe auf den Zug – und aus war es, die Soldaten an der Front mußten verhungern. Und dann gingen die Franzosen über die Toten hinweg und gingen zusammen mit den Portugiesen und Engländern bis nach Berlin, und so war der Krieg gewonnen.”

Alle meine Gegenargumente konnten damals diese herrlich patriotische Überzeugung meiner Buben nicht widerlegen. Ich ließ sie bei ihrer Anschauung, denn einen unschuldigen Patriotismus soll man, wenigstens den Kleinen, vergönnen, denn heldenhafter Sinn in der Kindheit bringt zuweilen später einen Heiligen hervor. Heiligkeit ist Heldentum.

Hat denn auch Portugal eigene Heilige?

Ja. – Vor allem ist es der heilige Antonius von Padua oder, besser gesagt – von Lissabon. – Und neuerdings ist es der im Rufe der Heiligkeit verstorbene (1948) P. Dr. C r u z (Bild), dessen nähere Bekanntschaft ich machen durfte. Wer über Portugal schreibt, darf dieses “Apostels Portugals und Unserer Lieben Frau von Fatima” nicht vergessen. Dr. Cruz wurde in der gleichen Woche geboren (29. Juli 1859), in der Johannes Vianney, der Pfarrer von Ars, starb. Er war einer der ersten, der mit den Seherkindern von Fatima in nähere Verbindung trat. In den ersten Jahren der Republik wurde er eingesperrt, weil er es nicht aufgab, mit dem Talar auf der Straße zu erscheinen. Aber gerade im Gefängnis begann sein zwar heimliches, aber um so unheimlicheres Arbeiten, “Er ist ein Heiliger”, sagten die Gefangenen, und gar bald sollte auch das ganze Land dies sagen müssen. Als er wieder frei war, haben alle Eisenbahngesellschaften ihm eine Freikarte für alle Bahnen fürs ganze Jahr hindurch geschenkt. So konnte er nun seine pastorellen Fahrten unternehmen, wo er glaubte, für Gott etwas tun zu können. Wo er hinkam, lief das Volk zusammen, um “den Heiligen” zu sehen. Der Saum seines Mantels (Umhang) war schon ganz zerfetzt, denn jeder suchte sich eine Reliquie, vom Heiligen abzuschneiden.

Die Gestalt dieses heiligmäßigen Mannes ist unscheinbar: Ein vor Alter ge-

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<Bild: Pater Dr. Cruz>

beugtes Männlein, unter dem Arm sein dickes Brevier und in der anderen Hand den langen Rosenkranz. Das ist die Gestalt, die jeder kennt, das Vorbild des vollkommenen Priesters.

Als er auch zu uns nach Vila Viçosa kam, konnte ich mit ihm freudigst Arm in Arm durch die langen Gänge des Seminars wandeln. – Der Besuch eines Heiligen ist einfach und schlicht. Doch seine Ansprache war die hörbare Liebe Gottes. Die Lieblingsandacht dieses heiligmäßigen Mannes war, außer dem Rosenkranz, der Kreuzweg. Bei jedem Dorf, in jeder Stadt, wo er ankam, war sein erstes: “Gehen wir in die Kirche, den Kreuzweg zu beten!” – Also auch er ein großer Verehrer des Kostbaren Blutes.

Viele sind überzeugt, daß die Erscheinungen Mariens in Fatima nicht zuletzt dem Verdienst dieses heiligmäßigen Priesters zu verdanken sind. Nicht umsonst wird er “Apostel Unserer Lieben Frau von Fatima” genannt. – Und andererseits ist es gerade Fatima, dem das ganze Land seinen Aufschwung, den Sturz der atheistischen Regierung und den “Neuen Staat – estado novo” unter Salazar verdankt.

Im alten Staate war außer den alltäglichen Bestechungen auch eine innere Faulheit an der Tagesordnung. Die Zeit der Not (1. Weltkrieg) wurde ausgenutzt, um die größten Wuchereien zu betreiben. Mit diesem Geist hat nun Salazar aufgeräumt. Als der zweite Weltkrieg ausbrach, wurden fliegende Polizeikommandos gegründet, die es vor allem auch auf die Kontrolle der Lebensmittel abgesehen hatten. Auch den reichsten Herrschaften wurde scharf auf die Finger geschaut. – Damals schmuggelte man zwar nicht Gold und Silber, sondern Wolfram, eine Art Eisenerz. Die Deutschen wie

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die Engländer brauchten dieses Metall, um ihre Panzer zu härten. Der Preis stieg damals um das Hundertfache. Man entdeckte plötzlich neue Wolframminen. Viele wühlten in ihren Gärten, ob sie wohl auch mit einer solchen Mine gesegnet seien. Die Jäger in Wald und Flur schauten nicht mehr nach oben zu Schnepfen und Rebhühnern, sondern nach unten zu den “schwarzen Steinen”. Sogar in den Waggons der Eisenbahnen wurde kontrolliert, denn manche harmlose Handtasche und manches Strickkörbchen war schwer geworden: unter der Wolle lag ein Brocken Erz, das sich die deutschen und englischen Geheimagenten abzujagen suchten.

Portugal war also plötzlich reich geworden. So konnten neue, moderne Schulhäuser erbaut werden (die wenigsten der alten Leute konnten lesen oder schreiben). Das den Kirchen geraubte Eigentum wurde zurückerstattet, neue Straßen angelegt, die kühnsten Brücken konstruiert. Auch die alten Kastells und Burgen wurden neu aufgebaut.

Unter anderem ist auch das neue monumentale Denkmal vor dem Palast in Vila Viçosa, das Denkmal des Königs Dom João IV. von Braganz, ein schönes Zeugnis des aufstrebenden Staates.

Wer war dieser Dom João IV.?

1580 war mit König Heinrich das Königsgeschlecht der Burgunder in Portugal ausgestorben. Die portugiesische Krone fiel teils durch Heirat, teils durch Waffengewalt an die Könige von Spanien. Ein großer Teil ihrer Kolonien ging darauf an die Holländer verloren. Die Unzufriedenheit mit der spanischen Herrschaft führte 1640 zur Erhebung des Herzogs Dom João IV. zum König. Und damit begann die Regierungszeit des Hauses Braganz bis zur Ermordung des letzten Königs Dom Carlos (1908). Diesem ersten König der Restauration wurde also das neue Denkmal gesetzt.

Mit begreiflichem Interesse hatte ich die Errichtung dieses Monuments, das neben unserem Seminar stand, täglich verfolgt. Selbst die Gerüste bin ich hinaufgeklettert, um die verschiedensten Szenen der Montierung im Foto festzuhalten. (Bilder)

Ich bin sogar einmal in nähere Beziehung mit einem Nachkommen des Königshauses von Braganz gekommen: es war die Infantin, die heute in Brasilien lebt. Sie hatte eines Tages ihren Besuch angesagt und kam dann in Begleitung hoher Herrschaften aus Lissabon sowie des Erzbischofs von Evora. Nun stellten sich alle Stadtväter und alle Angestellten des Palastes in Reih und Glied vor dem Eingang zur Begrüßung auf. Auch ich als Organist der Palastkirche mußte antreten. Als ich sah, wie alle (außer dem Erzbischof) dem edlen Fräulein zur Begrüßung die Hand küßten, schoß mir das Blut ins Gesicht. Noch nie in meinem Leben habe ich einem weiblichen Wesen die Hand geküßt außer meiner Mutter. Und nun, Priester geworden, soll ich’s hier tun müssen? Ich war wirklich in eine Klemme geraten. Was tun? Doch schon war ich an der Reihe. Die Infantin streckte mir die Hand hin, und ich ergriff sie; man stellte mich vor, und ich verbeugte mich – doch ich küßte nicht. Man nannte meinen Beruf. – Da beugte sich die Infantin und sie küßte meine Hand. In diesem Moment habe ich die Größe der Priesterwürde empfunden wie nie-

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<3 Bilder: Denkmalsbau>

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mals zuvor in meinem Leben. Damals dankte ich Gott von neuem, daß er mir gerade diesen Beruf gegeben, der der höchste ist auf Erden.

Und nun habe ich genug von Königen und Königsblut gesprochen. Ich blende ein anderes Bild ein, ein Bild aus der schönen Zeit des Bubenlebens.

Mein Vater, ein Oberlehrer, hatte ein Lieblingslied: “Beim Letzten Abendmahle”; aber auch noch ein zweites: “Am schönen Strand der Saar, da liegt mein Heimatland”, denn er war äußerst stark mit der Heimat verbunden. Heimatkunde war eines seiner Lieblingsfächer.    .

Als wir Buben eines Tages beim Soldatspielen uns eine tiefe Schanze gruben, stießen wir auf einen mächtigen Stein. Mein Vater entzifferte aus den eingemeißelten Zeichen (auf der einen Seite war die Wolfsangel und auf der anderen das Lothringer Doppelkreuz), daß es ein Grenzstein zwischen Deutschland und Frankreich war. Wir – meine zwei Brüder und ich – waren darob mächtig stolz. Aber noch mehr: ich bekam dadurch eine “besondere Ader” für Altertumsforschungen und für Ausgrabungen.

Diese Ader war nun auch wieder in Portugal in Wallung geraten, als ich hörte, daß in der Gegend von Rotundo alte Funde aus der Römerzeit entdeckt wurden. Ich hatte nämlich zwei kleine Buben in Privatstunden, die Söhne des Bürgermeisters, die mir eines Tages erzählten, weit draußen auf dem Hügel eines Feldes ihres Großvaters habe man interessante Sachen ausgegraben. Ich sollte doch kommen, das alles anzusehen.

Ausgrabungen – Entdeckungen, das also war wieder “mein Wetter”. Ich hing sogleich meine Agfa Isolette um und stieg in den Mauleselkarren, und “hüh!” ging’s im Galopp aufs weite Feld zum besagten Hügel. Unterwegs schon schilderte man mir: “Es ist eine ,Villa romana’, die man entdeckt hat.” Dort angekommen, sah ich gleich, daß es ein reicher Römer gewesen sein dürfte, der hier gelebt und seinen Göttern geopfert hat. Es muß auch ein prächtiges Haus gewesen sein; das zeigten die Säulen an, die man ausgegraben hat (Bild). Man sah das “Impluvium”, d. i. eine Art Foyer (vornehme Vorhalle), in der Mitte ein Wasserbecken, in das es durch das offene Dach hereinregnete (in-pluere). Drei große Silos im angrenzenden Ökonomietrakt waren noch ganz intakt (oder sollten es etwa mächtige Ölbehälter oder gar Weinfässer gewesen sein?). Es scheinen also schon die alten Römer den Gebrauch unserer modernen Silos längst entdeckt zu haben. Der Boden der Villa war mit einem schönen Mosaik geziert. Kleine zierliche schwarze Vasen aus Griechenland, mit dem Urheberzeichen auf dem Boden, ließen auf einen gebildeten Hausherrn schließen. Auch ein Gewichtstein (unserem kg entsprechend) wurde gefunden. Natürlich entdeckte man auch eine Reihe Silber- und. Kupfermünzen. Vielleicht war es ein römischer Feldherr, der die- hier vorbeimarschierenden Kohorten befehligte. In der Nähe von hier, in Bencatel (das ich noch näher kennenlernen sollte), steht ja heute noch die starke, trutzige Römerbrücke. Der damalige Fluß ist heute nur noch ein kleines Rinnsal. (Die Welt scheint also zu vertrocknen.) Und über die benachbarte Serra Dossa (“Gebirge der Knochen”) soll die Römerstraße verlaufen sein.

