Der Warndthof – ein Siedlungsexperiment
von Prof. Dr. Peter Burg
Ein weiterführender Aufsatz des Autors zum Thema befindet sich in der Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 60 2012, 2013.
Der Warndtwald übt auf die Bewohner der anliegenden Dörfer und Gemeinden seit je einen besonderen Reiz aus. Unübersehbar ist sein Wert für die Gestaltung der Freizeit und die Suche nach Erholung, für die Versorgung mit Bau- und Brennmaterialien und – früher mehr als heute – für den Gewinn von Nahrungsmitteln. Jenseits des realen Nutzens liegt die magische Ausstrahlung des großen Waldes. Die Zeit scheint in ihm stehen zu bleiben, in Wirklichkeit hat sie aber nur einen anderen Rhythmus als im Menschenleben. Der Rhythmus der Natur und des Menschen trafen in der Geschichte des Warndthofes aufeinander. Er ist ein Beispiel für eine kurzlebige Aneignung der Natur durch den Menschen. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Hof dem Wald abgerungen, existierte ein knappes Jahrhundert, um dann Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge einer Wiederaufforstung in den Schoß der Mutter Natur zurückzukehren. Eine Gaststätte, ein Weiher, steinerne Zeugen (vor allem Grenzsteine) sind als Erinnerungsstücke geblieben.
Die Existenz des Warndthofes, einer Gründung der Wadgasser Prämonstratenserabtei, fiel in eine Epoche tief greifenden Wandels und turbulenter Veränderungen, während er selbst, wie die ihn umgebende Waldesruhe, seinen ursprünglichen Bestand behielt. Im Folgenden sollen einige Daten zum politischen und administrativen Kontext sowie zu den Eigentümern und Bewohnern des Hofes dargestellt werden. Das Ziel des Beitrags ist es, eine eingehendere Beschäftigung mit seiner Geschichte anzuregen.
Eine Voraussetzung der Hofanlage war die im Jahre 1759 ausgehandelte Landzuweisung im Umfang von 1500 nassauischen Morgen (375 ha) des Fürsten Wilhelm Heinrich von Saarbrücken (1718-1768) an die Abtei Wadgassen.[1] Im Norden grenzte der Abteibesitz hauptsächlich an das lothringische Differten, im Süden an Ludweiler. Auf einer alten Karte ist das Gebiet differenziert beschrieben.[2] Es ist bemerkenswert, dass sie kleinere Flächen ausweist, die als Waldwiesen genutzt wurden. Darunter befindet sich eine „sogenannte Friedrichweiler Wiese“ im Umfang von 2,5 ha, eine „Forstwiese“ von 1,5 ha und direkt an den Ludweiler Bann angrenzend „Waldwiesen“ im Umfang von 4,5 ha.[3] Eingezeichnet sind auch die Wege, die den Warndt durchzogen haben.
Der Fürst war an einer Arrondierung der Domänen im Kerngebiet seines Territoriums, wo der Orden über eine Austauschmasse verfügte, interessiert, die Abtei ihrerseits an klosternah gelegenen Ländereien. Ein Interessenausgleich konnte dem Landesherrn umso leichter fallen, als in diesen Jahren Verhandlungen mit der französischen Krone liefen, in denen die Herrschaftsrechte über das nordwestlich von Ludweiler liegende Territorium insgesamt als Tauschobjekt zur Disposition standen. Mit der Eigentumsübertragung verzichtete der Fürst von Nassau jedenfalls im Warndt auf ein Waldgebiet, das ungeschmälert z.B. die Ausübung des Jagdrechts erheblich erleichtert hätte.
Wilhelm Heinrich erteilte der Abtei Konzessionen zur Nutzung der 1500 Morgen: die Gewährung der Jagdrechte, die Nutzung des Landes als Schmalzweide für 400 Schweine, die Anlage eines Hofes einschließlich einer Schweizerei (zur Viehhaltung). Den Hof, den die Abtei daraufhin anlegte, nannte sie nach dem Gründer des Prämonstratenserordens St. Norbertshof. Nach einer Begehung der mit 58 neuen und 25 alten Steinen markierten Grenze im Februar 1762 durch die nassauischen Untertanen aus Ludweiler, Friedrichweiler, Hostenbach, Schaffhausen, Werbeln, Wilhelmsbrunn und Creutzwald gemeinsam mit den Kommissaren des Fürsten und der Abtei erhielten die Vereinbarungen Rechtskraft. Der bald nach der Besitzübernahme angelegte Hof bestand aus einem Wohnhaus, Stallungen, einer Scheune, ungefähr 370 Morgen Ackerland, 30 Tagewerken Wiesen (etwa 45 Morgen), Gärten und zwei Weihern in der Größe von 10 Morgen.[4] Ingesamt wurden demnach gut 100 ha für Landwirtschaft, Vieh- und Fischzucht sowie Gemüseanbau genutzt. Der größere Teil des vom Fürsten übertragenen Landes entging demnach der Rodung und blieb bewaldet.
