Gehe zu: Hauptmenü | Abschnittsmenü | Beitrag

Peter Burg Werke

Burschenschaft

Die Geschichte der Deutschen Burschenschaft unter besonderer Berücksichtigung ihrer politischen Orientierung

von Prof. Dr. Peter Burg

Einleitung

Heinrich Heine verfasste 1840 eine Denkschrift, in der er die im Umfeld des Wartburgfestes aufgekommene „Teutomanie“ verspottete. Dabei warf er Fragen auf:

„Wo fängt der Germane an? Wo hört er auf? Darf ein Deutscher Tabak rauchen? Nein, behauptete die Mehrheit. Darf ein Deutscher Handschuhe tragen? Ja, jedoch von Büffelhaut. <…> Aber Biertrinken darf ein Deutscher, und er soll es als echter Sohn Germanias“.

Anders als den Geist des Wartburgfestes lobte Heine den Geist des Hambacher Festes. Beide sind aber wesentlich mit der Burschenschaftsbewegung in Verbindung zu bringen. Daraus leitet sich als Gebot ab, die Geschichte genauer in Augenschein zu nehmen.

Die Geschichte der Deutschen Burschenschaft gehört nicht zu den vernachlässigten Themen der deutschen Geschichtswissenschaft. Das ist nicht zuletzt dem umfangreichen „hauseigenen“ Schrifttum zu verdanken. Der Burschenschaftsbewegung zugehörige Historiker wie Herman Haupt und Paul Wentzcke haben sich um 1900 der Thematik mit bemerkenswerter Intensität und in weitgehend professioneller Weise angenommen. An zweiter Stelle ist für die gute Forschungslage die geschichtliche Bedeutung der Thematik zu nennen. Die Burschenschaftsbewegung war zum einen Auslöser einschneidender politischer Aktionen, ganz überragendes Beispiel ist das Wartburgfest von 1817, auf das die reaktionären Karlsbader Beschlüsse von 1819 folgten, zum anderen verkörperte die Bewegung den jeweiligen politischen Zeitgeist bisweilen in pointierter Form.

Allerdings gibt es mehr oder weniger bevorzugte Zeiträume in der historischen Erforschung der Burschenschaftsbewegung. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hat quasi als das Goldene Zeitalter ungleich mehr Beachtung gefunden als das Wilhelminische Reich, die Weimarer Republik oder der Nationalsozialismus. Die Akzente beruhen auf einer unterschiedlichen geschichtlichen. Mein geschichtlicher Abriss beginnt mit der Vorgeschichte, legt den Schwerpunkt auf die immer noch einen Leitbildcharakter besitzende Frühzeit der Burschenschaftsbewegung und wird in großen Linien bis zur Bundesrepublik Deutschland geführt. Dabei geht es mir vor allem darum, den politischen Standort in der jeweiligen Epoche aus wissenschaftlicher, d.h. möglichst objektiv-distanzierter Sicht zu charakterisieren.

Vorgeschichte

Im engeren Sinn beginnt die Geschichte der Deutschen Burschenschaft am 12. Juni 1815, als in Jena eine Reihe von Landsmannschaften in der allgemeinen Burschenschaft aufging und diese, von der Nationalidee inspiriert, ihren Siegeszug in Deutschland antrat. Auf Vorläufer und Wegbereiter einen Blick zurückzuwerfen lohnt sich, um den Gründungsakt in Jena zu würdigen.

Der Name Burschenschaft verweist zurück auf eine lange Vorgeschichte. Bursche, frühneuhochdeutsch „bursgesell“ oder „bursant“, war Mitglied einer aus einem gemeinsamen Beutel lebenden Gesellschaft von Studenten, Handwerkern oder Soldaten. Aus dem lateinischen Wort „bursa“, Geldbeutel, leitete sich der Name der Gesellschaft und ihres Hauses ab. Die „Börse“ hat ja auch heute noch eine engere und weitere Bedeutung, bezeichnet das Handgeld in der Tasche und den Dreh- und Angelpunkt des Kapitalmarktes. In beiden Fällen geht es aber um einen Individualbesitz. Die Börse der Burschenschaft bzw. ihrer Vorgänger hatte im Unterschied dazu jedoch einen genossenschaftlichen Charakter, war Gemeinschaftsbesitz, aus dem das Zusammenleben finanziert wurde. Aus der Bezeichnung „Börse“ für die Gesellschaft und das Haus entwickelte sich schließlich der Name für die Bewohner. Vor 1800 erfolgte die soziale Eingrenzung auf die Studenten; Burschenschaft bezeichnete die Gesamtheit der Studenten einer Universität. Die bemerkenswerte Wort- und Begriffsgeschichte führte so vom „Geldbeutel“ zum Namen der nationalen Studentenverbindung.