Ja sogar schon lange vor den Römern haben viel ältere Nationen den Weizen

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<Bild: SäulenfuB der ausgegrabenen römischen Villa – sitzend Pater Stummbillig>

und die Trauben und Oliven Lusitaniens verkostet und geschätzt. Wer kennt sie alle, diese Völker, die herkamen und wieder entschwanden? Der Morgen des Landes Portugal liegt ja in den dunklen weiten Fernen des 12. Jahrhunderts vor Christus. Die Iberier waren es, die die ersten der uns bekannten Völker sind und dem Lande den Namen “Iberische Halbinsel” gaben. Vom Libanon herunter und aus Tyrus und Sidon kamen dann die Phönizier. Im 6. Jahrhundert vor Christus drangen die Kelten ein. Dann sandte Hannibal seine Karthager her, die aber 200 vor Christus von den Römern vertrieben wurden. So begannen die Soldaten und Kolonisten des römischen Cäsar überall im Land ihre Bauten, ihre Tempel und Villen aufzuführen. Daher die vielen Altertümer in Portugal, die noch bis heute weiterschlummernd ihrer Entdeckung warten. – Wahrlich, Portugal ist ein erschreckend schöner Traum aus alten Zeiten.      .

Zwei Wochen später nach jener Entdeckung besuchte mich ein Herr aus der Hauptstadt. Er stellte sich vor als der Leiter des Archäologischen Institutes in Lissabon. Er habe von den neuen Ausgrabungen gehört und sei gekommen, um sie persönlich zu besichtigen. Daß er gerade auf mich als ersten gestoßen, war ein glücklicher Zufall. Ich zeigte ihm zuerst meine Fotos von den Ausgrabungen, die er zur Veröffentlichung in seiner Fachschrift sich erbat. Dann fuhren wir per Auto nochmals dorthin. Er entdeckte dort, daß außer der römischen Villa schon lange vorher eine keltische Siedlung hier gewesen sein

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muß. Ich machte ihn dann auch noch auf einen in der Nähe befindlichen Dolmen aus vorrömischer Zeit aufmerksam. Doch dieses archäologische Naturdenkmal hatte er schon gekannt. – -

Doch nun genug mit dem Herumwühlen in den dunklen Erdlöchern alter Zeiten! Wieder zurück ins junge 20. Jahrhundert, und zwar diesmal zu einer Siegesfeier und deren wenig heldenhaftem Ausklang.

Zweimal sind wir mit allen Seminaristen nach Evora gefahren, in zwei großen Bussen, bis unsers Dach beladen. Das erstemal zur Jubiläumsfeier unseres Erzbischofs Dom Manuel da Conceição Santos. Zu dieser Feier hatte ein Mitbruder ein Gedicht zu Ehren des Jubilars verfaßt, und der deutsche Pater mußte einen Hymnus daraus komponieren. Als ich dann in Evora auf der Domorgel zum Pontifikalamt das Einzugspräludium spielte, gab diese alte Orgel Töne von sich, die nach den Regeln des Kontrapunktes nicht hergehörten (nach der heutigen Musikkunst zwar würde man sagen: “Höchst modern!”). Es knurrte und miaute in sonderbaren Quinten und Septimen. Ich suchte es zu überdecken durch ein flottes Spielen. Da aber kam eilends ein Domherr heraufgekeucht, der für gewöhnlich diese alte Orgel spielt und sie darum auch kennt. Er stürzte sich auf die Register, von denen er drei hastig hineinstieß. “Ich hatte es vergessen, Ihnen zu sagen, daß diese drei Register ganz verstimmt sind.” Und somit hatte das Miauen im Dome aufgehört. Und das Pontifikale begann.

Zum zweiten Mal sind wir mit unseren großen Bussen nach Evora gefahren zu einer großen Siegesfeier, nämlich des Sieges von Salado, den die Portugiesen gemeinsam mit den Spaniern gegen die Mauren (Mohammedaner) errungen hatten. Zu diesem Festpontifikale im Dom war sogar Nicolaus Franco, der Bruder des Generalissimus Franco, erschien. (Heute noch bewahre ich seine Visitenkarte auf, die er als Gesandter Spaniens mir in Lissabon gegeben hatte.) Wir führten die „Missa Pontificalis” von Perosi auf. Die oberen Melodien (Sopran und Alt) sangen unsere Silberstimmen von Vila Viçosa, die unteren (Tenor und Baß) die Goldstimmen von Evora, dessen Chormeister auch den Dirigentenstab führte. Bei den ganz heiklen Stellen dirigierten wir zu zweit. Unser Chor von über 80 Sängern hat sich hören lassen können. Und Radio Lissabon war auch dabei.

Das anschließende Festessen dieser Siegesfeier blieb uns unvergeßlich.

Der Seminarkoch hatte nämlich seine besten Künste gezeigt. Besonders pikant mundeten uns seine Bohnen, die er schon tags zuvor mit einem leckeren säuerlichen Geschmack vorzubereiten verstand. Alle lobten die hohe Kunst des weisen Koches, denn schließlich wird die Stimmung bei den Gedenkfeiern auch der größten patriotischen Siege letzten Endes im Kochtopf entschieden. Gegen Abend bestiegen wir frohgemut wieder unsere Busse zur Heimfahrt. Doch siehe, unterwegs bekam unsere junge Gesellschaft ein eigentümliches Rühren unter ihrem Herzen. “Herr Schaffner, halten Sie bitte schnell!” – und ein Dutzend der Unsrigen stürmte in die Nacht hinaus und kam bald wieder. Nach 10 Minuten sahen wir beim anderen Bus, der vor uns herfuhr, auch die Stopplichter aufleuchten und eine schwarze Schar gleich einem Überfallkom-

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mando sich in die Büsche stürzen. Nach 20 Minuten reklamierte bei uns das nächste Dutzend. Und so ging das Fahren und Bremsen der beiden Wagen abwechselnd weiter, wie um die Wette. – Am nächsten Tag erkundigten wir uns telefonisch, wie es den großen Seminaristen in Evora ergangen sei. “Das ganze Seminar lacht über den Chormeister”, war ihre Antwort. Dieser hatte sich beim Außendienst in seiner Not in ein Seitengäßlein verdrückt – es war ja dunkel. Aber ausgerechnet im nächsten Moment bog ein Auto um die Ecke herein, und im vollen Kegel des Lichtscheins erschien “das Häslein auf der Straße”. Das aber sprang im Hechtsprung ins Dunkel der Hausecke, um sein Leben und seine Ehre zu retten …

Noch lange haben wir darüber gelacht über die Schlacht von Salado und ihren sauren Bohnensalat.

Ja, auch ein Seminarleben kann zuweilen voll Dramatik und Romantik sein. – Die Zeit vergeht und legt beständig eine neue Platte auf. In jenen Tagen war es, daß ich sehr lieben Besuch aus Rom bekam, einen Mitbruder: Vizegeneral P. Flück. Wir kannten uns schon als Studenten – auch er ist einer von der “Alten Garde” des Xaveriushauses. Da er anfänglich noch kein Einreisevisum nach Portugal hatte, trafen wir uns beide auf dem internationalen Streifen zwischen dem spanischen und portugiesischen Zollhaus und hielten dort, auf einer Mauer sitzend, unsere erste Konferenz. „Willst du nicht nach Spanien kommen”, frug er mich, “um dort unsere Sache zu übernehmen?” –  ”Sehr gerne. Aber bedenke: Ich bin hier schon acht Jahre in diesem Land der großen Zuvorkommenheit. In all diesen Jahren wurde ich nicht ein einziges Mal scharf angesprochen oder gar beleidigt. Du siehst, ich bin darum verwöhnt. Doch auf alle Fälle werde ich mir deinen Vorschlag noch überlegen. Übermorgen treffen wir uns wieder, und zwar in Vila Viçosa.“

Als der Erzbischof hörte, daß ich wahrscheinlich fort sollte, um das Spanische Vikariat zu übernehmen, kam er nach Vila Viçosa, ließ mich rufen und sagte zu mir: “Ich habe gehört, daß Sie uns verlassen wollten. Ihr Missionare vom Kostbaren Blut habt hier in dieser so priesterarmen Erzdiözese schon so viel Gutes getan.” Und dann sagte er, indem er mich an der verwundbarsten Stelle packte, wörtlich: ,Und darum bitte ich Sie im Namen und zu Ehren Ihres seligen Stifters Gaspar del Bufalo, bleiben Sie bei uns und helfen Sie uns weiter mit!”

Auf solch eindringliche Worte dieses heiligmäßigen Bischofs war ich nicht gefaßt; auf die Ehre unseres Heiligen hat er sich berufen – ich war gebannt, war sprachlos. So konnte ich nur das eine sagen: “Eo fico – ich bleibe”, kniete nieder zu seinem Segen und ging dann stillschweigend zurück in mein Zimmer.

Ich blieb in Portugal.

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“Wenn die Welt heute noch untergehen sollte, dann will ich vom Weltende in meiner Pflicht angetroffen werden.“

Franz von 5ales

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 41. Jg., H. 11/12, Mai-Juni 1966, S. 11-17 (24. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich .

MISSIONAR vom Kostharen Blute

24. Fortsetzung

Nur der hat Portugal gesehen und erlebt, der den alten berühmten Baudenkmälern des Landes nachgespürt, in denen das Andenken seiner großen Vergangenheit fortdauert. Portugal war einstens eine Weltmacht. Das halbe Land ist heute ein Museum, oder besser gesagt: ein Geschichtsbuch aus diesen alten, interessanten Zeiten.

Auch ich begann in diesem Buch zu blättern. In den Ferien ergriff mich das Wanderfieber zu “Entdeckungsfahrten” im Lande der wahrhaft großen Entdecker.

Gelehrte Männer behaupten, daß das Verlangen der Portugiesen nach der Ferne und die Sehnsucht nach Abenteuer auf Land und Meer von ihren ersten Vorfahren, den Phöniziern, stammen. Die Römer ihrerseits fügten ihnen einen neuen, härteren Zug hinzu: Achtung vor der Ordnung und den Drang, ferne Länder zu kolonisieren und zu zivilisieren. Die Kelten hatten ihnen als Erbteil

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die Liebe zur Musik und Dichtkunst geschenkt und die Mauren Mohammeds einen großen Hang zur Melancholie.

Aus dieser Mischung verschiedenen Blutes entstand also der Charakter des heutigen Portugiesen. Es ist eine glückliche Mischung, die besonders dem Fremden gegenüber sich sehr angenehm offenbart. Das Wort Höflichkeit habe ich in keinem Land so ausgeprägt gefunden wie hier in Lusitanien. So berichtet auch ein holländischer Schriftsteller: “Viele Jahrhunderte wurde in Europa für vollkommene Höflichkeit der Ausdruck ,So höflich wie ein Portugiese’ gebraucht. Und es ist wahr: Nirgends findet man höflichere, aber auch nirgends gastfreiere Menschen als in Portugal.”