Kurz nach der Anlage des Norbertshofes stand der erwähnte landesherrliche Wechsel an, der die Dörfer am Rande des Warndtwaldes betraf. Der Vertrag von Bockenheim (Bouquenom) vom 15. Februar 1766 wies die Abtei Wadgassen, die Dörfer Hostenbach, Schaffhausen, Werbeln, Friedrichweiler, den Linseler Hof, Überherrn, Diesen, Wilhelmsbrunn und den nassauischen Anteil von Spittel Frankreich zu, das 1770 noch Karlingen im Tausch gegen Emmersweiler erhielt. Nassau-Saarbrücken bekam im Gegenzug die bis dahin französischen und lothringischen Dörfer im Köllertal und die ehemalige Kriechinger Meierei Püttlingen. König Ludwig XV. bildete aus dem im Tausch gewonnenen Gebieten die Baronie Überherrn, die er im Oktober 1767 seinem Leibarzt François-Marie-Claude Richard (1712-1789) schenkte.[5] Als Militärarzt in der Festungsstadt Saarlouis hatte er 1744 den in Metz weilenden König Ludwig XV. von einer Blatternerkrankung geheilt. Baron Richard wohnte in einem neu errichteten Schloss in Überherrn, das bereits zwei Jahrzehnte später in den Unruhen der Französischen Revolution zerstört wurde.
Der Norbertshof war Siedlungs- und Arbeitsstätte. Mit genealogischen Hilfsmitteln lassen sich einige Bewohner namentlich erschließen.[6] Für die Landwirtschaft dürfte der Ackerer Johannes Stein, verheiratet mit Anna Maria Löw, als Verwalter oder Pächter der Abtei fungiert haben. Vier seiner Kinder wurden zwischen 1771 und 1777 auf dem Warndthof geboren, auf dem er im Oktober 1793 verstarb. Zum Zeitpunkt seines Todes waren die Abteigüter bereits zum französischen Nationalgut erklärt worden. Neben dem Ackerer besaßen die Jäger eine herausragende Funktion. Als Jäger sind ausgewiesen: Leonard Senger, der im Jahre 1765 starb; Johannes Thries/Tritz, der 1775 Anna Potvin heiratete; Johannes Paulus Abel, der 1787 Ehemann von Elisabeth Wirtz aus Schaffhausen wurde. Daneben begegnen ein Holzfäller, ein Zimmermann und etliche andere ohne Berufsangabe in den Einwohnerverzeichnissen. Wie die Register ausweisen, war der Warndtwald auch ohne den neu angelegten Norbertshof nie ein menschenleerer Raum. Merkmal der frühen Einwohnerschaft des Hofes im Besonderen und der Waldbewohner im Allgemeinen ist, dass sie nicht sesshaft waren. Die Einzelsiedlung war für sie mal eine längere, mal eine kürzere Durchgangsstation.
Die Französische Revolution schuf einen neuen politischen und administrativen Rahmen für den Norbertshof. An die Stelle der historischen Provinz (Lothringen) und Grundherrschaft (Baronie Überherrn) traten das Departement (Moseldepartement) und zunächst der Distrikt (Saarlouis), dann das Arrondissement (Thionville). Einzelhöfe und herrschaftliche Wälder wurden Gemeinden zugeordnet. Der Norbertshof, der seinen Namen ablegen musste und fortan als Warndthof firmierte, wurde mitsamt dem ihn umgebenden Waldgebiet der Gemeinde Creutzwald-la-Croix, so der damalige pleonastische Name, zugewiesen. Da das Terrain bisher dem Wadgasser Raum zugeordnet war, war dies ein drastischer Einschnitt. Steuer- und Zivilstandsregister wurden in Creutzwald geführt. Ab dem Jahre 1810 umfasste die Mairie Creutzwald auch La Houve und Wilhelmsbrunn.[7] Die Fusion stand im Kontext der Mairiebildung, in der alle Kleinst- und Kleingemeinden im französischen Staatsgebiet zusammengelegt wurden.[8] Dass der Warndthof für einige Jahrzehnte in der Gemeinde Creutzwald lag, ist kaum ins Geschichtsbewusstsein der damaligen Nachbardörfer eingedrungen.