Auch der Begriff der „Nation“, so wie ich ihn eben verwandte, erlebte eine erhebliche Umdeutung. Für die mittelalterlichen Universitäten war nicht der Begriff der Burschenschaft, sondern der der „Nationen“ grundlegend. Eine Nation vereinigte Lehrer und Studenten eines bestimmten Landes oder einer bestimmten Landschaft. Sie war eine Genossenschaft zur gegenseitigen Hilfeleistung, aber auch ein Organ zur universitären  Mitverwaltung, z.B. bei der Rektorwahl. Organisiert war auch das Leben in den Kollegienhäusern, den „Nationalbursen“. Es gab Satzungen, Aufnahmeriten, Vorsteher, Abzeichen in den Landesfarben, ein geschlossenes Auftreten nach außen, etwa zur Verteidigung eines Landsmannes.

Mit der Reformation traten Verschiebungen im Universitätsleben ein. In den geistlichen und katholischen Staaten blieb der Einfluss der Kirche auf die Universitäten weiterhin stark, in den protestantischen trat der Landesfürst an deren Stelle. Die im Mittelalter vorhandene enge Gemeinschaft von Professoren und Studenten zerfiel, die Professoren erhielten in der Fakultätsverfassung das alleinige Sagen. Die Tradition der Nationen setzte sich außerhalb der Universität fort, in den Landsmannschaften, die keine sozialen Unterschiede kannten.

Im Zuge des Absolutismus, in dem der Adel in die staatliche Verwaltung einbezogen wurde und sich Qualifikationsanforderungen stellen musste, nahm der Anteil adeliger Studenten in den Universitäten zu. Das Sozialprofil der Studentenschaft wandelte sich, desgleichen der gesamte Habitus der Studenten. Feudale Ehrbegriffe und Duellwesen hielten Einzug, die soziale Gleichheit schwand. Die Landsmannschaften entwickelten sich zu Zusammenschlüssen auf freiwilliger Basis. Innerhalb dieser Korporationen bildeten sich in Anlehnung an das Freimaurertum kosmopolitisch orientierte geheime Studentengesellschaften und –orden aus. Ihr Aufblühen zersetzte die alten Landsmannschaften. Die Orden (Amicisten, Unitisten usw.) traten vor Ausbruch der Französischen Revolution einen Siegeszug an den deutschen Universitäten an. Da sich ihre politische Programmatik und Tätigkeit sachlich und zeitlich nicht auf das Universitätsleben beschränkte, sie allgemein aufklärerisch wirken wollten, gerieten sie in einen Konflikt mit den herrschenden Gewalten. Nach 1789 wurden sie alsbald als Anhänger der Revolution verdächtigt und verfolgt und fielen der Unterdrückungspolitik zum Opfer.

Die Stelle von Landsmannschaften und Orden begannen um die Jahrhundertwende, anfangs halblegal, die Corps einzunehmen. Das älteste Corps, die Onoldia (für Ansbach) in Erlangen, existiert heute noch. Kennzeichnend für die Corps waren landschaftliche Benennung und Rekrutierung. Wie die Orden begründeten sie eine lebenslängliche Mitgliedschaft, doch anders als diese waren sie unpolitisch. Die Satzungen enthielten Freundschafts- und Bildungsbeteuerungen, doch die Mitglieder, darunter insbesondere die Adeligen, strebten nach gesellschaftlicher Exklusivität. Ein in absolutitischer Manier geführter „Senioren-Convent“ fungierte vor Ort als Gericht und Repräsentant der Studentenschaft. Duelle gehörten nunmehr zum normativen Rahmen.

Die Gründung der Deutschen Burschenschaft

Die Befreiungskriege und die auf sie folgende Neuordnung Deutschlands bildeten den Kontext für die Entstehung der epochemachenden nationalen Studentenverbindung, die Allgemeine Burschenschaft. Friedrich Ludwig Jahn, der Turnvater, einst Mitglied des Unitistenordens und ein Feind der Corps, arbeitete bereits 1810 einen Gründungsplan für eine alle Sonderverbindungen aufhebende „Deutsche Burschenschaft“ aus. Politisches Ziel, das in studentischen Kreisen Nord- und Mitteldeutschlands großen Anhang fand, war die Befreiung Deutschlands von der französischen Besatzung bzw. Vorherrschaft. In Lützows Freikorps, das seine Fahne mit den Farben Schwarz-Rot-Gold zierte, fanden Jahns Ideen eine konkretere Gestalt.