Ich stieg also in den Schnellzug zu meiner Fahrt quer durch das Land der Lusiaden. Mir gegenüber saß eine Mutter mit ihrem Kind. “Mutti, ich hab Durst!” Die Frau entschält eine saftige Orange und reicht sie der Kleinen, die hastig danach greift. Doch das Mädchen reicht die süße Frucht zuerst mir hin und frägt mich mit kindlicher Grazie: “É servido?” – “Darf ich Ihnen anbieten?” Natürlich lehnte ich es freundlich ab. Nun bietet sie es ebenso freundlich allen anderen Mitreisenden an. Erst nach dem letzten nimmt die kleine Portugiesin ihre Orange und verzehrt sie mit stolzem Behagen, denn sie hat sich als „bem creada” gezeigt, als eine “gut Erzogene”. Ja, selbst der Bettler am Wegrand bietet sein erbetteltes Brot vor Beginn seiner “Mahlzeit” den Vorübergehenden an: “É servido?”

Nach einer Stunde Fahrt stiegen wir in einen Autobus um, und bald waren wir in S i n t r a. Auf seiner lustig steilen Höhe grüßten uns die beiden Kastelle: das Castelo dos Mouros und das von Pena. Einst war es eine trutzige Burg, und hinter der gezackten Doppelmauer verteidigten die Mauren zäh ihre letzte Stellung in Europa, bis die Fahne Mohammeds endgültig vor dem Christusbanner gewichen ist.

Der Maurenburg gegenüber liegt das C a s t e l o  d a  P e n a, die ehemalige Sommerresidenz der königlichen Familie. Ich klomm die Höhe hinan und bald lag vor mir ein Kranz schöner Wälder mit einem üppigen Pflanzenwuchs. Im Schloßpark zählt man über 400 verschiedene Baumarten und Sträucher. Vom Turm aus ist eine Aussicht bis nach Lissabon, bis zum Ozean hin, wo man den westlichsten Punkt Europas, das Cabo da Roca, von den Römern “Promotorium magnum” genannt, in blauem Meeresdunst erblickt. Ich grüßte aus weiter Ferne diesen “Letzten Gruß Europas”. – Castelo da Pena ist von deutschem Geist (Oberst von Eschwege) in mittelalterlichem Stile erbaut. Hier oben wartete einst König Manuel – es war in der Zeit des Kolumbus – auf die Rückkehr Vasco da Gamas, der in seinem Auftrage 1497-1499 den Seeweg nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung fand. Hier saß auch der letzte König Portugals mit dem letzten deutschen Kaiser und freute sich an den Gärten und Brunnen, an der Stille des weiten Panoramas, an der Frische der heraufwehenden Meeresbrise.

Ich stieg wieder hinab, denn der Ruf nach anderen, vielleicht noch schöneren Meisterwerken lockte mich.

Wenn ich Sintra das kleine Paradies der Natur nennen darf, so ist Batalha das Paradies der Kunst zu heißen. Es gäbe zwar in Portugal des Schönen gar vieles, was begnadete Künstlerhand geschaffen. Haben doch die Könige nach erlangten Siegen oder glücklichen Entdeckungen ihren Dank an Gott statt in protzigen Denkmälern durch monumentale Kirchen und Klöster aus-

<Bilder S. 13: Sintra: Kastell der Mauren ~ Schloß Pena, Oberblick und Vorderfront.>

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gedrückt. So entstand z. B. der Konvent von A l c o b a ç a, einer der größten Konvente der Welt, ferner das Kloster des heiligen H i e r o n y m u s in Lissabon, das der in Stein gehauene Dank für die Entdeckungen der portugiesischen Seefahrer ist. Doch das herrlichste Gloria dürfte B a t a l h a sein. Man sagt, daß es sogar eines der glänzendsten Bauwerke der Christenheit sei.

Ein Kunstwerk kann nur verstanden werden, wenn man seine Geschichte kennt. Darf ich deshalb zurückblättern im Buche der Geschichte bis ins 14. Jahrhundert?

Die Portugiesen waren damals unter die Herrschaft der Spanier geraten. Nun suchten sie sich zu befreien mit Hilfe ihres neugewählten Königs Johannes I. Es kam zum Kampf, und die 7000 Portugiesen besiegten die 30.000 Mann ihrer Gegner. Zum Dank und Gedenken dieses Sieges gründete der König das “Kloster Unserer Lieben Frau vom Sieg”, Kloster Batalha genannt.

Dieses Mosteiro hat etwas Eigenartiges an sich: es ist die “Unvollendete Sinfonie” der Steinkunst. – Ich trat ein und gelangte zuerst in die “Kapelle des Gründers”. In der Mitte des Achtecks steht, von acht Löwen getragen, der Sarkophag Johannes’ I. und seiner Gemahlin Philippa von Lancaster. Auf der Südseite in den Nischen sind die Gräber ihrer vier Kinder, u. a. des Prinzen Heinrich des Seefahrers. Ein Mann, dessen Leben nachzuspüren wahrlich einen Geschichtsroman der Meere ergeben würde.

Als ich ins linke Seitenschiff eintrat, ins Claustro Real (Königlicher Kreuzgang), kam ich mir vor wie in einem Märchenschloß. Es ist ein Glanzstück portugiesischer Gotik, von der einfachsten bis zu einer alles überwuchernden Ornamentik. In dem fast orientalisch üppigen Fenstermaßwerk kehren zwei Ornamentmotive wieder: ein Blätterschlingwerk, in dessen Mitte einigemal die ,,ArmilIarsphäre” (Sphärenkugel mit den Himmelskreisen für astronomische Berechnungen), die “devise parlante” König Manuels angebracht ist; zum anderen das Doppelkreuz des Christusordens, umschlungen von Lotosstengeln und -blüten, den Symbolen der Entdeckerfahrten im Fernen Osten. Die Brunnenecke, ein kapellenartiger Bau des Kreuzganges, hat in der Mitte ein großes und vier kleine Wasserbecken in phantastischen Formen. Von hier aus genießt man, besonders bei vollem Sonnenlicht, köstliche Durchblicke.

Die “Unvollendete Kapelle” (Capela Imperfeita, weil ohne Dach) sollte das Mausoleum des Königshauses werden. Doch sie konnte nie vollendet werden, weil nach dem Tode des Baumeisters die Nachfolger fehlten, die die Kuppel zu dem kühnen Bau hätten errichten können. Sie zeigt die letzte Entwicklung des reichen, bunten Stils der Spätgotik. Sie ist ein großartiges Virtuosenstück, das seinesgleichen an Kühnheit und Genialität sucht. Nichts war damals, als noch die Reichtümer des Orients den Staatsschatz füllten, für Portugal zu kostspielig.

Die Dekorationen sind im reichsten Emmanuelstil ausgeführt. Das Material des ganzen Baues ist ein marmorartiger weißer Kalkstein aus den nahen Steinbrüchen, der mit unendlichem Fleiß in feiner Ziselierarbeit ausgehauen,

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<Bilder: Batalha: “Unvollendete Kapelle” – Brunnen im Kreuzgang – Inneres der Kapelle.>

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<Bild: Porto: Denkmal Prinz Heinrich der Seefahrer>

zu märchenhaften Formen bearbeitet wurde. Man spürt noch heute in diesem Wunderwerk die Siegesmelodie der alten Portugiesen.     .

Und weiter ging meine Fahrt durch Land und Geschichte. Diesmal im D-Zug, dem Norden zu.

Dort hatte ich zufällig die Trauung einer deutschen Familie durchzuführen. So kam ich nach Po r t o, der zweitgrößten Stadt des Landes. Bischofssitz und Universität unterstreichen die Bedeutung dieser Cidade, Von Porto her kam der Name für das ganze Land, denn die nahe gelegene römische Niederlassung “Portus Cale” hat sich zum heutigen Portugal ausgeweitet. Weltweite Verbreitung fand aber auch der Portwein, der an den Ufern des Douro (“von Gold”) wächst, so daß dieses Flüßchen wirklich ein kleiner Goldstrom geworden ist.

Ein Wahrzeichen der Stadt ist die Ludwigsbrücke, die im Jahre 1881 vom französischen Ingenieur Eiffel erbaut wurde. In zwei Bahnen rollt hier der Verkehr über den Douro in einer Bogenspannweite von 17,2 Metern. Die untere Fahrbahn ist 10 Meter über dem Wasserspiegel, während die obere die luftige Höhe von 60 Metern hat.

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Mein liebster Gang in Porto war jedoch zum Grabe jener deutschen Frau, die, geboren in Westfalen, von den Einwohnern Portos einfach “a santa Alema” genannt wird – es ist die Schwester Maria vom Göttlichen Herzen, geborene Gräfin Droste zu Vischering. Kaum jemals fand ich, daß ein deutscher Name mit solcher Hochachtung genannt wurde wie der dieser “Heiligen von Porto”. Die Stadt am Douro behütet auch noch das Andenken an einen Prinzen, den ich fast den “Astronauten des Mittelalters” nennen möchte. Zwar griff er nicht nach den Sternen, sondern nach den unbekannten Welten dieser Erde. Es ist Prinz Heinrich der Seefahrer (1418-1460), der hier in Porto geboren wurde. Unter ihm als Großmeister erlebte der Christusorden seine Glanzzeit. Prinz Heinrich war sicherlich die Triebkraft und das Vorbild der Meerfahrer und Entdecker des damaligen Jahrhunderts.

Sein Denkmal in Porto stellt ihn dar, wie er mit erhobener Hand zum Meer hinweist, das hier nur 5 Kilometer entfernt ist: “Portugiesen, eure Zukunft liegt auf dem Meere!” Sie sind seinem Rufe gefolgt: 1470 wurde die Küste von Guinea entdeckt, 1487 erreichte Bartolomeo Diaz die Südspitze Afrikas, das Kap der Guten Hoffnung, 1498 fand Vasco da Gama den Seeweg nach Indien, 1500 nahm Pedro Alvares Cabral Brasilien in Besitz, 1519 war Ferdinand Magellan die erste Umseglung der ganzen Erde geglückt. – Die Namen Porto, Portugal und Lissabon waren in alle Welt gedrungen. – -

Meine Fahrt durch die Lande Lusitaniens ist zu Ende. Nur weniges konnte ich hier anführen von dem Reichtum, den die Geschichte Portugals besitzt. Damals war es eine Weltmacht, weil “die Ausbreitung des Glaubens” (“dilatando a fé”) die Triebkraft und das Ziel seiner Taten war. So hat Camoes in seinen Lusiaden schreiben können, daß Portugal, “der Garten Europas, der Welt neue Welten gegeben hat”.

1 7 <Bild: Porto: Fluß Douro mit Ludwigsbrücke (Foto: A. S.)

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 42. Jg., H. ¾, September-Oktober 1966, S. 19-23 (25. Fortsetzung).

••• und dann wurde .da

MISSIONAR vom Kostbaren Blute                           25. Fortsetzung

Wenn ich nicht Priester, Missionar geworden wäre, wäre ich sicher Physiker oder Techniker geworden.

Ich habe mich oft gefragt, warum mir Gott außer meinem Priesterberuf noch diesen zweiten Beruf mitgegeben hat. Denn stets mit großer Freude griff ich nach den Büchern der Naturwissenschaften, und die großen Erfinder waren immer meine Ideale. Warum nur dieser eigenartige Zwiespalt? Doch heute begreife ich sehr gut diesen doppelten Ruf Gottes. Heute bin ich überzeugt, daß ich vielleicht sogar meinen Priester- und Missionsberuf verloren hätte, wenn Gott nicht auch zugleich mir diesen zweiten Ruf gegeben hätte. – Wieso? – Ich will’s erklären.