Im Dunkel der Geschichte liegen auch die Eigentumsverhältnisse im Revolutionszeitalter. Entmachtung, Enteignung, Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung des Klerus waren kennzeichnend für die revolutionäre Kirchenpolitik. Die Abtei Wadgassen wurde aufgehoben, ihre Güter verstaatlicht und größtenteils auf dem Wege von Versteigerungen privatisiert.[9] Meist folgten auf den Ersterwerber weitere Besitzwechsel. Nicht versteigert wurde das vom Staat eingezogene Waldgebiet, wohl aber der Warndthof. Namentlich bekannt ist dessen Eigentümer zu Beginn der preußischen Herrschaft an der Saar. Es handelte sich um Peter Köwenig aus Saarlouis, über den derzeit keine näheren Informationen vorliegen.[10] Wann er den Hof aufgekauft hat, gehört zu den ungeklärten Fragen. Köwenigs Pächter war der Ackerer Clemens Spengler, der genealogisch als Bewohner im Warndthof sowie in Ludweiler, Creutzwald und Differten ausgewiesen ist. Eine weitere Personalie ist bekannt: Der in Blieskastel geborene Jakob Lamarche war in französischer Zeit als Förster im Warndtwald tätig. Sein Schwiegersohn Jakob Messner, der ihm als Förster folgte, fiel in Ausübung seines Berufes einem Verbrechen zum Opfer. Er wurde im Jahre 1827 von einem aus Creutzwald stammenden Besenbinder ermordet, den er beim Holzfrevel ertappt hatte und an der nächsten Grenzstation abliefern wollte.[11]
Die Zugehörigkeit des Warndtwaldes einschließlich des Warndthofes zur Mairie Creutzwald wurde, nachdem im Zweiten Pariser Frieden vom 20. November 1815 der Saarlouiser Raum Preußen zugeteilt worden war, zu einem politischen Zankapfel. Die Saarlouiser Kreisverwaltung ging im Jahre 1816 von einer Zugehörigkeit zu Preußen aus. Als konkrete und dringend lösungsbedürftige Probleme standen der Holzschlag, mit dem sich die örtlichen Förster befassten, und die Steuererhebung, die Peter Köwenig als Eigentümer des Warndthofes tangierte, auf der Tagesordnung. Vorerst behielt aber Creutzwald seine Zuständigkeit, eine preußisch-französische Grenzkommission nahm die Arbeit auf, um die Frage der definitiven Zuordnung zu klären. Im Jahre 1829 wurde dann die bis heute gültige Grenze festgelegt. Unter Anwesenheit der Grenzkommissare erfolgte 1830 die sorgfältige Absteinung der Hoheitsgebiete.[12] Der Warndtwald wurde Teil der Gemarkung Differten, die Bewohner des Warndthofes wurden fortan dem Ortsteil Friedrichweiler zugerechnet.
Vom Wechsel der Staatszugehörigkeit waren die privaten Eigentumsverhältnisse nicht betroffen. Mittlerweile hatte auf dem Warndthof um 1825 ein Besitzerwechsel stattgefunden. Neuer Eigentümer wurde Heinrich Ismert (1785-1872), der in Pontpierre/Steinbiedersdorf, einem Dorf der vor 1789 zum Deutschen Reich gehörenden Herrschaft Kriechingen (einer lothringischen Enklave), geboren wurde. Die Familie Heinrich Ismerts sowie die seines Schwiegersohnes Peter Berrard lebten auf dem Hof. Im Jahre 1855 erwarb der Bergfiskus die Einzelsiedlung für 16.000 Taler.[13] Zur Gewinnung einer Siedlungsfläche im saarländischen Kohlenrevier fand bald danach ein Gebietsaustausch zwischen Staatsforst und Bergfiskus statt.[14] Die Forstverwaltung baute das Hauptgebäude zu zwei Försterwohnungen um. Das preußische Kaufinteresse war kein Sonderfall. Friedrichweiler Bürger besaßen im Wald (in der Faulenbach) 56 Parzellen mit einer Gesamtfläche von rund 5 ha, die im Jahre 1856 für 800 Taler aufgekauft wurde. In der Gemarkung Wadgassen (Geisberg) hatte Nicolas Villeroy (1759-1843) aus dem Abteibesitz weit über 100 ha erworben, die sich heute gleichfalls im Eigentum des Staatsforsts befinden.[15]
Vergleicht man die Geschichte der drei Einzelhöfe, die im 18. Jahrhundert auf nassauischem Boden am oder im Warndt lagen, den Linseler Hof, den Unterbrunner Hof und den Warndthof, so sind drei Verlaufstypen festzustellen. Der kleinste von ihnen, der Unterbrunner Hof (etwa 70 ha), Mitte des 18. Jahrhunderts teilweise im Besitz des Landesherrn, wurde 1761 in Parzellen zergliedert an die Gemeindemänner von Friedrichweiler verkauft. Der bedeutend größere Linseler Hof fiel im Zuge der Säkularisation nach der Enteignung des Stifts Fraulautern zunächst an den Baron Jean-Baptiste Hélène Richard von Überherrn (1745-1819), nach weiteren Besitzwechseln ist er seit 1824 im Eigentum der Familie von Galhau bzw. von Boch-Galhau. Dass sich eine solche Kontinuität einstellen konnte, ist sicher auch ein Resultat familiärer Tradition. Sie war im Falle der Familie Ismert und dem Warndthof nicht gegeben, deren Nachkommen in Frankreich und in den Vereinigten Staaten zu finden sind. In Rechnung zu stellen ist aber auch die preußische Forst- und Waldwirtschaftspolitik, die modernen agrarwissenschaftlichen Erkenntnissen folgend private Enklaven verschwinden lassen wollte.