Allen voran drängten die Jenenser Studenten zum nationalen und demokratischen Zusammenschluss, auf studentischer, dann aber auch auf allgemeiner gesellschaftlicher Ebene. Treibende Kraft für die Gründung einer allgemeinen Verbindung wurde die Landsmannschaft Vandalia. Nach heftigen Auseinandersetzungen ließen sich weitere Landsmannschaften für den burschenschaftlichen Gedanken gewinnen. Am 12. Juni 1815 senkten sich die Fahnen der Landsmannschaften vor einer berühmt gewordenen „Tanne“ in Jena zum Zeichen ihres Aufgehens in der Burschenschaft. Der Tag bzw. der symbolische Akt dieses Tages wurde zur denkwürdigen Geburtsstunde der Deutschen Burschenschaft.

Auch die Corps schafften analog die heimatgebundene Rekrutierung ab und öffneten sich damit der Nationalidee. Diese Öffnung für das Ganze des Volkes war das entscheidend Neue. Dazu gehörte die Überwindung des deutschen staatlichen Partikularismus ebenso wie die Pflege des deutschen Kulturgutes, des Volkscharakters und des Brauchtums. Die Ideale der sogenannten Urburschenschaft, 1817 auf der Wartburg prägnant zusammengefasst in den Begriffen „Ehre – Freiheit – Vaterland“, sind zum Leitbild der folgenden Generationen bis heute geworden. Auch die Gefahr einer Übersteigerung der Vaterlandsliebe, eines Umschlags in Deutschtümelei und Nationalismus war von Anfang an gegeben – das hat Heinrich Heine richtig gesehen.

Das Wartburgfest vom 18. Oktober 1817, der Tag wurde in Erinnerung an die Leipziger Völkerschlacht des Jahres 1813 gewählt, und Burschentage in Jena im Jahre 1818 trieben die Einigung zu einer „Deutschen Burschenschaft“ weiter voran. Vertreter von 14 Universitäten vollzogen in Jena am 18. Oktober 1818 einen Zusammenschluss, der verfassungsgemäß dem Zwecke einer „Christlich-deutschen Ausbildung einer jeden leiblichen und geistigen Kraft zum Dienste des Vaterlandes“ dienen sollte, und dies auf der Basis einer „Einheit, Freiheit und Gleichheit aller Burschen untereinander und möglichster Gleichheit aller Rechte und Pflichten“. Im Einzelnen kreisten heterogene Gedanken durch die Vorstellungswelt der sogenannten Urburschenschaft. Man schwärmte vom mittelalterlichen Kaisertum und germanischer Mythologie, man polemisierte gegen Juden und Ausländer.

Bedeutsamer aber waren die Forderungen, die der Jenaer Historiker Luden und der deutsche Liberalismus in den nächsten Jahrzehnten gleichfalls auf die Tagesordnung stellten und die sich die Deutsche Burschenschaft zu eigen machte: Einheit in politischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und, was schon problematischer war, in religiöser Hinsicht, konstitutionelle Verfassungen mit Selbstverwaltung, Gleichheit vor dem Gesetz, liberale Grundrechte wie Rede- und Pressefreiheit, öffentliche Gerichtsverfahren und Geschworenengerichte, allgemeine Wehrpflicht, machtbetonte Außenpolitik.

Politische Aktivitäten der Burschenschaft

Das war das wegweisende Programm der politischen Opposition in Deutschland. Die Deutsche Burschenschaft war auf dem Wege, eine allgemeine und umfassende nationale Organisation und ein Repräsentativorgan aller deutschen Studenten zu werden, gewissermaßen ein Stoßtrupp des deutschen Bürgertums, als die Karlsbader Beschlüsse diese Entwicklung jäh abbremsten. Durch sie wurden alle studentischen Verbindungen einschließlich der Deutschen Burschenschaft verboten. An den Universitäten überwachten Regierungskommissare Professoren und Studenten, die Mainzer Zentraluntersuchungskommission suchte überall nach Verschwörern. Nur im Untergrund konnte die Burschenschaftsbewegung weiter existieren; hierbei radikalisierte sich ihre politische Programmatik. Den Gipfel bildete das Attentat des Theologiestudenten Carl Ludwig Sand auf den Schriftsteller August von Kotzebue.