Wer für die Naturwissenschaften gleichsam geboren ist, sieht alles Geschehen in der Natur mit viel interessierteren Augen an. Mich begeisterte das Leuchten der Blitze genauso wie das Glimmen der Glühwürmchen. Schon als Student wollte ich das große Problem, das Geheimnis des kalten Lichtes, lösen. Natürlich fand ich es nicht. So spürte und suchte ich nach anderen Problemen. Da kam mir plötzlich ein herrliches und zugleich praktisches Patent in den Sinn: ein Auto ohne Benzin und Strom, das Perpetuum mobile der Straße. Die Erfindung war überraschend einfach: Ein Auto, das statt des Motors vorne einen großen Propeller hat, der den Wagen antreibt. Dieser Propeller ist durch eine mehr oder weniger große Zahnradübersetzung mit den Wagenrädern verbunden. Das ganze Vehikel lasse ich für den ersten Antrieb einen kleinen Hügel hinabrollen. Läuft der Wagen, dann läuft auch der Propeller, und läuft der Propeller, dann läuft auch der Wagen. Die Erfindung war vollbracht und die endlose und kostenlose Fahrt konnte beginnen. Mit dieser Logik sah ich mich schon auf allen Straßen Europas dahinsausen. Es begeisterte mich sehr. Erfinderfreuden zählen bekanntlich zu den reinsten Freuden, die es gibt. Das einzige Problem nur, das ich noch zu lösen hatte, war: Wie groß muß die Transmission im Innern des Wagens sein? An diesem Problem

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rechnete und grübelte ich alle Tage, abends vor dem Einschlafen, morgens nach dem Erwachen, sehr lange, durch Jahre hindurch, durch meine ganze Jugendzeit.

Warum erzähle ich das?

Nun, heute sehe ich darin eine Fügung und Führung Gottes, der mich zum Missionar machen wollte. Hätten mich diese Gedanken nicht so stark und begeisternd in Beschlag genommen, dann hätte mich sicher die Gedankenwelt des Sex-Appeals erfaßt und gefangen. So aber konnte ich jeden Gedanken aller Versuchungen mit dem für mich viel herrlicheren Gedanken überdecken: ein großer Erfinder und ein berühmter Mann zu werden. Alle Appelle der Versuchungen und der Versucherinnen (es waren nicht wenige) prallten ab, und übrig blieb nur der “God-Appeal”, der Anruf Gottes: Folge Mir nach! – Und ich folgte Ihm – und so wurde ich Missionar vom Kostbaren Blute.

Ja, ich bin ein Missionar, und Gott hat mich geführt (nicht mein erträumtes Vehikel), über die Straßen Europas, durch alle Fährnisse und Prüfungen dieses Lebens.

Soll ich noch weitererzählen?

Portugal. Einer meiner Freunde, ein Pfarrer draußen auf dem Land, ersuchte mich, ihn dort zu vertreten. In einem fremden Haus wurde ich einquartiert. Und siehe da, des Abends lauerte mir eine große Versuchung auf. Doch alle Gebete schienen zu schwach. Was könnte jetzt noch stärker sein als dieser blöde Angriff? Doch da ganz plötzlich, innerhalb von kaum drei Sekunden,. blitzte in mir ein Gedanke auf, ein herrliches Problem, eine großartige Erfindung: Wirksame Fliegerabwehr mit Hilfe des Dopplereffektes. – Die alte jugendliche Begeisterung war explosivartig wiedergekehrt. Bis Mitternacht gab ich mich den herrlichen Gedanken des Grübelns hin, die Erfindung bis ins einzelne zu ergründen. Alle Versuchungen waren mit einem Schlag weg, verblaßt und zerronnen. Ich staunte bewundernd ob der so prompten Güte und Hilfe Gottes. Ihm herzlich dankend, schlief ich ein.

Am nächsten Tag brachte ich das Ganze zu Papier. Ich zeichnete und schrieb etwa 20 Seiten voll, heftete sie zusammen und sandte sie meinem Freund nach Lissabon. Der trug sie zur deutschen Gesandtschaft, die schickten es zu einem Konsortium deutscher Ingenieure in Madrid zur Überprüfung und Begutachtung. Nach einer Woche erhielt ich die Abschrift ihrer Antwort: “Die Erfindung des Herrn N. N. ist aus mehrfachen Rücksichten beachtenswert und darum empfehlen wir, sie zur Auswertung an das Luftfahrtministerium nach Berlin zu leiten.” Und so gingen mit dem nächsten Geheimkoffer der deutschen Gesandtschaft auch die stillen Gedanken eines Missionars vom Kostbaren Blute an die höchsten Behörden Deutschlands nach Berlin. Von dort kam als erste Antwort die Bestätigung: “Wir bitten, dem Erfinder unseren Dank auszusprechen.” – Doch kurz darauf brach der Krieg zusammen, das wahnsinnige Ringen ging mit Wirrwarr zu Ende.

Was ich jetzt hier erzählt, hat bis heute noch niemand erfahren; und wenn ich es jetzt hier mitgeteilt, so nur deshalb, um die gütige Führung Gottes in einem

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Priesterleben zu bekunden und um Ihm den schuldigen Dank zu erstatten. — Nach dieser Aushilfe bei meinem Freund auf dem Land kehrte ich ins Seminar zurück. Der übliche Alltag ging wieder weiter.

Doch nach einem weiteren Jahr im Seminar zog es mich wieder hinaus zur Arbeit der öffentlichen Seelsorge. Sonderbar: ausgerechnet die verlassenste und ärmlichste Pfarrei der ganzen Umgebung wollte ich übernehmen. – In meinem Leben hat es mich schon immer gereizt, gerade dort zu sein, wo “der Dreck am dicksten und das Ding am interessantesten” ist.

Ich hatte nun schon etliche Male unter den Portugiesen jener Gegend das Sprichwort gehört: “Toto o mal vem de Bencatel – alles Schlechte kommt von Bencatel.” Darum interessierte ich mich gerade für dieses so übel beleumdete Dörflein. War es denn wirklich solch eine “kleine Vorhölle allen Übels”. Wenn ich heute die kürzeste Antwort darauf geben soll, so müßte ich sagen: Bencatel ist jenes Dorf, das sich meiner Seele am tiefsten und unvergeßlichsten eingeprägt hat.”

Ich ging also zum Erzbischof und bat ihn, mir die Seelsorge jenes Ortes zu übertragen. – “Gerne. Nur müssen die Leute von dort sich auch verpflichten, für Ihren Unterhalt zu sorgen.”

Als nun die Bencateliten hörten, daß der deutsche Pater sich für sie interessierte, ließen sie rasch eine Sammelliste zirkulieren, in der sich die freiwilligen Spender zu monatlicher Gabe verpflichteten. Der Unterhalt war also schnell gewährleistet, mein Umzug konnte beginnen.

Bencatel ist etwa 4 km von Vila Viçosa entfernt. Zwischen beiden Ortschaften liegt ein Berg, ganz mit Olivenbäumen bewachsen. Der Berg selber liefert den schönsten Marmor in allen Farben und Fasern und ist deshalb der Reichtum des Ortes.

Also nahm ich mal wieder meine Koffer und fuhr, zusammen mit dem Rektor des Seminars, im zweirädrigen Mauleselkarren hinauf nach Bencatel. Friedlich lag das Dörfchen vor uns, eingebettet ins graugrüne Kleid unzähliger Olivenbäume. Mit unserem 1-PS-Motor ging es – wenigstens bergab – recht flott voran. Doch kurz vor dem ersten Haus verloren wir ein Wagenrad. Wie ein gestrandeter Segler landeten wir knapp am Rande des Grabens. Aber ist nicht auch dem heiligen Gaspar del Bufalo auf seinen Missionsreisen das gleiche passiert? Unser Vehikel war bald wieder fit, und stolz hielten wir Einzug in dieses wenig gelobte Land.

Wo nun wohnen? Das Pfarrhaus, eine armselige einstöckige Hütte, anschließend an die Kirche, war schon seit Jahr und Tag von irgendwelchen Leuten besetzt. Sie waren arm, so arm, daß wenn am Samstag sie ihre Wäsche wuschen, ihre Kinder kein zweites Hemd zum Anziehen hatten. – So habe ich mich also kurzerhand in der Sakristei eingerichtet. Doch “einrichten” ist eigentlich zuviel gesagt, denn ich stellte nur meine zwei Koffer an die Wand, und der Umzug war vollendet. War ich nicht hier der “Gefangene Gottes”? Wie ein Gefängnis: der Boden nicht aus Holzdielen, sondern aus rohen Ziegelsteinen. Die Decke ein Steingewölbe wie in den alten Weinkellern. In

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der Mauer, die noch rasch weiß gekalkt wurde, war ein kleines quadratisches Fenster, das mit schweren Eisenstäben vergittert war. In der Ecke ein Bett, in der Mitte ein Tisch mit Petroleumlampe und in der anderen Ecke ein Stuhl. Schrank oder Ofen gab es nicht. Klosettanlage war wie im Urwald. – Durfte ich mich bei dieser Ausstattung nicht “ein Gefangener Gottes” nennen?

Und dennoch war ich vielleicht der sorgenfreieste Mensch der ganzen Pfarrei. Wenn ich abends zu Bett ging, fiel durch die offene Tür der rote Schein des Ewigen Lichtes mir ins Gesicht. Hier hätte ich singen können: “Lieber Heiland, gute Nacht!”

War auch mein Vorgänger, der letzte Pfarrer von Bencatel, ebenso glücklich gewesen? Ich weiß es nicht und kann darum kein Urteil fällen. Ich weiß nur, daß er etwa 20 Jahre vorher die Pfarrei hat verlassen müssen und wegzog mit Sack und Pack, mit Weib und Kind. (Leider war er damals nicht der einzige Priester solcher Verhältnisse.) Als dann nach Jahren die “Seine” starb, besuchte ich ihn am gleichen Tag. Doch er hatte nicht die Gnade: “Später, vielleicht später!” war die einzige Antwort. Und seine Töchter weinten bitterlich. -

Zum Essen ging ich täglich ins Wirtshaus. Dabei mußte ich oft zwischen den Angeheiterten mich hindurchschlängeln. Jeder bot mir freundlichst sein Gläschen an. Dieser etwas stark intime Kontakt mit dem Volk hatte jedoch einen Vorteil, nämlich: die seit 20 Jahren so verlassenen Leute waren – man konnte es ihnen nicht verargen – aufs tiefste überzeugt, daß jeder Priester ein Weib habe, entweder offen oder heimlich. “Und ich”, frug ich sie, “hab auch ich solch heimlichen Anhang?” – “Bei Ihnen ist das unmöglich, denn tagsüber sehen wir Sie immer, selbst beim Essen in unserer Wirtschaft, und des Nachts, da wagt sich niemand zu Ihnen in die Kirche, denn (und hier setzte ihr naiver Aberglaube ein) nachts werden die Heiligenfiguren der Kirche alle wie lebendig, da wäre es dort zu gefährlich.” So stand ich also unter dem zweifachen Schutz der Heiligen, und das noch mit Hilfe eines unvermeidliehen Aberglaubens. – Aberglaube und Skepsis zum Priester waren also die besonderen Kennzeichen meiner Pfarrkinder. Sie waren in religiösen Belangen fast wie die Heiden. Kaum ein halbes Dutzend konnten noch als richtige und aktive Christen angesehen werden. Sie waren meine besten Helfer für die Zukunft.