Das Ergebnis der preußischen “Flurbereinigung” ist auch durch die administrative Grenzverschiebung in der jüngsten Gebietsreform (1974) nicht revidiert worden. Wieder einmal betraf die Korrektur der Gemeindegrenzen das Gebiet des ehemaligen Warndthofes, diesmal zu Gunsten von Völklingen-Ludweiler. Die staatliche Forstwirtschaft und der Erholungssuchende “spüren” die neue Grenze freilich nicht, und an den einstigen Abteibesitz erinnern nur noch die Grenzsteine, funktionslose, aber geschichtsträchtige Zeugnisse einer untergegangenen Welt.
[1] Einen Gesamtüberblick über das Thema bietet das Internet: Regionalverband Saarbrücken (Hg.) mit dem Bezug auf Wadgasser Wälder im Warndt, Stand 2010.
[2] Staatsarchiv Koblenz/Landesarchiv Saarbrücken, Bestand 702, Nr. 6679.
[3] Weitere Karten, die im Zusammenhang mit der Besitzabtretung angefallen sind, vermitteln eine Übersicht über die Gliederung des Waldgebietes und die Lage der umgebenden Dörfer: Staatsarchiv Koblenz/Landesarchiv des Saarlandes, Saarbrücken, Bestand 702, Nr. 8496, Nr. 438, Nr. 8760. Historische Karten zum Warndt allgemein s. Regionalverband Saarbrücken mit dem Internet-Bezug auf historische Karten.
[4] Landesarchiv des Saarlandes, Saarbrücken, 702/1369.
[5] Hans-Peter Buchleitner: Die Baronie Überherrn. Ein Beitrag zur Geschichte des Warndts und des Kreises Saarlouis. Eine Quellenstudie, Saarbrücken 1953.
[6] Als genealogische Grundlage dient vor allem: Josef Burg/Otto Treinen, Die Einwohner der Gemeinde Wadgassen, 3 Bde. Ludweiler 1991/1993.
[7] Archives Nationales F 2 II Moselle.
[8] Peter Burg: Kommunalreformen im Kontext historischen Wandels. Die napoleonischen und die modernen Gemeindezusammenlegungen im Vergleich, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 8, 1982, S. 251-283.
[9] Wilhelm Franz Josef Trenz: Die Prämonstratenser-Abtei Wadgassen zur Zeit der französischen Herrschaft von 1766 bis zur Auflösung im Jahre 1792, Diss. Mainz 1961.
[10] Alois Prediger: Geschichte des Landkreises Saarlouis Bd. 1. Französisches Erbe und preußische Formung (1815-1848), Saarbrücken 1997, S. 313-315. Hier auch die Darstellung des Forst- und Steuerkonflikts zwischen der Kreisverwaltung Saarlouis und den französischen Behörden. In diesem Kontext werden Peter Köwenig als Eigentümer und Clemens Spengler als Pächter erwähnt.
[11] Volker Wagner: Geschichte Friedrichweilers von 1815-1919, in: Peter Burg (Hg.): 250 Jahre Friedrichweiler. Beiträge zur Geschichte des Dorfes, Wadgassen-Friedrichweiler 1975, S. 128.
[12] Prediger S. 348-357.
[13] Peter Frey-Kaeff: Heimatbuch der Gemeinde Differten-Friedrichweiler, Differten 1962, S. 49.
[14] Stadtverband Saarbrücken (Hg.), Bruno Aust/Dieter Bülte: Der Saarkohlenwald. Geschichte und Zukunft, im Internet Stand 2010.
[15] Die preußische Urkatasteraufnahme von 1830/31, aufbewahrt in den Landratsämtern, bieten Besitzübersichten, die noch relativ zeitnahe an der Französischen Revolution liegen.
Donnerstag 13. Januar 2022 um 23:45
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