Kennzeichnend für die frühe Burschenschaftsbewegung ist ihr Bekenntnis zu einer internationalen Solidarität. Sie sympathisierte mit den nationalen Befreiungskriegen und Aufständen der Griechen, Italiener, Polen und Belgier und propagierte ein konföderiertes republikanisches Europa. Am polnischen Aufstand von 1830 nahmen Burschenschafter als Kämpfer und als Ärzte teil. Auf dem Hambacher Fest vom Mai 1832 wurden die deutsch-polnische und die deutsch-französische Verbrüderung gefeiert. Burschenschafter hielten Festansprachen.

Die Richtung der „Germanen“ drängte nach der französischen Julirevolution 1830 zu einer aktiven Politik, die „Arminen“ legten den Schwerpunkt auf eine allgemeine Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Auf dem Burschentag in Stuttgart setzten sich die Germanen mit einem revolutionären Aktionsprogramm durch. Aus dem Umsturzplan unter Federführung des Vaterlandsvereins und unter Mitwirkung von Nichtakademikern ging der Frankfurter Wachensturm vom 2. April 1833 hervor, ein kläglich gescheitertes Unternehmen zur Besetzung des Bundestages, der Versammlung der Bevollmächtigten der deutschen Regierungen, der die Unterdrückungspolitik der deutschen Staaten koordinierte. Den Kern des waghalsigen Wachensturms bildeten 30 bis 40 Burschenschafter. Der Deutsche Bund setzte eine erneute Demagogenverfolgung in Gang. Hunderte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilte, viele flohen ins Ausland. Die Burschenschaftsbewegung wurde nochmals ausdrücklich verboten, obwohl das alte Verdikt noch nicht aufgehoben worden war. Die führende politische Rolle der Burschenschaft war mit dem Misslingen des Frankfurter Wachensturms beendet.

Das preußische Kammergericht fällte 39 Todesurteile, die aber allesamt in Festungshaft umgewandelt wurden. Unter den Häftlingen befand sich der bekannte Mundartdichter Fritz Reuter. Erst als im Jahre 1840 Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron bestieg, wurden zahlreiche eingekerkerte Studenten freigelassen. Das Universitätsleben wurde wieder freier.

Die Progressbewegung

Eine neue studentische Bewegung, der „Progress“, konnte sich, vom ostpreußischen Königsberg ausgehend, entfalten. Weite Kreise der Studentenschaft befreiten sich von den immer noch kursierenden romantischen, christlich-völkischen, mittelalterlich-verklärten Weltanschauungselementen. Die Mehrheit bekannte sich nunmehr zu den demokratischen Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Konsequent forderten die Anhänger der Progressbewegung eine soziale Entgrenzung der Verbindung, eine Abschaffung der trennenden Farben, Abzeichen und Bräuche, von Duellen und Mensuren ohnehin. Sogenannte „Allgemeinheiten“ sollten Studierende und Nichtakademiker verbinden. Viele Burschenschaften schwenkten in das progressistische Fahrwasser, während sich die Corps in der Mehrzahl feindselig gegenüber dieser neuen Bewegung verhielten. Repräsentatives Beispiel der Progressbewegung ist die „Burschenschaft auf dem Burgkeller“ in Jena. Den Höhepunkt der Progressbewegung bildete das Treffen auf dem Kyffhäuser Pfingsten 1846. Hier trafen sich die Vertreter von 180 Verbindungen und bekannten sich, nach scharfen Debatten, zum alten Ideal der Einheit. Damit war der Weg gebahnt zum ersten deutschen Studententag Pfingsten 1848, einem weiteren Höhepunkt der Geschichte der Burschenschaft, deshalb auch als zweites Wartburgfest bezeichnet, das im Kontext der 1848er Revolution stand. Das Schicksal dieser Revolution sollte sich eng mit dem der Studentenbewegung verknüpfen.

Die Burschenschaftsbewegung in der Revolution von 1848/49

Im großen Stadtsaal von Eisenach trafen sich Pfingsten 1848 rund 1200 Studenten, um über Aufgaben und Interessen der deutschen Studentenschaft im künftigen neuen Deutschland zu beraten. Es waren nicht nur Burschenschafter gekommen, auch Corpsangehörige, Mitglieder konfessioneller Verbindungen und nichtkorporierte Studenten. Etwa 700 der Anwesenden waren Verfechter eines liberalen und demokratischen Deutschland nach dem Vorbild der westeuropäischen Demokratien. Ihnen standen 500 gemäßigt konservativ orientierte Studenten gegenüber. Die Mehrheitsverhältnisse schlugen demnach, anders als in der Paulskirche, zu Gunsten der Linken aus. In Eisenach wurde unter dem führenden Einfluss linksgerichteter progressistischer Burschenschaften eine Reihe von hochschulpolitischen Forderungen formuliert, deren Erfüllung zum Teil bis in die Gegenwart warten musste. Das Hochschulwesen sollte insgesamt auf die Höhe der demokratischen und nationalen Zivilisation gebracht werden, wie es damals hieß. Dazu zählten im einzelnen:

1. Bildung einer verfassten Studentenschaft an jeder Universität. Aus ihr sollten bestimmt werden ein Verwaltungsausschuss und Delegierte für einen nationalen Zusammenschluss. Von Vollversammlungen oder Parlamenten sollten Wahlen zu allen studentischen Ämtern stattfinden. Großen Beifall fand die Ankündigung der Herausgabe einer „Deutschen Studentenzeitung“.

2. Aus den Universitäten sollten Nationalanstalten werden, sie sollten keinen ständischen Aufbau besitzen. Der zu errichtende deutsche Nationalstaat sollte für die Bedürfnisse aufkommen, eine nur dem Reichstag verantwortliche Zentralbehörde die Leitung des deutschen Hochschulwesens übernehmen. Die Mitglieder der Zentralbehörde waren auf bestimmte Zeit unter studentischer Beteiligung zu wählen. Jede einzelne Universität verwaltete ihre Finanzen durch selbstgewählte Beamte und war in dieser Hinsicht primär der Zentralbehörde verantwortlich.

3. Ganz modern ist die Forderung einer interdisziplinären Zusammenarbeit der einzelnen universitären Fachrichtungen. Forschung und Studium sollten nicht durch Fakultäten eingeengt werden.

4. Lehr- und Lernfreiheit sollten gewährleistet sein. Der Eisenacher Kongress forderte die Beteiligung der Studierenden an der Wahl der akademischen Gremien und an der Lehrstuhlbesetzung. Hörgelder, Prüfungsgebühren, Ex- und Immatrikulationskosten sollten verschwinden.

5. Der Freizügigkeit der deutschen Studenten diente der Grundsatz, Staatsexamina an allen Universitäten, nicht nur an der jeweiligen Landesuniversität ablegen zu dürfen.

6. Ein Staatsamt sollte nicht nur vom Besitz akademischer Würden abhängig sein.

Nicht nur in der Theorie waren die Studenten Vorkämpfer der deutschen Einheit, sondern sie waren auch als demokratische Barrikadenkämpfer an der vordersten Front zu finden. Nicht zu vergessen sind die vielen ehemaligen Burschenschafter in der Frankfurter Paulskirche selbst, allen voran der Präsident der Deutschen Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, als Student Burschenschafter in Jena

Das parlamentarische Wirken war für die im deutschen Vormärz so massiv Verfolgten eine große Genugtuung, die scheinbare Erfüllung eines herrlichen Traumes. Doch auf die langwierige Ausarbeitung einer Verfassung, die viele Kompromisse mit den bestehenden Machtverhältnissen einging, folgte eine bittere Ernüchterung, die Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. Aus der Desillusionierung erklärt sich weithin die spätere Beugung unter Bismarcks Realpolitik in der Lösung der nationalen deutschen Frage, schließlich gar die Bejahung seiner Revolution von oben.

Von der Revolution zum Kaiserreich

Mit dem Scheitern der Revolution von 1848 zerfiel die Burschenschaftsbewegung für mehr als drei Jahrzehnte organisatorisch in Splittergruppen, während die Konkurrenzbewegung der Corps 1855 im Hohen Kösener-Senioren-Convents-Verband (HKSCV) eine Dachorganisation bildete. Auch in inhaltlicher Hinsicht gab es kein gemeinsames Band der Burschenschaften: Es gab kurzlebige radikaldemokratische Verbindungen, nationalliberale, gemäßigte und konservative Gruppen, die sich kaum von den Corps unterschieden. Die öffentliche Anerkennung und Förderung erhielten nach dem Scheitern der Revolution bis zum Ende des Kaiserreiches vor allem die unpolitischen Corps, die nicht zuletzt dadurch Einfluss auf Struktur und Innenleben von Verbindungen und Verbände ausübten. Das war ein politisch-sozial bedeutsamer Vorgang, in dem sich ein gesamtgesellschaftlicher Zustand und Prozess spiegelten.