Da von den andern fast niemand zu mir in die Kirche kam, mußte ich zu ihnen gehen. Und so kündigte ich als “erste Predigt” an: .Hexenkunststückchen, aufgeführt im großen Lagar. ”

Der reichste Mann des Ortes hatte einen großen Saal, in dem seine Ölpressen standen. Er stellte mir diesen Lagar gerne zur Verfügung, baute mir darin eine Bühne auf (also meine erste Kanzel), und am folgenden Sonntagabend war das ganze Dorf im Maschinensaal versammelt. Zehn der Kunststückchen erinnerte ich mich noch, die ich von Jugend her kannte. Da waren die springenden Karten, die rechnende Tafel, die marschierende Zigarre, der ätherische Würfel u. a. m. Die Schlußkonsequenz meiner sonderbaren Predigt war, daß

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aller Hexenwahn und Aberglaube ein Unsinn sei. – Die erste Glaubenspredigt war gestartet. Allmählich sollte sich auch die Kirche füllen.

Es war ein zähes Ringen um die Seelen jener verlassenen Menschen. Jeden Sonntag, eine Stunde vor Beginn der heiligen Messe, durcheilte ich die Straßen und Gäßchen und lud jeden, den ich antraf, zur Messe ein. Alle versprachen, doch wenige kamen. Es war auch leicht verständlich.

Nun kam mir noch eine andere Eigentümlichkeit dieses Völkchens zu Hilfe. Bald hatte ich nämlich gemerkt, daß sie eine besonders große Vorliebe hatten für die Musik. Das kam mir sehr gelegen.

In der Kirche stand eine kleine alte Orgel. Ihre Töne schwiegen beharrlich, auch unter dem stärksten Winddruck. Die bleiernen Pfifferlinge waren verbogen, und in den hölzernen Pfeifen klopfte der Holzwurm. Ich ging ans Werk, und Ton für Ton kam langsam wieder auf Draht. Doch meistens nur in den Abendstunden führte ich mein Kunsthandwerk aus, wenn alle Leute wieder zu Hause waren und die Burschen, Mädels und Kinder draußen in der Abendkühle auf den Straßen tanzten. Jeder Ton, der zu ihnen drang, war letzten Endes Propaganda für Gott. Durch die halboffene Kirchentür zogen nun die Triolen und Synkopen meiner Töne hinaus zu meinen Schäflein, und langsam kannten die Schafe diese Stimmen ihres Hirten und begannen ihm nachzufolgen. “Der deutsche Pater richtet unsere Orgel her! Vielleicht gibt er uns gar ein Konzert!” – Ja, ein Konzert hab ich gegeben. Zuerst aber ein ganz eigenartiges, kleines, und zwar zusammen mit einem unscheinbaren schlichtgrauen Vögelein. Als ich nämlich eines Abends wiederum bis tief in die Nacht am Stimmen war, hörte ich plötzlich die silbernen Töne einer Nachtigall. (Die zweite also in meinem Leben.) Sie war in allernächste Nähe gekommen. Sachte öffnete ich das Kirchentor, und nun begann das erste Konzert auf der neuerklingenden Orgel. Ich lauschte auf die Töne meiner kleinen Solistin – laut klangen sie in die stille Nacht hinaus. Ich suchte sie nachzupfeifen, um das Lied der Nachtigall zu ergründen, über das schon Bücher geschrieben sind. Ich war, und das ist leicht verständlich, in helle Freude geraten durch diesen musikalischen Wettstreit zwischen mir und dieser Sängerin. Schnell schrieb ich ihre Modulationen, ihre Triller und Schlußkadenzen auf ein Stück Papier. Doch die meisten ihrer Melodien konnte ich mit meiner Orgel nicht erfassen. Ob und wie viele auch von meinen Schäflein draußen uns zugehört, weiß ich nicht, denn der Schein meiner einsamen Petroleumlampe reichte kaum bis zum Portal.

Auf alle Fälle: die Orgel war wieder in Takt. Ich kündete an:

“Nächsten Sonntag Orgelkonzert. Alle herzliehst eingeladen!”

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“Lobet den Herrn, du Sonne und Mond, lobt Ihn, ihr funkelnden Sterne. Ihr wilden und all ihr zahmen Tiere, ihr Kriechtiere und ihr beschwingten Vögel, lobet den Herrn.” (Ps. 148.)

… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 42. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1966, S. 13-21 (26. Fortsetzung).

••• und dann wurde ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

26. Fortsetzung

Der Dichter Reinhold Schneider schreibt über Portugal: “Vielleicht ist das Erlebnis Portugals nur in Musik zu gestalten, denn es ist hier alles Melodie, Zwischenton, feinste und zugleich entscheidendste Nuance.”

Eine deutsche Radiosendung berichtete: “Die ländliche Folkloremusik Portugals gehört zu den reichsten ganz Europas.” – Der Portugiese ist ein sangesfroher Sonnenmensch.

Das “Fado”-Lied ist der Gesang der Städter. Diesen Fado durchzittert die einzigartige portugiesische Idee der “Saudade”, jenes Wort, das in keine Sprache übersetzt werden kann. Die Saudade ist die ,,0 gosto de ser triste – die Freude am Traurigsein.” Es ist Sehnsucht nach Unerreichbarem, Liebe, Trauer, Einsamkeit. Es ist der Unterton des Abschieds, es ist mehr als Heimweh. Über “Saudade” wurden schon ganze Bände geschrieben. Wenn meine Freunde in Portugal mir heute noch schreiben, dann heißt es immer am Schluß des Briefes: “Com muita saudade um grande abraco – mit vieler Sehnsucht eine große Umarmung …”

Die Fados-Lieder werden von den Klängen der Gitarre und der “Viola” begleitet oder von der “Cavaquinho”, einer kleinen rundgebauten Gitarre mit nur vier Saiten. Im Bergland Tras-os-rnontes spielt man die “Cornamusa”, eine Art Dudelsack, in der Provinz Beira Baixa die “Adufé”, ein viereckiges Tamburin, und an den Ufern des Douro die Panflöte. Hier, wo der Portwein fließt, sind es die Lieder zu Ehren des Weines und der Reben, während die Fischer an der Atlantikküste ihre Boote beim Gesang ihrer eigenen Lieder an den Strand ziehen.

Auf dem Lande kann man die figuren- und melodienreichen Tänze sehen, die “Vira” (vivare = drehen) oder die eigenartige “Brinca” (brincare = spielen), den uralten Tanz der Fischer. Fast jede Provinz des Landes hat ihre eigenen Weisen von Rhythmus und Melodie. -

Meine Pfarrkinder in Bencatel hatten ein besonders schäumendes Blut für Musik und Tanz. Selbst die Schulkinder sangen und tanzten bis kurz vor Mitternacht auf den Straßen. Die elende Hitze am Tag zwingt die Menschen, in den Häusern zu bleiben, die Kühle der Nacht macht sie lebendig.

Eines Nachts – ich war noch in der Kirche – ging ein vom Wein Angeheiterter

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<Bild: Bencatel: Tänzergruppe auf der Straße. Bursche mit Mädchentracht.>

an der offenen Kirchentür vorbei und sang sein Trinkerlied. Da blitzte in mir plötzlich der Gedanke auf, meinen lieben Pfarrkindern, die dem Trunke nicht abhold waren, eine Predigt in Form eines Theaterstückes zu schreiben mit dem Inhalt: Ein betrunkener Vater kommt an die Himmelstür. Der Titel lautete “Der Wettstreit”.

Schon am nächsten Tag war mir der Bleistift in der Hand warm geworden, und die Zeilen des Theaterstückes flogen nur so dahin. Eine Reihe bekannter und unbekannter Volkslieder flocht ich hinein. Als ich fertig war, suchte ich mir eine Schar Kinder aus, die ich als die besten Stars vermutete. Mein Zimmer, d. h. die Sakristei, war das Studio. Ihr hättet sehen sollen, welches Geschick und welches Können diese junge Schar entwickelte. Bei den Szenen der Großreigen tanzten und immitierten sie mit Hand und Fuß den Wellenschlag des Meeres, während sie das “Fischerlied” sangen: “Geh’ nicht aufs Meer, Toni, das Meer ist falsch, Toni..” Dann drehten sie wieder eine Vira mit Blumenkränzen in der Hand. Vor allem war es das Lied der Weizenschnitterinnen, das sie im Wirbel des Reigens mit fliehenden Haaren und hinreißender Begeisterung sangen. Bencatel war ja das Dorf der Weizenschnitter. Endlich klappte alles aufs beste. Das ganze Dorf fieberte schon auf die Aufführung, denn

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schon mehr als 20 Jahre war kein Theaterstück mehr in Bencatel über die Bretter gegangen, obwohl sie ein eigenes Theaterhaus hatten.

Warum nur?

Ich erzähle: Vor Jahrzehnten bestand in Bencatel ein eigener Theaterklub unter den Burschen. Ich sage eigens: nur unter den Burschen, denn kein Mädchen hatte sich jemals hergegeben, zusammen mit Burschen aufzutreten. Sie wäre in Verdacht und in Verruf gekommen; so ist’s Brauch im ganzen Land.

Doch die Burschen wußten sich zu helfen. Sie hatten unter sich einen Jungmann, der ein zartes Gesicht und eine helle Mädchenstimme hatte. Der mußte nun immer die Frauenrolle spielen. Das Theater blühte.

Doch als dem Jüngling allmählich der Bart wuchs und die Baßtöne eines verspäteten Stimmbruchs sich einstellten, mußte das ganze Theater eingestellt werden. Seit jener Zeit waren nur Mäuse und Nachteulen die einzigen, die die Bühne betraten.

Und nun kommt plötzlich der deutsche Missionar und läßt die Fensterläden wieder öffnen und die Lampen – wenn auch nur Petroleumfunseln und zwei Karbidlampen – wieder anzünden. Dieser Missionar ließ nun die eigenen Dorfkinder über die Bretter tanzen in prächtigen Seidenkleidern und schmucken Bändern. Das war wirklich ein Festtag fürs stille Bencatel.

Ob nun meine Pfarrkinder diese singende, wirbelnde Predigt wohl verstanden haben: “Der betrunkene Vater an der Himmelstür”? Ich glaube, es war meine beste Predigt gegen ihre Trunksucht.

15 <Bild: Mädels und Burschen in Landestracht des Alemtejo.>

Und von den Einnahmen kauften wir einen schönen Teppich für die Kirche.

In den nächsten Tagen gingen meine Schauspielerinnen Arm in Arm in breiten Reihen singend die Straßen auf und ab. Fünf Tage hindurch beherrschten sie das Dorfbild.

Als ich aber für die kommenden Weihnachten ein Hirtenspiel aufzuführen gedachte und dafür drei Burschen einstellen wollte, hat die ganze junge Gesellschaft sich dagegen aufgelehnt: “Wir spielen nicht mit Burschen!” Sie streikten”, und Weihnachten blieb ohne Spiel. Ich ärgerte mich zuerst – und war dann eigentlich doch stolz auf sie. -

Es war damals die Zeit, da im ganzen Land ein großes Nationalfest gefeiert werden sollte. Die Behörden der Nachbarschaft Vila Viçosa baten mich, für den großen vaterländischen Umzug in Lissabon eine Sing- und Trachtengruppe als Repräsentanten der Stadt aufzustellen. Die entsprechenden alemtejanischen Volkstrachten stellte die Stadt zur Verfügung.

,Nun mußte ich wieder den Tanzmeister machen. In zwei Gruppen, eine mit Burschen, die andere mit Mädels, habe ich sie im Freien auf einer runden Dreschtenne einstudiert. Ich selber kam mir so sonderbar vor: mitten in einer

<Bild: Fleißige Malerinnen.>

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<Bild: Weizenschnitterinnen.>

Schar Burschen bzw. Mädels stehe ich, der Missionar im langen Talar, und kommandiere und führe ihnen ihre eigenen Volkstänze vor im Takt der Ziehharmonika. Doch schnell hatten meine Schüler es begriffen, es klappte. Als der betreffende Festtag kam und sie nach Lissabon fuhren, hörten wir zu Hause am Radio zu, was der Landessender Lissabon über den großen Festzug verkündete: “Und nun kommt die Tanzgruppe in der Volkstracht des Alemtejo aus Vila Viçosa-Bencatel. Sie singen und tanzen unermüdlich die ganze Avenida da Liberdande hinab …”

Als sie am Abend heimkamen, konnten sie nicht mehr sprechen, sie waren alle vollständig heiser geworden. Aber gefreut hat es sie mächtig. „Kinder, am Sonntag müßt ihr mir dafür aber auch alle in die Kirche kommen!” Sie versprachen es hochheilig. -

Die erfolgreichste Arbeit jedoch durfte ich leisten mit den Frauen des Dorfes. Diese Frauen und Mädchen sind ein fleißiges Völkchen. Besonders zur Zeit der Weizenernte sind sie unermüdlich, trotz der elendig brennenden Sonne. Dabei ist ihre Kleidung recht eigenartig. Mit vier Sicherheitsnadeln falten sie ihre Röcke wie Hosen zusammen, so daß sie wie Türkinnen ausschauen. Ein Kopftuch, um den Nacken vor Sonnenbrand zu schützen, und darauf der älteste Hut ihres Bruders, in der rechten Hand die Sichel (Sensen sind unbekannt), und die Finger der linken stecken in hohlen Bambusstäbchen, um geschützt zu sein, so sind die Weizenschnitterinnen von Bencatel. Zur Arbeit singen sie die Lieder der Seifeiras, der “Schnitterinnen”.

Meine Bencateliten waren vor allem auch vorbildlichst an Sauberkeit und Reinlichkeit. Trotzdem es noch keine Wasserleitung gab, waren ihre ärmlichen

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Wohnungen immer blitzblank. Jeden Samstag wurde das Haus auch an der Vorderfront neu angestrichen und gekalkt. Wohl kaum irgendwo in der Welt, glaube ich, haben Frauen so viel den Pinsel in der Hand wie jene von meinem Bergdorf. Auf die Schönheit ihrer Dachziegel legen sie die gleiche Sorgfalt wie auf die Spitzen der Unterröcke.

Und dennoch bedauerte ich es, daß immer noch den meisten von ihnen der Kirchgang so schwer fiel.

Doch sonderbarerweise, die angesehensten und reichsten Frauen des Ortes hatten ihren katholischen Glauben noch am besten bewahrt. Mit ihnen konnte ich es wagen, ein Gebetsapostolat zu gründen. Denn nur Gott konnte diesen guten und doch so verlassenen Leuten der einzige Retter sein. Es waren viele, die sich zu diesem Apostolat gemeldet hatten, wenn auch etliche ihren anfänglichen Eifer wieder erkalten ließen. Wenn nun Bencatel vor Gott besser geworden ist, so ist es an erster Stelle dem Gebetsapostolat zu verdanken. Der Priester selber, und sei es auch ein Missionar vom Kostbaren Blut, ist nur das Werkzeug in Gottes Hand.

Das wichtigste Gebet aber war natürlich der Rosenkranz. Portugal, Fatima und Rosenkranz sind drei Worte und, fast möchte ich sagen – doch nur ein einziger Begriff.

Wenn der Abend kam, setzte ich mich zuweilen mit den Kindern auf die Randsteine der Straße und begann mit ihnen den Rosario zu beten. Dann gingen die Türen auf und auch die Erwachsenen kamen und taten mit. Am besten aber beteten sie natürlich bei den Fatima-Prozessionen am 13. Mai. – Meinen Pfarrkindern jedoch sollte dieser Tag einmal ganz besonders unvergeßlich werden.

13. Mai – alles in feierlichster Stimmung zur heiligen Prozession. Alle waren dabei, außer einem Kommunisten, der zwar kein Einheimischer war, sondern ein aus einem Vorort von Lissabon hier Zugereister. Er war Sprengmeister im großen Marmorsteinbruch bei Bencatel. Als nun die Prozession auch an seinem Haus vorbeikam, trat er heraus und begann zu spotten und zu lästern zum großen Ärger aller Leute. Aber gutmütig wie der Portugiese ist, sie sagten nichts und überließen die Antwort dem Herrgott.

Die Tage, Wochen und Monate vergingen und niemand mehr dachte an das Vorgefallene. Auch der Kommunist hatte bei seinen täglichen Sprengarbeiten schon längst seine Gotteslästerungen vergessen. Nun mußte er eines Tages einen besonders großen Marmorblock heraussprengen. Schon hatte er alle Bohrlöcher mit Pulver geladen und die Zündschnüre angezündet und ging nun, die übrigen Arbeiter zur Deckung befehlend, gemächlich seinem Unterstand zu. Er war etwa 60 Meter weit gegangen, da plötzlich krachte der Schuß, frühzeitiger als vorgesehen und nach einer falschen Richtung hin. Die Arbeiter riefen dem Sprengmeister noch zu, sich schnell zu ducken. Der aber drehte sein Gesicht nach rückwärts, und im gleichen Moment schlug ein zackiger Marmorstein von der Dicke einer Faust ihm mitten ins Gesicht und zerschmetterte ihm den ganzen Mund und den Unterkiefer. Blutüberströmt fiel er zu Boden. Das Rettungsauto brachte ihn ins Spital nach Vila Viçosa – und noch

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<Bild: Bencatel in Erwartung der Fatima-Madonna.>

eh’ die Sonne unterging, war er tot. (Am gleichen Tag hatte auch seine Tochter einem Kindlein das Leben geschenkt. Aber das kleine Würmlein war tot.) Da sagten meine Leute zu mir: “Herr Pater, heute ist ausgerechnet wieder der 13. Mai, und in einer Stunde ist Fatima-Prozession, auch wieder am Hause dieses Lästerers vorbei. Doch der sollte nicht zum zweiten mal Unsere Liebe Frau verspotten, wie er genau heute vor einem Jahr es getan.” – Das war ein Zeichen Gottes, und alle verstanden es.

Bald danach hatte unser Erzbischof eine Missionierung seiner ganzen großen Diözese durchführen lassen. In jeder Stadt und in jedem Dorf wurden Missionspredigten gehalten. Der feierliche Abschluß war eine große Prozession der Muttergottes aus dem Heiligtum von Fatima durch alle Pfarreien. Sie dauerte einen ganzen Monat lang.

Wir hatten am Eingang unseres Dorfes einen prächtigen Triumphbogen aufgestellt. Über die Straßen waren Girlanden gezogen und fast alle Häuser waren festlich geschmückt. Draußen vor dem Triumphbogen warteten wir auf die Ankunft der großen Frau. Da glänzte es plötzlich golden über den Bergrücken herab – es war der vergoldete Schrein auf dem ersten Auto mit dem Gnadenbild. Ein langer Zug von Wagen, der Erzbischof an der Spitze, begleitete die Madonna. Ich kann den Jubel nicht schildern, den meine Bencateler erfaßte, als nun die Muttergottes abwechselnd von Männern und Frauen durch die Straßen getragen wurde. Das Auffallendste aber war der “begleitende Hofstaat” der Madonna: die vier Tauben, die ihr zu Füßen unter ihrem Mantel saßen. Wenn man nach ihnen griff, flüchteten sie schnell zur anderen Seite. Schon drei Wochen lang hatten diese Tauben die Statue begleitet, Tag

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und Nacht, sogar ins Auto hinein, aus dem Auto heraus, sie blieben, und nichts konnte sie mehr vertreiben. Es schreckte sie nicht das Geknatter der vielen Raketen noch die zahlreichen Musikkapellen noch die Viva-Schreie der heißblütigen Begeisterung. Als bei der nächtlichen Anbetung eine der Tauben auf den Hochaltar flog, jagte ich sie von dort weg. Sofort flog sie wieder hin zu den Füßen der Madonna und schlief dort ein. – So war der ganze Monat ein einziger Triumphzug Mariens durch den Süden von Portugal. -

Mein alltägliches Priesterleben wurde einmal sehr angenehm unterbrochen, und zwar von einer doppelten Feier. Meine beiden portugiesischen Theologen nämlich, die zuerst in Vila Viçosa und Evora und dann an der Universität in Salamanca (Spanien) und Fribourg (Schweiz) studiert hatten, waren nun mit Gottes Hilfe glücklich zu Priestern geweiht worden. Nun waren sie heimgekehrt, um zu Hause ihre Primiz zu feiern. Da ich mich als ihr geistiger Vater fühlen durfte, war meine Freude an ihrem Primiztag besonders groß. Sie waren also die ersten Missionare unseres spanischen Vikariates. Der Anfang war gemacht, nun mußte Gott weiterhelfen. Er hat geholfen, denn bis heute sind aus Spanien selber schon eine stattliche Anzahl junger Missionare hervorgekommen. Der Segen Gottes waltet also offensichtlich bei unseren spanischportugiesischen Missionaren vom Kostbaren Blut. Vor 10 Jahren hatte Gott mich als ersten Provinzialvikar hierher gesandt, nun waren die ersten Früchte gereift.

Aber Gott schenkt nicht nur Tage der Freude, sondern auch des Leids. Ich werde ihn nie vergessen, diesen letzten Tag in Bencatel.

Eben hatte ich in meiner Sakristei die Petroleumlampe angezündet, da klopfte es an die Tür meiner heiligen Klause und herein trat der Postbote und übergab mir ein Telegramm. Ich erschrak. Mit tiefer Erregung öffnete ich es – es kam aus der Heimat. Dreimal, viermal las ich es, um den etwas verstümmelten Inhalt zu erfassen: “Mama schwer verunglückt. Komme nach Hause.”

Ein Blitz hatte eingeschlagen. In jener Nacht schlief ich nicht ein. Am nächsten Morgen packte ich meine Koffer, verabschiedete mich bei Volk und Behörden und ging zur Bahn. Abreise.