Die öffentliche Förderung und Anerkennung der Corpsstudenten wirkte sich in den Berufskarrieren aus. Etwa 90 % von ihnen wurden hohe Juristen, Beamte, Diplomaten, Offiziere, Gutsbesitzer. Der gesellschaftliche Druck führte zu einer Anpassung der Burschenschaft an den Normen- und Verhaltenskodex der Corps, die etwa in der Übernahme von Mensur- und Duellbestimmungen Ausdruck fand. 1881 entstand in diesem Kontext wieder ein übergreifender Zweckverband der Burschenschaften, der Allgemeine Deputierten-Convent (ADC), der sich 1902 in „Deutsche Burschenschaft“ umbenannte. Ein kleinerer Dachverband war der von 1883 bis 1933 existierende Allgemeine Deutsche Burschenbund (ADB), den Konrad Küster begründete und dessen renommiertestes Mitglied der Außenminister der Weimarer Republik, Gustav Stresemann, werden sollte. Die Sammlungsbewegung ergriff auch die neuen Landsmannschaften, deren umfassender Verband sich ab 1908 „Deutsche Landsmannschaft“ nannte.

Kennzeichnend für das Verbindungswesen nach dem Scheitern der 1848er Revolution waren die Integration und der Bedeutungszuwachs der Alten Herren. Der organisatorischen Integration entsprach die Einebnung ideologischer Unterschiede zwischen Alten und Jungen. In der Ideologie aber entfalteten sich viele Elemente, die aus heutiger Sicht negativ zu werten sind: Standes- und Bildungsdünkel, Autoritätsgläubigkeit, Nationalismus, Militarismus, Imperialismus. Der Antisemitismus führte bereits im Kaiserreich zur Verdrängung von Juden aus Verbänden, auch in den vom Mittelstand getragenen Burschenschaften und Landsmannschaften, erst recht von den Corps. Die politisch und sozial emanzipatorische Rolle der Burschenschaft, der sogenannten Urburschenschaft, die für die ersten Jahrzehnte nach den Befreiungskriegen zu beobachten war, wurde beiseite geschoben. Wie der gesamte Zeitkontext hatte sich das Profil der studentischen Bewegung verändert. Lediglich in der 1900 konstituierten „Freien Deutschen Studentenschaft“ lassen sich Spuren der alten Ideale finden.

Die Freie Deutsche Studentenschaft setzte sich für demokratische Organisation, Selbstverwaltung und Selbsthilfe der gesamten Studentenschaft ein und knüpfte an die Programmatik der Progressbewegung an. Ämter und Einrichtungen der Freien Deutschen Studentenschaft wurden in der Weimarer Republik von der Deutschen Studentenschaft übernommen, die als erste moderne Einheitsorganisation angesehen werden kann, auch als Vorgänger des 1949 gegründeten Verbandes Deutscher Studentenschaften. Gesellschaftlich bestimmend waren im Kaiserreich und in der Weimarer Republik jedoch nicht diese Organisationen, sondern in erster Linie die Corps, in zweiter Burschenschaften und Landsmannschaften.

Im 1891 gegründeten Alldeutschen Verband, der einen aggressiven Imperialismus propagierte, war die akademische Jugend des Mittelstandes ebenso zu finden wie die Alten Herren. Als Kriegsfreiwillige zogen sie 1914 begeistert in den Weltkrieg, beflügelt von nationalistischen und imperialistischen Leitzielen. Sie waren es auch, die den Kriegsausgang innerlich nicht akzeptieren konnten, die der Dolchstoßlegende, der These vom Verrat des Militärs durch die neuen Männer in der Politik, anhingen. Sie standen den neuen Verhältnissen, die die Weimarer Republik begründete, mehr als distanziert, feindlich, gegenüber.

Weimarer Republik

Symbolträchtig und vielsagend war die Ablehnung der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne der Weimarer Republik durch die Deutsche Burschenschaft, obwohl diese das eigene Vereinsemblem zierte. Die Weimarer Republik war in ihren Augen Ausdruck einer geistigen und sittlichen Verwilderung, hinabgeglitten in eine nationale Würdelosigkeit.

Dem elitären Denken der Korporationen lief der Einfluss der Arbeiterschaft in Staat und Gesellschaft, der sich über die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften realisierte, zuwider. Die Höherstellung mittelständischer Angestellter, von Beamten und Akademikern sahen sie gefährdet. An die Stelle der Leitwerte Kaiser und Reich traten nun, wohlvorbereitet durch den Nationalismus der vorangegangenen Jahrzehnte, deutsches Volkstum und völkisches Denken.