Nach 10 glücklichen Jahren hatte urplötzlich die Abschiedsstunde geschlagen, unerwartet, unverhofft. Ich habe in dieser langen Zeit ein Volk kennengelernt, das ich außerordentlich hochschätzen mußte. Nie hatte ich in all den Jahren auch nur ein einziges Mal eine Beleidigung oder ein hartes Wort erfahren müssen. – Portugal, seine Großstädte Lissabon und Porto lernte ich kennen. Ich sprach mit Bischöfen und weltlichen Behörden. Ich hatte die Fischerboote des kleinen Mannes und die Kriegsschiffe und U-Boote der größten Völker hier gesehen. Ich lauschte hier dem Wellenschlag des Ozeans wie auch dem Liederklang der portugiesischen Volksseele, sei es in den innigen Liedern von Fatima oder in den nächtlichen Tänzen der Aldeia. Von all dem hieß es nun: Abschied nehmen!

Doch alles Schöne, das ich nun verließ, hat sich in ein einziges Wort zusammengedrängt, das Wort, das ich jetzt erst verstand und das mich ganz erfaßte und mich seither niemals mehr verließ – es ist das Wort: “Saudade!“

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<Bild: Madanna mit ihren Tauben. > Foto: A. S. Bencatel

O Fatima, leb’ wohl –

Mutter mein, lebe wohl!

(Abschiedslied in Fatima)

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… und dann wurde ich Missionär vom Kostbaren Blute, in: Herold 43. Jg., H. ½, Juli-August 1967, S. 21-23 (27. Fortsetzung).

… und dann wurde ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute

27. Fortsetzung

Dem Wunsche vieler entsprechend, soll meine Plauderei über das Missionsleben des “Zigeuners Gottes”, des Missionars vom Kostbaren Blut noch weitergeführt werden. Nun, so sei es!

In Portugal hatte also plötzlich über Nacht nach zehn schönen langen Jahren die Abschiedsstunde geschlagen. Meine kranke Mutter wartete sehnlichst auf mich. Während ich meine Koffer packte, summte ich das Lied “Nach der Heimat möcht ich wieder … “, das mir auch später am Schluß der Missionen beim Kofferpacken fast immer in den Sinn kam.

Nun ging also der Missionar vom Kostbaren Blut wieder nach Hause. Ich löschte meine Petroleumlampe, schloß das Fensterlein meiner “Gefangenenzelle “, drehte den alten Türschlüssel um und kniete mich zum letzten Mal vor dem Altar nieder, vor meinem Christus, den ich so oft hierher gerufen. Dann verabschiedete ich mich bei allen Freunden und Bekannten mit einem Grande abraço. Der Erzbischof von Evora, dieser große Marienverehrer – ich habe ihn stets als einen Heiligen angesehen, gab mir ein gar liebes Brieflein mit seinem herzlichen Dank für alle hier geleisteten Dienste. Dann ging es fort nach Lissabon. Hier besorgte ich mir noch die Relseerlaubnis, die damals gleich nach dem Krieg für einen Deutschen äußerst schwierig war. Jetzt fehlte mir nur noch eines, und dafür bin ich fast halb Lissabon abgelaufen, nämlich eine schöne Statue der Madonna von Fatima. Sie sollte mein schönstes Andenken sein und zugleich das liebste Geschenk für meine Mutter. Endlich fand ich sie, trug sie hinauf ins Ordinariat, wo der Bischof sie mir weihte. -

(Einem portugiesischen Priester übergab ich noch eine Geldsumme für eine zweite, die er mir nachsenden möge. Ein Jahr später überbrachte mir eine Wiener Pilgergruppe aus Portugal sogar noch zwei Statuen. Sie waren beide vom Bischof von Fatima benediziert. Als kurz darauf Kardinal Wendel, als neu kreierter Kardinal von Rom kommend, die erste Nacht bei uns in Kufstein zubrachte, benutzte ich natürlich die Gelegenheit und bat ihn, die drei Statuen, die ich in meinem Zimmer bewahrte, zu segnen. Und da auch noch der Erzbischof von Salzburg Dr. Rohracher zur Begrüßung des Kardinals bei uns eintraf, stellte ich – wer wollte es mir verargen und wer hätte es vielleicht nicht auch getan? – auch an ihn die gleiche Bitte: So sind also meine drei Fatimastatuen wirklich “hoch geweiht”. Die eine steht heute in der Exerzitienkapelle in Kufstein, die andere in unserer Kirche in Traunstein (Bayern) und die dritte in meinem Zimmer. Sie helfen uns mit, “daß Maria seligpreisen alle Geschlechter der Erde”.) -

In Lissabon hatte ich meine Koffer im Gepäckwagen aufgegeben. Nur meine große Begleiterin, die Madonna von Fatima, gab ich nicht aus der Hand. Sie sollte meine Helferin und Beschützerin sein. Sachte legte ich sie hinauf über meinem Sitz ins Gepäcknetz, und so durfte ich mich wohl behütet fühlen. Ja, sie hat mich beschützt.

Langsam rollte nun der lange D-Zug den Bahnhof Lissabon hinaus und quer durch ganz Portugal. Die Kontrolle an der spanischen Grenze war überra-

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sehend einfach. Nun jagten wir an den Städten und Dörfern Spaniens vorbei. Doch alle Schönheiten des Landes interessierten mich nun nicht mehr. Bei der gefürchteten französischen Grenzkontrolle ging alles ebenso glatt ab. Jetzt waren wir also in Frankreich. Rasch verrann auch dieser Tag, schnell brauste der Zug durch die stille Dunkelheit. Nun war es Mitternacht geworden. Im abgedunkelten Waggon – nur ein schwaches Blaulicht brannte – schliefen schon alle, nur ich nicht. Die dicke, schlechte Luft ließ mich nicht einschlafen. Ich suchte das kleine Oberfenster zu öffnen und tastete nach dem Fenstergriff. Als ich ihn endlich fand und ihn zog, da, im gleichen Moment heulte die Lokomotive auf, es knirschten alle Bremsen des langen D-Zuges und alle Schläfer wurden wach -, ich hatte die Notbremse erwischt. Ich, der Ausländer, hier in Frankreich, ich, ein Priester! Was nun tun? Ich kuschte mich sofort wieder in meine Ecke, markierte den ahnungslos ruhigen Schläfer.

Jetzt mußte Maria helfen. Sie muß in diesen kritischen Minuten meine Hilfe sein. „0 Maria, es ist Zeit … ” Doch immer noch heulte die Sirene in die tiefe Nacht hinaus und schrie um Hilfe. Es ist schrecklich, dieses schuldbewußte Geheul mit anzuhören. Draußen vor meinem Fenster zischte der Dampf herauf. Die Schaffner kamen gerannt – doch sie gingen an unserer Tür vorbei. Dann liefen sie zurück -immer vorbei an unserer Tür. Und draußen dampfe weiter die geöffnete Notbremse. Der ganze Zug war alarmiert: Unglück? Gefahr? Was ist los? Zehn Minuten lang dauert die Aufregung und Rennerei. Türen gingen auf und zu. Doch sonderbarerweise: bei uns war “Eintritt verboten!” Dann endlich setzte sich der Zug wieder langsam in Bewegung. Gott sei Dank! Ein Stein war mir vom Herzen gefallen. In jener . Nacht war mir der Rosenkranz nicht mehr aus der Hand gekommen.

Paris, alles aussteigen! Schon längst war es heller Tag. Viele Züge standen da – ich suchte nach meinem Anschluß. Unvermutet stand ich vor dem Wagenschild “Paris-Saarbrücken”. Ich kann es nicht ausdrücken, wie freudig mich plötzlich dieses Wort, dieser Name ergriffen hat. Es war mir gleichsam der “erste Gruß”. Wer zehn Jahre Ausland genossen, der versteht es, wenn das erste Stückchen Heimat so unerwartet sich ihm auftut. Schnell stieg ich ein, machte es mir bequem – und nach fünf, sechs Stunden war endlich mein Ziel erreicht – endlich wieder in der Heimat!

Saarbrücken, alle stiegen aus. Der Bahnhof lag schon in tiefem Dunkel. Es gab damals, drei Jahre nach dem Krieg, noch keine Lampen für öffentliche Beleuchtungen. Sicherlich warteten meine Brüder hier auf mich. Aber wie sollten wir uns finden in diesem dunklen Schwarm von Menschen? Da plötzlich hörte ich ein Pfeifsignal: unser alter Bubenpfiff aus Kindheits Zeiten, nach der Melodie “Auf in .den Kampf, Torero!”. Ein Pfiff mit schwierigen Schleifen. Der war mir jetzt schöner als die schönste Nationalhymne bei „Staatsbesuch mit großem Bahnhof”. Mit welcher Freude wir uns begrüßten, brauche ich nicht zu schildern. Noch einmal in den letzten Zug zur Schlußfahrt nach Saarlouis umgestiegen, waren wir bald daheim.

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Am nächsten Morgen besuchte ich meine Mutter. Mein Geschenk für sie war die Madonna von Fatima. “Sie hat mir geholfen, sie wird auch dir helfen.” Ja, bald war die Mutter wieder gesund. Zwar konnte sie den weiten Weg zur Kirche nicht mehr gehen; doch dafür habe ich ihr als ihr getreuer “Hauskaplan” oft die heilige Kommunion gebracht. In diesem ihrem letzten Lebensjahr durfte ich ihr also die schönsten Liebesdienste erweisen.

Ich mußte zu Hause ein ganzes Jahr lang auf die Ausstellung eines Reisepasses warten. Dabei half ich in der Seelsorge aus und hielt an vielen Orten Lichtbildervorträge über Fatima. In Dörfer und Städte wurde ich eingeladen, denn damals war der Fatimagedanke noch eine ziemlich unbekannte Neuigkeit. Das spornte mich schließlich noch an, sogar im Rundfunk eine Sendung zu geben. Deshalb schrieb ich ein Hörspiel unter dem Titel “Hörbilder einer Wallfahrt nach Fatima” (Dauer fast 1 Stunde). Die entsprechenden portugiesischen Lieder, deren Texte in deutscher Poesie zu übertragen nicht sehr einfach war, erhielten die authentischen Melodien. Ich streute Volks- und Wallfahrtslieder ein. Endlich, nach harter Arbeit, wandte ich mich an den Leiter des Rundfunks, der es nach Überprüfung gerne annahm. Nun mußte. noch die Zeit der Sendung festgesetzt werden. Der Herr blätterte in seinem Kalender: „Leider ist der ganze Februar schon besetzt, und auch der März!” Er blätterte weiter. “Im April ist auch keine Stunde mehr frei. Im Mai – ja hier geht es noch: am Vorabend vor dem 13. Mai, abends 8 Uhr, wäre noch eine Möglichkeit. Ist Ihnen diese Stunde genehm?” Ich war sprachlos. War das Zufall? Doch bei Gott gibts keinen Zufall. Wenn ich hätte wünschen dürfen, hätte ich keinen anderen Tag und keine andere Stunde gewünscht. Es ist genau die Zeit, in der in Fatima die große Feier mit einer mächtigen Lichterprozession beginnt. Sofort schrieb ich noch als Einleitung hinzu: “Während wir hier an unserem Radio sitzen, flammen in dieser gleichen Stunde in Fatima die Scheinwerfer auf und beginnen dort die Lautsprecher jene Lieder zu singen, die wir jetzt hier in unserer Sendung hören … ”

Mögen andere es einen Zufall nennen – mir aber war es eine Bestätigung, daß es Gottes Wille ist, Maria immer und überall zu verherrlichen. Qui elucidant me, vitam aeternam habebunt – die mich verherrlichen, werden das Ewige Leben haben (Off. B. V. Mariae).

Das Hörspiel fand Anklang und mußte später nochmals wiederholt werden.

Nachschrift:

Primizsegen

Ihr kniet vor mir, der zag den ersten Schritt

In Sions Allerheiligstes getan.

O denkt an Ihn, der für uns alle litt!

Er segne euchl Nehmt siegesfreudig mit

Des Kreuzes Fahne auf des Lebens Bahn!

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… und so ward ich Missionar vom Kostbaren Blute, in: Herold 43. Jg., H. 5/6, November-Dezember 1967, S. 21-24 (Schluss).

••• und so ward ich

MISSIONAR vom Kostbaren Blute (Schluß)

Durch die Radiosendungen über Fatima bekannt geworden, kamen aus Dörfern und Städten Einladungen, Lichtbildervorträge über diesen Wallfahrtsort zu halten. Allerorts war man begierig, die Friedensbotschaft von Fatima zu hören. Dadurch wurden auch wir Missionare vom Kostbaren Blut in weitem Umkreis bekannt.

Endlich kam mein Paß zur Weiterreise, und das letzte Stück der Rückreise in unser Missionskloster konnte angetreten werden. Noch ein letztes “Lebewohl!” der Mutter – es war das letzte für immer -, und fort ging es in schneller Fahrt ostwärts, zurück zum Ausgangspunkt meiner langen Reise. Verbrannte Dörfer, zerbombte Städte waren die traurigen Wegweiser der hier vorbeigerasten Kriegsfurie. Dann tauchten die vom Krieg verschonten Gegenden Südbayerns auf und endlich die massiven Felsen der Alpen, der Wilde und der Zahme Kaiser – Kufstein.

Es war schon Abend, als ich an der Klosterpforte die Glocke läutete. Altbekannte fröhliche Gesichter und Stimmen gaben ein herzliches “Grüß Gott!”. Nun war ich endlich wieder ganz zu Haus.

Nach dem Krieg blühten die Volksmissionen allerorts wieder neu auf. Nun konnte fortgesetzt werden, was ich schon 1927 begonnen und durch eine traurige Zeit unterbrechen mußte. So ward ich also wieder ganz Volksmissionar. Dieser schöne Beruf, der es mir schon in der Jugendzeit angetan hatte, ihn liebte ich, für ihn lebte ich. Mit einer Mission in meiner Heimat vor vielen Jahren, ich war noch jugendlicher Student, fing es für mich an. Auf der Kanzel stand der Mann mit dem großen Kreuz. Das gefiel mir. Zur Schlußsegnung knüpfte ich mir selber ein ähnliches unter die Bluse. – Die Jugend ahmt bekanntlich gerne nach, was ihr imponiert. Doch ich ahnte damals noch nicht, daß auch ich nur ein paar Jahre später ein solches öffentlich mit Stolz tragen werde. Schnell war es zur Wirklichkeit geworden. -

Von Tirol aus also zogen wir Missionare hinaus in die deutschen Lande. Unsere Gruppe war zwar klein, aber um so mehr sollte sie Elite sein. Wir hatten deshalb unter uns den Grundsatz aufgestellt: “Missionsgesetz Nr.1 ist: höchste mitbrüderliche Liebe und Zuvorkommenheit untereinander.” Und so gab es unter uns nie ein hartes Wort oder einen unbeherrschten Charakter. Und Gott gab uns auch gleich die Antwort: Kardinal Faulhaber sagte damals zu seinen Pfarrern: “Wenn Sie eine besonders gute Missionsgruppe haben wollen, dann nehmen Sie die vom Kostbaren Blut.” Der Eifer trieb zum Höchsten an. Beichthören und Anbetung die ganze Nacht hindurch. Bis Mitternacht die Frauen, nach Mitternacht Burschen und Männer. Wir saßen im Beichtstuhl und rangen in fürchterlichem Kampf mit Schlaf und Müdigkeit. Gar manches Beichtkind mag es uns verziehen haben, wenn unsere Zusprüche nicht mehr ganz logisch klangen. Wenn dann aber in diesen Nikodemusnächten solch ein “Nikodemus” kam: “Entschuldigen Sie, Herr Pater, daß ich vom Beichten nichts mehr weiß, denn meine letzte war vor 20 Jahren oder mehr”, dann ist man wieder ganz aufgewacht, dann wußte man, wofür

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wir Missionare geworden. Berufsfreuden! Doch meistens hatte der Beichtende selber die größte Freude. So kam z. B. eine Frau, die in ungültiger Ehe lebte, noch in später Abendstunde in den Beichtstuhl. Dann eilte sie sofort nach Hause und weckte ihren schon schlafenden Mann. Der mußte sofort aufstehen und mitkommen. “Herr Pfarrer, wir wollen uns heute noch trauen lassen!” – “Aber, liebe Frau”, entgegnete der Pfarrer, “es ist doch ½ 11 Uhr vor Mitternacht!” – “Der Missionar hat mir gesagt, sobald wir verheiratet sind, können wir zur heiligen Kommunion gehen. Wir möchten doch morgen zu gerne schon dabeisein.”

Außer Beichtstuhl und Kanzel beschäftigte uns vor allem die “Hausmission”, d.h. der Besuch der einzelnen Familien. Ganze Straßenzüge in den Großstädten, ganze Dörfer auf dem Lande wurden von uns durchgekämmt.

Die sorgfältig vorbereitete Pfarrkartothek zeigte uns jedes Haus und jede Person an. Farbe, Zahlen, Buchstaben und unsere eigenen Spezialzeichen auf den Karten ließen uns mit einem Blick erkennen, mit wem wir es zu tun haben. Die “Edelchristen” waren dann sehr erstaunt, daß sie uns keine Märchen erzählen konnten. Die Abgefallenen, die Ausgetretenen oder die sonstwie Hartgesottenen waren unsere besonderen Lieblinge. Die erste Begegnung an der Tür war natürlich immer der kritischste Moment. Hineinzukommen – das war die Kunst. Dafür hatten wir ein approbates Mittel, nämlich höchste Freundlichkeit und aufrichtiges Wohlwollen.

Viele Verhetzungen gegen die Kirche kommen von der politischen Seite her. Aber noch mehr ist es das gedankenlose Nachschwatzen von Phrasen, die man zwar selbst nicht recht glaubt, aber zum äußeren Entschuldigen wohl brauchbar erscheinen. Ich hatte zum Grundsatz: zuerst mit großer Geduld diesem Gerede zuhören und ganz ausschimpfen lassen. Dann erst ergreife ich selber die Offensive, immer stärker, immer energischer. Dabei muß ich meinen Freund stets sehr genau beobachten: Hat ein Satz ihm zu stark “auf den Deckel geklopft” – ich sehe es ihm am Gesicht an -, muß ich wieder

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zurückstoppen. Dann wieder erfolgt erneuter Angriff. Es ist ein geistiges Duell; doch es macht mir Spaß, so kämpfend die Sache Gottes zu vertreten. Wenn das Rededuell am hitzigsten wurde, legte ich meinem Gegenüber unerwartet die Hand freundlich auf die Schulter und sagte überraschend in ruhigem leisem und gütigem Ton: “Wissen Sie was, Sie kommen heute abend in den Beichtstuhl, links rückwärts neben der Tür, dort reden wir weiter.” Viele, sehr viele hat so die Güte überwältigt. Manchmal nur noch ein kurzes Sträuben: “Nicht heute abend, aber morgen bestimmt werde ich dort sein.” – Und Gottes Gnade hat wieder gesiegt .

Ich gehe zur nächsten Tür ~ und das Ganze beginnt von neuem.

Mir ist bei all diesen vielen Hausbesuchen aufgefallen, daß die Vorwürfe, die man gegen uns vorbringt, nur sehr wenige sind, kaum ein halbes Dutzend; überall das gleiche Gerede von Tür zu Tür. Diese ermüdende Eintönigkeit dieser “Teufelslitanei” geht einem so sehr auf die Nerven, daß es fast zum Verzweifeln ist. Doch hie und da wieder kommen auch andere Vorwürfe dazwischen, deren Unlogik fast einem Witz gleichkommt. “Warum sind Sie aus der Kirche ausgetreten?” – “Weil zu Weihnachten die katholische Karitas uns nur vier Meter Stoff geschenkt hat, dem Nachbar aber sechs Meter.” Ein anderer sagte mir: “Ich bin ausgetreten, weil die Kirchensteuer mir zuviel war.” – “Wieviel zahlten Sie denn?” – ,,2.50 Mark.” .. – Während er das sagte, kam schnurrend ein prächtiger Angorakater herein. “Ein schöner Kerl!” sagte ich. – “Hat mich auch viel Geld gekostet.” – “Wieviel?” – ,,90 Mark hab ich für ihn gezahlt.” – “So, 90 Mark für die Katz, das konnten Sie bezahlen, aber 2.50 Mark für die Kirche, das ist Ihnen zuviel!”.

Einmal traf ich einen Mann, der irgendwie krank auf einer Pritsche auf dem Boden lag. Als er meiner ansichtig wurde, schäumte er auf und fluchte fürchterlich. Fast in jedem Satz kam das Wort Teufel vor. Ich war deshalb überzeugt, daß er irgendwie eine Besessenheit des Teufels hatte. Ruhig. schaute ich ihn an. Dann faltete ich die Hände, sprach den Exorzismus und gab ihm den Segen. Daraufhin wurde er auffallend ruhiger.

Ja, das ganze Missionsleben ist schließlich nichts anderes als der sichtbare Kampf Gottes mit der Unterwelt. Und wir Priester dürfen dabei Gottes Stellvertreter sein. Es ist ein herrlicher, ja vielleicht der ehrenvollste Kampf, dem sich ein Mensch verschreiben kann. Darum ward ich geworden ein Missionar vom Kostbaren Blut.

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Lieber Heroldleser!

Es ist schon lange her, daß ich mit dieser Artikelserie begonnen. Meine Absichten dabei waren: 1. Ich wollte eine kleine Chronologie über die Uranfänge unserer Deutschen Provinz geben, alles der Wahrheit entsprechend und in möglichst anschaulicher Weise. 2. Es war meine stille Absicht, allen jenen, die sich vielleicht zum Priestertum berufen glauben, die Schönheit

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dieser Berufung und besonders im Missionarsleben das mannigfaltige und oft so interessante Arbeitsgebiet darzustellen. 3. Es war meine Pflicht als Schriftleiter des Herold – und damit habe ich, P. Adalbert, mich als den Verfasser dieser Artikel jetzt zu erkennen gegeben -, allen meinen lieben Lesern gemütliche Stunden der Muße zu bieten. 4. Und schließlich als letzten und wichtigsten Grund hat es mich gedränqt, Ihm, der auch mich zum Priestertum gerufen, den tiefsten Dank zu bekennen: “Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, allein wahren Gott sei dafür Ehre und Lobpreis in alle Ewigkeit!” (1 Tim 2.)

So wünscht nun zum Schluß allen lieben Lesern eine

gnadenreiche Weihnacht

und

Gottes Segen im neuen Jahr

<Bild Adalbert Stummbillig>

Euer Schriftleiter

Ebenso herzliche Wünsche entbieten der ganzen Heroldgemeinde

Die Missionare vom Kostbaren Blute

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Ein Kommentar zu “Autobiographie”

  1. 1hacking schreibt:

    2bedroom…