Die dem Zentrum nahestehenden katholischen Verbände hielten sich vom völkischen Treiben vergleichsweise zurück, ohne allerdings entschieden gegen dieses anzugehen. Wortführer und Propagandisten völkischen Denkens waren unter anderem die Burschenschaften, freilich hierin wiederum einer starken Strömung in der deutschen Gesellschaft folgend.

1921 formulierte das Handbuch für die Deutsche Burschenschaft großdeutsche Ziele, darunter den Anschluss Österreichs. Gegen die 1919 an den reichsdeutschen Hochschulen gegründeten Allgemeinen Studentenausschüsse, Selbstverwaltungsorgane nach Art der heutigen AStA, gingen die Korporationen vor und brachten sie zum Erliegen. Jüdische Studenten, die in den Ausschüssen noch einen Platz hatten, wurden in aller Form aus den Korporationen hinausgedrängt. Die Eisenacher Beschlüsse des Burschentages von 1920 bestimmten, dass auch bei Taufe über die Rassemerkmale der Juden nicht hinweggesehen werden dürfe. Selbst eine völlige Assimilation von Juden in die deutsche Gesellschaft war kraftlos angesichts der rassistischen Ideologie. In die Burschenschaft konnten nur deutsche Studenten arischer Abstammung aufgenommen werden, die sich zum Deutschtum bekannten. Der Antisemitismus widersprach dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, auf dem die Weimarer Verfassung basierte.

Der politische Standort der Burschenschaften zeigte sich in der Beteiligung an und in der Reaktion auf den Hitler-Putsch von 1923. Mit Stolz bekannten die Burschenschaftlichen Blätter, dass sich unter den Putschisten Burschenschafter befanden. Im Münchener Bürgerbräuhaus hatte Adolf Hitler in der Nacht vom 8. zum 9. November die Reichsregierung und die Bayerische Staatsregierung für abgesetzt erklärt und sich selbst zum Reichskanzler ernannt. Die bayerische Polizei hatte die Putschisten vor der Feldherrnhalle in München auseinandergetrieben, Hitler verhaftet und einige Putschisten getötet. Die Burschenschaftlichen Blätter klagten die Justiz an, die die beteiligten Burschenschafter mit Zuchthaus bedrohte, weil sie den am Putsch teilnehmenden Verbänden „die Treue auf dem Weg zur deutschen Freiheit“ hielten.

Im Jahre 1926 wurde der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund gegründet, dessen Mitglieder sich mehrheitlich aus korporierten Studenten rekrutierten, 1932 ganze 62 %. Die Freien Studentenschaften wurden von diesem Verband erobert, während die katholischen eine formelle Loyalität gegenüber der Weimarer Republik übten. Die Burschenschaften näherten sich ideologisch in jeder Hinsicht dem Nationalsozialismus. Sie beteiligten sich auch am Führerkult und erklärten, dass sie „gerade um der Freiheit der Persönlichkeit willen (…) die autoritäre Führung durch den Staat“ forderten. Leitender Mann der deutschen Burschenschaft wurde 1931 der Nationalsozialist Otto Schwab. Seit 1930 wurde der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund als ebenbürtiger Partner von den konservativen Waffenverbänden anerkannt.

Drittes Reich

Hitlers Machtergreifung wurde von den Burschenschaften folgerichtig begrüßt. Im März 1933 erklärten die führenden Organe: „Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt, wofür wir im Geist der Burschenschaften von 1817 jahraus, jahrein an uns und in uns gearbeitet haben, ist Tatsache geworden.“ Die Deutsche Burschenschaft fühlte sich besonders in ihrer antisemitischen Einstellung gerechtfertigt und bestätigt. Auf angebliche Anfeindungen wegen ihrer Haltung in der Judenfrage folgte die Genugtuung, dass nun eine deutsche Regierung den Kampf gegen das Judentum auf der ganzen Linie aufgenommen habe. Die Burschenschaft verstand sich als eine getreue Schar des Führers im neuen Reich.

Das selbständige Verbände- und Verbindungswesen wurde in diesem neuen Reich mit seinem totalitären System überflüssig, die Korporationsverbände vollzogen in hohem Maße eine freiwillige Gleichschaltung. Die weniger kontrollierbaren katholischen Verbände wurden als erste verboten und aufgelöst. Zwischen 1935 und 1937 wurde alle übrigen Korporationsverbände aufgelöst. Der Kösener Verband war wegen seines feudalen Zuschnitts dem egalitären Nationalsozialismus ein Dorn im Auge. Auch er wurde, trotz ideologischer Nähe, zwangsweise aufgelöst. Die Ehre der verbandsweisen Übernahme in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund wurde der Deutschen Burschenschaft und der Deutschen Landsmannschaft zuteil. Die kollektive Übernahme erfolgte 1935. Der interne Verbindungsbetrieb blieb meist unbehelligt.

Die Nachkriegszeit

In der Nachkriegszeit standen die Korporationen allesamt zunächst in ganz niedrigem Ansehen. Offiziell versagte man ihnen die Anerkennung, nahm sie nicht zur Kenntnis. Man sah sie mit dem Makel behaftet, der auf dem Nationalsozialismus lag. 1954 noch übten CDU und SPD Kritik an dem allenthalben aufsprießenden Verbindungswesen. Der Bundesparteitag der SPD erklärte eine Parteimitgliedschaft mit der Zugehörigkeit zu einer Verbindung des „Konvents deutscher Korporationsverbände“ für unvereinbar. Im Jahre 1954 gab es allerdings auch noch Verlautbarungen in den Burschenschaftlichen Blättern, die der „Blut- und Bodenideologie“ des Nationalsozialismus nahe standen: „Wem die Bindungen der Blutsverwandten, der Familie nicht mehr bedeuten als alle anderen menschlichen Bindungen, die Bindungen an den Menschen gleichen Volkstums nicht mehr als die an jeden beliebigen ‚Nächsten’ in Innerafrika oder Sibirien, der hat sich damit aus allen gottgewollten Bindungen gelöst“.

Die Anerkennung studentischer Korporationen ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Auf der 10. Berliner Arbeitstagung der Deutschen Burschenschaften vom 12. Juni 1965, an der 500 Aktive und viele Alte Herren teilnahmen, standen sehr namhafte Politiker vor dem Rednerpult, darunter Carlo Schmid (SPD), einer der Väter des Grundgesetzes. Heinrich Lübke übersandte Grußworte. Die Deutsche Burschenschaft feierte an diesem Tag das 150jährige Bestehen, und dies unter Leitung der Jenaischen Burschenschaft. Der Wahlspruch „Ehre – Freiheit – Vaterland“ wurde bekräftigt.

Burschenschaften und andere Verbindungen arbeiteten, aufgefordert am politischen Leben der Bundesrepublik teilzunehmen, etwa im Kuratorium Unteilbares Deutschland mit. Die Einholung in die Politik war von einer Neuorientierung begleitet, die mit den Traditionen des Kaiserreiches und erst recht mit der nationalsozialistischen Zeit brach. 1957 erklärten die Burschenschaftlichen Blätter, die aktiven Burschenschafter wollten die absolute Freiheit der Entscheidung, die Zeit gehe weiter, die Welt von heute sei eine andere. Die junge Generation wollte unter keinen Umständen noch einmal den Weg gehen, der 1933 mit der Selbstaufgabe der Deutschen Burschenschaft endete. Das war, wie ich meine, ein Befreiungsschlag aus einer belastenden Tradition.

Nach der Wiedervereinigung unterstützte die Deutsche Burschenschaft Neugründungen in den neuen Bundesländern. Symbolträchtige Denkmäler in Eisenach wurden restauriert und werden heute bewirtschaftet. 1991 fand in Eisenach wieder ein Burschentag statt. Im neuen Geiste wurde 1996 eine „Burschenschaftliche Stiftung für nationale Minderheiten- und Volksgruppenrechte in Europa“ gegründet, der sich der wichtigen Thematik der Rechte nationaler Minderheiten annimmt. Ein ideologischer Wechsel vollzog sich in diesem Jahr auch in der Frage von Kriegsdienstverweigerung und Mitgliedschaft in einer Burschenschaft. Die Entscheidung obliegt heute der jeweiligen Korporation – ein Beleg dafür, wie die Einbindung der Burschenschaft in die Zeit grundsätzlich bestehen bleibt.

Resümee

Genau besehen muss man sagen, dass die geschichtliche Tradition in der Deutschen Burschenschaft immer nur eine eingeschränkte Rolle spielte, dass die Einbindung in den jeweiligen Zeitkontext dominierte, die zahlreichen Berufungen auf die Tradition der Legitimation aktueller Entscheidungen dienten. Fesseln der Tradition abzustreifen ist das gute Recht jeder Generation, keine Geschichte, keine Vorbilder können der Gegenwart Entscheidungen abnehmen. Nur ein kritischer Umgang mit der eigenen Geschichte – so meine abschließende Empfehlung – kann auch für die heutige Welt hilfreich sein.

Mehr zum Themenbereich deutsche Geschichte

Ein Kommentar zu “Burschenschaft”

  1. 1strictness schreibt:

    1arrested…